Éva Kocsis: Im Studio anwesend ist Ministerpräsident Viktor Orbán. Guten Morgen!
Guten Morgen!
Sie sagten am Montag im Parlament, dass wir ein ungarisches Ungarn und ein europäisches Europa wollen. Aus dem Kontext geht auch hervor, dass diese Definition ihrer Ansicht nach zu der der Europäischen Union im Gegensatz steht. Was will letztere denn?
Der Mensch spricht lieber über seine eigenen Absichten, aber…
Sie schätzen die Umgebung ab.
…ich kann wohl kaum Ihrer Frage ausweichen, mich vor ihr verstecken. Unser Gedanke lautet, dass wir ein ungarisches Ungarn und ein europäisches Europa wollen. Dies bedeutet, dass wir an keinen Experimenten teilnehmen möchten, die entweder Ungarn oder unsere weitere Heimat, Europa, verändern. Wir sind gerne Ungarn, wir mögen es, dass das Land ungarisch ist, seine Kultur ungarisch ist, seine Sprache ungarisch ist, und wir erwarten es von unseren Entscheidungsträgern, dass sie die Entscheidungen, die unsere Gemeinschaft betreffenden Entscheidungen, immer aus dem Interesse der Ungarn ableiten. Was Europa angeht, so mögen wir dort jene Versuche nicht – obwohl wir nicht bestreiten, dass die einzelnen Mitgliedsstaaten das Recht zu solchen Versuchen besitzen –, die die europäischen kulturellen Traditionen, die gewohnte europäische Lebensweise beiseite schieben, und statt dieser diese mit einer anderen Kultur, einer anderen Religion, einer anderen Weltanschauung vermischen und massenhaft sowie unkontrolliert fremde Volkselemente auf das Gebiet der Europäischen Union hereinlassen. Wir sind der Ansicht, dass dies Europa verändern wird. Jenes Europa, das wir Europa nennen, und das wir kennen und lieben und das wir respektieren und wohin wir uns in der Zeit des Kommunismus immer hingesehnt haben und wohin wir auch jetzt gerne fahren, dieses Europa wird sich verändern, wenn die Dinge so weitergehen. Unserer Ansicht nach ist das keine gute Sache. Wenn natürlich die Deutschen, die Franzosen, die Italiener sich selbst solchen Versuchen aussetzen wollen, dann können wir ihnen dieses Recht nicht verwehren, doch bitten wir sie darum, uns nicht dazu zu zwingen, an solcherlei Experimenten teilzunehmen.
Wie soll es weiter gehen? Zu Europa kommen wir noch, aber wenn an der Nationalen Konsultation weniger Menschen teilgenommen hätten, hätte das Ihre Migrationspolitik verunsichert?
Ich muss zugeben, ich könnte auch ohne Nationale Konsultation ziemlich entschlossen bleiben, aber der Standpunkt ist nicht der gleiche, wenn, sagen wir, einige Mitglieder einer Regierung ihn nach langen Diskussionen ausformen, oder dem Inhalt nach einen damit übereinstimmenden Standpunkt mehrere Millionen Menschen formen. Es hat ein anderes Gewicht, eine andere Kohäsionskraft, die Erwartungen daran, dass er eingehalten wird, sind anders, und auch die Außenwelt blickt anders darauf. Die sich an Eurabien oder der Vermischung des Restes des Islam und der christlichen Kultur versuchenden Länder müssen jetzt sehen, dass nicht der Ministerpräsident, nicht die Mitglieder der ungarischen Regierung, sondern das ungarische Volk in jedweder möglichen Form zu jedem Anlass deklariert, dass es nicht Teil solch eines Experiments zu werden wünscht.
Die eine Schlussfolgerung dieser Nationalen Konsultation hängt mit der Richtung der Migrationspolitik zusammen, der die Wähler zustimmen, aber wie sieht Ihr Drehbuch für den Fall aus, wenn am Ende des Vertragsverletzungsverfahrens die Verurteilung durch den Gerichtshof der Europäischen Union folgt? Was unternimmt Ungarn dann?
Niemand kann uns dazu zwingen, unseren Standpunkt aufzugeben. Eine Regierung kann man noch irgendwie am Hals packen, in eine Ecke drängen, ihr einen Hieb in die Magengegend verpassen, man pflegt uns auch zu drohen, so etwas kann also vorkommen, doch mit einem Volk kann man das nicht tun. Hinzu kommt noch, dass es sich nicht um ein einziges Volk handelt, denn wir sind hier, in Mitteleuropa, noch einige, die wir die Hände heben und sagen: „Vielen Dank, wir möchten das nicht.“ Ich bin also der Ansicht, dass wir auf unserem Standpunkt beharren sollten, wir werden kämpfen – welche Form dies vor dem Gerichtsurteil und nach dem Gerichtsurteil haben wird, welche Möglichkeiten wir besitzen werden, das sehen wir dann. Eine Sache wissen wir ganz genau, dass das ungarische Volk klar gemacht hat, es will sich nicht mit anderen vermischen, es will hierher keine Menschen einer von unserer abweichenden Kultur und Zivilisation hereinlassen, es will jene Ergebnisse – wirtschaftliche und gesellschaftliche – nicht aufgeben, die es in den vergangenen Jahren erreicht hat, und es möchte darauf beharren, dass es in Sicherheit leben will, keine illegalen Einwanderer sehen will. Kein Risiko eingehen will. Und da wir ziemlich viele sind, die Nationale Konsultation – die mit einer Rekordteilnahme die erfolgreichste Nationale Konsultation aller Zeiten war – hat dies bekräftigt, hier sucht jetzt ein ganzes Volk nach der Art und Weise, wie es an seinem Standpunkt festhalten kann. Und es ist meine Aufgabe als Ministerpräsident, diese Arten und Weisen zu finden, sie zu untersuchen, sie auszunutzen und insgesamt eine Linie der Diplomatie zu verfolgen, damit am Ende die Dinge in Ungarn so bleiben und so sind, wie es die Ungarn wollen.
Wäre Ihr Leben nicht einfacher, wäre der Schlachtenlärm nicht geringer, wenn Sie sagen würden: „Gut, schickt zweitausend Leute her“, sie werden sowieso keine schicken, die Quote funktioniert nicht, auch die Slowaken haben ein Angebot gemacht, obwohl sie sich an den Gerichtshof der Europäischen Union gewandt haben? Der Mechanismus selbst funktioniert ganz einfach nicht.
Ich bin als Ministerpräsident mit Hochwassern aufgewachsen, schon beginnend mit 1998. Ich weiß, dass wenn der Damm leck zu werden beginnt, und man seine Oberfläche vorsichtig öffnet, dann bricht früher oder später das Wasser durch. Wenn wir also einen Standpunkt haben, dann muss man ihn deutlich vertreten, man muss sich zu ihm bekennen, man soll nicht versuchen, listig zu tun, sondern jenen Standpunkt auf die Weise verteidigen, wie wir dies bei den Dämmen zu tun pflegen.
Im Zusammenhang damit hat auch die deutsche Regierung von sich hören lassen, übrigens haben beide Kanzlerkandidaten sich geäußert. Angela Merkel sagte, sie stimme dem zu, dass es ein Vertragsverletzungsverfahren geben soll, sie sehe darin nichts, woran etwas auszusetzen wäre, und Martin Schulz hat gesagt, ja, er möchte Ihnen die Botschaft senden, dass Sie sich dann auch von den Geldern der Union verabschieden müssen.
Zunächst einmal erinnere ich mich nicht daran, dass wir, Ungarn – weder die Regierung noch die Menschen – jemals den Deutschen hätten sagen wollen, was sie machen sollen, wir den Deutschen hätten sagen wollen, was sie denken sollen und wie sie es denken sollen, und am allerwenigsten wollten wir darin hineinreden, wie sie ihr Leben gestalten sollen. Kurz könnte ich es auch so formulieren: Wir haben den Deutschen immer den Respekt gezollt. Wir erwarten, dass sie ihn auch uns gegenüber zeigen. In Deutschland herrscht Wahlkampf, wir bitten die deutschen Politiker, uns nicht in den Wahlkampf einzubeziehen. In dieser Debatte, in diesen Aussagen über uns geht es nicht um Ungarn, diese sind auf Grundlage des Wahlkampfes der deutschen Innenpolitik deutbar, aber wir wollen daran nicht teilnehmen. Wir treten bei den deutschen Wahlen nicht an. Sie sollen über etwas anderes reden, sich mit ihren eigenen deutschen Sorgen beschäftigen, sie sollen die Ungarn ihr eigenes Leben leben lassen.
Aber in der Venedig-Kommission gibt es keinen Wahlkampf, es gibt auch keine Wahlen. Im Zusammenhang mit den Zivilen sagen sie, und im Übrigen formuliert hierin auch die amerikanische Botschaft ähnlich, die Bezeichnung „aus dem Ausland unterstützte Organisation“ mag neutral erscheinen, doch nach Ansicht der Kommission kann diese Bezeichnung im Lichte der starken politischen Äußerungen unter den gegenwärtigen Verhältnissen in Ungarn eine schädliche Wirkung auf die legitime Tätigkeit der Organisationen haben. Und fügen wir hier auch die Bewertung der amerikanischen Botschaft an: Sie hält sie für unangemessen, für stigmatisierend, und es erfüllt die Vereinigten Staaten mit Sorge. Eine andere Front.
Die Meinung der Amerikaner ist hier spannend, die Venedig-Kommission hat einen weniger spannenden Standpunkt ausgeführt. Das ist ein alter Fehler, ich könnte auch sagen, ein gewohnter typischer Fehler, wenn die Politik mit dem Recht verwechselt wird. Wenn man den Bericht der Venedig-Kommission liest, dann sieht man, dass er offensichtlich aus zwei Teilen besteht. Es gibt eine trockene juristische Argumentation, mit der kann man diskutieren, übrigens diskutieren wir mit der Masse der dort anzutreffenden Behauptungen auch gar nicht, mit einem Teil vielleicht schon, aber das besitzt keine größere Bedeutung, und es gibt einen anderen Teil, der eine politische Gallenblasenentleerung darstellt. Die Situation ist die, dass die Venedig-Kommission jene Regierungen nicht mag, die derartige Regeln aufstellen. Ich nehme an, sie mag auch die Vereinigten Staaten nicht, und deshalb ist die Meinung der USA spannend, denn in den Vereinigten Staaten gibt es eine viel strengere Regelung. In den Vereinigten Staaten sind die Regeln für die aus dem Ausland finanzierten Organisationen brutal. Verglichen mit den Amerikanern sind wir fein und höflich. In Amerika wird eine Geldstrafe verhängt, sie werden geschlossen, wenn sie eine Veröffentlichung herausgeben, also wenn sie dieses Gesetz nicht einhalten. Wenn sie eine Veröffentlichung herausgeben, dann muss auf dieser kenntlich gemacht werden, dass diese im Übrigen aus dem Ausland finanziert worden ist. Also ist das amerikanische System der Vorschriften für die dort tätigen so genannten NROs, die Geld aus anderen Ländern annehmen, um ein Vielfaches strenger als in Ungarn. Aus dieser Perspektive ist das Eingreifen der Amerikaner in diese Debatte ein interessantes Unterfangen.
Vielleicht haben die Amerikaner geahnt, dass Sie diese Antwort geben würden, weil sie haben in ihrer Erklärung auch noch hinzugefügt, dass ihrer Meinung nach die ungarische Situation deshalb nicht der amerikanischen Regelung ähnele, weil im Falle derer, um die es bei ihnen geht, die Registrierung von Organisationen erwartet wird, die ausgesprochen ausländischen Interessen gemäß eine politische Propaganda ausüben. Während das neue ungarische Gesetz jene all der zivilen Organisationen vorschreibt, die jährlich aus dem Ausland mindestens eine Unterstützung in der Höhe von 7,2 Millionen Forint erhalten.
Ja, aber uns interessiert der, der das öffentliche politische Denken formend am ungarischen öffentlichen Leben teilnimmt. Niemand wird jene Organisationen mit einem größeren Interesse verfolgen, die Geld oder gebrauchte Kleidung sammeln und diese unter den bedürftigen Ungarn oder Mitteleuropäern verteilen. In der Diskussion geht es um die – und übrigens haben sich auch diese Organisationen zu Wort gemeldet –, die unausgesetzt an der Politik teilnehmen, wozu sie im Übrigen das Recht haben, die die öffentliche Meinung beeinflussen wollen, auch dazu haben sie das Recht, solche Standpunkte vertreten, die nicht ungarischen, sondern ausländischen Interessen entsprechen, wozu sie auch noch das Recht haben. Das alles ist möglich, weil Ungarn ein freies Land ist. Wir haben einen bescheidenen Wunsch, dass sie in solchen Fällen immer angeben, dass sie im Übrigen eine aus dem Ausland unterstützte Organisation sind. Wir möchten das wissen. Die ungarischen Menschen werden dann entscheiden, was sie darüber denken sollen. Das Gesetz bestraft dieses Verhalten nicht, es qualifiziert es nicht, es schafft ganz einfach Transparenz. Es ist auf Grund einer einfachen ungarischen – es stimmt, es ist keine hohe, amerikanische, sondern nur einfache ungarische alltägliche – Denkweise schwer zu verstehen, warum jemand, der sich nicht schämt, Geld anzunehmen, sich schämt, dies einzugestehen.
Im Übrigen sagen im Zusammenhang mit den Zivilen diese Organisationen, sie würden ja sagen, dass sie es aus dem Ausland erhalten. Hier habe ich die Homepage der TASZ [= Társaság a Szabadságjogokért, Gesellschaft für die Freiheitsrechte] vor mir. Hier steht es geschrieben, wie viel Geld sie aus dem Ausland erhalten. Sie fragen, warum das so nicht genügt.
Relativ wenige Menschen lesen die Homepage der TASZ, demgegenüber hören ihnen viele zu, wenn sie an den verschiedenen Debatten des ungarischen öffentlichen Lebens teilnehmen. Da ist es immer gut zu wissen, dass jene, die dieser Diskussion zuhören oder die Streitschriften lesen, es erfahren, dass sie den Standpunkt einer Organisation lesen und kennen lernen, die im Übrigen aus dem Ausland mit Geld unterstützt wird. Die Welt ist nicht derart beschaffen, dass Menschen an verschiedenen Punkten des Erdballs es kaum erwarten können, irgendjemandem Geld geben zu können, weil es davon zu viel gibt. Wenn sie irgendjemandem Geld geben, dann hat das einen Grund, weshalb ich der Ansicht bin, dass wir das Recht besitzen, zu wissen, wem, warum und zu welchem Zweck Geld gegeben wird.
Die TASZ hat übrigens zusammen mit dem Helsinki Bizottság [Helsinki-Komitee] gesagt, sie würden das Gesetz nicht einhalten, sie sprechen von zivilem Ungehorsam. Womit sollen sie rechnen?
In Ungarn ist das die verfassungsmäßige Ordnung, wenn die gewählten Vertreter des ungarischen Volkes auf Grund der hierfür vorgeschriebenen Ordnung und Regeln ein Gesetz erlassen, und dann muss das ein jeder einhalten.
Das heißt dann…
Man muss es einhalten.
Gut, aber eines der Signalfunktionen des zivilen Ungehorsams ist ja, dass sie auf diese Weise auf das von ihnen Beanstandete aufmerksam machen wollen, dass sie die Gesetze nicht einhalten.
Im ungarischen Rechtssystem gibt es keinen zivilen Ungehorsam.
Dann wird, wenn ich das richtig verstehe, im kommenden Zeitraum noch größere Aufmerksamkeit auf Ungarn gerichtet werden, weil ein jeder das beobachten wird, was sie – sagen wir – mit der TASZ oder dem Helsinki-Komitee machen werden.
Die Durchsetzung des Rechtes ist nicht die Sache der Regierung. Es existieren ungarische Organisationen, die über die Einhaltung der Rechtsvorschriften wachen: Behörden, Gerichte, Staatsanwaltschaft und so weiter. Wenn es also eine Rechtsvorschrift gibt, die jemand nicht einhält, dann gibt es eine genauestens bekannte, niedergeschriebene Ordnung dafür in Ungarn, wie man zur Einhaltung der Rechtsvorschrift angehalten wird, es wird also niemand auf irgendeine Weise überrascht werden.
Wird in dieser Aufmerksamkeit, auf die ich vorhin verwiesen habe, Ihrer Meinung nach jene Diskussion beginnen – und ich denke jetzt dabei an ihren praktischen Teil –, die schon seit langem Europa, die Wegsuche, das „Wie weiter?“ bestimmt? Jetzt werden in sehr viel Ländern Wahlen abgehalten, sicherlich sind die deutschen Wahlen und die Abstimmung in Frankreich in dieser Hinsicht eine Schlüsselfrage, doch angesichts der Kommunikation der Kandidaten scheint kein einziger der französischen und deutschen Kandidaten unbedingt der Stärkung der nationalstaatlichen Kompetenzen zuzustimmen.
Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass Europa schon seit Jahren mit ernsthaften Fragen konfrontiert ist. Bisher ist es uns nicht gelungen, auf diese Fragen gute Antworten zu geben. Hier ist die Frage, dass die Wirtschaftsleistung und die Wettbewerbsfähigkeit der aufstrebenden Länder der Welt stärker und besser sind als die unseren, das heißt als die der Europäischen Union. Hier haben wir die Erscheinung, dass immerhin mehrere hundert Menschen auf dem Gebiet der Europäischen Union infolge von brutalen Terroraktionen gestorben sind, es gibt also eine Herausforderung im Bereich der Sicherheit. Dann ist hier die Frage, ob die Europäische Union in der Lage ist, die in ihrer Umgebung sich abspielenden Ereignisse zu formen, ob sie das beherrscht, was auf dem Balkan geschieht oder was gerade in der Ukraine geschieht. Dies ist eine Herausforderung außenpolitischer Natur. Und es gibt auch eine Herausforderung im Bereich Geburtenzahlen in den Familien. Es werden immer weniger Kinder in den europäischen Ländern geboren, deshalb werden die Gesellschaften immer älter und wir stehen in einer Perspektive von fünfzehn-zwanzig Jahren vor ernsthaften Fragen. Wer wird arbeiten, was wird gearbeitet, wie viel Einkommen kann hergestellt werden, wie erhalten wir unser Rentensystem aufrecht, und so weiter. Dies sind sehr ernste Fragen und Herausforderungen. Über diese sprechen wir, mit diesen beschäftigen wir uns, über diese diskutieren wir, aber die Europäische Union hat noch keine Antworten gefunden, die beruhigend wären. Es ist richtig, wenn die großen Staaten, Frankreich, Deutschland, die eine führende Rolle in der Europäischen Union spielen, diese Fragen offen stellen und Vorschläge zu deren Beantwortung formulieren. Die europäischen Institutionen machen dies, unter ihnen auch die Kommission, sie hat bereits eine ernsthafte Studie über die möglichen zukünftigen Szenarien Europas veröffentlicht sowie mehrere Studien über wichtige Fragen herausgebracht, und uns darauf aufmerksam gemacht, dass wir diese Dokumente diskutieren sollen – das geschieht gegenwärtig. Meiner Ansicht nach wird auch die ungarische öffentliche Meinung früher oder später ein Teil dieser Debatten werden, sie wird mehr über sie wissen als das, was sie vielleicht jetzt weiß, und wir müssen auch auf europäischer Ebene früher oder später Entscheidungen fällen. Dies ist zu erwarten. Die wichtigsten Fragen des vor uns stehenden halben, ganzen Jahres sind solche Fragen. Man kann nicht erwarten, dass unmittelbar vor den Parlamentswahlen in solchen Fragen Entscheidungen gefällt werden sollen, deshalb ist es wichtig, dass die französischen Wahlen stattfinden, und deshalb wartet ein jeder darauf, dass wir endlich die im September anstehenden Wahlen in Deutschland hinter uns bringen, und danach müssen wir uns mit den Antworten auf die großen Fragen beschäftigen. Dies wird eine ernsthafte Debatte werden, sie wird die Daseinsform der Nationen, die Kompetenzen, die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen Brüssel und, sagen wir, Budapest oder gerade eben zwischen Brüssel und den Hauptstädten der anderen Mitgliedsstaaten berühren. Wie sollen wir die Preise regulieren? Soll es eine gemeinsame Steuerpolitik geben? Soll jedes Land sein Wirtschaftssystem selbst bestimmen oder lieber nicht? Sollen wir die Migranten zu Millionen hereinlassen oder nicht? Besitzen die Mitgliedsstaaten das Recht, zu sagen, sie wollen sie nicht hereinlassen? Haben wir das Recht, zu sagen, dass wir von der Erneuerung und Stärkung unserer Familienpolitik die Lösung der demographischen Probleme erwarten? Wir wollen eine Politik des Familienschutzes betreiben, keine Politik der Ansiedlung. Alle diese Fragen werden auf den Tisch kommen. Diese werden die Zukunft Ungarns betreffen, es lohnt sich, vorbereitet an der Diskussion teilzunehmen. Die Fragen der Nationalen Konsultation haben wir gerade aus dem Grunde so zusammengestellt, wie es geschah – darin steckt übrigens sehr viel Arbeit unsererseits –, damit wir den Menschen jene Fragen stellen konnten, von denen wir meinten, von denen auch ich meinte, dass sie in dem kommenden einen Jahr, den kommenden anderthalb, zwei Jahren die wichtigsten Fragen der europäischen Diskussionen sein werden. In der Konsultation haben die Menschen dahingehend klare Signalpfeiler gesetzt, was in der einen und der anderen wichtigen Frage der Standpunkt der Ungarn ist. Ich muss dann im Verhältnis zu diesen Signalpfählen die ungarische Diplomatie steuern.
Angesichts dessen, mit welcher Langsamkeit die Politiker des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission selbst in der einen oder der anderen weniger bedeutenden Angelegenheit vorankommen, schätzt ein Durchschnittsmensch den Zeitraum für die Beantwortung jener Fragen, über die Sie sprechen, auf etwa zwanzig-dreißig Jahre.
Gut, aber wir wählen unsere Entscheidungsträger, damit sie Entscheidungen, gute Entscheidungen treffen, man muss sie unter Druck halten. Auch ich werde in Ungarn ständig unter Druck gehalten, man muss auch die Brüsseler unter Druck halten. Wir haben unsere Entscheidungsträger, wir erwarten von ihnen, dass sie uns diese schwierigen Fragen auf sinnvolle Weise erklären, die Wahlmöglichkeiten klar machen und danach Entscheidungen, gute Entscheidungen treffen, und diese ausführen. Deshalb gibt es in der Demokratie das Parlament, die Regierung, den Ministerpräsidenten, die Minister.
Nun, wenn schon Druck und Wirtschaftsleistung und Wettbewerbsfähigkeit, dann sind nach Ansicht der Opposition das, was sie in der Konsultation, der Nationalen Konsultation gefragt haben, keine tatsächlichen Fragen, weil nicht dies die Menschen interessiert, jedenfalls kamen in Ihrer Rede am Montag Fragen im Zusammenhang mit den Nebenkosten, der Wirtschaft, der Wettbewerbsfähigkeit sicherlich vor. Wenn wir uns dieser Frage mit dem Kopf eines Durchschnittsmenschen nähern, dann befinden wir uns in einer schwierigen Lage, denn die eine Seite der Interpretation spricht von einem enormen Anstieg der Wettbewerbsfähigkeit, der herausragenden, auch weltweit herausragenden Entwicklung der Unterstützungen von Familien, während man auf der anderen Seite sagt, Ungarn würde immer weiter zurückbleiben. Es ist ziemlich schwierig, sich hierbei zurechtzufinden. Das ist eine harte Nuss für jene, die kein Diplom in Ökonomie besitzen.
Aber die Ungarn besitzen eine nüchterne Art, also kann ich allen empfehlen, nur den eigenen Augen zu trauen, den eigenen Lebenserfahrungen zu glauben, aufgrund dessen kann man genau beurteilen, in was für einem Zustand sich Ungarn befindet, worin sich seine Leistung verbessert hat, worin nicht – denn auch dafür gibt es Beispiele –, und man kann auch beurteilen, welchen Kurs das Land eingeschlagen hat. Ob die Dinge sich in Ungarn verbessern oder verschlechtern. Die Politiker denken natürlich immer in Wahlzyklen, sie wollen ihre vier Jahre mit den davorgehenden vier Jahren vergleichen, doch die Menschen kann man hierzu im Allgemeinen weniger bewegen, sie sind dazu kaum bereit, sie leben von einem Tag zum anderen, und beurteilen ihr eigenes Leben in dieser Dimension. Es ist also wichtig, dass man in einer verständlichen Sprache, in den Dimensionen des Alltags über die wirtschaftliche Lage Ungarns oder eben über seine Wettbewerbsfähigkeit sprechen kann. Ich kann jenen Menschen sagen, die die Dinge nicht verkomplizieren, dass die Situation jene ist, dass wir den Haushalt für das kommende Jahr angenommen haben. Auch in diesem Jahr haben wir den Minimallohn bedeutend angehoben – um 15, beziehungsweise 25 Prozent –, auch im kommenden Jahr werden die Minimallöhne steigen, jeder Lohn wird steigen. Es gibt keine gesellschaftliche Gruppe in Ungarn, die im kommenden Jahr nicht mindestens einen Schritt nach vorne machen könnte. Wir sind von dem Punkt, dass uns vor einigen Jahren noch die riesige Arbeitslosigkeit belastete, jetzt an dem Punkt angelangt, an dem es langsam mehr Arbeitsplätze gibt als Menschen. Früher zahlten die Menschen keine Steuern, sie hatten auch kaum etwas, wovon sie dies hätten tun können, jetzt zahlen mehr als 4 Millionen 300 tausend Menschen anständig und ehrlich die Steuern nach ihrer Arbeit, und tragen zum Erhalten unseres gemeinsamen Lebens bei. Ich kann sagen, dass die Familien jedwede Unterstützung erhalten, die zur Erfüllung des Kinderwunsches notwendig ist. Ich würde gerne noch viel mehr als das, noch weitere Möglichkeiten für die Familien schaffen. Wir haben eine sehr starke familienpolitische Vorstellung. Wir wollen keine Emigranten, wir wollen keine Ansiedler, deshalb möchten wir den Bevölkerungsschwund durch die Geburt ungarischer Kinder aufhalten. Ich habe auch schon neulich gesagt, dass hierüber die Frauen entscheiden, die Aufgabe der ungarischen Regierung ist es, derartige Bedingungen zu schaffen, dass Ungarn als ein familienfreundliches Land die Neugeborenen erwarten kann und jene Frauen respektiert, die sich ansonsten der Kindererziehung widmen. Solch ein Land möchten wir, der Haushalt macht einen Schritt in diese Richtung. Meiner Ansicht nach kann man, wenn man vernünftig ist, die Entwicklung des Landes kaum abstreiten. Selbst die Oppositionellen leiden, wenn sie Eseleien darüber von sich geben müssen, dass das Land sich nicht entwickele, sondern im Niedergang begriffen sei. Überall stehen Turmdrehkräne, überall gibt es Pläne, überall wird über Vorstellungen gesprochen, nicht nur seitens des Staates, sondern auch von Privatpersonen. Auch die Unternehmen reden von Plänen, von der Zukunft, sie sind im Begriff, Arbeitsplätze zu schaffen, zu investieren. Das ganze Land lebt, atmet, will leben, entwickelt sich. Man kann immer sagen, dass es auch schneller gehen könnte, und wer will es leugnen, man könnte es auch geschickter anfangen, aber niemand kann bezweifeln, dass wir aus der Situation des Niedergangs, der Hoffnungslosigkeit und des finanziellen Chaos an den Punkt gelangt sind, über die Zukunft zu sprechen, dass wir eine Zukunft haben, es gibt Stoff zum darüber Reden. Meiner Ansicht nach ist das eine große Sache, und es lohnt sich, dies entsprechend seiner wahren Bedeutung zu werten.
Sprechen wir noch einen halben Satz über die Beschäftigung, die Sie vorhin erwähnt haben. Sie haben ja früher über die Vollbeschäftigung gesprochen. Schafft das Budget des nächsten Jahres Ihrer Ansicht nach die Möglichkeit dafür?
Das Budget des nächsten Jahres senkt Steuern, erhöht Löhne, konzentriert Kraft und Energie für die Verbesserung der Qualität der Berufsausbildung, also bin ich der Ansicht, dass ja, wir werden nächstes Jahr in einer besseren Situation sein als die, in der wir uns in diesem Jahr befinden.
Und ein anderes Thema zum Ende. Der gestrige Abend wurde davon bestimmt, wer was über die Weiterführung des ungarischen Fußballs denkt, wer dies auf welche Weise sieht. Waren Sie davon überrascht, dass Bernd Storck bleibt?
Schauen Sie, mich überraschen nur noch wenige Dinge, denn ich bin ja schon einige Zeit dabei, hinzukommt noch, dass ich auch jene Welt etwas von Innen her kenne. Nun, wir befinden uns letztlich jetzt doch quasi in einer Situation wie nach der verlorenen Schlacht gegen die Türken 1526 in Mohács, also der letzte Auftritt unserer Nationalmannschaft kommt einem Mohács gleich. Die Situation ist jetzt vielleicht etwas besser, da der Chef nicht so wie damals der König in dem Csele-Bach ertrunken ist. Also hat der Ungarische Fußballbund einen Präsidenten, insofern ist jetzt die Lage besser, jetzt muss er die auseinandergetriebenen und flüchtenden Heeresteile irgendwie sammeln, sie wieder militärisch aufstellen und versuchen, das zu verteidigen, was von unserer Ehre noch verblieben ist. Und wenn wir das getan haben, dann müssen wir das zurückgewinnen, was wir verloren haben, ebenso wie man das nach Mohács hätte machen müssen. Ob dies dem Präsidenten des Ungarischen Fußballbundes gelingen wird oder nicht, das weiß ich nicht, ich kann nur soviel sagen, dass ich ihm die Daumen drücke. Ich drücke ihm die Daumen.
Sie hörten in der vergangenen halben Stunde Ministerpräsidenten Viktor Orbán.