Zsolt Törőcsik: Vielen Menschen ist vermutlich erst am Dienstag dieser Woche bewusst geworden, in der Nachbarschaft eines kriegführenden Landes zu liegen, als auf das Gebiet von Polen eine in der Ukraine gestartete Luftschutzrakete einschlug, dabei die Leben zweier polnischer Staatsbürger fordernd. Wir haben seitdem viel über diesen Vorfall erfahren, aber ob er eine Wende im Verlauf des Krieges bringen kann, das ist auch weiterhin fraglich. Im Studio begrüße ich Ministerpräsident Viktor Orbán. Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen!
Guten Morgen!
Was vielleicht die wichtigste Frage ist, ob wir hier Zuhause etwas zu befürchten haben, denn auch wir haben einen gemeinsamen Grenzabschnitt, wenn auch nicht eine so lange wie die Polen, mit der Ukraine.
Die Regel lautet: „Wenn es Krieg in Deiner Nachbarschaft gibt, dann kannst auch Du Dich nicht in Sicherheit fühlen.“ Du kannst Dich nicht in physischer Sicherheit fühlen, schließlich sind zwei polnische Menschen gestorben, die nichts mit diesem Krieg zu tun hatten, bzw. man hat auch jene Industrieanlage zerschossen, mit deren Hilfe wir Öl aus Russland über die Ukraine nach Ungarn holen können, d.h. nicht nur unsere physische Unversehrtheit ist in Gefahr, sondern auch die Sicherheit unserer Wirtschaft fehlt. Also die Verletzbarkeit, die Gefahren zeigt das sehr gut, was passiert ist. Feuerpause, Friedensverhandlungen. Wenn wir das fortsetzen, was wir bisher gemacht haben, dass Europa sich als ein Teil dieses Krieges betrachtet, als jemand, der involviert ist, als ob es seinen eigenen Krieg ausfechten würde, dann wird es immer tiefer in diesen Konflikt hineingezogen werden und die Gefahr, die uns bedroht, wird immer größer. Ungarns Bürger sind ja deshalb in einer besonderen Situation, denn die Front von Donezk ist ja doch weit von Ungarn entfernt, und so wie Sie das auch erwähnt haben, ist die polnisch-ukrainische Grenze eine lange Grenze, die ungarisch-ukrainische Grenze ist eine kurze Grenze, hinzu kommt noch, dass das Karpatenvorland so gut wie das einzige Gebiet in der gesamten Ukraine ist, auf das die Russen bisher noch keinen ernsthaften militärischen Schlag geführt haben.
Sie haben auch die Wichtigkeit der Feuerpause und der Friedensverhandlungen erwähnt. Sicher ist, dass die führenden Politiker der Welt sehr nüchtern auf die Nachricht vom Einschlag dieser Rakete reagiert haben – vielleicht mit Ausnahme des ukrainischen Präsidenten. Können wir aufgrund dessen den Verhandlungen und dem Frieden näherkommen?
Die Ereignisse zeigen in die entgegengesetzte Richtung. Es gibt zwar aufkommende Nachrichten darüber, dass es im Geheimen im Hintergrund russisch-amerikanische Verhandlungen gibt, Kontakt gibt es zweifellos, vorerst sehen wir kein Anzeichen dessen, dass dies substanzielle Verhandlungen wären.
Das ist ja auch deshalb interessant, denn es gibt ein Instrument, über das bereits vor etwa einem halben Jahr seine Erfinder sagten, es würde uns dem Frieden näherbringen, und das sind die Sanktionen, die die Europäische Union über Russland verhängt hat. Jetzt ist bereits mehr als ein halbes Jahr vergangen. Wie sehen Sie es, haben diese uns dem Frieden nähergebracht? Vor allem im Lichte dessen, dass hier bei den Erklärungen doch zu sehen war, dass in der Weltöffentlichkeit kaum jemand auf die Äußerungen der führenden Politiker der Europäischen Union geachtet hat, trotzdem scheint in der Sanktionspolitik die Europäische Union voranzumarschieren.
Die Sanktionspolitik ist ein Schritt in Richtung auf den Krieg. Es handelt sich also zwar um Maßnahmen wirtschaftlicher Natur, doch wenn jemand sich durch Sanktionen in einen militärischen Konflikt einmischt, dann macht er einen Schritt in die Richtung der einen kämpfenden Partei, also in Richtung des Krieges. Doch hier, wenn wir uns zurückerinnern, wie vorsichtig Europa vor einem Jahr begonnen hatte, auf welche Weise es sich im Februar dieses Jahres zum Krieg stellte, dann kann man sehen, wie die Zeit vergangen ist, immer mehr Maßnahmen sind getroffen worden, durch die auch sie selbst zu einem Teil des Konflikts geworden sind. Zuerst hieß es, wir liefern keine Waffen. Dann sagten die Länder, zumindest mehrere von ihnen, dass wir keine todbringenden Waffen liefern. Danach haben sie nachgegeben, jetzt liefern wir auch schon Vernichtungswaffen. Danach sagten sie, es werde zwar Sanktionen geben, doch würden wir sie nicht über die Energie verhängen. Es ist zu Sanktionen gekommen, doch die haben sie dann auch über die Energie verhängt. Dann stellte sich heraus, dass jetzt schon eine ganze Reihe von Ländern die ukrainischen Militäreinheiten auf dem eigenen Landesgebiet gemeinsam ausbilden. Und dann stellt sich jetzt schon heraus, dass langsam wir das Funktionieren der Ukraine finanzieren müssen. Also müssen wir, Europäer, die Voraussetzungen für das wirtschaftliche Funktionieren des im Krieg stehenden Landes aufbringen. Es ist also deutlich zu sehen, dass wir Schritt für Schritt in diesen Krieg hineinrutschen. Noch schießt man nicht auf uns, doch sind wir schon sehr nah daran, zu einer tatsächlichen kriegführenden Partei zu werden. Das ist eine sehr gefährliche Sache, die wir anstellen. Das ist eine sehr gefährliche Sache, die Europa anstellt. Wir versuchen sie zurückzuhalten, davon abzuhalten, wir sprechen die Sprache des Friedens, wir wollen eine Feuerpause, wir wollen Frieden, doch außer uns verfolgt beinahe niemand diese Richtlinie. Ich sage nicht, sie seien Schlafwandler, denn das sind doch kluge Menschen und sie sind gebildet, es steht auch ein großer Apparat an Fachleuten hinter ihnen, doch manchmal hat man das Gefühl, dass sie nicht wissen, was sie tun oder zumindest nicht in der Lage sind, weiter als bis morgen zu blicken und zu verstehen, was das, was sie jetzt tun, morgen, übermorgen, danach oder auch langfristig für eine Situation verursachen wird. Hieraus entspringt auch, dass wir uns mit den Sanktionen wirtschaftlich ruinieren. Eine Sanktion mag als eine gute Idee erscheinen und viele Menschen mögen sie auch noch als gerecht empfinden, aber am Ende stellt sich relativ schnell heraus, dass wir damit uns selbst einen größeren Schaden zufügen als den Russen, auf die wir mit diesen Sanktionen abzielten. Jetzt gibt es schon einen Sanktionsenergieaufpreis, eine Sanktionsinflation, den Abstieg der ganzen europäischen Wirtschaft verursachen die Sanktionen.
Wir werden dann noch gleich über die wirtschaftlichen Folgen dieser Situation sprechen, aber es ist sehr interessant, dass der Hohe Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik diese Woche gesagt hatte, Brüssel habe gar nicht damit gerechnet, dass die Sanktionen den Krieg stoppen werden, doch seiner Ansicht nach schwächen diese die russische Wirtschaft. Trotzdem könnte man lang und breit jene Erklärungen anderer führender Politiker der EU zitieren, als sie davon sprachen, das Ziel dieser Sanktionen sei es, den Krieg zu stoppen. Wer hat dann nun Recht?
Wenn wir uns zurückerinnern, dann ist es wie in unserem eigenen Leben. Also die Politik ist in manchen Fällen genauso wie unser Leben zu Hause. Wenn also etwas nicht gelingt, dann kann man zwei Dinge sagen. Die eine ist es, sich mit der Situation abzufinden, man wollte etwas, hat dazu die Instrumente, eine Route gewählt, es gelang nicht, es zu erreichen, man überdenkt die ganze Sache. Aber es kommt auch vor, wir können uns selbst aus unserem eigenen Leben an Dinge erinnern, als wir nachträglich beginnen, uns anders zu erinnern. Etwas ist nicht gelungen, und wir vermeiden das Gefühl des Debakels auf die Weise, dass wir es eigentlich selber nicht ernstgemeint hatten, dass wir dieses Ziel erreichen könnten. Das ist in der Politik aber sehr gefährlich, denn hier geht es doch um das Leben von Menschen, um sehr viel Geld, um die Zukunft der Nationalwirtschaften. Der Selbstbetrug hilft nicht, wir müssen also den führenden europäischen Politikern davon abraten, auf kindische Weise sich nachträglich anders an ihre Entscheidungen zu erinnern, als es in Wirklichkeit war, denn dann werden wir vollkommen unseren Kompass verlieren und in einer derart verworrenen Situation, wie dieser Krieg, ist es am wichtigsten, dass man die Richtung halten kann.
Dies wäre auch deshalb wichtig, weil die Pressenachrichten entgegen der bisherigen Debakel davon berichten, dass das neunte Sanktionspaket in Vorbereitung begriffen ist, das bereits auch schon die Atomenergie angreifen kann, oder sie kann eben in ihm zur Sprache kommen. Kann die ungarische Taktik funktionieren, wie bisher, dass wir davon eine Ausnahme erhalten, oder wird überhaupt etwas aus diesem Sanktionspaket?
Ungarn hat die Sanktionen nie unterstützt, wir haben auch nicht für sie gestimmt, wir haben in jedem einzelnen Fall für Ausnahmen gekämpft und es ist uns auch gelungen, Befreiungen zu erreichen. Und nachdem wir die Befreiung erhalten haben, haben wir nicht gegen die Sanktionen gestimmt, wir haben sie losgelassen, doch haben wir die Sanktionen niemals unterstützt und werden das auch weiterhin nicht tun. Wir sprechen also über zwei Dinge. Das erste ist, dass wir im Allgemeinen die Politik der Sanktionen für keine gute europäische Politik halten, deshalb unterstützen wir sie auch nicht. Und das andere ist, dass wenn diese Entscheidungen getroffen werden, kann sich Ungarn nicht erlauben, bei jedem Schritt sein Veto einzulegen, manchmal müssen wir die eine oder die andere Sache loslassen. Doch wenn wir sie auch loslassen, so müssen wir immer darauf bestehen, für uns doch irgendeine andere, den ungarischen Interessen entsprechende Ausnahmeregel zu erkämpfen. Das nennen wir Befreiung, deshalb hat sich Ungarn den zerstörerischsten Folgen der Sanktionen immer entziehen können, irgendeine Befreiung haben wir immer erkämpfen können. Diese Politik muss fortgesetzt werden. Die Konsultation ist auch aus dem Grund wichtig, das sind keine bequemen Situationen, wenn man dort zeitweilig allein gegenüber 26 Ministerpräsidenten kämpfen muss, oder zumindest gegenüber den lautesten, und es ist sehr wichtig, dass die jeweilige ungarische Regierung die Unterstützung der Menschen hinter sich wissen kann. Deutlich müssen wir sowohl hier zu Hause als auch die internationale Politik in Brüssel spüren, dass das, was die ungarische Regierung sagt, das sind alles nationale Interessen, denn eine ganze Nation denkt, das ist deshalb das Interesse der Nation, weil eine ganze Nation denkt, dass das Interesse dieser Gemeinschaft, unserer Gemeinschaft, der Gemeinschaft der Ungarn das ist, was die Regierung vertritt. Das hat eine Bedeutung im Laufe der Verhandlungen. Ich werde es erreichen, ich bin mir sicher, zum Preis großer Schlachten, aber ich werde erreichen, dass wenn es ein neuntes Sanktionspaket gibt, wir in den für uns lebenswichtigen Fragen dort eine Befreiung erhalten, z.B. in der Frage der Atomenergie.
Sie erwähnten, dass wir uns bisher durch diese Befreiungen den schlimmsten Auswirkungen entziehen konnten, oder Ungarn sich ihnen entziehen konnte, doch die Inflation, die Sanktionsinflation spürt ein jeder auf der eigenen Haut. Seit unserem letzten Gespräch ist der Kreis der Waren, die einem Preisstopp unterworfen sind, um Kartoffeln und Eier erweitert. Kann es gelingen, mit diesen Preisstopps und der Senkung der Nebenkosten die negative Auswirkung der Sanktionen auszugleichen?
Ausgleichen können wir sie nicht, aber mindern. Also um ganz genau zu formulieren, den Auswirkungen der für Ungarn mit einem schwerwiegenden und sofortigen wirtschaftlichen Niedergang verbundenen Maßnahmen kann es sich entziehen, davon können wir eine Befreiung erreichen. Z.B. kommt auch weiterhin russisches Gas nach Ungarn; wenn es nicht käme, würde die ungarische Wirtschaft am Morgen des folgenden Tages stehenbleiben, doch können wir uns nicht den allgemeinen europäischen Auswirkungen der Sanktionspolitik entziehen. Solch eine ist die Inflation, die die Sanktionen verursachen, das ist eine Sanktionsinflation, sie wird nicht durch einen wirtschaftswissenschaftlichen oder wirtschaftshistorischen Prozess hergestellt, diese Inflation haben politische Entscheidungen verursacht. Politische Entscheidungen, mit denen die führenden Köpfe der EU auch die Sanktionsmaßnahmen auf den Weg gebracht haben. Und die Folge dessen ist die hohe Inflation, deren Folge ist die Energiekrise, deshalb zahlen wir einen Sanktionsaufpreis für die Energie. Auch die Firmen und wir alle, auch Sie, auch ich, jeder, der im Übrigen über ein eigenes Zuhause verfügt. Also offensichtlich kann sich Ungarn hieraus folgend nicht das Ziel setzen, eine unberührbare Insel innerhalb der Europäischen Union zu sein. Es kann sich zum Ziel setzen, seine eigenen elementaren Interessen zu schützen und die Auswirkungen der schlechten Politik der EU probieren zu mildern. Wie haben einen Aktionsplan, dieser beinhaltet bisher 11 Maßnahmen. Die letzte war die Bestimmung des Preises der Kartoffeln und der Eier, also nicht der Markt entscheidet von nun an, wieviel diese Produkte kosten, sondern eine Regierungsentscheidung legt den Preis fest. Das können wir nicht für alle Produkte einführen, denn dann gehen wir zu dem System zurück, das wir Kommunismus oder Sozialismus genannt haben, und dann bricht unsere Wirtschaft zusammen, doch auf einigen lebenswichtigen Gebieten – jetzt sind wir gerade bei acht Produkten – kann man den Menschen mit solchen Maßnahmen helfen. So wie man auch mit dem Benzinpreisdeckel helfen kann, oder damit, dass jede Familie etwa 180 tausend Forint erhält, ohne dass die meisten von ihnen dies im Übrigen wüssten, über den Zweig, indem die ungarische Regierung die Politik der Senkung der Nebenkosten befolgend die monatlichen Energierechnungen erfolgreich niederdrückt, sie zurückdrängt. Wenn man den tatsächlichen Preis jener Energie bezahlen müsste, die die Familien heute verbrauchen, dann würde jede Familie um etwa 180 tausend Forint mehr monatlich bezahlen. Wenn wir es jetzt bis zu Ende denken, wie viele Familien in Ungarn die Möglichkeit haben, 180 tausend Forint mehr im Monat zu bezahlen, dann müssen wir sehen, dass es leider mehrere Millionen Familien gibt, die sich dies nicht erlauben können. Sie muss man schützen. In solchen Momenten, Verzeihung, dass ich darüber so lang rede, aber das ist, was mich beschäftigt, hat eine Regierung, auch den Ministerpräsidenten mit inbegriffen, zwei Möglichkeiten, wenn man das eigene Land in dieser Lage sieht. Die erste Möglichkeit ist, durchzuhalten, sich zusammenzuziehen, sich nicht zu bewegen, nicht herumzuzappeln, keine Maßnahmen zu treffen, da das Übel von außen kommt, zu warten, dass es vorbeigeht. Die andere Möglichkeit ist, dass man das Übel kommen sieht und man will es nicht einfach überstehen, nicht überleben, sondern das Problem bzw. die Konsequenzen des Problems lindern, und dann handelt man. Ich habe gelernt – ich habe durch drei große Krisen dirigiert: die von den Gyurcsányschen Regierungen hinterlassene Finanzkrise, danach die Migrationskrise und danach die COVID-Krise –, dass es zwar stimmt, das Übel kommt von außen, doch wenn Du erstarrst, wenn Du einfrierst, dann gehst Du kaputt. In solchen Momenten muss man sofort aktiv sein und handeln, Du musst Deine grundsätzlichen Interessen verteidigen. Das haben wir in den vergangenen zwölf Jahren getan, und jetzt verteidigen wir uns auch gegen die Inflation. Ich pflege den Regierungsmitgliedern zu sagen, dass Ungarn nicht mit sich spielen lässt, davon muss man ausgehen.
In diesem aus 11 Punkten bestehenden Aktionsplan gibt es doch auch Punkte oder Vorschläge zur Belebung der Wirtschaft. Die frischesten Wirtschaftsdaten zeigen im Übrigen, dass es noch im dritten Quartal im Vergleich zum Vorjahr ein Wachstum von 4,1 Prozent gegeben hat, das ist das Doppelte des EU-Durchschnitts, doch im Vergleich zum vorhergehenden Quartal gab es schon einen kleinen Rückfall.
Die Wirtschaft ist im Zeitraum nach COVID sehr schnell gewachsen, das ist ein großer Erfolg. Die ungarische Wirtschaft und die ungarischen Menschen haben in den Monaten nach der COVID-Krise eine sehr gute Leistung erbracht. Dann kamen der Krieg und der Sanktionszeitraum, und dies hat eine negative Wirkung auf die Wirtschaft, wir sehen die Zeichen dessen. Doch das Ziel ist, dass es nicht vorkommt, dass die Wirtschaft statt des Wachstums zu schrumpfen beginnt. Die meisten europäischen Länder werden durch diese Gefahr bedroht. Das nennen die Ökonomen Rezession, wenn das Land nicht vorausschreitet, sondern zurück, und wir würden gerne aus dieser allgemeinen europäischen Tendenz ausgenommen bleiben. Unser Ziel für das kommende Jahr ist, die Vollbeschäftigung zu bewahren, also ein jeder soll Arbeit haben, dass es ein den Durchschnitt der Europäischen Union übertreffendes Wachstum gibt, also dass wir nicht in die Rezession geraten, und wir auch unsere wichtigsten nationalstrategischen Ziele nicht aufgeben. Vereinigung der Nation, Unterstützung der Familien, in diesen Angelegenheiten wollen wir nicht nur nicht weiter nach hinten rutschen, sondern wir wollen noch positive Schritte nach vorne machen bzw. wir wollen positive Maßnahmen ergreifen. Über diese zu sprechen, wird es im Dezember einen Sinn haben. Ich möchte noch einmal unterstreichen, dass eine Denkweise und ein Gefühl sich unserer bemächtigt, nach der man wegen der Probleme die wichtigsten Ziele aufgeben müsste. Wir geben niemals wichtige nationalstrategische Ziele auf. Deshalb verkünden wir ein Fabrikrettungsprogramm, wir unterstützen die Klein- und mittleren Unternehmen, ordnen einen Preisstopp an, verordnen einen Zinsstopp. Gerade jetzt haben wir mehrere Maßnahmen gebracht, mit denen wir den Tourismus, die Gastronomie und die Unterkünfte zu unterstützen versuchen, dort hat der Staat bisher 4 Prozent ihrer Einnahmen einbezogen, diese lassen wir jetzt dort. Die Vorschläge kommen also kontinuierlich, wie wir die Situation auch für die Unternehmen und die ungarischen Menschen ertragbarer machen sollten.
Neben der Belebung der Wirtschaft, die der andere Fokus ist, und nicht nur in Ungarn, sondern weltweit, das ist die Energiepolitik. Wir haben bereits über den Treffer an einer der Transformatorenstationen der Erdölleitung „Freundschaft“ gesprochen. Deshalb pausierten einen Tag lang, im Großen und Ganzen einen Tag lang die nach Ungarn kommenden Erdöllieferungen. Die Versorgung war zwar nicht in Gefahr, aber muss man daraus auf Regierungsebene irgendeine Lehre ziehen?
Selbstverständlich, das ganze Regieren besteht aus nichts anderem, als daraus, die aus den Erfahrungen abgeleiteten Lehren zur Geltung zu bringen. Hier ist nicht nur der Treffer an der Transformatorenstation und die Lähmung der nach Ungarn kommenden Öllieferungen wichtig, sondern es lohnt sich für uns zu sehen, dass es ja in diesem Jahr Wahlen gab. Jetzt war das schon so lange her, dass wir uns beinahe gar nicht mehr daran erinnern, doch gab es Wahlen in diesem Jahr, und nach den Wahlen habe ich eine neue Regierung gebildet. Und als ich die Regierung gebildet habe, da gab es noch keine Sanktionen. Krieg gab es schon, aber Sanktionen gab es noch keine, deshalb haben wir die Regierung in einer der damaligen Situation entsprechenden Struktur, in einer solchen Arbeitsteilung aufgestellt. Doch seitdem sind die Sanktionen gekommen und es hat sich herausgestellt, dass infolge dieser die Energiekrise, die hohen Energiepreise nicht nur kurz uns begleiten werden, sondern wir werden dann mit ihnen eine längere Zeit zusammenleben müssen, und daran muss man sich anpassen, die Struktur der Regierung hierbei mitinbegriffen. Wenn also die wichtigste Sache die Energie ist, und heute ist die Energie die wichtigste wirtschaftliche und politische Frage für Ungarn, dann muss dies auch hinsichtlich des Verhältnisses der Verantwortlichkeiten innerhalb der Regierung erscheinen. Deshalb waren wir also dazu gezwungen, ich hatte keinen solchen Plan, ich hielt es auch nicht für nötig, ich hoffe, dies wird auch langfristig nicht so sein, doch jetzt benötigt Ungarn auf alle Fälle für einige Jahre ein selbständiges Ministerium für die Angelegenheiten der Energie, das die Verantwortung für die Entwicklung der Energielage trägt. Die andere Sache, die notwendig ist, ist gerade wegen der militärischen Handlungen die Stärkung der Streitkräfte, deren Schlüsselfrage die Rüstungsindustrie ist, die in Ungarn in den vergangenen dreißig Jahren beinahe vollständig vernichtet worden ist. Diese errichten wir gerade jetzt. Das ist die zweitwichtigste Aufgabe. Deshalb habe ich Herrn Minister Palkovics, mit dem ich weiß der Himmel seit wie vielen Jahren, seit mindesten acht Jahren zusammenarbeite, darum gebeten, sich an die Spitze der ungarischen Rüstungsindustrie zu stellen, und ich bin ihm dankbar, dass er diese Aufgabe übernommen hat.
Noch auf die Energie zurückkommend eine Frage, Sie sagten, eine der wichtigsten Fragen der folgenden Jahre wird es sein, und die Experten sprechen auch darüber, dass der heurige Winter in der Europäischen Union im Großen und Ganzen abgehakt ist – um es salopp zu formulieren –, doch man muss schon über den nächsten Winter nachdenken, denn dessen Versorgung ist überhaupt nicht gesichert. Wie kann man sich auf diese Situation möglichst gut vorbereiten?
Hier haben wir zwei Aufgaben. Die eine ist die, die Sie jetzt erwähnt haben, d.h. wir müssen uns auf den nächsten Winter vorbereiten. Der diesjährige Winter kann als gelöst angesehen werden, wenn man eine Jahreszeit überhaupt lösen kann. Die Situation ist also die, dass wir ausreichende Energiequellen einlagern, damit Ungarn – falls uns das Leben plötzlich von der Außenwelt trennen sollte – auch über mehr als ein halbes Jahr in der Lage ist, seine Wirtschaft und seine Haushalte so funktionsfähig zu halten, wie das auch jetzt geschieht. Also hinsichtlich der Energiesicherheit sind wir kurzfristig, in der Dimension eines halben Jahres in Ordnung. Wenn wir das Gas und die angehäuften anderen Energiequellen im Laufe des Winters auslagern, dann muss das im Frühjahr wieder nachgefüllt werden. Das ist für ganz Europa eine Herausforderung, wer seine Vorräte erneut auffüllen kann, womit man sich auf den Winter vorbereitet. Jetzt werden jene, die darauf verzichtet haben, Gas aus Russland zu holen, hier in einer schwierigen Situation sein, denn sie müssen dies dann von woanders ersetzen. Wir sind in einer leichteren Situation, weil wir die Befreiung für uns erkämpft haben. Es kann auch nicht anders sein, denn wir sind ein Land, das über keine Meeresküste verfügt, hierher kann man also Gas nur über Pipelines einführen. Dementsprechend haben wir unsere Interessen durchgesetzt, deshalb werden wir im Frühling, wenn der Südstrom funktioniert, und wir müssen ihn mit allen Mitteln schützen, damit er funktioniert, dann können wir aus südlicher Richtung die Lager auffüllen, und wir werden unseren nächsten Winter auch entlang einer klaren und deutlichen Strategie lösen. Die anderen Länder Europas werden in einer schwierigeren Lage als diese sein. Doch inzwischen gibt es auch eine andere Aufgabe, denn inzwischen sind die Preise im Himmel. Man muss also nicht nur dafür sorgen, dass wir Energie haben, sondern auch dass ihr Preis bezahlbar ist. Wenn wir die Energie aus dem Ausland erhalten, dann können wir auf deren Preis nur einen geringen Einfluss ausüben, man muss also in den kommenden Jahren die Menge der aus eigener Kraft hier zu Hause hergestellten Energie erhöhen. Das ist die andere Aufgabe von Herrn Minister Csaba Lantos, ihn habe ich nämlich gebeten, sich an die Spitze der ungarischen Energieangelegenheiten zu stellen, die politische Verantwortung dafür zu übernehmen, die wichtigsten Entscheidungen zu treffen, diese der Regierung vorzulegen. Meiner Ansicht nach wird er dieser Aufgabe auch Herr werden.
Gestern gab es im Ausschuss für die Nationale Sicherheit die erste Anhörung der Berichte in der Angelegenheit der Finanzierung der linken Parteien aus dem Ausland, was man aus der Presse als „die rollenden Dollars“ kennt. Máté Kocsis, der Fraktionsführer des Fidesz sprach danach davon, dass dies der schwerwiegendste Skandal seit dem Systemwechsel ist. Das sind aber schwerwiegende Worte, und Máté Kocsis hat auch die Aufhebung der Einstufung des Materials als geheim beantragt. Unterstützen Sie das?
Wir untersuchen den Fall. Erlauben Sie mir, jetzt mich noch nicht über die Aufhebung zu äußern, ich muss mir auf jeden Fall die Meinung des für die Geheimdienste verantwortlichen Ministers, vielleicht auch die der Leiter der die geheimdienstliche Arbeit versehenden Institutionen anhören. Eine Sache ist aber gewiss, wir haben gute Gründe, um erschüttert zu sein. Das ist also keine komplizierte Angelegenheit, man darf – obwohl auch geheimdienstliche Begriffe auftauchen –, man darf sie nicht mystifizieren oder verkomplizieren. Die Situation ist einfach. Die Situation ist, dass in dem Zeitraum vor den Wahlen in Ungarn, ja, es scheint so, als ob auch noch nach den Wahlen, ein Teil der um das Vertrauen der Ungarn bittenden politischen Parteien, die linken Parteien und deren Anführer aus dem Ausland bezahlt worden sind, vielleicht auch bezahlt werden. Nicht mit murmelgleichen Summen, sondern es geht hier um auch mit dem freien Auge gut sichtbare Summen, tatsächliche Dollarmillionen, also mit großen Summen. Und hier muss man eine einfache Frage stellen. Es gibt die Frage der Legalität, also dass dies meiner Ansicht nach illegal ist, doch das werden dann die Juristen entscheiden. Doch gibt es auch eine andere, nicht juristische Frage. Wenn ein politischer Führer, der auch noch der Führer des Landes sein möchte, und die politische Partei, die sich an die Spitze des Landes stellen wollte, aus dem Ausland Geld annimmt, was haben sie dafür versprochen? Geld bekommt man nicht umsonst. Das kommt nicht vor, dass irgendein bedeutender ausländischer Kapitaleigentümer oder ein anderer Staat von jemandem gerührt ist und nur so, zum Geschenk Geld gibt. Wenn Geld gegeben wird, dann bittet man dafür um etwas. Das ist eine alte Sache, das weiß jeder ungarische Mensch, dass wer den Musikanten bezahlt, der bestellt das zu spielende Lied. Die Frage ist, von woher man das Lied bestellt hat, wer dafür gezahlt hat und was musste man vollbringen. Sicher ist, und das kann ich mit prinzipieller Schärfe feststellen, dass es den nationalen Interessen Ungarns entgegengesetzt ist, dass man sich aus dem Ausland in unsere Wahlkämpfe auf die rüde Weise einmischt, dass einzelne am Wahlkampf teilnehmende Akteure, Personen und Parteien aus dem Ausland bezahlt werden. Das ist nicht nur moralisch falsch, sondern damit werden die ungarischen Bürger übers Ohr gehauen, die glauben, sie würden ihre Stimme auf eine souveräne, über eine Integrität verfügende Partei und deren Anführer abgeben, die ihr eigener Herr sind, die keine geheime Verbundenheit besitzen, die sie daran hindern könnten, im Laufe ihrer Arbeit den Interessen des Landes zu dienen. Im Fußball hat man dieses Problem ja bereits gelöst, ich betrachte das Trikot einer Fußballmannschaft, dann sind da die Sponsoren angegeben, und ich weiß, wer hinter der Mannschaft steht. Die Linke hat sich diese Praxis noch nicht angeeignet. Das ist ein Fehler.
Über die Sanktionen der EU, die ungarische Wirtschaft, die Energiepolitik und über die Affäre der rollenden Dollars befragte ich in der vergangenen halben Stunde Ministerpräsident Viktor Orbán.