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Viktor Orbáns Interview in der Sendung „Guten Morgen Ungarn” von Radio Kossuth

Katalin Nagy: Die außergewöhnliche Rechtsordnung ist in Ungarn in Geltung, wie auch in anderen benachbarten Ländern: Grenzkontrollen, behördliche Quarantäne, das Schließen der Universitäten, das Verschieben von Veranstaltungen. Ich begrüße im Studio Ministerpräsident Viktor Orbán. Können die gegenwärtigen Vorsichtsmaßnahmen noch strenger werden, und wenn ja, dann wann?

Die außergewöhnliche Rechtsordnung bedeutet in Ungarn etwas anderes als in den meisten europäischen Ländern; das ist eine durch die Verfassung geregelte, besondere Situation, in der die allgemeinen verfassungsmäßigen Prinzipien und Regeln im Wesentlichen suspendiert bzw. ausgesetzt werden, und man Maßnahmen auf eine von der gewohnten, also von der in einer Demokratie gewohnten Weise abweichend treffen kann, die durch die Schwere der Notlage begründet sind. Dies ist dann in unserer Geschichte sicherlich beispiellos, also in Ungarn – ich bin seit dreißig Jahren Abgeordneter – erinnere ich mich nicht an Ähnliches, aber sie wird auch in der Welt kaum angewandt. Dies geht ganz so weit – aber es ist nicht meine Sache, Gerüchte zu verbreiten oder den Teufel an die Wand zu malen –, jedoch kann man, wenn es notwendig sein sollte, Firmen, Fabriken unter staatliche Leitung, Produktionseinheiten in den Dienst des Staates stellen. Dies ist also die Phase irgendwo zwischen der friedlichen Demokratie und dem Kriegszustand. Man muss vorsichtig damit umgehen, nicht zufällig pflegen sie zivilisierte Länder nicht anzuwenden. Auch ich habe mir den Kopf darüber zerbrochen, wann der Moment kommt, in dem man dies nicht mehr vermeiden kann, aber nachdem ich gesehen habe, dass die Epidemie in der Mehrheit der europäischen Länder nicht aufzuhalten ist, habe ich der Regierung vorgeschlagen, diese Entscheidung zu treffen. So ist es auch geschehen. Natürlich sind aber Notbremsen eingebaut, denn das ist ja doch ein über die Demokratie hinausgehender Zustand, und dann darf die Regierung dies nur für zwei Wochen einführen. Wenn wir ihn über eine längere Zeit aufrechterhalten wollen, was, so glaube ich, nötig sein wird, dann muss das Parlament dies gutheißen, und das Parlament muss ihn verlängern.

Wie lange kann so ein Zustand aufrechterhalten werden? Und sind tatsächlich noch andere Restriktionen zu erwarten?

Die die verfassungsmäßigen Regeln umgehende, eine schnelle Verteidigung sichernde Rechtsordnung kann man lange aufrechterhalten. Die Frage ist, wie lange dies nötig ist. Einen jeden interessiert ja, wie lange das ganze dauern wird. Wir wissen bereits, dass das Ganze, über das wir sprechen, eine Pandemie ist, also hat die Weltgesundheitsorganisation, die die an den bestimmten Punkten der Welt ausbrechenden Epidemien qualifiziert, diese der höchsten Stufe zugeordnet, und zur Pandemie erklärt. Dies ist eine von China ausgehende Pandemie, und man konnte eine Zeit lang hoffen, sie würde vielleicht nicht nach Europa kommen, aber nachdem sich in Italien ein sehr schwerwiegender Krankheitsherd herausgebildet hat, sie im Wesentlichen von Italien aus in und über ganz Europa sich verbreitet hat, ist sie auf diese Weise auch zu einer europäischen Epidemie geworden. Europa ist also Teil dieser Pandemie. Es gibt optimistische Nachrichten darüber, dass diese in China bereits vorbei sei; das ist nicht wahr, die schlechte Nachricht ist, dass dies eine verständliche Hoffnung, jedoch nicht wahr ist, die Tatsachen bestätigen das nicht. In China ist soviel geschehen, dass die Zahl der Erkrankungen niedriger liegt als die der Heilungen, das heißt mehr Menschen werden gesund als krank, was bedeutet, dass sie über den Höhepunkt der Epidemie hinaus sind, aber das bedeutet noch nicht ihr Ende, denn wenn man auf den Berg hinaufgehen muss, von wo aus wir wieder zu dem Ausgangspunkt zurückgelangen möchten, dann muss man von dort auch herunterkommen. Die Rückkehr zum normalen Zustand dauert also mindestens eine so lange Zeit, wie man bis zum Gipfel hinaufgegangen ist. Deshalb muss man sich darauf vorbereiten, dass sie auch in China noch nicht vorbei ist. Da uns nur sehr wenig Wissen über dieses Virus zur Verfügung steht, denn das größte Problem der Welt ist jetzt, dass dies ein unbekanntes Virus ist, weshalb es keinen Impfstoff gibt, keine Medizin, kein Gegenmittel, deshalb ist auch ein jeder voller Sorge und Furcht. Wir stehen einem unbekannten Feind gegenüber. Hieraus folgt, dass wir uns bei unseren Entscheidungen auf die Behauptungen und die Erfahrungen der Wissenschaft stützen können. Die Erfahrung ist, dass diese Phase der Anstiegszeit in China auch fünf-sechs Monate dauerte, und von dort an müssen wir auch noch mit der Phase des Rückganges rechnen. Die Wahrheit ist, dass wir nicht über ein-zwei Wochen und auch nicht über ein-zwei Monate sprechen, sondern das wird auch in Europa auf ähnliche Weise mehrere Monate ansteigen. Die Zahl der Erkrankungen wird also wachsen, und danach wird es noch einige Monate dauern, bis wir zum Ausgangszustand zurückkehren. Es lohnt sich also nicht, darauf zu hoffen, die Illusion zu nähren, dass wir in ein-zwei Wochen dann über diese Sache hinweg sein werden, sondern dies wird lange Monate dauern, und deshalb müssen wir damit rechnen, dass sich unser Leben verändert, es während dieser Monate nicht so sein wird, wie es zu sein pflegt, da im Interesse der Abwehr der Epidemie Maßnahmen ergriffen werden müssen. Die gute Nachricht ist, dass die ungarische Rechtsordnung dafür geeignet ist, die Regierung in solchen Fällen mit Instrumenten zum effektiven und schnellen Schutz auszustatten, und wir werden nicht zögern, diese Instrumente anzuwenden.

Aber wenn sich diese Sache hinzieht, wird es dann noch genug Kraft etwa zu Grenzkontrollen oder zur Arbeit der Behörden geben? Ist das Gesundheitswesen darauf vorbereitet?

Verschiedene Arten von Kraft sind gleichzeitig nötig. Am wichtigsten ist natürlich die mentale Kraft, also dass man das Gefühl hat, sich nicht zu ergeben, sondern die Auswirkung der Epidemie einzuschränken versucht. Vermeiden können wir sie nicht, offensichtlich gibt es auch in Ungarn Erkrankungen, und auch niemand kann garantieren, dass der Zustand des einen oder des anderen Kranken sich nicht zum Schlechteren wendet. In vielen Ländern gibt es ja auch schon Todesfälle. Wir würden gerne davon nicht betroffen sein, doch ist die Wahrheit, dass nachdem wir hier einer uns unbekannten Epidemie gegenüberstehen, es hierfür keinerlei Garantie gibt. Es ist also seelische Stärke notwendig, damit wir uns nicht der unbekannten Bedrohung ergeben, sondern mit ihr auch dann ringen, wenn wir sie nicht sehen und wir sie nicht kennen und wir ihre Natur nicht genau kennen und wir keine Medizin gegen sie besitzen. Aber was können wir in solchen Momenten unternehmen? Wenn wir keine Medizin dagegen besitzen, dann versuchen wir ihre Verbreitung zu verhindern. Hierfür erarbeiten wir Regeln. Hierfür ist über die seelische Kraft auch jene in der öffentlichen Verwaltung, oder nennen wir es so: die polizeiliche Kraft notwendig. Die Grenzen müssen also, in die Richtung, in die es nötig ist, geschlossen werden, von manchen Ländern aus kann man in das Land nicht einreisen. Jene Ungarn, die von dort kommen, dürfen natürlich eintreten, denn wohin sollten sie nach Hause gehen, wenn nicht zu uns, sie müssen sofort in Quarantäne gehen, das muss man erzwingen, wenn es notwendig ist. Wer also von sich aus nicht dazu bereit ist, den müssen wir mit Polizeikräften davon überzeugen. Wer diese Regeln nicht einhält – und ich bitte einen jeden, das zu tun –, den müssen wir davon überzeugen, wenn es sein muss mit Gewalt, diese Regeln einzuhalten, denn sie fügen den anderen einen Schaden zu, nicht sich selbst. Außerdem ist Kraft im Gesundheitswesen notwendig. Ich möchte den Krankenschwestern, den Ärzten, den Fachleuten für Seuchenschutz, die jetzt schon seit Wochen unermüdlich arbeiten, meinen Dank aussprechen. Wir sind genug, das heißt, wir sind in der Lage, damit der ungarische Staat so viel medizinische Fachleute mobilisiert, wie viele zum Aufhalten der Epidemie notwendig sind. Wir verfügen auch über Instrumente, wir haben alle möglichen Instrumente. Bis zu dem mit dem nüchternen Menschenverstand abschätzbaren Maß der Infektion haben wir den Eindruck, unsere Mittel werden ausreichen. Trotz dessen habe ich die Herstellung weiterer Ersatzinstrumente, ihren Erwerb angeordnet, zur Vorbereitung auf eine Epidemie die größer ist als erwartbar. Es gibt hier also keine absolute Grenze, hier zieht nur der nüchterne Menschenverstand eine Grenze, aber ich bin der Ansicht, die Instrumente müssen auch dann als Reserve zur Verfügung stehen, wenn die Zahl der Infektionen sprunghaft zunehmen sollte. Hierauf haben wir uns vorbereitet. Und schließlich ist Finanzkraft notwendig, die ebenfalls zur Verfügung steht, also wird der Schutz weder heute noch in der Zukunft finanzielle Grenzen haben. Es geht um Menschenleben, das steht über allem. Und selbstverständlich wäre auch Disziplin notwendig, in welcher Hinsicht wir im Übrigen – muss ich sagen – besser stehen, als das vielleicht viele angenommen hätten. Ich habe also den Eindruck, dass darüber hinaus, dass man natürlich im Cyberspace alles Mögliche lesen und hören kann, und natürlich sind auch die Menschen unruhig, ja sie sind besorgt, dass die Menschen insgesamt die Anweisungen des den Schutz leitenden Operativen Stabes auch mit einem erwachsenen, disziplinierten Verhalten umsetzen. Ich kann also behaupten, bis jetzt hat das Land diese Prüfung gut bestanden. Wir mussten schon durch viele Krisen gemeinsam hindurch. Ich erinnere mich an den Rotschlamm, an das Hochwasser, an den finanziellen Zusammenbruch, an die Migration, es gab also schon so viele Arten von Krise, und die Wahrheit ist, dass bisher in allen Krisensituationen – zumindest wenn ich den Umgang mit der Krisensituation leiten durfte – ich sehen konnte, wie die Menschen in Ungarn zusammenhalten, sich zusammenschließen und im Übel eine ausgezeichnete Leistung vollbringen. Ich habe also das Gefühl, dass wir heute über die notwendige Fähigkeit zur Kooperation verfügen, um die Epidemie zwischen bestimmten Grenzen zu halten. Was dann geschehen wird, ob es millionenfache Infektionen in Italien und Deutschland geben wird, und mit welcher Kraft wir diese an den Grenzen aufhalten oder zumindest aussieben oder filtern können, dafür kann heute mit Verantwortung niemand die Garantie übernehmen. Ein jeder kann die Garantie nur dafür übernehmen, auch ich, dass wir alles, was menschenmöglich ist, vielleicht auch ein bisschen mehr als das, im Interesse dessen unternehmen werden, um die Epidemie aufzuhalten.

Die Universitäten sind geschlossen. Gerade jetzt, vor einer guten halben Stunde war der Vorsitzende der Rektorenkonferenz hier, der sagte, schon seit zwei Jahren arbeiten die Hochschulinstitutionen daran, wie man den Fernunterricht organisieren müsste. Aber es ergibt sich die Frage, warum die anderen Unterrichtsinstitutionen nicht durch die Regierung geschlossen werden oder warum dies der Operative Stab nicht vorschlägt? Denn in den uns umgebenden Ländern hat man dies bereits getan.

Wir beobachten die Nachbarländer und stehen mit ihnen auch in Verbindung. In solchen Momenten ist der Austausch von Erfahrungen und Wissen am wichtigsten – da wir uns einer unbekannten Erscheinung gegenübersehen –, besonders mit den Nachbarn. Also hat sowohl der Innenminister als auch der Gesundheitsminister dahingehend Anweisungen erhalten, jeden Tag mit seinem österreichischen und seinem slowenischen Kollegen in Kontakt zu treten, denn von Italien aus kommt die Infektion über diese beiden Länder. Wir haben auch lange über das Schließen der Universitäten nachgedacht und haben schließlich die Universitäten aus dem Grund unter Quarantäne gesetzt, da es viele ausländische Studenten gibt. Unserer Erfahrung nach haben die Epidemie in erster Linie Ausländer nach Ungarn gebracht, und sie verbreitet sich auch unter Ausländern, und in Ungarn gibt es, das wissen die Menschen im Allgemeinen nicht, aber mehrere, ja viele zehntausende ausländische Studenten. Nicht zufällig ist dies unter den Iranern erschienen. Nachdem wir die ausländischen Studenten nicht von den ungarischen trennen können, deshalb erschien es als vernünftig, an den Universitäten einen Stopp des Besuchs der Institution anzuordnen. Wir haben aber lange darüber nachgedacht, und wir haben die anderen Unterrichtsinstitutionen aus dem Grund nicht geschlossen, weil wir heute auf dem Erkenntnisstand sind, dass die Kinder nicht infiziert werden bzw. das Virus durch die Kinder auf die Weise „hindurchgeht“, dass es keine Erkrankung verursachen würde. Heute sind in Ungarn nicht die Kinder in Gefahr, sondern die Älteren. Natürlich gilt der erste Gedanke, den man hat, den eigenen Kindern und Enkeln, das geht uns allen so, auch mir, doch sollte unser zweiter Gedanke jetzt auf jeden Fall den Älteren gelten. Unsere Kinder sind also vorerst nicht in Gefahr. Wenn wir auch nur irgendein Zeichen dessen sehen sollten, dass diese Infektion auch Erkrankungen der Kinder verursacht, dann werden wir natürlich eine neue Entscheidung treffen, doch ist das heute nicht die Situation. Heute ist die Situation, dass die Alten in Gefahr sind, jetzt müssen wir uns um unsere Eltern und Großeltern kümmern, und wir müssen alles unternehmen, damit sie zu möglichst wenigen anderen Menschen Kontakt haben, und wie so die Möglichkeit dessen vermindern können, dass sie infiziert werden. Heute sagt die wissenschaftliche Weltgemeinschaft, 60-80 Prozent der Menschen würden sich auf die Weise infizieren bzw. das Virus würde auf die Weise durch sie hindurchgehen, dass es keine Krankheit verursacht oder es gar nicht bemerken, dass es durch sie hindurchgegangen ist. Beim Rest verursacht es eine Erkrankung, und je älter jemand ist, und je geschwächter der Organismus ist, eine umso schwerwiegendere Konsequenzen mit sich bringende Erkrankung kann erfolgen. Jetzt müssen also unsere Eltern und Großeltern geschützt werden. Man muss natürlich auch auf die Kinder Acht geben, aber die Kinder sind vorerst außerhalb dieser Epidemie. Hinzu kommt noch, dass es sich um einen Zeitraum von mehreren Monaten handelt, während dem wir die Schulen schließen würden, wenn es dazu käme, wenn wir sie schließen, dann wird das das Ende des Schuljahres bedeuten. Dann müssen die Lehrer in unbezahlten Urlaub gehen, und wir müssen einsehen: Wir können zwei Wochen später die Schulen nicht wiedereröffnen. Also werden jene Länder, die ihre Schulen geschlossen haben, diese nicht wieder öffnen können, denn in zwei oder drei Wochen wird die Situation nicht besser sein als jetzt. Ja, sie wird schlechter sein, die Zahl der Erkrankungen wird zunehmen. Und es wird noch Monate dauern, bis die Zahl der wieder Genesenen dann die Zahl der neuen Erkrankungen übertreffen wird. Wenn wir also die Schulen schließen würden, dann wäre auch das Schuljahr vorbei. Was man natürlich auf sich nehmen muss, wenn die Gesundheit der Kinder auf dem Spiel steht bzw. das Risiko wäre, dass sie erkranken, dann würden wir keinen Moment zögern. Aber ich denke, wir sollten warten, und wenn es sich herausstellt, dass es eine Variante des Virus gibt, die auch für Kinder gefährlich ist, dann sollten wir ohne zu zögern und sofort handeln, aber jetzt ist die Situation nicht diese.

Auf die Wirtschaft wird all das sicherlich eine große Wirkung haben. Die Touristikfachleute sagen schon jetzt, man müsse mit einem gewaltigen Rückfall rechnen. Welche Maßnahmen sind zu erwarten?

Die Situation ist viel schwerwiegender, als die Menschen das im Allgemeinen annehmen. Wir leben ja an einem Ort. Wir denken nicht daran, dass die Wirtschaft, deren Teil wir sind, sich in Wirklichkeit im Zustand der permanenten Bewegung befindet, denn wir selbst bewegen uns ja auch nicht ständig, wir verlassen unsere Stadt, unseren Geburtsort nicht, oder jedenfalls nicht häufig und nicht für lange Zeit. Deshalb verspüren wir nicht, was es bedeutet, wenn selbst auch die Wirtschaft so stehenbleibt wie wir. Man muss unermesslich schwerwiegenden Konsequenzen ins Auge blicken. Ich hatte das Glück, die Vertreter der Handels- und Industriekammer treffen zu dürfen, und ich habe sie gebeten, sie sollen die Lage – möglichst ohne jedwede Illusionen – ihrer eigenen Firmen und Zweige erfassen, darüber der Regierung einen Bericht zu geben, spätesten innerhalb einer Monats, und die Regierung wird einen Aktionsplan ausarbeiten, einen Aktionsplan zum Schutz der Wirtschaft, der für den jeweiligen Zweig dann eine Hilfe bzw. für sie eine Lösung bedeuten wird. Das Stehenbleiben der Wirtschaft betrifft die einzelnen Zweige der Wirtschaft nicht im gleichen Maß. Es gibt Zweige, die eher auf der Bewegung basieren, so der Tourismus und der Luftverkehr; und es gibt andere, die weniger, sagen wir die Lebensmittelindustrie. Die Konsequenzen werden also andere sein, deshalb ist im Fall des einen Zweiges die eine Medizin und im Fall eines anderen Zweiges eine andere Art von Medizin notwendig, aber das wird große Anstrengungen erfordern. Also damit wir die Kurbel benutzen können und der Motor wieder startet, dazu muss man große Anstrengungen unternehmen. Man muss ernsthafte finanzielle Mittel umgruppieren. Meiner Ansicht nach müssen wir den gesamten Haushalt für 2020 und den bereits in Planung befindlichen Haushalt für 2021 hinsichtlich des gesamten 2021-er Jahres neu durchdenken. Auch die kommunalen Selbstverwaltungen haben im Februar ihre Haushalte angenommen. Diese werden auch sie dann überarbeiten müssen. Wir müssen auch den Haushalt der Institutionen überarbeiten, man muss also einen Aktionsplan zum Schutz der stehengebliebenen Wirtschaft mit einer ganz neuen Herangehensweise und den diesem dienenden Finanzplan, also einen Haushalt anfertigen. Das menschliche Leben steht an der ersten Stelle. Es ist also gut, wenn wir über Geld, die Wirtschaft sprechen, wenn wir an das Morgen und auch an das Übermorgen denken, doch sollten wir im Heute verbleiben. Hier steht jetzt das menschliche Leben an der ersten Stelle, der Schutz ist am wichtigsten. Es soll so wenige Opfer und so wenige Erkrankungen wie möglich geben, das muss man als Ziel setzen. Doch irgendwo im Hinterzimmer sitzen doch schon die Buchhalter und die Finanzexperten, die dividieren, multiplizieren, zählen und die Pläne für morgen und übermorgen anfertigen.

Man hat bereits auch auf der Insel Lesbos infizierte Menschen gefunden. Soziologen sagen, es sei eine Tatsache, dass sich die Krisen gegenseitig verstärken. Wir sehen, wie die Lage an der griechisch-türkischen Grenze ist und was auf der Balkanroute zu erwarten ist. Wie sehen Sie das?

Zweifelsohne befinden wir uns in einem Zweifrontenkrieg. Einerseits gibt es die Frontlinie namens Migration und es gibt die der Coronavirusepidemie. Und da die Bewegung die Krankheit verbreitet und die Epidemie zu einer weltweiten macht, und die Migration selbst die Bewegung ist, deshalb gibt es zwischen den beiden Dingen einen logischen Zusammenhang. Da aber Ungarn sich gegen die Migration bisher erfolgreich verteidigt hat, sind wir auch gegen die eventuell durch die Migranten hereingeschleppten Infektionen geschützt. Und da wir niemanden hereinlassen, und das auch nicht tun werden…

Auch die Transitzone ist vorübergehend geschlossen.

Die haben wir geschlossen, obwohl es wieder und immer wieder Vorschläge seitens der europäischen Bürokraten gibt, die Migranten unter den europäischen Ländern zu verteilen. Wir waren auch bisher dagegen, wir haben daran nicht teilgenommen, wir haben dies verhindert, auch hiernach werden wir nichts daran ändern, wir werden also all das opponieren. Es gibt verschiedene Zustände in den verschiedenen europäischen Ländern. Ungarn ist in der Lage, dass es hier jetzt noch Einzelerkrankungen gibt. Wir haben also den Schutz entlang einer Logik geplant, dass wir drei Phasen, drei Abschnitte des Schutzes unterscheiden. Es gibt die erste Situation, in der es einzelne Erkrankungen gibt. Jetzt befinden wir uns in dieser Situation. Die Zahl der Infizierungen liegt unter zwanzig, und wir haben auch schon eine Person, die genesen ist. Jetzt gibt es also Einzelerkrankungen. Eine viel schwierigere Situation ist, wenn sich ein Infektionsherd oder sich Infektionsherde herausbilden, und an einem deutlich umreißbaren Ort gruppenweise Erkrankungen geschehen. Da sind wir noch nicht angelangt, aber wenn wir dann hier angelangt sein werden, müssen wir noch strengere Maßnahmen ergreifen. Wir haben das Dossier, das in dieser Situation geöffnet werden muss. Darin befindet sich das sogenannte Protokoll, in dem niedergeschrieben ist, welche Schritte wir in diesem Fall unternehmen müssen. Und der dritte Abschnitt, von dem wir jetzt noch weit entfernt sind, den aber bereits eine Reihe europäischer Länder erreicht haben – die Deutschen, vielleicht die Franzosen, aber die Italiener mit Sicherheit – ist die Phase der massenhaften Erkrankungen, das ist der dritte Abschnitt, in dem ein anderes Dossier geöffnet werden muss, und dann noch schwerwiegendere Schutzmaßnahmen eingeführt werden müssen. Jetzt befinden wir uns vorerst bei den Einzelerkrankungen, und wir kämpfen darum, von hier nicht in die Phase der Gruppenerkrankungen hinüberzutreten. Ich würde keine Wette darauf abschließen, dass es gelingen wird, dies zu verhindern, wir werden also meiner Ansicht nach an den Punkt gelangen, dass es nach den Einzelerkrankungen auch gruppenweise Erkrankungen geben wird, und dann beginnt der nächste Kampf, damit aus den gruppenweisen Erkrankungen keine massenhaften werden. Aber wir stärken jetzt noch jene Verteidigungslinie, die die Einzelerkrankungen von den gruppenweisen Erkrankungen trennt.

Präsident Erdoğan hat hier ja die griechisch-türkische Grenze noch nicht geschlossen, und es scheint, dass es ihm nicht gelungen ist, mit den führenden Politikern der Europäischen Union zu einer Übereinkunft zu gelangen. Außerdem ist nach fünf Jahren eine sehr interessante Situation entstanden, denn diese gewisse Doppelmoral, die wir bereits bestens kennen, ist wieder hervorgetreten, indem die Bürokraten der Europäischen Union jetzt befürworten, dass Griechenland seine Grenzen auch mit Gewalt aufrechterhält. 2015, als Ungarn dies getan hatte, waren wir alles Mögliche für sie, aber keine anständigen Menschen.

Doch, wir waren auch damals schon anständige Menschen, nur wollten sie das damals nicht zugeben bzw. sie haben es in Zweifel gezogen. Aber wir, Ungarn, wussten genau, dass wir anständige Menschen sind und das tun, was man in so einer Lage tun muss. Auch damals haben wir gesagt, dass man an der Küste des Atlantischen Ozeans aus einer sicheren geographischen Lage heraus denen leicht gute Ratschläge erteilen kann, die hier leben, am Tor des Balkan, doch muss man dies nicht beachten. Man muss also nicht einfach nur nicht zurückschlagen, sondern man muss sich auch nicht in ein Verhältnis dazu setzen. Also mir soll niemand von dort, von der Küste des Atlantischen Ozeans aus vorschreiben, wie man eine Russlandpolitik sowie eine Türkeipolitik zu gestalten hat und wie man mit der Migration umgehen muss, wo sie doch ihr Lebtag so etwas noch nicht gesehen haben. Und die Sowjetunion war auch noch nie ihr Nachbar, sie sind noch nie von türkischen Truppen besetzt worden, wie wir im Mittelalter, und Migranten sehen sie auch nur dann, wenn wir sie dorthin durchlassen. Mir geht es damit also so, dass ich die schöngeistigen Erklärungen verstehe, die die westeuropäischen führenden Politiker von Zeit zu Zeit als guter Rat, auf eine etwas herablassende Art, auf belehrende Weise uns geben wollen, aber nicht nur, dass ich darauf nicht antworte, ich lasse es auch an mir ungehört vorbeigehen. Denn sie leben in einer anderen Welt, einer anderen Wirklichkeit, einer anderen Realität. Ich gebe ihnen auch keine Ratschläge, wie man sich ein äußerst reiches Leben einrichten muss, wenn man schon gar nicht mehr weiß, was man im eigenen Wohlstand und der guten Situiertheit überhaupt noch mit sich anfangen soll. Denn das Niveau des dortigen Lebens ist im Vergleich mit dem unsrigen dermaßen hoch, dass es für uns kaum fassbar ist, weshalb wir ihnen auch keine Ratschläge geben, wie sie ihr Leben zu führen haben. Und wir bitten sie, auch uns keine zu geben, sondern ein jeder soll seine Aufgaben verrichten, uns sollten sie zum Beispiel uns verteidigen lassen, damit wir unser eigenes Leben schützen können.

Ja, aber es gibt doch trotzdem Stimmen in Westeuropa, laut denen man vielleicht die Kinder doch hereinlassen müsste, möglicherweise müsste man dies überdenken. Also hat sich jene Herangehensweise doch nicht geändert, wie Sie das auch formuliert haben, wenn es auch ansonsten so zu sein scheint, dass jetzt schon alle mit dem Grenzschutz einverstanden sind.

Ja, es spricht nichts dagegen, dass sie wen auch immer in ihre eigenen Länder hineinlassen, aber die Möglichkeit besteht nicht, dass sie irgendjemanden nach Ungarn hereinlassen. Hierher dürfen nur wir jemanden hereinlassen. Denn mit wem wir zusammenleben wollen, das werden wir, Ungarn, auch in Zukunft bestimmen, und hierin lassen wir keinerlei Mitsprache irgendwelchen europäischen Bürokraten oder einem sich von uns unterscheidenden, fremden, dritten Land zu. Das werden ausschließlich nur die Ungarn bestimmen. Und wenn die Ungarn sich irgendwann dahingehend entscheiden, jemanden hereinzulassen, dann wird er hereingelassen. Und wenn wir uns dagegen entscheiden, dann wird er draußen bleiben. Das war bisher so und das wird auch in Zukunft so sein. Das ist eine ungarische Angelegenheit, das ist unser Schicksal, unser Leben, und wir erlauben nicht, dass irgendjemand anderes mit seinen schlechten Ideen, Ratschlägen, Anweisungen unsere bisherige Lebensform kaputtmache und jene Ergebnisse vernichte, die wir unter großen Mühen, im Schweiße unseres Angesichts mit der Arbeit von zehn Jahren, die ungarische Wirtschaft wiedererrichtend erreicht haben. Das wollen wir nicht riskieren. Meiner Ansicht nach können wir diesen Standpunkt verteidigen, ich kann ihn in Brüssel verteidigen, dazu gibt es politische Mittel. Auch bisher haben wir der verfehlten Brüsseler Migrationspolitik in Ungarn nicht nachgegeben, und wir werden auch in der Zukunft nicht nachgeben. Inzwischen gibt es aber natürlich auch dort schon, also in Westeuropa, Probleme, denn aus Afrika ist eine zweite Welle der Migration oben angekommen. Wir waren ja eher von der aus dem Osten und Süden kommenden Migration betroffen, und nicht in erster Linie von der aus Afrika. Jetzt hat die ehemaligen Kolonialmächte die aus ihren früheren Kolonien kommende Migration erreicht. Aus diesem Grund beginnt sich auch dort das Nachdenken darüber zu wandeln, denn jetzt sehen sie sich nicht mehr nur einem theoretischen Problem gegenüber, man muss jetzt nicht über die Papiergeruch ausströmenden Prinzipien der Menschenrechte diskutieren, sondern sehr wahrhaftige, lebensnahe Situationen lösen, sowohl in Frankreich als auch in den Niederlanden und in Belgien, in jenen Ländern – von Deutschland ganz zu schweigen –, aus denen man anderen mit Vorliebe Ratschläge zu erteilen pflegt. Jetzt haben sie schon ihr eigenes Problem, und das wird auch ihr Denken verändern.

Vielen Dank! Sie hörten Ministerpräsidenten Viktor Orbán.