Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Ich bedanke mich hochachtungsvoll bei den beiden Kammern für die Organisation des heutigen Treffens. Ich bin dem Präsidenten der Republik Korea dankbar für das heutige Gespräch. Ich habe ihm die gleiche Frage gestellt, die Sie auch gestellt hätten, wenn Sie dabei gewesen wären: Worauf müssen wir uns in den nächsten zehn Jahren vorbereiten? Und ich bin dankbar, dass wir einige sehr aufschlussreiche Antworten auf diese Frage erhalten haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Korea ist für die Ungarn ein rätselhaftes Land. Es ist schwer zu verstehen, wie ein Land, das vor fünfzig Jahren zu den ärmsten Ländern gehörte, heute das zwölftgrößte GDP der Welt erwirtschaften kann. Die Wahrheit ist, dass wir in 1990 – als es uns gelungen ist, den Kommunismus zu stürzen – darauf hofften, einen solchen Weg für uns zu finden. Es sind dreißig Jahre vergangen, und ich bin mir nicht sicher, ob wir diesen Weg gefunden haben, aber von der Leistung, die durch Korea in den vergangenen Jahrzehnten erbracht wurde, sind wir zutiefst beeindruckt.
In diesem Kreis, in dem sich viele Ungarn befinden, möchte ich unterstreichen, dass das Gefühl des Verwandtschaftsbewusstseins im politischen Leben der beiden Länder auch weiterhin eine bestimmende Rolle spielt. Wir betrachten den jetzigen Besuch von Herrn Präsident auch schlicht und einfach als einen Verwandtschaftsbesuch. Sie alle wissen um die asiatische Herkunft der Ungarn, aber was Sie weniger wissen, ist, dass in Korea in den letzten Jahren 94 Bücher erschienen sind, die sich ganz oder teilweise mit den koreanisch-ungarischen Verwandtschaftsbeziehungen befassten. Beide Sprachen sind flektierende Sprachen, so dass unsere hier anwesenden tschechischen, slowakischen und polnischen Freunde das Ungarische genau aus dem gleichen Grund nicht verstehen, aus dem sie auch die Koreaner nicht verstehen. Und nur wenige wissen, aber vielleicht ist es erwähnenswert, dass wir den Komponisten der koreanischen Nationalhymne in Ehren halten, da dieser Komponist an der Liszt-Musikakademie in Budapest studierte und er ein Student von Zoltán Kodály war. Auch diese ist eine der Geschichten, die wir gerne heraufbeschwören.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Im Jahr 2010 war Ungarn im Wesentlichen bankrott. Zu diesem Zeitpunkt haben wir die Wahlen gewonnen, wir pflegen in solchen Zeiten Wahlen zu gewinnen. Wenn es gut läuft, zählen die ungarischen Bürger weniger auf uns – und ich erinnere mich klar, dass meine erste Bitte an die strategischen Berater war, sich einige Erfolgsgeschichten anzuschauen, um zu sehen, welchen Weg wir nach 2010 einschlagen sollten. Ich erinnere mich, dass wir sie gebeten haben, sich Singapur, Korea, Tschechien und Polen anzuschauen. Und ich erinnere mich an die Gespräche, die wir damals geführt haben, ich habe sogar noch meine alten Notizen behalten, in denen ich aufgezeichnet habe, was wir 2010 von den Koreanern lernen mussten, wenn wir einen Ausweg aus unserer damaligen Konkurssituation finden wollten. Und dann haben wir uns solche Dinge notiert wie: Wir müssen Tradition und Technologie kombinieren, die Familie ist nicht nur wichtig, die Familie ist alles und solange wir keine starken Familien haben, werden wir auch keine starke Wirtschaft haben. Der dritte Punkt, den wir damals notierten, war, dass wir eine auf Arbeit basierende Wirtschaft schaffen müssen, in der die Menschen laufend lernen. Wir haben uns damals aufgeschrieben, dass ein starkes nationales Selbstbewusstsein erforderlich ist, das sich in einem Selbstvertrauen manifestiert, dass die regionalen logistischen Gegebenheiten ausgenutzt werden müssen und dass man über eine Vision verfügen muss und der siebte Punkt war dabei, dass eine lange Planung erforderlich ist und wir dabei langfristig planen müssen. Das waren 2010 die Dinge, die wir aus dem koreanischen Erfolg zu verstehen und zu unserem Vorteil zu nutzen versuchten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Von 2010 bis 2021 haben wir auch einen ziemlich weiten Weg zurückgelegt, und Sie können sehen, dass wir versucht haben, alle sieben koreanischen Erfolgsrezepte, beziehungsweise deren ungarische Version zu befolgen. Das ist die Vergangenheit. Was die Gegenwart betrifft, so sehen wir alle, wie sich vor unseren Augen eine neue Weltordnung gestaltet. Dies gilt in politischer, wirtschaftlicher und auch in technologischer Hinsicht. Wir sehen auch – selbst, wenn es den westlichen Menschen nicht leichtfällt, es zuzugeben, doch wir sehen auch –-, dass das Tempo des Wandels in der Weltwirtschaft vom Osten diktiert wird, dass die größten Investitionen in Industriebereiche, die eine revolutionäre Erneuerung durchlaufen, aus dem Osten kommen und dass das, was in der modernen globalen Weltwirtschaft als wettbewerbsfähig gilt, nun zunehmend von asiatischen Ländern und solchen Großunternehmen für uns festgelegt wird.
Wir gehören offensichtlich einer anderen Kategorie an, aber, Herr Präsident, ich habe trotzdem einen internationalen Indikator gefunden, dem nach sich unsere Länder in den Top Ten befinden: Sie liegen an dritter Stelle und wir an der zehnten. Das wird als Skala der wirtschaftlichen Komplexität bezeichnet, die angibt, aus wie vielen Quellen, wie vielen Industriebereichen sich das GDP eines Landes zusammensetzt. Und es erfüllt uns mit großer Freude, dass sich Ungarn – übrigens auch die Tschechen – unter den Top Ten befindet; von den Visegrád-Staaten sind also sogar zwei dabei, wobei Korea an dritter Stelle steht, was gut veranschaulicht, dass die Möglichkeiten nicht auf zwei oder drei Branchen beschränkt sind, sondern von der Wirtschaft der Visegrád-Staaten ein sehr breites Spektrum an Möglichkeiten für koreanische Geschäftsleute geboten wird.
Was die ungarisch-koreanischen Wirtschaftsbeziehungen betrifft, so hat sich unser Handelsumsatz in den letzten zehn Jahren verzehnfacht.
Sogar während der Pandemie wurde hier ein neuer Rekord aufgestellt. Es gab also zwar eine Pandemie, sie hat die Expansion jedoch nicht gebremst, und in diesem Jahr, also in 2021, wird das Handelsvolumen sogar jenes des letzten Jahres übertreffen. Letztes Jahr lag dieser Wert bei 4,5 Milliarden und wir erwarten in diesem Jahr noch mehr.
Was uns ebenfalls mit Bewunderung erfüllt, und was wir als Ungarn nicht so wirklich verstehen, ist, wie es möglich ist, dass ein Land mit 51 Millionen Einwohnern nicht einfach ein hohes GDP erwirtschaftet, sondern auch eine gestalterische, strategische Rolle bei der Entwicklung der fortschrittlichsten Technologien der Welt spielt.
Wir verstehen zwar noch nicht genau, warum das der Fall ist, aber vielleicht werden wir es als infolge oder im Ergebnis der Zusammenarbeit begreifen. In Ungarn sind die Koreaner die viertgrößte Investorengemeinschaft und mit Korea ist für das völlig unbekannte, bisher unbekannte Phänomen verknüpft, dass 2019 die meisten Investitionen nicht aus einem westlichen Land, sondern aus Korea nach Ungarn kamen. So etwas gab es in der ungarischen Wirtschaftsgeschichte noch nie. Wir wollten schon immer zum Westen aufschließen, daher waren westliche Investoren immer die dominierenden Investoren und im Vergleich dazu war 2019 Korea der größte Investor. Und das ist nicht das letzte Jahr, in dem das vorgekommen ist, denn im Moment laufen in Ungarn koreanische Unternehmensinvestitionen in Höhe von 4 Milliarden Dollar, das heißt, dass während wir hier sprechen, Investitionen in Höhe von 4 Milliarden Dollar im Gange sind und es wird darüber verhandelt, mit 16 weiteren koreanischen Investitionen zu beginnen.
Ich möchte Sie darüber informieren, dass wir heute mit dem Herrn Präsidenten zu dem Schluss gekommen sind, dass wir die ansonsten herzlichen, guten und freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern auf eine nächsthöhere Stufe bringen werden. Wir bezeichnen das als eine strategische Beziehung, wir nennen das eine strategische Ebene und wir werden sie über die Wirtschaft hinaus auf die Bereiche Wissenschaft, Forschung und Bildung erweitern.
Wir nehmen Gespräche über die Errichtung eines wesentlichen, großen koreanischen Universitätscampus in Budapest auf.
Schließlich, meine sehr geehrten Damen und Herren, müssen wir natürlich, wenn wir mit koreanischen Geschäftsleuten sprechen, auch ein paar Worte über das verlieren, was heute in Europa geschieht, da der Wert der Ungarn und der Visegrad-Staaten auch durch die Tatsache erheblich gesteigert wird, dass wir Teil eines riesigen Marktes mit 446 Millionen Menschen sind, sodass jeder, der zu uns kommt, zugleich auch auf dem Markt der Europäischen Union angekommen ist. Es ist also wichtig, was mit unserem Europa geschieht. Heute konnte ich dem Herrn Präsidenten sagen und ich kann auch Ihnen nur sagen, dass Europa heute in den Wehen liegt.
Wir haben in den letzten mehr als zehn Jahren unsere Wettbewerbsfähigkeit verloren, wir haben sie in der Wirtschaft verloren, wir haben sie in der Effizienz verloren, wir werden auch von demographischen Problemen geplagt und wir müssen auch Sicherheitsprobleme bekämpfen.
Ganz Europa ist – so auch wir – mit einer Frage beschäftigt: Wie kann unsere Europäische Union die Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen, worüber sie vor der Finanzkrise von 2008 verfügte? Diese Frage kann natürlich niemand allein beantworten, aber eins steht fest: Mit einer Wirtschaftspolitik, die nicht auf Effizienzsteigerung setzt, können wir unsere Wettbewerbsfähigkeit in Europa nicht zurückgewinnen. Dazu gehören die Digitalisierung, die grüne Wirtschaft, die Steuersenkungen und zweifelsohne eine noch offenere Handelspolitik. Wir unterstützen daher stets diese Bestrebungen der Europäischen Union, aber wir unterstützen keine protektionistischen Vorstellungen, wir unterstützen keine Steuererhöhungen und wir können auch keine sozialistischen Ideen unterstützen, denn die größte Frage der kommenden Jahre ist, wie unser gemeinsames Europa seine wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit wiedererlangen kann. Korea wird uns helfen, die Antwort auf diese Frage zu finden, Korea wird dabei unser Freund sein. Ich bin mir dessen sicher, dass je breiter und tiefer die Zusammenarbeit zwischen Korea und der Europäischen Union, zwischen Korea und den Visegrád-Staaten, zwischen Korea und Ungarn ist, umso eher der gesamte Kontinent seine wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit in der Weltwirtschaft wiedererlangt.
Ich danke Ihnen, Herr Präsident noch einmal von ganzem Herzen, dass Sie uns Ungarn mit Ihrer Anwesenheit beehrt haben.
Morgen erwarten wir die Premierminister der anderen drei Visegrád-Staaten, damit die heute begonnenen Diskussionen im Rahmen der Visegrád-Kooperation fortgesetzt werden können. Und ich wünsche der koreanischen und der ungarischen Gemeinschaft viel Erfolg, und dass sie noch mehr Investoren aus Korea bringen, auf Ihre Kosten kommen und die Freundschaft zwischen den beiden Völkern, den Koreanern und den Ungarn, die übrigens auf eine lange und schöne Geschichte zurückblicken kann, weiter ausbauen. Denken Sie daran, dass Ungarn, dass Korea und Ungarn im nächsten Jahr den 130. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den beiden Ländern feiern werden. Ungarn nahm also 1892 die Beziehungen zu Korea auf, und ich möchte an dieser Stelle auch erwähnen, dass – als der Kommunismus hier in Mitteleuropa bereits zu Ende ging – 1989 Ungarn das erste – damals noch sozialistische – Land war, das offizielle diplomatische Beziehungen zu Südkorea aufnahm. Es ist daher sehr angemessen, dass der Visegrád–Südkorea-Gipfel gerade in Budapest stattfindet.
Herr Präsident, ich danke Ihnen, dass Sie uns mit Ihrer Anwesenheit beehrt haben.