Éva Kocsis: Im Studio anwesend ist Ministerpräsident Viktor Orbán, guten Morgen!
Guten Morgen!
Beginnen wir mit der Olympiade. Wer hat am Mittwoch das letzte Wort darüber gesprochen, dass die Bewerbung für die Olympiade aufgegeben werden muss?
Am Mittwoch tagten verschiedene Körperschaften, und meiner Ansicht nach haben wir nur die Konklusion, die Schlussfolgerung aus diesen Sitzungen gezogen. Das Budapester Stadtparlament und auch die Regierung hatten eine Sitzung, und am Ende haben der Vorsitzende des Ungarischen Olympischen Komitees, der Herr Oberbürgermeister und meine Wenigkeit unsere Gedanken zusammengelegt und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir, um Ungarn vor einer Schande und einer ernsthaften Blamage zu retten, am besten die Bewerbung zurückziehen.
Im Grunde genommen wäre was eine Schande gewesen? Die Volksabstimmung?
Schauen Sie, die Volksabstimmung ist eine ungarische Angelegenheit, doch muss die Olympiade nicht in Ungarn errungen werden, sondern im internationalen Wettkampf in der Schweiz, in Lausanne, vor dem Internationalen Olympischen Komitee. Hier zu Hause kann man die Volksabstimmung sogar gewinnen, aber auch dann wird es höchstens nur eine Mehrheit geben, doch um das Austragungsrecht der Olympiade zu gewinnen, ist auf internationaler Ebene keine Mehrheit notwendig, sondern Einheit. Deshalb wird in Paris und in Los Angeles keine Volksabstimmung abgehalten, und deshalb gibt es kein Beispiel in der Geschichte der Sommerolympiaden dafür, dass eine Stadt die Austragungsrechte erhalten hätte, in der es eine Volksabstimmung gegeben hatte, denn die Mehrheit ist zu wenig, die Einheit ist nötig. Jetzt stellen Sie sich das vor: Da stehen wir zu dritt, Paris, Los Angeles, Budapest, zwei sind groß, stark und einheitlich, und da steht das gerade aus einer Debatte angekommene Ungarn. Wer wird für uns stimmen? Denn das, worauf wir hier zu Hause stimmen, ist unsere Sache, doch wer würde das im internationalen Gutachterkomitee sein, der sagte, die Olympiade wäre in Budapest besser aufgehoben als in Paris oder Los Angeles? Es ist fraglich, ob wir überhaupt auch nur eine einzige Stimme bekämen, und das wäre eine große Schande. Man kann verlieren, aber man darf nicht auf jedwede Weise verlieren, und man hätte uns kurz und klein geschlagen, und meiner Ansicht nach darf man das Land dieser Gefahr oder dieser Blamage, dieser Schande nicht aussetzen, weil wir etwas Besseres verdienen. Wir hatten eine gute Bewerbung angefertigt, wir standen vorbereitet da, offenen Herzens, wir wollten es wirklich machen, und hiernach hätte uns die Welt auf Null oder auf kaum ein bis zwei Stimmen abgewertet, während die anderen beiden das Vertrauen erhalten; dem sollten wir uns nicht aussetzen, dies ist eine Schande, also eine erniedrigende Niederlage.
Ist daraus eine politische Angelegenheit geworden? Im Grunde genommen hat eine Organisation viel davon profitiert, sie sind aus dem Nichts bekannt geworden.
Schauen Sie, jetzt blutet einem das Herz, weil es viele von uns in Ungarn gibt, die der Ansicht sind, dass dies ein alter Traum ist, und für uns ist er das auch. Vielleicht ist die Olympiade nicht der große Traum eines jeden, wir sind sicherlich nicht alle gleich, doch ist sie es trotzdem zweifellos für viele Ungarn, und jetzt ist hier die Ermordung eines Traumes geschehen, wie immer man das auch sehen will. Und tatsächlich: Es gibt eine politische Organisation, die es auch nicht verheimlicht hat, dass sie sich in Wirklichkeit gar nicht für die Olympiade interessiert, sondern dass sie sich zu einer Partei organisieren und die Bühne des politischen Lebens betreten möchte, deshalb hielt sie es auch nicht für zu teuer, zum Mörder an jenem Traum zu werden. Das ist ihre Sache, in Ungarn herrscht Freiheit, das müssen sie mit ihrem Gewissen ausmachen, es war ihre Entscheidung. Schauen Sie, ich bin langsam seit dreißig Jahren in der ungarischen parlamentarischen Politik, ich habe sie mir jetzt angehört, das ist ein neuer SZDSZ [Szabad Demokraták Szövetsége – Bund Freier Demokraten]. Also reden wir nicht um den heißen Brei herum: Wenn sich jemand sie anhört, sie sich im Fernsehen ansieht, dann wird er sehen, das hier ist ein neuer SZDSZ. Wir wissen auch, was folgen wird, da wir auch dies schon erlebt haben: eine kleine Rangelei mit der MSZP [Magyar Szocialista Párt – Sozialistische Partei Ungarns], danach eine MSZP–SZDSZ-Koalition. Hierauf müssen wir uns vorbereiten.
Wird es während Ihrer politischen Laufbahn noch in Ungarn eine Olympiade geben?
Nach dem Stand der modernen Medizin schieben sich die Grenzen des menschlichen Lebens weiter hinaus, also habe ich hierauf eine gute Chance.
Sprechen wir über die Reduzierung der Haushaltsnebenkosten. Dies war das eine Thema, über das Sie in Ihrer Rede zur Lage der Nation sprachen. Im Grunde genommen hat Brüssel hierauf eine Antwort: Sie verstehen nicht, wieso die Reduzierung der Haushaltsnebenkosten verteidigt werden muss. Einerseits, weil sie – wie sie das behaupten – im Grunde nur in die Frage der Systembenutzungsgebühren hineinreden; es gefällt ihnen nicht, dass die Einwohner und die industriellen Akteure nicht genauso bezahlen, und andererseits fügen sie auch noch hinzu, dass die Abnahme der Preise auf dem Weltmarkt im Wesentlichen die Abnahme der Preise beinhaltet, eine Reduzierung der Haushaltsnebenkosten sei nicht notwendig.
Ja, aber die Sache ist nicht derart kompliziert, sie ist viel einfacher als das. Die Frage ist die, wer entscheidet, wie viel die ungarischen Menschen für die Haushaltsnebenkosten bezahlen sollen. Wird dies in Brüssel entschieden oder in Ungarn? Jedwedes Räsonieren ist überflüssig, die einfache Frage ist hier die, wer entscheidet. Meiner Ansicht nach muss hierüber in Ungarn durch das Ungarische Parlament und die jeweilige ungarische Regierung entschieden werden, und das war‘s. Die Systembenutzungsgebühren, dies und das, das sind technische Detailfragen. Die Frage ist die, ist dieses Recht jetzt hier bei uns, hier in Ungarn und Budapest, will man es von hier nach Brüssel wegnehmen? Ich sehe kein einziges Argument, warum wir uns damit abfinden sollten, warum es hier nicht an der richtigen Stelle wäre.
Aber dann ist dies schon eine Frageentscheidung, wer darüber entscheidet, was im kommenden Zeitraum sehr viele Gebiete nicht nur im Zusammenhang mit Ungarn betreffen wird, sondern auch im Zusammenhang mit dem System der Beziehungen zwischen den Mitgliedsländern und der Europäischen Union.
Schauen Sie, das ist so, die Sache ist die, dass die in Brüssel wirkenden Institutionen der Europäischen Union – nennen wir sie zusammenfassend die Brüsseler, die Brüsseler Bürokraten – ständig versuchen, den Nationalstaaten Befugnisse zu entziehen. Sie halten es für das Wesentliche des Europäischen Prozesses, dass immer mehr Entscheidungsbefugnisse von den Nationalstaaten hinüber in die übernationale Brüsseler Zentrale kommen. Meiner Ansicht nach geht es aber im Grundvertrag der Europäischen Union nicht hierum, dem hat niemand jemals zugestimmt, wir haben dort im Grundvertrag und in dessen Modifizierungen genau festgehalten, wem welches Recht zusteht, dies kann man nicht auf hinterlistige Weise, schleichend den Nationalstaaten entziehen, und hier geschieht dies ständig. Wir müssen uns darauf vorbereiten, die Europäische Union, die ich übrigens für eine wichtige Institution halte, und ich finde es richtig, dass Ungarn Mitglied der Europäischen Union ist, jedoch ist dies nicht das Reich des himmlischen Friedens, sondern ein kämpferisches Umfeld, wo wir uns ständig mit den Brüsseler Bürokraten auseinandersetzen müssen, nicht damit sie den ungarischen Menschen jene Rechte wegnehmen, die hier besser aufgehoben sind als in Brüssel.
Ist dies der Grund dafür, dass die Aufhebung des Steuerwettbewerbs erneut aufs Tapet gebracht wurde oder aber der Brexit?
Der Brexit stellt in dem Sinne hier ein Problem dar, dass es viele in der Union gibt – Ungarn gehört nicht zu ihnen –, die die Briten bestrafen wollen. Dies fällt uns, Ungarn, schwer, genau zu verstehen, aber wir waren nie Nachbarn Großbritanniens, es gibt dort also sicherlich spezielle nationale Gefühle, wir haben mit den Briten, obwohl wir uns im Zweiten Weltkrieg gegenüberstanden und auch wir schlechte Erinnerungen haben, beziehungsweise solche haben wir auch, doch haben wir grundsätzlich unabhängig von diesem historischen Hintergrund uns immer mit den Briten verständigen können. Die Briten besitzen einige gute Eigenschaften, die nicht sehr häufig in der Welt vorkommen, zum Beispiel stehen sie grundsätzlich auf der Grundlage des nüchternen Verstandes, sind grundsätzlich konservative Menschen, sie verändern also nicht auf gedankenlose Weise an ihrem Land herum, sondern überlegen sich fünfmal, bevor sie überhaupt etwas verändern würden, wie der Ungar sagt: Sie messen zweimal ab, bevor sie einmal schneiden würden. Sie besitzen zahlreiche gute Eigenschaften, hinzu kommt noch, dass sie stark und reich sind. Wir sind nicht der Meinung, dass die Europäische Union ein schlechtes Verhältnis mit Großbritannien haben sollte, nachdem sie ausgetreten sind, es lohnt sich also nicht, beleidigt zu sein, sie zu bestrafen. Es ist nicht in unserem Interesse, Großbritannien kaputt zu machen oder zu schwächen, denn es ist kein Gegner von uns, sondern eine nunmehr unabhängig von uns existierende politische Einheit, und man muss ein gutes Verhältnis herstellen. Deshalb sagen wir, dass wir einen fairen Brexit möchten, also eine korrekte und anständige Zusammenarbeit und einen ebensolchen Prozess des Ausscheidens, und wir wünschen den Briten viel eher viel Glück, als denn wie ein beleidigter kleiner Hamster herumzuschmollen. Sie beschreiten also ihren eigenen Weg, jedes Volk besitzt das Recht, hierüber zu entscheiden. Das ist ein mutiges Volk, es hat beschlossen, einen anderen Weg zu wählen, wir wünschen hierzu viel Erfolg. Nun, dies ist aber nicht die entscheidende Ursache, die entscheidende Ursache für die Vereinheitlichung der Steuerrechtsvorschriften liegt darin, dass es Probleme in den westeuropäischen Wirtschaften gibt, und Mitteleuropa äußerst wettbewerbsfähig ist. Wenn Sie sich also die Landkarte der Wirtschaftsdaten betrachten, dann werden sie sehen, dass Polen, Tschechien, die Slowakei, seit 2010 jetzt auch schon Ungarn einen ansehnlichen Teil des europäischen Wachstums, des Wirtschaftswachstums produzieren, hier entstehen neue Arbeitsplätze. In Ungarn erreichen wir bald den Zustand der Vollbeschäftigung, aber auch in anderen mitteleuropäischen Ländern ist die Situation gut, wir sind also wettbewerbsfähig. Die Situation ist die, dass immer mehr deutsche, westeuropäische, französische Firmen – wenn sie nachrechnen und nachschauen, wo sie finanziell am besten wegkommen, dann sehen sie, auch wegen des Steuersystems, nicht nur deshalb, aber auch deshalb – die Entscheidung fällen, dass es heute ein besseres Geschäft ist, in Mitteleuropa Fabriken zu errichten als Zuhause. Dies löst Zuhause natürlich große Diskussionen aus, denn die Gewerkschaften mögen es nicht, wenn die Arbeitsplätze ins Ausland gebracht werden, was ebenfalls verständlich ist, denn dann werden diese Firmen die Steuern hier zahlen, hierüber freuen sich die Regierungen Zuhause nicht, was man wieder verstehen kann, aber wir müssen uns entscheiden, was wir wollen: Wir können nicht gleichzeitig zwei Zungen in unserem Mund haben, man kann nicht gleichzeitig kalt und warm blasen. Jetzt wollen wir entweder eine einheitliche Europäische Union, innerhalb der sich die Investitionen frei bewegen können, oder nicht. Wenn wir sie wollen, dann müssen wir uns dem daraus entspringenden Wettbewerb stellen, dies ist ein Wettbewerb, Ungarn hat sich diesem gestellt, wir sind aus einer schlechteren Position gestartet als die Deutschen, Franzosen oder die Italiener, die reich waren, groß, unzählige private Firmen besaßen, während es hier nur das ausgefranste Erbe des Kommunismus gab, wir sind von hier aus gestartet. Verglichen damit, sind wir heute wettbewerbsfähig, und sie wollen nicht, dass wir die Investitionen zu uns holen, sie nach Mitteleuropa ziehen, es gibt einen Wettbewerb um Investitionen, was meiner Ansicht nach eine richtige Sache ist, man muss ihn anständig ausfechten und nicht diesen Wettbewerb einfach verbieten.
Im Grunde genommen geht es – vereinfacht gesagt – bei dem, was Sie gesagt haben, darum, dass da der eine Satz von Ihnen ist, ob wir eine einheitliche Europäische Union wollen oder nicht, in dem anderen steckt aber, dass es das Problem Brüssels ist, dass zum Beispiel die Ermäßigungen der Körperschaftssteuer in Ungarn zu günstig sind, damit holen oder verführen wir die Großfirmen aus Frankreich oder Deutschland zu uns.
Das ist eines ihrer Probleme, aber sie haben auch ein anderes Problem. Besonders wenn ich dem österreichischen Bundeskanzler zuhöre, dann widerhallt dies einem sehr stark in den Ohren. Zuerst einmal sind die Ungarn bereit, zu arbeiten, sie sind bereit, viel zu arbeiten, und sie sind bereit, auch im Ausland zu arbeiten. Das einheitliche Europa bedeutet also auch, dass die Bürger der verschiedenen Staaten auch in jeweils anderen Ländern arbeiten dürfen. Hierbei pflegen wir natürlich immer zuerst an uns selbst zu denken, weil der Mensch nunmal so ist, aber in Wirklichkeit ist dies keine mitteleuropäische Erscheinung, zum Beispiel arbeiten viel mehr Deutsche außerhalb Deutschlands, aber innerhalb der Europäischen Union, als es Ungarn tun. Hieran pflegen wir nicht zu denken. Also auch die Westler arbeiten kreuz und quer in ihren Ländern. Jetzt kommen natürlich die Ungarn und die Mitteleuropäer aus einer schwierigeren Situation, sie sind bereit, mehr zu arbeiten, sind flexibler und sind auch mit niedrigeren Löhnen zufrieden. Dies verursacht natürlich in den Ländern, in die sie zum Arbeiten gehen, Spannungen. Nun, aber auch hier muss man sich entscheiden: Wollen wir eine Europäische Union, und dann ist diese Erscheinung ein Teil davon, oder wollen wir sie nicht? Das geht nicht, das, sagen wir, die Österreicher wollen, dass das österreichische Kapital frei hierher kommen, Profit machen darf, den es eventuell sogar ausführen kann, aber gleichzeitig die ungarischen Arbeitnehmer unerwünscht sind. Also sind in der Europäischen Union die Freiheit des Strömens der Arbeitskräfte und die des Kapitals miteinander verbunden, und wenn Österreich die ungarischen Menschen bestrafen will, dann werden wir das österreichische Kapital bestrafen.
Gut, aber hierüber sagen die Nüchternen, es wird nicht so heiß gegessen, wie gekocht wurde, im Sinne der Römischen Verträge reicht zur Beendigung des Steuerwettbewerbs auch das Veto eines Mitgliedsstaates aus, damit die ganze Sache zu einem Fiasko wird.
So ist es. So ist dies, auch wir besitzen das Recht, wenn es sein muss, werden wir unser Veto einlegen.
Warum hat dann diese, sagen wir mal: Befürchtung wieder zugenommen?
Man muss auch sehen, dass nicht alle Angelegenheiten derart klar aufgeworfen werden, wie wir uns beide jetzt hierüber unterhalten, und nicht jedes Gespräch hat den gleichen Zweck wie das unsrige, nämlich die Größe des Problems zu zeigen, sondern es wird mit viel List operiert, kleine Detailregelungen werden zuerst geändert. Was ist in Österreich die Situation? Jetzt haben sich die Länder ausgedacht – soweit ich das sehe, sprechen sie jetzt darüber –, dass wenn ein ungarischer Mensch draußen arbeitet, seine Steuern und seine Sozialversicherungsbeiträge in Österreich bezahlt, das Kind aber nicht mit den Eltern zusammen dort ist, dann soll es nicht die familiäre Versorgung erhalten, die den Österreichern zusteht, obwohl im Übrigen sowohl der Österreicher als auch der Ungar dort seine Beiträge auf die gleiche Weise eingezahlt haben. Das müssen wir besprechen. Sie stellen die Frage nicht so wie wir, in größeren Zusammenhängen, sondern in kleinen Detailregelungen, die sie auf hinterlistige Weise zu verändern versuchen, und wenn sich dann schon zehn Detailregelungen geändert haben, dann verändert sich auf einmal die gesamte Frage. Nun, das nenne ich schleichenden Entzug der Befugnisse und schleichende Vertragsmodifizierung, die Modifizierung des europäischen Grundvertrages, und das wollen wir nicht akzeptieren, deshalb müssen wir hier immer unser Veto einlegen, und wir müssen sagen: „Schaut, wenn Eurer Meinung nach das gegenwärtige System nicht gut ist, was man sagen darf, weil wenn es für sie nicht gut ist, dann sollen sie die Frage offen aufwerfen, dann sollen wir dies besprechen. Dann sollen wir die Frage des Grundvertrages öffnen, schauen wir uns an, wie man die Europäische Union auf die Weise umformen kann, dass dies für alle gut ist, doch soll der Grundvertrag nicht auf hinterlistige Weise, schleichend verändert werden, sondern sprechen wir offen und geradeheraus hierüber.“ Heute leidet die Europäische Union aus dem Grunde überall unter Krisenerscheinungen, weil die Regeln nirgendwo eingehalten werden. Man hat den Deutschen und den Franzosen erlaubt, die Haushaltsregeln zu übertreten, dies haben sie versteckt, dann haben sie den Griechen erlaubt, die monetären Vorschriften nicht einzuhalten, dann haben sie den Griechen und den Italienern erlaubt, die Schengen-Vereinbarung nicht einzuhalten, und dann haben die Deutschen auch selbst Schengen umgestoßen, indem sie all jene zu sich hineinließen, die illegal gekommen waren. Wir verletzen ständig unsere eigenen Regeln, daran leidet heute die Europäische Union.
Warum glauben Sie, dass Brüssel im Zusammenhang mit den Unterstützungen zum Schutz der Arbeitsplätze ähnliches vorhat?
Dies pflegt so zu sein, dass die Europäische Union regelmäßig über jedes Land, mal häufiger, mal seltener, Beurteilungen herausgibt. In diesen ist eine immer wieder vorkommende Kritik an Ungarn zum Beispiel die öffentliche Beschäftigung, was eine Form der Schaffung von Arbeitsplätzen ist. Früher haben sie den Aktionsplan zum Schutz der Arbeitsplätze attackiert, dies ist uns gelungen, zu verteidigen, und was sie als unbegründete oder unberechtigte Unterstützung bezeichnen, die der ungarische Staat jeweils einer Firma gewährt, aber andere Länder machen das auch, sie beanstanden dies, indem sie sagen, dies verzerre den Wettbewerb. Aber unser Interesse ist es, Investitionen jeweils eine Unterstützung, wenn es sein muss auch aus den Quellen des ungarischen Budgets zu geben, weil auf diese Weise jene Arbeitsplätze entstehen, wo die Ungarn arbeiten können. Jetzt versuchen sie kontinuierlich die Möglichkeiten hierzu zu beschränken, dies ist eine seit einem Jahr wiederkehrende Frage, und ich habe den Eindruck, dass jetzt die Angriffe zunehmen. Also als ich mich auf das Jahr 2017 vorbereitet habe, habe ich zwischen Weihnachten und Neujahr durchdacht, worauf man sich vorbereiten muss. Und dann gibt es die Möglichkeiten, die man ausnutzen muss. Heute unterhalten wir uns nicht über sie, und es gibt die Gefahren, die man abwenden muss. Man muss letztlich doch die eigene Sicherheit, die erreichten Ergebnisse und die zukünftigen Möglichkeiten schützen. Ich habe identifiziert, welche jene vier-fünf-sechs Gefahren sind, gegenüber denen wir uns schützen müssen, und da habe ich gesehen, dass die Verteidigung unseres Steuersystems eine wirklich ernsthafte Aufgabe im Jahr 2017 sein wird, ähnlich übrigens der Angelegenheit der Migranten und es gibt noch eine ganze Reihe solcher Gefahrenpunkte.
Wenn Sie schon die öffentliche Beschäftigung erwähnt haben. Ich weiß, dass sich die Regierung mit der Feineinstimmung dieser beschäftigt, genauer das Innenministerium fertigt hierüber, fertigte hierüber Datenerhebungen an. Können Sie sich das vorstellen, und das könnte in vielerlei Hinsicht eine Lösung für den Arbeitskräftemangel sein, den man ebenfalls verspüren kann, also können Sie sich das vorstellen, dass auf jenen Gebieten, auf denen sich unter den öffentlich Beschäftigten relativ höher qualifizierte Personen zu finden sind, sagen wir, sie verfügen über ein Abitur oder einen Abschluss einer Fachmittelschule, und auf den Gebieten, wo es einen Kreis mit niedrigerer Arbeitslosenquote als es der landesweite Durchschnitt ist, dass sie nicht in die öffentliche Beschäftigung kommen können?
Damit wäre ich vorsichtig. Natürlich ist es im Interesse von uns allen, dass in Ungarn so viele Menschen wie möglich eine Chance zum Arbeiten haben, denn wenn es Arbeit gibt, dann gibt es alles, und die Arbeit soll immer besser bezahlt werden. Jetzt gibt es zum Beispiel ab Januar Lohnerhöhungen, Minimallohnerhöhung, Facharbeiterminimallohnerhöhung, wir heben diese Löhne in einem nie zuvor gesehenen Maße an, dies geschieht gerade deshalb, damit es sich für die Menschen lohnt, zu arbeiten. Jetzt ist es gerade im Interesse von uns allen, dass möglichst viele auch aus der öffentlichen Beschäftigung in besser bezahlte Stellen wechseln können. Dies ist auch im Interesse der öffentlich Beschäftigten, und auch in unserem Interesse, der die Steuern zahlenden Bürger, das ist also meiner Ansicht nach eine nationale Angelegenheit. Wir müssen also diesen Prozess unterstützen; wie man darin die Strenge und die Attraktivität miteinander kombinieren sollte, was hier also eine gute Politik ist, dann ist eine fachliche Detailfrage, jedoch muss man eher in den Zielen übereinstimmen, wenn das gut ist, wenn immer Menschen eine vollwertige Arbeit verrichten und möglichst viel Geld verdienen können. Es gibt aber auch eine andere Realität, und dieser müssen wir auch ins Auge schauen, nämlich dass es in jeder Gesellschaft, in kleinen, großen, westlichen, mitteleuropäischen, immer einige, eine bestimmte Zahl an Menschen gibt, die keine Stelle für sich auf dem Arbeitsmarkt finden. Dies kann zahlreiche Ursachen besitzen, es kann persönliche Probleme geben, es können entgleiste Lebenswege sein, es kann mit dem Menschen vieles im Laufe seines Lebens geschehen, uns es gibt immer eine ganze Reihe von Menschen, im Allgemeinen mehrere Zehntausende, die auf dem auf geschäftlicher Grundlage funktionierenden Arbeitsmarkt keine Stelle bekommen können. Die Frage ist, wenn sie arbeitsfähig sind, sollen wir ihnen dann eine Hilfeleistung, eine Stütze bieten oder lieber eine Arbeitsmöglichkeit? Und wir bauen eine Gesellschaft auf, die auf Arbeit basiert, und statt Stütze bieten wir auch ihnen Arbeit. Die öffentliche Beschäftigung wird also immer benötigt werden, dies entspringt der Natur des menschlichen Lebens, die Frage ist nur, welches Ausmaß sie haben soll, und meiner Ansicht nach ist es gut, wenn sie ein optimales Ausmaß besitzt, das heißt also nur jene in der öffentlichen Beschäftigung tätig sind, die wirklich woanders keine Arbeit finden können. Doch das war in den vergangenen einigen Jahren nicht so, denn erst jetzt nähern wir uns der Vollbeschäftigung, wo wir eher einen Arbeitskräftemangel in der Wirtschaft haben, und keinen Arbeitskräfteüberschuss.
Was ist Ihrer Ansicht nach der Unterschied zwischen der einen und der anderen zivilen Organisation?
Dies wird eine der schönen Fragen des vor uns stehenden Jahres sein. Als zivile Organisationen bezeichnen wir jene in Ungarn, die auf der Basis der staatsbürgerlichen Freiwilligkeit auf Grund ihres Engagements für eine Sache, im Interesse des einen oder des anderen Themas sich organisieren, und versuchen, dieses Thema wichtig werden zu lassen und die Entscheidungsträger zu beeinflussen, sich mit ihm zu beschäftigen, und auf jenem Gebiet günstige Entscheidungen zu fällen. In Ungarn gibt es etwa 60 tausend solcher ziviler Organisationen, also im Gegensatz dazu, was wir zu denken pflegen, dass wir zu individualistisch und egoistisch und zerstritten seien – ohne Zweifel verfügen wir auch über solche Eigenschaften –, hat die Medaille aber eine andere Seite. Schließlich gibt es in Ungarn doch etwa 60 tausend zivile Organisationen. Diese funktionieren auf freiwilliger Basis, sie versuchen die Gesellschaft, ihre Umgebung, ihren Wohnort, ihre menschlichen Kontakte zu unterstützen. Dies ist eine große Sache und ein großer Wert für Ungarn, also Hut ab vor den Zivilen! Eine hiervon abweichende Sache ist es, dass internationale Netzwerke bestehen, die sich selbst als zivil bezeichnen, und die in dem einen und dem anderen Land örtliche Büros eröffnen, Aktivisten einstellen, diese im Allgemeinen auch bezahlen, und sie vertreten internationale Interessen, typischerweise die Interessen des globalen, also des internationalen Kapitals. Sie nennen sie selbst zivil, weil sie sich hinter den Rücken der Zivilen verstecken wollen, weil es eine gute, eine edle, eine lobenswerte Sache ist, Ziviler zu sein, doch ist das, was sie machen, dass sie die Interessen des internationalen Kapitals in einem Land vertreten wollen, eine weniger lobenswerte Sache, deshalb brüsten sie sich damit auch gar nicht. Nun wird diese Frage, wie wir mit dieser Erscheinung umgehen sollen, in dem vor uns stehenden politischen Jahr Saison haben, und nicht einmal wir, Ungarn, haben diese Frage auf die Tagesordnung gebracht, sondern die Amerikaner. Also die amerikanische Präsidentenwahl lief hier vor unserer Nase ab; eine der Fragen war, ob internationale Organisationen, aus dem Ausland finanzierte internationale Organisationen den amerikanischen Wahlkampf beeinflusst haben, dies ist in Amerika immer noch ein Thema. Und jetzt verfolge ich den französischen Wahlkampf, auch dort geht es darum. Ich möchte also die Feststellung machen, dass wir hier einem allgemeinen Problem der westlichen Demokratien gegenüberstehen, von dem auch wir nicht frei sind, auch wir müssen uns damit beschäftigen. Man muss natürlich nicht übers Ziel hinausschießen, aber die Ungarn können auf jeden Fall sagen, dass auch wir entscheiden können – dies haben wir häufig genug unter Beweis gestellt –, was mit Ungarn werden soll, und wer aus dem Ausland Geld erhält, um das ungarische öffentliche Leben zu beeinflussen, der soll dies gestehen, soll dies veröffentlichen, er soll durchschaubar und der Rechenschaft pflichtig sein. Genau so wie die politischen Parteien. Dies ist eine berechtigte Erwartung seitens der Ungarn.
Ist die Situation im Falle der Organisationen, zum Beispiel der Organisationen jenseits der Grenze, denen die ungarische Regierung Geld gibt, die gleiche?
Nein, weil es für die Organisationen jenseits der Grenze die entsprechenden Vorschriften gibt, die durchschaubar, transparent und öffentlich sind.
Sie sprechen also im Grunde über die Durchschaubarkeit und Nachvollziehbarkeit, nicht darüber, dass keine solchen Gelder gezahlt werden sollen.
Dabei haben wir kein Mitspracherecht, denn die Welt ist so, wie sie ist. Wir wollen, dass die ungarischen Menschen, wenn sie eine Entscheidung fällen, jedes einzelne Argument und jede einzelne Erscheinung bewerten können. Wir wollen den Ungarn dabei helfen, dass sie das Leben Ungarns durchschauen können, und wenn sie darüber zum Beispiel bei einer Parlamentswahl entscheiden werden, dann wissen können, „Kuck mal, wer da spricht“, wer wer ist, warum er das sagt, was er sagt. Dies übersichtlicher zu machen, dies vorzustellen, ist ein demokratischer Wert.
Diese internationalen Organisationen wirken in ziemlich großer Zahl entlang der Balkanroute oder gerade an der ungarischen Grenze. Im Zusammenhang mit der fremdenpolizeilichen Verwahrung liegt dort in der einen Schale der Waage der Umstand, dass die an der Grenze ankommenden Migranten aus vielerlei Gründen, aber zum Beispiel wegen der zunehmenden Terrorgefahr kontrolliert werden dürfen sollen. Nun, dies scheitert offensichtlich dann, wenn die Europäische Union diesen Prozess öffnet und frei gestaltet, weil dies jetzt die Situation ist. Gleichzeitig darf ich mich nicht frei auf dem Gebiet der Europäischen Union bewegen.
Nun, schauen Sie, hier ist dieses Problem, dass wir die Existenz der Zivilen oder dieser durch das internationale Kapital finanzierten, internationalen Organisationen in den vergangenen zwanzig und einigen Jahren ausgehalten haben, sie waren auch bisher hier, hier, unter unserer Haut oder unter unseren Nägeln, wie ein Holzsplitter, aber wir haben mit ihnen leben können. Was aber zu viel ist, das ist ihr Verhalten, das sie in der Angelegenheit der Migration gezeigt haben. Das kann sich Ungarn doch nicht erlauben, dass Organisationen, die im Zwielicht der Unbekanntheit bleiben, nicht belegen, von wem sie Geld erhalten und zu welchem Zweck, zwischenzeitlich die Migranten unablässig ermuntern, die ungarischen Rechtsvorschriften zu verletzen und auf irgendeine Weise nach Ungarn hineinzugelangen. Also das, dass die Ungarn entschieden haben, was die Migrationspolitik ist, dass wir niemanden ohne Kontrolle hereinlassen, dass wenn wir einen Zaun errichten, wir sie aufhalten, dass wir unsere Sicherheit verteidigen wollen, und demgegenüber arbeiten die, in erster Linie mit György Soros verbundenen Organisationen des internationalen Kapitals kontinuierlich daran, Ungarn zu schwächen, die Grenze durchquerbar zu machen, damit sie die Migranten hierher hereinholen. Meiner Ansicht nach haben sie damit eine Grenze überschritten. Deshalb müssen wir uns jetzt mit dieser Frage beschäftigen. Jetzt ist die Union natürlich langsam und bewegt sich in die falsche Richtung, ich könnte auch sagen, dass wenn sie sich schon in die falsche Richtung bewegt, so ist sie doch wenigstens langsam. Also anstatt die Griechen und die Italiener zu zwingen, ihre Grenzen zu schützen, und uns beziehungsweise unsere Arbeit anzuerkennen, dass wir jedoch die Schengen-Außengrenze verteidigen, wird jetzt eine Vorschrift eingeführt – dies ist der Plan –, auf Grund der die Staatsbürger der Europäischen Union an der Grenze belästigt werden. Es wird also geschehen, dass wir an der ungarischen Grenze die aus Kroatien oder aus Rumänien einreisenden Bürger der Europäischen Union einer systematischen Kontrolle des Reisepasses unterziehen müssen. Dies wird im Allgemeinen, aber besonders im Sommer acht bis zehn Stunden Schlangestehen an der ungarischen Grenze bedeuten. Dies ist für die Ungarn nicht gut, nicht gut für die Kroaten, für niemanden ist das gut.
Solche Kontrollen gibt es schon.
Aber diese sind stichprobenartig und nicht obligatorisch. Jetzt wird aber vorgeschrieben, dass man den Pass von einem jeden wegnehmen muss, ihn herausnehmen, in ein Gerät zur Identifizierung einsetzen, es läuft also ein ganzer Prozess der Reisepasskontrolle ab im Falle jener Menschen, die im Übrigen über einen Pass der Europäischen Union verfügen. Während sie fortlaufend illegale Migranten in die Union hineinlassen, erwarten sie von uns, gesetzestreuen, über einen Pass verfügenden Staatsbürgern eine vollständige Kontrolle, das ist ein Alptraum, und die Union will uns das aufzwingen. Wir sind sehr nah daran, dass diese Entscheidung gefällt wird, entweder können wir diese Entscheidung aufhalten oder diese wird den Ungarn noch sehr viele Probleme bereiten, besonders im Sommer, und natürlich nicht nur den Ungarn, deshalb ist es unser elementares Interesse, Brüssel zur Einsicht zu bewegen.
Sie hörten in der vergangenen halben Stunde Ministerpräsidenten Viktor Orbán.