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Viktor Orbáns Interview in der Sendung „Sonntagszeitung” „Vasárnapi Újság” von Radio Kossuth

Katalin Nagy: Was glauben Sie, können wir mit dem Virus Schritt halten? Ich frage das auch aus dem Grund, weil immer wenn wir uns ein bisschen beruhigen würden, gibt es immer ein-zwei Falschmeldungen oder Sensationsmeldungen über bestimmte Zahlen und es wird gedroht.

 Guten Morgen, ich begrüße die Zuhörer! Wir haben einen schwierigen Zeitraum hinter uns und uns steht ein schwieriger Zeitraum bevor. Wir haben schon genug vom Virus, aber das Virus hat nicht genug von uns. Es will uns, es greift an, infiziert, auch schneller als früher. Und der Ausgangspunkt ist unverändert, solange es keinen Impfstoff gibt, kommt die Hauptrolle der Verteidigung zu. Und die Verteidigung erfolgt stufenweise, so wie sich die Lage schwieriger gestaltet, eröffnen wir immer weitere Krankenhäuser und stellen an die Betten immer weitere Ärzte und Pfleger. Wenn die Frage die ist, ob wir Schritt halten können, dann lautet die Antwort „ja“. Das ist eine mathematische Formel. Obwohl es hier um menschliche Dinge geht, aber auch die Mathematik spielt eine Rolle, weil wir das Maß der maximalen Belastung zu bestimmen versuchen. Hierbei benötigen wir die sich mit der medizinischen Wissenschaft und in Verbindung damit mit der Mathematik beschäftigenden Experten, die in Ungarn im Übrigen von Weltniveau sind, ich empfinde uns also im geistigen Sinn so ziemlich in Sicherheit, und sie können uns sagen, mit welcher Infektion welche Belastung in der Versorgung geknüpft ist. Sie sagen, die als anzunehmende größte Belastung gilt, wenn gleichzeitig 200 hundert tausend Menschen in Ungarn infiziert sind, und dazu gehören 16 tausend Krankenhausbetten, denn von den 200 tausend dürften so viele auf eine Behandlung im Krankenhaus angewiesen sein, und dazu gehören 800-1.000 Beatmungsgeräte, und dazu ebenso Pfleger und Ärzte, wie es die fachlichen Vorschriften festlegen. Die Regierung hat entschieden: Wenn die Wissenschaftler das sagen, dann muss man das ernst nehmen, deshalb haben wir den Einsatz sofort auch verdoppelt, da wir glauben, selbst Wissenschaftler können sich irren, und wenn sie die Zahl zu niedrig schätzen, dann wird es Probleme geben. Wenn also laut des wissenschaftlichen Standpunktes die Spitzenbelastung 200 tausend beträgt, dann rechnen wir mit 400 tausend, mit 400 tausend gleichzeitig infizierten Menschen, dazu gehören auch 32 tausend Krankenhausbetten, und Pfleger und Ärzte in entsprechender Zahl. Jene, die im Übrigen jetzt dort nicht zur Verfügung stehen, müssen dirigiert werden, also ist die Situation der Ärzte und Pfleger heute äußerst schwierig. Wir denken mit Dankbarkeit im Herzen an sie, wir schulden ihnen Dank, denn man muss sie aus einem Teil des Landes in einen anderen dirigieren, und das ist eine sehr schwierige Situation, besonders für jene Menschen, die eine Familie haben. Ich sage nicht, sie würden murren, doch ist niemand glücklich. Doch kann ich Ihnen nur sagen: So lange es keinen Impfstoff geben wird und sich die Epidemie im aufsteigenden Ast befindet, sind die Umorganisierungen unvermeidlich.

Die Ärzte legen einen Eid ab, doch zugleich freuen sie sich, wenn ihre Arbeit anerkannt wird. Gerade deshalb hat ja die Regierung im Sommer den Ärzten eine einmalige Vergütung von fünfhundert tausend Forint zukommen lassen. Jetzt hören wir aber, dass in dieser Woche im Namen der Regierung Innenminister Sándor Pintér und Miklós Kásler, der Leiter des Ministeriums für Humanressourcen, mit den Leitern der Ungarischen Ärztekammer verhandelt haben, dann haben wir gehört, Sie hätten gestern im Karmeliterkloster die Leiter der Kammer empfangen. Eine Vereinbarung ist zustande gekommen, was beinahe unglaublich ist.

 Schauen Sie, ich leite alles, selbst die Gehaltserhöhung für die Ärzte, von der Virusepidemie ab. Wir haben also die erste Welle gut abgewehrt, und das haben die Ärzte und die Krankenschwestern gut ausgehalten. Die zweite Welle wird länger dauern und sie wird – meiner Meinung nach – auch schwieriger sein, und das werden sie im Rahmen des gegenwärtigen Systems nicht mehr aushalten. Sie werden also ihre Pflichten nicht mehr erfüllen können, wenn die Dinge so bleiben, wie sie sind, deshalb müssen wir im Interesse der Verteidigung gleichzeitig Schritte zur Umorganisierung durchführen und ihre Belastungsfähigkeit erhöhen. Und es gibt hier natürlich auch eine historische Schuld, nach dem Systemwechsel hat sich niemand ein Herz gefasst, um ein funktionsfähiges System zu schaffen, sondern wir haben immer nur hier und da nachgebessert, geflickt, aber so ist eben die Armut, man freut sich schon, wenn man die Lecks am Boot zustopfen kann, und man denkt nicht an ein neues Schiff. Jetzt habe ich das Gefühl gehabt, die Krise liefert eine Begründung von doppeltem Gewicht, um gerade jetzt diese Frage hervorzunehmen, also die der Ärztegehälter, denn wenn wir möchten, dass wir uns auch im Weiteren so gut verteidigen können sollen, wie wir uns in der ersten Phase verteidigt hatten, in der das ungarische Gesundheitswesen eine Leistung von Weltniveau gezeigt hat – sie haben besser verteidigt, als dies in den meisten westlichen Ländern die im Gesundheitswesen Arbeitenden und die Systeme des Gesundheitswesens getan hatten –, wenn wir das also erneut wiederholen möchten, dann gibt es dafür Vorbedingungen, und die Ärztekammer hat Vorschläge. Sie bombardieren uns mit diesen übrigens schon seit Monaten. Es gibt eine neue Ärztekammer, sie haben vor kurzem ihr Amt angetreten. Ein neuer Besen kehrt gut, und sie hatten auch schon früher Vorschläge, die kaum von den jetzigen abwichen, sie vertreten also einen ziemlich konsistenten fachlichen Standpunkt. Es gab auch eine große Debatte innerhalb der Regierung, ob jetzt, da das Virus die Arbeitsplätze zerstört, und die Arbeitsplätze müssen geschützt werden, wir befinden uns also nicht im Zeitraum der Gehaltserhöhungen, sondern die wichtigste Aufgabe ist der Schutz der geschaffenen Arbeitsplätze und des früheren Lohnniveaus, im Fall der Familien ist der Schutz des bereits erreichten Lebensniveaus die wichtigste Aufgabe, und wenn das wahr ist, ob es dann nicht dem entgegengesetzt ist, wenn wir jetzt bei einer Gruppe eine besondere Lohnregulierung durchführen. Und wenn das Virus nicht wäre, würde ich sagen, dies sei ein logischer Gedanke, dass man sich in der Zeit der wirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht auf die Lohnerhöhungen, sondern auf die Bewahrung der Arbeitsplätze konzentrieren muss, doch ist die Wahrheit, dass man hier anders denken muss, und ich habe jenen zugestimmt, die sagten, der geeignete Moment sei jetzt gerade hier. Also dass die Epidemie nicht gegen eine groß angelegte Lohnregelung spricht, sondern eher für sie, denn jetzt ist der Zusammenhalt notwendig. Das ist der Moment, in dem wir in den Gehältern der Ärzte eine durchschlagende Verbesserung erreichen müssen, und wenn wir zusammenhalten, dann wird das gemeinsam erneut gelingen. Das ist meine Logik. Natürlich wird es hier noch viele Detailfragen geben. Gestern hatte ich also eine ausgesprochen auf Vertrauensbasis geführte Unterredung mit der Ärztekammer. Noch ist nichts verdorben worden, soweit ich es sehe, aber es werden dann noch viele verzwickte und komplizierte Fragen auf die Tagesordnung kommen. Jetzt wird es also eine Gehaltserhöhung mit großer Durchschlagskraft geben, wir werden das System der Parasolvenz auf die Weise beenden, wie das die Ärztekammer vorschlägt, doch wird es noch zahlreiche Detailfragen geben, die wir im kommenden Zeitraum werden regeln müssen. Und wenn wir uns gut zusammenraufen, dann wird es uns vielleicht auch bis zum Januar gelingen, alle wichtigen Fragen zu beantworten. Das Gesundheitswesen ist ein kompliziertes System, wenn man eine Schraube anzieht, dann muss man die anderen Schrauben auch hieran anpassen. Doch hat mich eine Sache beruhigt, nämlich dass sich die Ärztekammer in einem guten Zustand befindet. Dies ist aus dem Grund wichtig, weil die Entscheidungen zwar die Regierung treffen muss, doch besitzt nur ein Teil der Entscheidungen im Gesundheitswesen einen juristischen Charakter, ein anderer Teil ist moralischer Natur, eine Frage der ärztlichen Ethik. Und davon versteht die Regierung nichts, davon verstehen die Ärzte etwas. Und die Fragen der ärztlichen Ethik, der ärztlichen Moral, die gehören seit Menschengedenken, schon vor dem kommunistischen System, schon immer zur Kammer, zur Ärztekammer. Wenn wir also eine Ärztekammer haben, die in guter Verfassung ist, dann erhalten wir gute Antworten auf die Fragen der ärztlichen Ethik, was vom Gesichtspunkt der Menschen aus, die die Kunden, die Kranken sind, am wichtigsten ist, dass die Dinge aus der Sicht der ärztlichen Ethik geordnet laufen. Und dafür sehe ich jetzt gute Chancen.

Bedeutet dies eine Verdopplung der Gehälter oder 120%? Das interessiert sicherlich viele Menschen.

Ich werde jetzt die Zuhörer nicht damit langweilen, was für verworrene Zustände es in dem vergangenen Zeitraum gegeben hat, doch ist es eine Reihe von undurchsichtigen juristischen Situationen und ein Vertragsdschungel, durch den hindurch das Gesundheitswesen arbeitet, dass es sehr schwer ist, genaue Zahlen zu nennen. In einem einzigen Krankenhaus kann es vorkommen, dass gleichzeitig Ärzte in acht verschiedenen Formen von Anstellungsverhältnis arbeiten. Als ich im Frühling mit dem Besuch der Krankenhäuser begann, was ich auch jetzt im Herbst fortsetze, war ich damit konfrontiert und sehe mich auch seitdem damit konfrontiert, dass wenn ich – überraschungsartig, es gibt also kein Papier und keine Statistik – in ein Krankenhaus gehe, und den überraschten Arzt frage: „Wie viele Ärzte arbeiten hier?“, da fragt er mich: „Wie meinen Sie das?“. „Nun“, sage ich, „wie viele sind hier bei Ihnen angestellt?“ Er antwortet: „Zwei sind hier angestellt.“ „Und die anderen Ärzte?“, frage ich. „Die sind mit einem Vertrag, auf Ausleihe, so und anderswie.“ Und alle diese Formen besitzen eine andere rechtliche Grundlage. Das System ist also nur schwer durchschaubar, weshalb wir jetzt eine einheitliche rechtliche Grundlage schaffen, ein Rechtsverhältnis im Gesundheitswesen. Wir schaffen also für die in staatlich finanzierten Institutionen, für die in durch die Kirche finanzierten Institutionen und die in den durch die kommunalen Selbstverwaltungen finanzierten Institutionen Arbeitenden ein Gesundheitswesensarbeitsverhältnis, ein spezielles einheitliches Regelsystem, damit die Situation genau überblickbar bleibt. Wie das mit den Gehältern zusammenhängt? Ich kann Ihnen das jetzt also genau sagen, wie viel Geld der ungarische Haushalt in einem Jahr für die Gehaltserhöhung der Ärzte überweist. Natürlich überweist auf einem anderen Zweig auch die Gesundheitskasse Geld, doch ich sehe den Haushalt, und ich stehe zu dem Finanzminister in einem Verhältnis, dass ich tagesaktuelle Zahlen erhalten kann. Jetzt wird sich die Summe, die aus dem Haushalt kommt, verdoppeln. Dies bedeutet also unter Beachtung der Gehaltstabelle der Ärztekammer, dass wenn bisher ein Assistenzarzt, sagen wir, um dreihundert tausend Forint verdient hat, dann wird er jetzt sechshundert tausend verdienen. Und wenn jemand bisher, sagen wir, sechshundert tausend Forint verdient hat, als ein seit zehn Jahren praktizierender Arzt, oder siebenhundert tausend, dann wird er jetzt eine Million und dreihunderttausend, eine Million vierhundert tausend erhalten. Man kann also von einer Verdoppelung sprechen, doch möchte ich einen jeden vor den Prozenten und den Zahlen warnen, denn nicht jeder Arzt wird auf die gleiche Weise von der Veränderung betroffen sein. Manche werden mehr profitieren, andere werden weniger profitieren, ich möchte also keine Zahl nennen, die man im Nachhinein dann zu Recht von mir einfordern könnte. Ich möchte nur sagen, dass es keine einheitliche Zahl gibt, wir haben die durch die Ärztekammer ausgearbeiteten Vorschläge aufgenommen.

Die Europäische Kommission hat in dieser Woche die Landesberichte zur Rechtsstaatlichkeit veröffentlicht. Frau Justizministerin Judit Varga formulierte dahingehend, dass dieser Bericht absurd und unwahr sei. Wie bewertet Viktor Orbán diesen Rechtsstaatlichkeitsbericht?

Die Frau Justizministerin ist eine Dame, deshalb ist sie zurückhaltender. Was ich denke, darf ich aber nicht aussprechen, also werde auch ich sehr zurückhaltend sprechen. Ich würde eher sagen, die Reihenfolge der Ereignisse zeichnet vor uns das Gesamtbild ab. Die Kommission hat also wieder einen Ordnungsplan für die Migration aufgestellt, über den es sich recht schnell herausgestellt hat, dass er für die Visegráder Vier, so auch für Ungarn in dieser Form nicht akzeptabel ist. Danach hat die stellvertretende Präsidentin der Kommission, also eine ihrer führenden Persönlichkeiten, Ungarn rüde angegriffen, ich muss sagen, ganz bis auf die Ebene der Beleidigung. Und wir haben uns gar nicht durch den oft zitierten Satz angegriffen gefühlt, der da sagt, in Ungarn gebe es eine kranke Demokratie, denn solche Dinge pflegen sie im Übrigen zu sagen, und auch nicht die gegen mich gerichteten Attacken sind hier interessant, denn über mich pflegt man auch noch Schlimmeres zu behaupten, ich bin daran gewöhnt, das interessiert mich nicht besonders, aber sie sagte auch, die ungarischen Menschen seien nicht in der Lage, sich eine selbständige Meinung zu bilden. Sie hat die Ungarn zu Minderbemittelten erklärt. Also das geht nicht! Es gibt eine rote Linie. Eine leitende Persönlichkeit der Europäischen Union darf nicht respektlos über die Bürger auch nur eines einzigen Landes der EU sprechen. Auch über die Ungarn darf man so nicht sprechen. Wenn sie dies in einem Zusammenhang mit Frankreich oder Deutschland gesagt hätte, hätte man sie eine Minute später gefeuert. Sie werfen sie nur aus dem Grund nicht hinaus, weil man das mit den kleineren Ländern, mit den Ungarn machen kann. Doch wir können das nicht akzeptieren. Wir wollen eine Gleichbehandlung. Also kann man uns ebenso wenig beleidigen wie man auch die Deutschen und die Franzosen nicht beleidigen kann. Nur weil sie größer sind, bedeutet das nicht, dass wir mehr aushalten müssten. Nachdem die Frau Kommissar Ungarn angegriffen hat, haben sie einen Bericht herausgegeben, den ich als einen Soros-Bericht betrachte, denn von den angegebenen Quellen, wenn ich mich richtig erinnere dann sind es von 13 insgesamt 12, stammen von Organisationen, die durch George Soros finanziert werden. Ich kann diesen Bericht also als nichts anderes betrachten denn als einen offenen und koordinierten Angriff, und wir halten ihn auch nicht für annehmbar. Wir empfehlen also unsererseits der Kommission, sie solle ihre Kräfte besser einschätzen und auch die vor Europa stehenden Herausforderungen besser überblicken. Ganz Europa leidet unter einem Virus, einer Pandemie, einer Viruspandemie. In allen Ländern verschlechtern sich die Zahlen. Wir haben heute eine einzige wahre Aufgabe, das ist die Verteidigung, damit wir die Gesundheit, die Sicherheit und die Arbeitsplätze der Menschen verteidigen können. Nun, hierauf müsste man sich konzentrieren. Stattdessen greifen sie die Mitgliedsstaaten an, holen erneut die Frage der Migration heraus, generieren unverständliche rechtsstaatliche Diskussionen, wo wir doch eine einzige Aufgabe hätten, nämlich die Pandemie in Europa zu stoppen.

Auf dem europäischen Gipfel haben Sie bei der Kommissionspräsidentin zur Sprache gebracht, dass Sie einen Brief geschrieben hatten. Haben Sie eine Antwort auf diesen Brief erhalten, in dem Sie sagten, Ungarn weise diese Beleidigung zurück, und Sie darum baten, Vera Jourova ihres Amtes zu entheben.

Ich habe einen Brief geschrieben, und ich habe noch keine Antwort auf ihn erhalten. Dort in der Kommission, auf den Plenarsitzungen, da sitzen wir über zwanzig Personen zusammen, dort ist es nicht elegant, wenn ein Land die Gespräche mit seinen eigenen persönlichen Beschwerden belastet.

Und gelang es Ihnen nicht, unter vier Augen mit Frau von der Leyen zu sprechen?

Ich habe versucht, dies zu vermeiden, ich warte die offizielle Antwort ab. Wenn ich einen Brief bekommen haben werde, dann werde ich es einrichten. Das ist die wünschenswerte Reihenfolge der Ereignisse.

Sie erwähnten, die Beleidigung sei von Vera Jourova gekommen. Wenn wir uns aber die Tonlage in dem gleichen Themenkreis ansehen, danach meldete sich eine der Vizepräsidentinnen des Europäischen Parlaments zu Wort bzw. sie gab ein Interview. Jene Dame, die sagte, im Grunde müsste man Ungarn und Polen finanziell aushungern. Das Sahnehäubchen ist ja nur, dass – nachdem die Empörung ausgebrochen war – der Deutschlandfunk die Worte zurückgezogen hat und sie sagten, sie hätten sie verfälscht, denn die Frau Vizepräsidentin habe im Grunde ja nur gesagt, man müsse Viktor Orbán aushungern.

Und mit mir darf man das tun?

So ist es. Und das Dritte ist, dass in der LIBE-Kommission eine liberale Abgeordnete, Sophie in ‘t Veld einfach sagte, dass der Europäische Rat, also Sie, die Regierungs- und Staatsoberhäupter sollten ihren Mund halten. Seit wann ist denn dieser Stil im Europäischen Parlament akzeptiert?

Das ist eine kurze Sendung, also sind lange historische Ausführungen zu vermeiden, aber ich muss trotzdem sagen… Also als ich vor dreißig Jahren Parlamentsabgeordneter geworden bin und ich vor dreißig und einigen Jahren hier eingestiegen bin in die – nennen wir es so – oppositionelle Organisierung gegen die kommunistische und sowjetische Besatzung, war unser Beruf einer der spannendsten intellektuellen Metiers. Das war eine geistige Beschäftigung. Über die Zukunft nachdenken, Lösungen suchen, verstehen, was die anderen sagen. Wenn sie etwas anderes sagen als wir, warum denken sie dann anders? Ob man im Zeichen des Zusammenhaltes die verschiedenen Gedanken miteinander vereinbaren kann? Es ging um Programme, es war also ein intellektuelles Metier. Natürlich gab es darin auch Boxen und Kritik und natürlich gibt es die Wähler, und man muss dort auf die Bühne hinausgehen, und dort gibt es theatralische Elemente, es hat sie schon immer gegeben. Doch das Wesen unseres Berufs war doch geistiger Natur. Und wenn ich betrachte, wohin wir von vor dreißig Jahren bis auf den heutigen Tag gekommen sind, dann muss ich sagen, dass unser Beruf in der westlichen Welt in keinem guten Zustand ist. Die Debatte der amerikanischen Präsidentschaftskandidaten war nicht aus Pappe, um es so zu formulieren. Ich würde keine anderen Länder qualifizieren wollen, aber trotzdem, wenn sich das jemand angeschaut hat, dann wurde er vielleicht ein bisschen überrascht. Das war nicht immer so. Und auch das Europäische Parlament war kein so gewöhnlicher, vulgärer, abstoßender Ort, wie ihn jetzt einige Menschen zeigen oder zu welchem sie ihn machen. Die Europäische Union ist ja die Assoziation der freien Nationen. Wie kann jemand, vor allem mit den historischen Präzedenzfällen hinter dem Rücken, wie jene, über die Deutschen verfügen, sagen, wir werden dann jetzt einige Länder aushungern? Das ist zwar an sich schon ein Problem, aber meiner Ansicht nach ist es noch viel aufschlussreicher, was danach geschehen ist. Nachdem die Ungarn und die Polen protestiert hatten, hat man uns ganz einfach als Tölpel, als Schwachsinnige angesehen, sie sagten, das habe gar nicht die Frau gesagt, die Vizepräsidentin, sondern wir, die Zeitung, haben es verfälscht. Also nein, so etwas haben wir in der Zeit von Rákosi gesehen, nicht wahr? Als man Selbstkritik übend, sich öffentlich das Hemd zerriss, und sagte: „Nein, nicht die Politikerin ist schuld, sondern wir sind schuld.“ Was für Zustände herrschen in jenem Land hinsichtlich der Demokratie und der Pressefreiheit sowie des Medienpluralismus? Ich muss also sagen, die gesamte europäische Politik ist in keinem guten Zustand, und dessen Manifestationen sehen wir jetzt. Das ist eine spannende Frage, warum sie in keiner guten Verfassung ist. Denn hierbei spielen nicht nur menschliche Fehler eine Rolle. Zweifellos gibt es auch Charakterschwächen. Die Auftriebskraft hinter dem Ganzen ist in Wirklichkeit, dass sich in den vergangenen zwanzig-dreißig Jahren eine Umordnung in der Weltwirtschaft vollzogen hat, auf die die westliche Welt nicht vorbereitet war. Die Finanzkrise 2007-2008-2009 war die erste öffentliche und unleugbare Äußerung dessen. Doch damals sagten viele Stimmen, es gehe nicht darum, dass sich die in der Welt eingenommenen Positionen der westlichen Wirtschaften verändert hätte, sondern dies sei nur so eine konjunkturelle Krise, die kommen und gehen, das pflegt im Kapitalismus so zu sein. Wir waren die einzigen, die auch schon damals sagten, wir sollten darüber nachdenken, das ist vielleicht nicht einfach die gewohnte konjunkturelle Krise, sondern die Folge einer Neuordnung der Kräfte in der Welt, deren Wesen darin besteht, dass die Westler – darin auch Ungarn mit inbegriffen – ihren Anteil von der großen Torte, die wir Weltwirtschaft nennen, bisher genommen haben, doch sind Veränderungen geschehen, als deren Ergebnis der Anteil, den wir uns nehmen können, kleiner geworden ist. Wenn der auf die westliche Welt entfallende Anteil kleiner ist, bekommt jedes westliche Land weniger. Wenn sie weniger bekommen, dann bedeutet dies, dass es wirtschaftliche Schwierigkeiten geben wird, denn die Wirtschaft muss umorganisiert, die Herstellung muss wettbewerbsfähiger gestaltet werden, es kann zu Arbeitslosigkeit kommen, man muss vielleicht mehr arbeiten, man muss vielleicht anders arbeiten, vielleicht werden Umschulungen notwendig werden, vielleicht muss man sich anpassen. Wir sollten uns lieber damit beschäftigen, wieder jenen Anteil an der Weltwirtschaft zurückzugewinnen, den die westlichen Wirtschaften im Übrigen bisher als ihren eigenen wussten. Aber das ist nicht geschehen, sondern ganz andere Dinge sind passiert, dieser Anteil hat kontinuierlich abgenommen. Ich nenne Ihnen jetzt eine Zahl, eine ungefähre Zahl. Soweit ich mich erinnere trug vor – sagen wir – etwa zwanzig Jahren zur Gesamtleistung der Welt die Europäische Union mit etwa 24-25% bei. Heute mit 15. Nun ist dies der Druck, den die Politiker verspüren, denn die Dinge laufen zu Hause nicht in Ordnung. Es gibt zu Hause Spannungen, das Lebensniveau stagniert. Es gibt Orte, wo es abnimmt. Es gibt ja Länder in Europa, deren Staatsverschuldung 150-160% ihrer Gesamtjahresleistung entspricht. Nun kann es ja sein, dass das Dach noch nicht eingebrochen ist, doch liegt auf ihm so viel Schnee, dass es früher oder später einbrechen wird, denn es gibt kein Gebälk, welches das aushalten würde. Es handelt sich dabei also um solche Berichte, und dies bedrückt die europäischen Politiker, und anstatt entsprechend den intellektuellen Regeln des Berufs die Wurzeln des Übels zu identifizieren, die Ursachen zu benennen, Pläne auszuarbeiten, damit wir aus dieser schwierigen Lage herauskommen, fallen die Menschen einander an, fallen die Länder einander an und fallen die Nationen einander an. In solchen Situationen wäre es die Aufgabe der führenden Persönlichkeiten der europäischen Institutionen, wie diese brave tschechische Frau und die anderen, es wäre ihre Aufgabe, dies erkennend das System zu kühlen, die Zusammenarbeit zu formen, den Mitgliedsstaaten zu helfen, damit diese die schwierigen Situationen überwinden. Aber sie tun dies nicht, sondern attackieren sie mit der Migration, dem Soros-Bericht, beleidigen sie. Die EU-Bürokraten machen also genau das Gegenteil dessen, was im Übrigen in solch einem zivilisatorischen Weltmoment die europäischen Führer machen sollten.

Sie haben auf den Gipfel der Europäischen Union gerade im Interesse dessen einen Vorschlag mitgenommen, dass wenn sich die Diskussionen über die Rechtsstaatlichkeit sehr in die Länge ziehen sollten, dann dies kein Hindernis dafür sein sollte, dass die Wirtschaftshilfe rechtzeitig dort ankommt, wo sie ankommen soll, in Bezug auf die europäischen Staaten. Wie hat man diesen Vorschlag aufgenommen?

Diskussionen der Länge und der Kompliziertheit einer Wasserschlange werden gegenwärtig noch über diese Fragen geführt, und es liegen viele Vorschläge auf dem Tisch. Die ungarische Situation, von der aus wir auf die Vorschläge zum Umgang mit der Finanz- und Haushaltskrise blicken müssen, ist eine recht eigentümliche, denn die ungarische Wirtschaft steht ja auf guten, also auf festen Füßen. Auch jetzt kann man sehen: So viele Arbeitsplätze das Virus auch zerstört, wir sind in der Lage, so viele zu schaffen, das heißt wir sind wettbewerbsfähig. Wir freuen uns nicht über die Methode der Krisenbewältigung, die sich die Europäische Kommission ausgedacht hat, mit der Führung der Deutschen übrigens, oder mit deutsch-französischer Kooperation. Sie sagen, diese Krise werden wir auf die Weise überstehen, indem wir gemeinsam einen großen Kredit aufnehmen. Das gefällt uns nicht, das ist also für uns nicht gut. Denn wir werden zwar jetzt einige gute Jahre haben, wenn wir sie denn haben werden, bis 2027, denn bis dahin werden wir das Geld aufnehmen und ausgeben. Und beginnend mit 2027 werden wir dies über dreißig Jahre zurückzahlen. Das nennt man den Next Generation Fonds, also den Nächste Generation Fonds. Was sie als positive Sache gedacht hatten, aber in Wirklichkeit ein sich selbst entlarvendes Wort ist, denn hier geht es darum, dass sie das Geld zurückzahlen werden. Wir geben es jetzt aus, und sie werden es dann zurückzahlen. Unsere Verantwortung ist also gewaltig, ob dies verwirklicht wird, und wenn ja, ob wir das Geld richtig ausgeben. Aber uns gefällt der gesamte Pfad nicht, das ungarische Parlament hat also in seinem letzten Beschluss exakt formuliert, dass wir von uns aus nicht in diese Richtung schreiten, die Krise nicht auf diese Weise managen würden. Doch gibt es zugleich in der Europäischen Union Wirtschaften, die sich in einer solch miesen, derart schwierigen Lage befinden, die sofort Geld brauchen, und wenn sie nicht sofort Geld erhalten, selbst wenn es Kredite sind, dann könnten sie erschüttert werden. Ich nenne jetzt keine Ländernamen, aber es gibt mehrere solcher Länder. Deshalb sagt Ungarn: „In Ordnung, uns gefällt zwar diese Form des Umgangs mit der Krise nicht, doch sind wir im Zeichen der europäischen Solidarität bereit, daran teilzunehmen. Und wenn wir schon daran teilnehmen, dann möchten wir aber eine faire Behandlung erleben.“ Das ist die ungarische Position. Nun sind jetzt wieder alle möglichen Debatten hervorgekommen, die, ich nenne jetzt wieder keine Namen von Ländern, einige als sparsam bezeichnete Länder bilden eine Gruppe, das ist die Gruppe der Sparsamen, die deutlich erkennbar jetzt Dinge sagen, die die ganze Sache vereiteln können. Hierauf sagen wir, wenn es gemeinsam vereitelt wird, dann sollen jene, die diesen Kredit benötigen, sich zusammentun und ihn aufnehmen. Dies bezeichnet man im Übrigen als eine Lösung auf zwischenstaatlicher Ebene. Das, was sie jetzt tun, nennt man institutionelle, also unter Einbeziehung der europäischen Institutionen erfolgende Krisenbewältigung. Wenn das nicht geht, dann kann man das auf zwischenstaatlicher Grundlage verwirklichen, wenn nicht alle daran teilnehmen. Das ist der allerletzte Fall. Ich würde mich freuen, wenn man das vermeiden könnte, doch wenn das eintritt, dann ist das vom ungarischen Gesichtspunkt nicht im Mindesten eine Tragödie, denn dann können wir auf einem anderen, meiner Ansicht nach gesünderem Weg losgehen. Jedoch wird eine zwischenstaatliche Lösung keine so gute Lösung im Fall zahlreicher europäischer Länder sein, die in Problemen stecken, wie es mit einer institutionellen Lösung sein könnte. Sicherlich spüren das auch die Zuhörer, welch komplizierte, schwierige Angelegenheit das ist. Einen ansehnlichen Teil meiner Zeit, meiner Energie und der Zeit und der Energie der Regierung nehmen jetzt diese europäischen Debatten in Anspruch. Deshalb sage ich auch, alles ist in Brüssel falsch getaktet. Wir haben die Epidemie, die Verteidigung. Damit müsste man sich beschäftigen, und nicht komplizierte juristische Bedingungen an die Auszahlungen der Gelder knüpfen, denn das könnte auch die Erschütterung einiger Länder verursachen.

Ich möchte noch zwei Dinge zur Sprache bringen, wenn das möglich ist. Die eine Sache ist, dass wir den zehnten Jahrestag der Rotschlammkatastrophe, jenes schrecklichen Industrieunfalls haben, als die Wand des Auffangbeckens der MAL AG gerissen war und ein Meer alkalischen Rotschlamms drei Siedlungen überflutete, Devecser, Kolontár und Somlóvásárhely. Zehn Menschen starben, mehr als zweihundert Menschen wurden verletzt, und die Schadenssumme, die dort entstand, war erschreckend hoch.

Zunächst einmal sollten wir versuchen, auf die Seite der Dinge zu blicken, die uns seelisch stärken. Ich empfehle also einem jeden, wenn er die Möglichkeit hat, soll er persönlich diese drei Siedlungen aufsuchen oder sich im Internet die Bilder ansehen, auf denen er die alten, im Moment des heranflutenden Rotschlamms gemachten Bilder und die heutigen miteinander vergleichen kann. Und wenn man wissen will, warum Ungarn ein großartiges Land ist, dann kann er das aus dem Vergleich der beiden Bilder ersehen, denn wir haben jene nicht sich selbst überlassen, die dort leben, sondern wir haben ihnen geholfen. Wir haben die gesamte Gegend wiederaufgebaut, und jene Verbesserung, die dort im Vergleich zu der Zeit des großen Übels eingetreten ist, zeigt den Zusammenhalt, die Zusammenarbeit, überhaupt die Größe unserer Nation, denn die Größe ist keine Frage der Ausmaße. Das erste, was ich sagen kann, ist also, dass wir auch aus dem Übel die Schlussfolgerung ziehen können, warum es gut ist, Ungar zu sein, denn wir haben auf diese Frage antworten können. Zugleich waren das erschütternde Momente. Ich war sehr schnell nach dem Übel vor Ort und habe gesehen, was für Zustände herrschten. Und es sind zehn Menschen gestorben, was einen Verlust darstellt, der durch nichts ersetzt werden kann, aber ich muss sagen, wenn wir dort auch nur ein bisschen mehr Pech gehabt hätten oder der liebe Gott nicht auf uns geachtet hätte, so wie er auf uns geachtet hat, dann wären dort nicht zehn Menschen gestorben, denn der Damm war in der Nacht eingerissen, sondern es hätten auch mehrere hundert oder auch tausend Menschen sterben können. Und es hing am seidenen Faden, dass dies nicht eingetreten ist. Dies war also eine ernsthafte Probe, auf die wir alle gestellt wurden. Seien wir froh, dass wir es hinter uns haben, und ich wünsche den dort Lebenden sehr, die die Katastrophe überlebt haben, dass ihre Seele seitdem geheilt worden ist. Ich grüße also die Bewohner der drei Siedlungen auch von hier. Ich wünsche ihnen viel Kraft und gute Gesundheit!

Und schließlich, unlängst ist ein neues Märchenbuch erschienen und vorgestellt worden. Es trägt den Titel „Märchenwelt für alle“ („Mesevilág mindenkinek“), in dem der Prinz den Prinzen heiratet, und die Prinzessin eine Feministin sowie ein bisschen lesbisch ist. Eine der führenden Persönlichkeiten der einen parlamentarischen Partei, der Bewegung Unsere Heimat (Mi Hazánk Mozgalom), Dóra Dúró hat so ein Märchenbuch öffentlich zerschreddert, was eine gewaltige Entrüstung ausgelöst hat. Was ist Ihre Meinung darüber?

Also schon die Angelegenheiten der Europäischen Union sind vertrackt, na aber diese Diskussionen, die mit der Bewertung der Homosexualität verbunden sind, die sind noch vertrackter. Eine ganze Sendung würde dafür nicht ausreichen, vor allem nicht ein-zwei Minuten. Das Wesentliche betreffend möchte ich soviel festhalten, dass es in Ungarn Rechtsvorschriften gibt, die sich auf die Homosexualität beziehen. Deren Grundlage ergibt sich aus einer äußerst toleranten und geduldigen Herangehensweise, die Ungarn sind also geduldig gegenüber dieser Erscheinung. Ja, die Ungarn sind so geduldig, dass sie auch derart provokative Demonstrationen, ich will nicht sagen wortlos, aber doch gut ertragen. Wir können also ruhig sagen, Ungarn ist hinsichtlich der Homosexualität ein tolerantes, ein geduldiges Land. Doch gibt es eine rote Linie, die man nicht überschreiten darf, und ich fasse meine Meinung hierin zusammen: „Lasst unsere Kinder zufrieden!

Vielen Dank! Sie hörten Ministerpräsidenten Viktor Orbán.