Katalin Nagy: Es ist drei Minuten nach halb acht. Viktor Orbán war am Donnerstag an der ungarisch-ukrainischen Grenze, wo er in Beregsurány auf die Frage der Journalisten antwortete, der Schlüssel zur Lösung des russisch-ukrainischen Krieges liege nicht in der Hand Ungarns, sondern drüben, wir können nur jenen helfen, die in Not geraten sind. Ministerpräsident Viktor Orbán ist im Studio angekommen. Guten Morgen!
Guten Morgen!
Innerhalb von acht Tagen sind 140 tausend Menschen an den Grenzübergängen nach Ungarn gekommen. Wie sehen Sie es, was ist die Aufgabe der Regierung in dieser Situation?
Und es werden auch noch mehr kommen. Was wir jetzt sehen, ist der Anfang dieser Krise. Ich habe Menschen getroffen, die nach Ungarn geflohen sind, ich habe mit vielen von ihnen gesprochen, sie kommen typischerweise aus den innerukrainischen Gebieten. Es gibt unter ihnen natürlich auch Ungarn und Ukrainer aus der Karpatenukraine, wir kennen sie gut, denn sie gehören zu uns bzw. sie sind hier in der Nachbarschaft, aber es kommen sehr viele, und es kommen immer mehr Ukrainer und Bürger, die zu Drittstaaten gehören, aus der inneren Ukraine. Gestern bin ich, ich glaube flüchtenden Studenten der Universität Charkow, oder wie man es dort sagt: Charkiw begegnet, unter ihnen Chinesen, Nigerianer, Inder, und nicht ein-zwei, sondern vielen. Ich werden dann heute Nachmittag auch mit dem Ministerpräsidenten Indiens sprechen, denn wir haben eine Vereinbarung mit den betroffenen Ländern darüber geschlossen, dass wir ihre Studenten holen, sie nach Ungarn hereinlassen, sie nach Budapest bringen, und von dort reisen die Inder mit Flugzeugen nach Indien, die Nigerianer nach Nigeria, die Chinesen nach China. Und wenn sie dann später als Student zurückkehren möchten, dann können sie auch nach Ungarn zurückkehren, doch jetzt werden sie heimkehren, also jene Nichtukrainer und Nichtungarn, die wir jetzt sehen, sie bleiben nicht in Ungarn, sondern kehren heim, wir leisten dazu Hilfe. Kurz könnte ich sagen, in diesem Augenblick ist Ungarn die Zuflucht für diese Menschen, sowohl für die Ungarn als auch die Ukrainer sowie auch für jene aus dritten Ländern. Die ungarische Regierung hat viele Aufgaben. Es gibt ja Aufgaben der Natur nationaler Sicherheit: Grenzschutz, vorheriges Anzeigen von militärischen Ereignissen, die Vorbereitung darauf. Vergessen wir nicht, dass zwar viele Menschen aus der inneren Ukraine kommen, aber das uns angrenzende Gebiet ist die Karpatenukraine, von wo aus ebenfalls Menschen kommen, doch in die Karpatenukraine ist bisher kein einziges Geschoss, ist noch keine einzige Rakete eingeschlagen, die Karpatenukraine ist also bisher kein militärisches Einsatzgebiet. Dies ist in diesem Moment ein sehr großer Wert, denn wenn auch sie zu einem militärischen Gebiet werden würde, dann würde auch die Zahl der von dort Kommenden plötzlich auf ein Mehrfaches anwachsen. Wir haben also Aufgaben der nationalen Sicherheit und es gibt humanitäre Aufgaben, man muss die Zukunft der hier ankommenden Flüchtlinge organisieren. Es ist zu früh, um über Statistiken zu reden, ich sehe mir also die Angaben der Polizei, des Katastrophenschutzes und der Einwanderungsbehörde an, und daraus ersehe ich, dass etwa 70-80 Prozent der Ankommenden weitergehen. Ich bin sehr vielen Familien begegnet, die hier von Bekannten aus Polen, Tschechien, Österreich erwartet werden. Und es gibt auch jene, die ungarische Kontakte haben, und sie werden von der Grenze abgeholt. Mit ihnen haben wir in diesem Augenblick nichts zu tun. Dann gibt es jene aus Drittländern, die fliegen wir heim, und jene, die hiernach hierbleiben, denen man also nicht für einen Tag Unterbringung und Verpflegung bieten muss, sondern sie können nirgendwohin gehen, und sie werden auch einige Zeit hier mit uns sein. Und ihnen muss man eine Unterkunft bieten, man muss sie unterbringen, man muss für Verpflegung sorgen. Jetzt noch nicht, aber dann in ein-zwei Monaten muss man den Kindern die Schule garantieren. Das Gesundheitsministerium hat viele wichtige Aufgaben, denn es kommen viele Menschen, die nicht geimpft sind, sie müssen geimpft werden, wir müssen schauen, was für Krankheiten sie haben oder nicht haben, jene müssen wir sofort behandeln, noch bevor wir sie ins Landesinnere lassen würden, also alle staatlichen Organe müssen unter Anspannung ihre Arbeit verrichten. Doch hinter all dem steht das Land, die vielen Freiwilligen, ich bin auch ihnen begegnet, Dank an sie für ihre Arbeit, Hut ab, viele Menschen kommen aus allen Teilen des Landes, sie schicken nicht nur Hilfe, sondern kommen auch als Freiwillige, ich habe selbst aus meinem eigenen Dorf Freiwillige getroffen, die kommen, und einige Stunden oder einige Tage helfen. Sie geben in Wirklichkeit hinter den staatlichen Organisationen die große Stütze, denn die staatlichen Organisationen bearbeiten die Angelegenheiten, doch ist hier auch Menschlichkeit nötig, und die Menschlichkeit können die zivilen Personen, besonders die kirchlichen Organisationen geben, die ihre Arbeit auf hervorragende Weise verrichten.
Die Arbeitgeber kooperieren darin, dass wenn jemand Arbeit sucht, dass er dann dort, selbst an den Informationspunkten Informationen erhalten kann, in welche Richtung er losgehen soll?
Wir haben die Gespräche auch mit den Arbeitgebern aufgenommen, damit jene, die über einen kürzeren oder längeren Zeitraum dazu gezwungen sein werden, je nachdem, wie der Krieg drüben ausgehen wird, hierzubleiben, Arbeit haben werden. Denn wer ja hierherkommt, denen können wir das anbieten, was wir auch den Ungarn anbieten können. Drei Monate lang können wir ihre Ausgaben so übernehmen, wie wir auch einem ungarischen Arbeitslosen in solcher Situation drei Monate lang eine Versorgung geben, aber nach drei Monaten müssen auch die Ungarn in die öffentliche Arbeit oder die auf dem Arbeitsmarkt weitergehen, das wird auch im Fall der hier ankommenden Ausländer nicht anders sein, wir nehmen also einen jeden auf, und behandeln sie auf eine identische Weise wie uns. Wir leisten natürlich eine Hilfe, damit sie starten können, denn wir geben eine Unterkunft, wir geben Essen, aber nach einiger Zeit muss der, der nicht weitergeht und hierbleibt, auf irgendeine Weise seinen Platz in unserem Leben einnehmen.
Haben die Institutionen der Europäischen Kommission, der Europäischen Union signalisiert, dass sie bereit sind, zu den Ausgaben jener Länder beizutragen, die Menschen aufnehmen oder den Flüchtlingen helfen? In Polen sind es sehr viele Menschen oder an der zweiten Stelle hat, nicht wahr, bisher Ungarn die meisten Menschen aufgenommen.
Schauen Sie, wenn geredet werden muss, kann man immer auf Brüssel zählen. Und wenn es um das Handeln geht, dann kann man auf die Nationalstaaten zählen. Ich kann Ihnen also nicht sagen, was zum lieben Gott die dort in Brüssel machen und worauf sie warten, und wann sie jemandem Geld geben werden, doch wenn wir darauf warten würden, dann würden schwerwiegende Zustände an der ungarischen Grenze entstehen. Man muss auf niemanden warten, vor allem nicht auf sie. Das ist unsere Angelegenheit, das ist unsere Not, das ist unser Problem, das müssen wir lösen und Ungarn wird es auch lösen. Wenn es ihnen zwischendurch beliebt, trotzdem aufzuwachen und eine Unterstützung zu geben, dann danken wir dafür, aber wir verteidigen im Süden seit Jahren die Grenze, sie haben keinen einzigen Eurocent für den Zaun gegeben, sie haben Ungarn keinen einzigen Eurocent wegen des Migrationsdruckes gegeben, also lassen wir das auch lieber und lösen dann selbst diese Probleme.
Ja, aber wenn hier die humanitären Korridore geöffnet werden, wie darüber gestern Abend oder Nacht die im Krieg stehenden Parteien übereingekommen sind, dann bedeutet dies, dass dann dort die Zivilbevölkerung, die das schon lange wollte und sicherlich den Krieg nicht aushält, die Angst hat, dass sie verständlicherweise dann in größerer Zahl losgeht. Können wir sie empfangen?
Natürlich! Das habe ich auch immer vor dem Krieg gesagt, dass wir am Frieden interessiert sind, wir sind daran interessiert, dass diese Debatte, in der es einerseits um die Neutralität der Ukraine geht und andererseits um die durch die Russen geforderten Sicherheitsgarantien, auf dem Verhandlungsweg möglichst schnell geklärt wird. Denn wenn das sich nicht auf dem Weg der Verhandlungen klärt, und daraus ein Konflikt entsteht, dieser ist entstanden, und dies ist nicht nur ein Konflikt, sondern ein wahrer Krieg, dann werden unter anderen unter den Geschädigten, gleich nach den Ukrainern, wir zu finden sein, die wir mit der Ukraine benachbart sind. Denn hierher werden Flüchtlinge kommen, sie werden in sehr großer Zahl ankommen, dies belastet den Haushalt unserer Länder, den der Polen, der Slowaken, der Ungarn und der Rumänen. Sanktionen werden in Kraft treten, jetzt geschieht dies. Den Preis für die Sanktionen bezahlt im Allgemeinen als allererster der Nachbar, am meisten wir, auch hier müssen wir bei Verstand sein, Ungarn war also nicht zufällig schon früher seit langen Jahren auf der Seite des Friedens, wir hatten bereits nach dem Krimkrieg schon gesagt, das Minsker Abkommen muss so schnell wie möglich umgesetzt werden, denn wenn es nicht durchgeführt wird, wird jene Wunde eitern, und uns dann am Ende zu einem größeren Konflikt führen. Hier sind wir angekommen. Doch ist es nicht die Aufgabe Ungarns, die großen Angelegenheiten der Weltpolitik zu ordnen, das ist nicht für unsere Größe geschneidert, dies ist kein Jackett in unserer Größe. Wir können den Großen darin helfen, dass wenn sie von Zeit zu Zeit steckenbleiben, sie dann jeweils einen Schritt nach vorne machen können sollen. Wir haben es versucht, wir haben alles getan, was in den vergangenen Jahren möglich war, hierzu hat es gereicht. Nun, im Fall einer größeren Zahl von Flüchtlingen liegt die Last hier auf den V4, daran gibt es nichts zu deuteln, wir müssen uns also mit den Polen, den Tschechen und den Slowaken zusammenschließen und eine gemeinsame Flüchtlingspolitik der V4 formen. Ich glaube, das wird effektiver sein, als wenn wir auf Brüssel warten würden.
Sie haben bereits die Aufgaben für die nationale Sicherheit erwähnt, die auf die Regierung entfallen. Hier fällt einem ja ein, dass in Ungarn 2016 eine Reform der Streitkräfte gestartet wurde, die durch viele Stimmen kritisiert wurde, man versuchte sie lächerlich zu machen, man hielt sie für überflüssig, warum sie denn notwendig wäre. Und jetzt scheint es so zu sein, als ob man auch in Deutschland im Zusammenhang damit aufgewacht wäre, denn hier gibt es einen kriegerischen Konflikt in unserer unmittelbaren Nähe in Europa, der anzeigt, dass man hierauf sehr wohl achten muss. Jetzt hat demnach die Entwicklung der ungarischen Streitkräfte sehr wohl einen Sinn gehabt.
Die deutsche Angelegenheit würde jede Sendeminute unseres gesamten Gesprächs beanspruchen, deshalb erlauben Sie mir nur soviel dazu zu sagen, dass dort eine Sache von großer Bedeutung geschehen ist. Die Zuhörer sind meiner Ansicht nach nicht oder nur ein kleiner Teil von ihnen ist sich im Klaren darüber, dass dort eine deutsche, anscheinend technische Ankündigung dann unsere Zukunft neu umreißt. Wir werden also in einem anderen Europa leben. In einigen Jahren wird dies jeder Zuhörer sehen, denn das, was jetzt geschieht, heißt „die Neuaufrüstung Deutschlands“, die verboten war. Also nach dem Zweiten Weltkrieg war wegen der Rolle Deutschlands im Zweiten Weltkrieg praktisch die deutsche Armee immer kleiner als was die deutsche Wirtschaft hätte ermöglichen können, und sie war immer kleiner, als es wegen der europäischen Sicherheit notwendig gewesen wäre, und die fehlende deutsche militärische Kraft haben die Amerikaner auf dem europäischen Kontinent ersetzt. Wenn sich aber Deutschland wieder bewaffnet, dann wird es eine neue Situation geben, jetzt, wenn Sie erlauben, schließe ich auch die Klammern. Was die Entwicklung der ungarischen Streitkräfte angeht. Wer schwach ist, bekommt keinen Frieden. Wenn Du Frieden willst, dann musst Du über irgendeine Kraft verfügen. Deine Kraft kann zwei Quellen entspringen: aus Deiner eigenen Kraft und aus der Kraft Deiner Verbündeten. Wenn Du keine eigene Kraft besitzt, dann hast Du auch keine Verbündeten, denn niemand wird sein Leben riskieren und sein Geld dafür opfern, um Dich zu schützen, während Du Dich im Übrigen nicht darauf vorbereitet hast, Dich zu verteidigen. Deshalb irren jene, die behaupten, die NATO werde uns schützen. Die NATO schützt uns dann, wenn auch wir bereit sind, uns zu schützen. Deshalb mussten wir vor einigen Jahren eine Entwicklung der Streitkräfte einleiten. Ungarn ist ein ungarisches Land, das heißt, es gibt immer über alles Diskussionen, auch darüber, worüber es keine geben sollte. Auch hierüber gab es eine, doch muss man hier fest sein, man muss felsenfest sein, denn wenn Du nicht rechtzeitig mit der Vorbereitung auf so einen Konflikt beginnst, kannst Du das später nicht mehr nachholen. Die verplemperten Jahre kann man später nicht mehr ersetzen, denn eine Rüstungsindustrie zu entwickeln, eine Armee zu entwickeln, in dem Denken eines Landes dem seinen Platz auszubilden, dauert nicht ein-zwei Jahre, sondern tatsächlich viele lange Jahre. Wir haben rechtzeitig damit begonnen, es wäre natürlich besser gewesen, wenn wir damit früher angefangen hätten, aber es kann sich ja ein jeder daran erinnern, dass 2010 hier die Menschen in den Krediten in Fremdwährungen zu ertrinken drohten, die Arbeitslosigkeit war riesig, das Land war heruntergekommen, wir konnten nicht alles auf einmal lösen. Die Renten, die Löhne waren niedrig, die dreizehnte Monatsrente hatte man weggenommen. Es gab viele Dinge, die noch vor der Wiederaufrüstung oder der Neuorganisierung der ungarischen Armee vollzogen werden mussten, damit das Alltagsleben für die Menschen erträglich wurde und ein jeder endlich Arbeit haben konnte, jeder beginnen konnte, vorwärtszugehen. Deshalb haben wir eine zeitliche Einteilung vorgenommen. Nicht der Neuaufbau der Armee war am wichtigsten, sondern die in Fremdwährungen Verschuldeten und die Rente und die Löhne und die Familien und die Geburtszahlen und der Nachlass für Familien zur Schaffung eines Eigenheimes und die Schaffung von Wohnungen und die Senkung der Nebenkosten; das waren die wichtigsten Aufgaben. Und dann kam, nicht wahr, die Migration, das hat uns wieder ein-zwei weitere Jahre unseres Lebens gekostet, doch dann haben wir, sobald wir zu Luft gekommen sind, mit der Entwicklung der Streitkräfte begonnen – unter gewaltigem oppositionellen oder linken Dauerfeuer, doch wir haben trotzdem durchgehalten und sind bis zu einem Punkt vorangekommen. Wir sind nicht fertig, ein Krieg und ein Konflikt in der Nachbarschaft tun niemals gut. Wenn es ihn aber einige Jahre später gegeben hätte, wären wir vorbereiteter, als wie wir es jetzt sind. Aber auch jetzt sehen wir nicht so schlecht aus, wie wir vor zehn Jahren ausgesehen haben. Wir sind also schon stark genug, damit wir selbst und unsere Verbündeten gemeinsam die Sicherheit Ungarns garantieren können, wir haben eine Sicherheit von der Härte des Betons, Ungarn kann also kein Übel erleiden. In einem Fall kann es Probleme geben, wenn wir unseren nüchternen Verstand aufgeben, und in diesen Krieg hineinschliddern; dann wird es Probleme geben, es gibt keine solche NATO, die uns vor unserer eigenen Blödheit und Dummheit schützen könnte.
Ich wollte da gerade nachfragen, Sie haben am ersten Tag dahingehend formuliert, Ungarn müsse diesem Konflikt fernbleiben. Dann haben Sie am zweiten-dritten Tag schon so formuliert, wir sollten es nicht zulassen, dass wir in den Krieg hineingezogen werden. Hier empfindet der Zuhörer eine Steigerung, wenn er diese beiden Aussagen hört. Haben Sie an die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts gedacht oder daran, dass die Opposition unüberlegte Äußerungen macht?
An beides. Ich empfehle nicht zufällig allen, die sich mit dem öffentlichen Leben beschäftigen, das, was wir „strategische Ruhe“ nennen. Wir sind doch eben in einer sehr schwierigen Situation. Wir sind an sich schon politisch in einer schwierigen Situation, denn es gibt Krieg in unserer Nachbarschaft. Das kann auf verschiedenste Weisen weitergehen, es können in der Zukunft alle möglichen Eventualitäten zur Wirklichkeit werden, und über diese muss man schon jetzt nachdenken. Doch sind wir auch emotional in einer sehr schwierigen Situation; Menschen sterben täglich zu Hunderten und Tausenden, und sie werden es auch, so viele Tage der Krieg dauert. Also ein jeder ist in einem erregten Zustand, denn dies berührt einen, dies, was geschieht, geht doch zu Herzen. Man kann kluge Dinge über Geopolitik, über Sicherheit sagen, und ich verstehe auch die Argumente der einander gegenüberstehenden Seiten, doch unter oder über diesen, unter oder über den Argumenten ist das auch der Mensch, der stirbt. In so einer gesteigerten Situation kann man leicht Fehler machen. Deshalb sage ich, „Ruhe“, „strategische Ruhe“. Man darf also keine überhasteten, schnellen, ohne Überlegung, ohne die notwendige Überlegung gefällten Entscheidungen treffen, denn daraus werden Probleme entstehen. Und soweit ich das sehe, steht die Linke auf der Seite des Krieges, auch dann, wenn sie selbst das nicht weiß, denn das, was sie sagen, und das, was sie wollen, das lässt uns in den Krieg hineinrutschen, das führt uns in den Krieg. Soldaten zu schicken, bedeutet, Teil eines Krieges zu werden. Waffen zu liefern, bedeutet, dass der, dem wir sie liefern, sich vielleicht freuen wird, aber für den, gegen den die diese Waffen eingesetzt werden, werden wir ein Feind sein, weiß Gott für wie viele lange Jahre. Waffen durch Ungarn hindurchtransportieren in die, sagen wir, Karpatenukraine und den gerade in der Karpatenukraine fahrenden Konvoi an einem Ort zu einem militärischen Zielpunkt zu machen, wo es noch gar keinen Krieg gibt, das bedeutet, dass wir den Krieg dorthin gebracht haben, wir ihn dort provoziert haben. Man muss bei Verstand sein, man kann nicht alles Mögliche zusammenreden, man kann nicht alle möglichen Vorschläge durcheinander machen und man kann unseren westlichen Verbündeten nicht mit der einen oder anderen Erklärung einen Gefallen erweisen. Das ist nicht die Zeit dafür. Jetzt muss man sich hier für die Interessen Ungarns einsetzen. Jetzt muss man diesen Konflikt nicht mit amerikanischen Augen betrachten und nicht durch die französische und deutsche Brille, man muss ihn mit ungarischen Augen betrachten. Und mit ungarischen Augen ist in diesem Konflikt der Frieden und die Sicherheit der Ungarn am wichtigsten. Dazu muss man dem Krieg fernbleiben, und deshalb muss man den in den Krieg treibenden oder uns hineintreibenden Vorschlägen oder Initiativen der Linken widerstehen können, man darf auf sie nicht hören oder man muss entschlossen widersprechen.
Ja, es kann sein, dass die Linke nur hinter dem progressiven Westen sich aufstellen möchte, und, wie Sie es formuliert haben, den Freunden im Westen einen Gefallen tun möchte, doch zugleich haben wir noch Wahlkampf, in einem Monat werden wir wählen. Und es ist die Strategie der Opposition – und die Zeit wird entscheiden, ob dies richtig oder falsch war –, immer das Gegenteil dessen zu sagen, was die Regierung sagt. Nur, sagen wir, sollte man nicht Dinge sagen, wie dass eine ungarische Maschine gestartet sei und Waffen in die Ukraine transportiert, wenn das eine Militärmaschine der NATO ist.
Es sind auch schwerwiegendere Dinge als das geschehen, denn was mich bisher am meisten erschüttert hat, und zuerst wollte ich gar nicht glauben, was ich da höre, das war jene Behauptung seitens der Linken, die Ungarn in der Karpatenukraine seien Russenfreunde. Das ist eine Anzeige! Und nicht einmal irgendeine, sondern eine in Kriegszeiten gegen Ungarn gemachte. Die Ungarn hatten auch schon bisher Probleme in der Karpatenukraine. Jetzt gibt es Krieg, deshalb kommen wir jetzt nicht damit, wir werfen das den Ukrainern jetzt nicht vor, sie kämpfen um ihr Leben, in solchen Momenten bringen wir nicht vor, was für Beschwerden wir haben oder nicht haben, weil das jetzt nicht möglich ist. Wir sind ein seriöses und intelligentes Land, wir wissen, wann man worüber mit welchem Gewicht und wie man reden muss. Dies ist jetzt nicht die Zeit dafür. Doch deshalb wissen wir noch, dass die Ungarn in der Karpatenukraine immer schon Probleme hatten. Und wir wissen auch, dass es ukrainische Gruppen gibt, die schon immer misstrauisch auch die Ungarn betrachtet haben. Wenn jetzt aus Ungarn ein Politiker sagt, den Ukrainern in der Karpatenukraine mitteilt, jene Ungarn, die an ihrer Seite leben, seien in Wirklichkeit Russenfreunde, bringt jene Ungarn in die unmittelbarste Gefahr. Man findet also zeitweise vor Erschütterung keine Worte, welche Gipfelleistungen der Unverantwortlichkeit die Linke zu erbringen in der Lage ist. Damit muss man also schleunigst aufhören. Ich verstehe, dass es Wahlkampf geben wird oder wir ihn haben und es Wahlen geben wird, na, aber der Sinn des Wahlkampfes ist, dass am Ende Ungarn eine gute Regierung haben soll. Aber dazu sind ein Land und Menschen notwendig, die man dann regieren kann. Wenn wir das Land in einen Krieg hineintreiben, dann hat der Wahlkampf nicht das Ziel erreicht, dass wir für das Land eine gute Regierung wählen können, sondern wir haben dann im Wahlkampf die schwer etablierten Positionen des Landes zerstört. Dies ist sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft so. Ich habe also der Regierung sehr klar die Richtung vorgegeben, dass wir im Wahlkampf, wenn es Krieg gibt, dann ist der oberste Gesichtspunkt, aufgrund dessen wir abwägen, niemals der Wahlkampf, sondern immer das nationale Interesse und die Sicherheit der Ungarn. Das muss man sich also vor Augen halten. Und dann wird es auch Wahlen geben, die Ungarn sind klug genug, um dies am 3. April so zu ordnen, wie sie es für richtig erachten. Heute ist nicht dies am Wichtigsten. Am wichtigsten ist der Frieden, die Sicherheit und dass wir diesem Krieg fernbleiben.
Der Schutz der Wirtschaft ist ziemlich wichtig, genauso wie es das in der Zeit der Epidemie wichtig und primär war. Mihály Varga hat darauf hingewiesen, die Regierung arbeite daran, die wirtschaftlich schlechten Auswirkungen des Krieges irgendwie auszugleichen. Wann erfahren wir darüber Details?
Wie der Engländer es sagen würde: Zur richtigen Zeit, aber die Wahrheit ist die folgende. Es gibt unmittelbare Gefahren und es gibt mittelfristige Gefahren. Was sind jetzt die unmittelbaren Gefahren? Die unmittelbare Gefahr ist, dass sich die Westler für die Sanktionen entschieden haben. Wir hatten darüber schon immer unsere Meinung, wozu die Sanktionspolitik gut ist und wozu nicht, doch im Krieg ist die Einigkeit am wichtigsten, wir wollten also nicht klug daherreden, indem wir ausführen, dass im Übrigen auch schon die zur Zeit der Krim eingeführten Sanktionen auch genau die entgegengesetzte Wirkung hatten, siehe jetzt hier diesen Krieg, wir hatten während des Krimkrieges die Sanktionen gegen die Russen eingeführt, das hat sie aber – wie man das sehen kann – nicht geschwächt, sondern hat gerade die entgegengesetzte Wirkung ausgelöst. Doch ist das jetzt schon egal, denn die Westler haben sich für die Sanktionen entschieden, und wir sind Teil des Westens. Und da die Einigkeit wichtig ist, leben wir mit dieser Situation zusammen, doch haben die Sanktionen ihren Preis, denn sie sind eine zweischneidige Waffe, und das werden wir kurzfristig bezahlen müssen. Und die Regierung muss zuallererst daran arbeiten, die wegen der Sanktionen unmittelbar anfallenden Schäden zu mildern. Wenn wir das hinter uns haben, dann muss sie daran arbeiten, dass wir mit den Schwierigkeiten, die die durch die Sanktionen beschädigten Wirtschaften verursachen, mittelfristig umgehen können. Jetzt ist ja die unmittelbare Schwierigkeit die Sberbank. Die ist ja sowohl in Österreich als auch in Ungarn zusammengebrochen. Dort sind Gelder sowohl von Firmen als auch von Menschen verlorengegangen, die sind futsch. Der Einlagenversicherungsfonds steht natürlich bis zu einer gewissen Summe für die Einlagen von Privatpersonen gerade, doch insgesamt werden jene, die Konten besessen haben, einen großen Teil des Geldes nicht zurückerhalten, vor allem nicht die Firmen, und das sind Firmen – und dies tut natürlich ihnen persönlich weh, na aber es tut auch der ungarischen Wirtschaft weh, weil dies große Summen und Firmen sind –, die im Übrigen die ungarische Wirtschaft am Laufen halten. Das Geld, das jetzt hier weggeschwommen ist, wird aus der ungarischen Wirtschaft, den Investitionen, den Entwicklungen und auf der Seite der Arbeitskräfte fehlen. Die andere unmittelbare Gefahr, auf die wir achten müssen, ist der Anstieg der Energiepreise, denn wegen der Sanktionen kommt es plötzlich zu einem Anstieg der Energiepreise von 50-60 Prozent in ganz Europa. Dies ist auch in Ungarn so. Wir müssen die Familien mit der Senkung der Nebenkosten schützen, wir müssen sie auch jetzt schützen, das kostet Geld, das muss der Herr Finanzminister auftreiben. Unser drittes Problem ist, dass der Anstieg der Energiepreise in Europa 50 Prozent der Inflation, also des Wertverlustes des Geldes, des Preisanstiegs ausmacht. Europa hat auch an sich mit einer hohen Inflation gerungen, jetzt ist wegen der Sanktionen diese Herausforderung, diese Gefahr, die Inflation, die Gefahr der hohen Inflation um das Mehrfache angestiegen. Und das müssen wir auch auf irgendeine Weise abwehren. Hier sucht die Regierung in Zusammenarbeit mit der Notenbank die Art und Weise, wie wir das abwehren können. Und dann gibt es die sich mittelfristig meldenden Gefahren, dass die Leistung der gesamten europäischen Wirtschaft geringer sein wird, als das ein jeder gedacht hatte und wie es ohne Krieg gewesen wäre, denn ohne Krieg wäre sie höher gewesen, als sie jetzt mit dem Krieg es sein wird. Hieraus folgt, dass alles neu kalkuliert werden muss: Einnahmen, Ausgaben, Pläne, Investitionen in ganz Europa, und wir sind Teil dieser europäischen Wirtschaft, dies werden auch wir machen müssen. Doch das sehen wir jetzt noch nicht, denn das Maß dessen sowie die Größe und der Umfang der zur Behebung dessen notwendigen Regierungsmittel hängen davon ab, wann der Krieg zu Ende geht. Sicher ist, dass je früher der Krieg zu Ende geht, desto weniger Schäden werden wir haben. Je länger sich der Krieg hinzieht, mit einem umso größeren Problem müssen wir es dann aufnehmen, deshalb ist es richtig, wenn Ungarn auf der Seite des Friedens steht, dies ist sowohl aufgrund allgemeiner menschlicher Erwägungen als auch hinsichtlich der ungarischen nationalen Interessen richtig. Sicherlich leiden auch die Deutschen und die Franzosen und auch die Iren, dort auf ihrer Insel im Meer, doch am meisten leiden jene, die nahe am Kriegsgebiet liegen. Das sind die Balten, die Polen, die Slowaken, die Ungarn und die Rumänen. Wir leiden, wir erleiden in erster Linie sowohl den Krieg als auch die Sanktionsmaßnahmen.
Gestern haben wir auf der Regierungsinfo mit Freuden gehört, dass die Regierung den Großteil der beschränkenden Seuchenschutzmaßnahmen außer Kraft gesetzt hat, das obligatorische Tragen der Maske gilt nicht mehr, wer es aber möchte, der soll sie ruhig in den öffentlichen Verkehrsmitteln tragen.
Es ist nicht verboten. Wir haben die fünfte Welle besiegt, ich kann nur sagen, wenn wir doch auch den Krieg auf diese Weise besiegen könnten. Dieses Virus hat Ungarn in fünf großen Wellen attackiert, es gelang uns immer, es zu Boden zu schicken, doch ist das Virus immer aufgestanden. Und jetzt haben wir es zum fünften Mal zu Boden geschickt, unter Beachtung auch der Maßnahmen der westeuropäischen Länder haben die Fachleute gesagt, wir könnten es jetzt schon zulassen, aus den Seuchenschutzmaßnahmen in den normalen Gang des Lebens zurückzukehren, nur ist das jetzt plötzlich nicht normal, sondern kriegerisch, aber egal, irgendwie kehren wir zu den Hygienezuständen von vor der Epidemie zurück. Alle beobachten, alle unsere Experten, Berater, Wissenschaftler, Professoren, ob es eine sechste Welle geben wird, damit wir auf die ersten Anzeichen dieser reagieren können. Vorerst ist die Lage eher ermunternd, es ist nicht ausgeschlossen, dass die fünfte Welle die letzte war, doch das kann heute niemand garantieren. Einen Etappensieg haben wir mit Sicherheit errungen, das könnten wir sogar feiern. Wir haben das Virus auch in der fünften Welle besiegt.
Dann meinen Sie, diese Krisenerscheinung ist beendet, doch stellen die durch die Energiekrise und die durch den Krieg verursachten Schwierigkeiten dann weitere Aufgaben dar.
Wir werden nicht untätig sein, die ungarische Regierung wird auch in den kommenden Wochen, ja auch in den kommenden Jahren nicht ohne Arbeit bleiben.
Vielen Dank! Sie hörten Ministerpräsident Viktor Orbán.