Andrea Földi-Kovács: Guten Abend! Dies ist „Ungarn live”. Ich bin Andrea Földi-Kovács. Die Coronavirusepidemie kann Europa erneut zu Boden schicken, in mehreren Ländern hat man Rekordzahlen von Infizierten registriert. Die Entscheidungsträger stehen in solchen Situationen vor einem ernsthaften Dilemma, denn man muss gleichzeitig die Wirtschaft und die Gesundheit der Menschen schützen. Mein Gast ist Viktor Orbán Ministerpräsident. Guten Abend!
Küß‘ die Hand! Guten Abend!
Herr Ministerpräsident, Sie kommen von einer Regierungssitzung. Worüber haben Sie entschieden?
Wir treffen dutzende von Entscheidungen, wie das zu sein pflegt, aber im Zusammenhang mit Ihrer Frage sind sogleich die sich auf die Epidemielage beziehenden Entscheidungen hier anzuführen.
Gab es darunter auch solche, die, sagen wir, direkt und kurzfristig den Alltag der Menschen beeinflussen?
Das pflegt so zu geschehen, dass der Operative Stab einen Bericht über die Situation mit einem internationalen Ausblick vorlegt und danach Vorschläge macht; manches akzeptieren wir, und manches nicht. Jetzt ist die Situation, dass die Sicherung der Krankenhausbetten die Schlüsselfrage darstellt. Ich versuche es, nicht kompliziert darzulegen: Wir bereiten uns darauf vor, dass es im schlimmsten Fall 200 tausend gleichzeitig infizierte ungarische Menschen geben wird, zu ihrer Versorgung sind 16 tausend Krankenhausbetten und 800-1.000 Beatmungsgeräte notwendig. Die erste Frage ist immer, ob diese Zahlen noch zutreffen? Und wenn die Zahl der Infizierten 400 tausend betrüge, ob dann die notwendigen Betten, Menschen, Ärzte, Krankenschwestern vorhanden wären? Und dann entscheiden wir immer darüber, ob im Übrigen die im normalen Gang der Dinge, in der gewohnten Versorgungsweise folgenden Operationen, Versorgungen man im Interesse des Umgangs mit der Epidemie verschieben muss oder nicht. Anders formuliert: müssen Krankenhäuser, weitere Krankenhäuser in die Seuchenschutzversorgung miteinbezogen werden. Und heute haben wir die Entscheidung getroffen, dass wir noch keine Operationen verschieben müssen. Woher wir das wissen? Auch ich pflege den Minister immer zu fragen, woher wir es wissen, dass dies nicht nötig sei. Die Antwort hierauf lautet im Allgemeinen, dass im Frühling die Fähigkeit der ungarischen Ärztegemeinschaft und der Wissenschaftler, der Arztmathematiker, der Fachleute für Seuchenschutz Dinge vorauszusehen, sich auf etwa eine bis anderthalb Wochen erstreckte. Der Minister konnte also mit völliger Verantwortung in einer zeitlichen Perspektive von einer bis anderthalb Wochen Aussagen treffen. Jetzt, da wir uns bereits in der zweiten Welle befinden, und wir über Erfahrungen verfügen, trauen sich unsere Minister im Allgemeinen für drei Wochen Aussagen zu treffen. Jetzt hatten wir den Eindruck, dass es in den kommenden drei Wochen nicht zu erwarten ist, obwohl die Epidemie auf dem aufsteigenden Ast verbleibt, aber es ist keine derart große Veränderung zu erwarten, die zur Absage der folgenden, der bereits eingeteilten Versorgungen und Operationen führen würde.
Verzeihung, in Tschechien hat man den Ausnahmezustand verkündet, auch die Slowenen führen strengere Regeln ein. Was ist der Punkt, an dem Sie – denn Sie sagen ja, jetzt wird so ein Schritt in einem Zeitraum von drei Wochen nicht notwendig sein –, sagen werden, man muss diese Schritte doch unternehmen?
Wer Soldat war, der wird es vielleicht leichter verstehen, was ich sage. Auch die Kasernen waren früher so eingeteilt, dass es solche erster, zweiter und dritter Stufe gab. Jetzt sind die Krankenhäuser so eingeteilt. Wir haben Krankenhäuser der ersten Stufe, derzeit erfolgt dort die Behandlung der mit dem Virus infizierten Menschen. Wenn es dort keine Betten mehr gibt, dann kommen unsere Krankenhäuser der zweiten Stufe und dann die Krankenhäuser der dritten Stufe. Das Krankenhaus reicht ja nicht aus, denn es sind ja auch Ärzte und Pfleger nötig. Diese verteilen sich im Glücksfall territorial auf optimale Weise, doch ist diese glückliche Situation nicht sehr häufig. Es ist also so, dass wir in ein Krankenhaus Krankenhauspersonal, Krankenschwestern und Ärzte umdirigieren müssen. Heute haben wir uns auch dies angehört, auch den Bericht darüber, wie das mit dem Umdirigieren aussieht. Das ist immer die unbequemste Sache. Und heute haben wir die Meldung erhalten, dass die Zahl der Umdirigierten noch nicht einmal 1 Prozent aller Krankenschwestern und Ärzte erreicht hat, wir verfügen also auch noch über Reserven im Bereich des Umdirigierens.
Hierauf werden wir noch eingehen, denn die Ungarische Ärztekammer hat sich beschwert, sagen wir es so, auch hinsichtlich der Umdirigierbarkeit der Ärzte, doch sind das Gesichtspunkte des Gesundheitsschutzes und der Institutionen des Gesundheitswesens. Muss man kurz- bis mittelfristig mit strengeren Vorschriften rechnen, die den Alltag betreffen?
Vorerst nicht, denn wir denken, die allgemeine Auffassung, die sich in der Nationalen Konsultation ausgedrückt hat, bietet für unsere Entscheidungen eine gute Grundlage, und diese allgemeine Auffassung lautete, dass das Land funktionieren muss. Im Frühling gelang es uns, uns gut zu verteidigen, der Zusammenhalt hat sowohl den Menschen als auch der Regierung Selbstvertrauen gegeben, ich hoffe, auch den in den Krankenhäusern arbeitenden Menschen. Wenn wir zusammenhalten, dann wird es gemeinsam wieder gelingen, ohne dass wir das Land herunterfahren müssten. Wir schreiten also auch weiterhin entlang dieser Leitlinie, das Land funktioniert und wir verteidigen uns dabei.
Im April haben Sie ja persönlich ein sehr ernsthaftes Paket zum Schutz der Wirtschaft angekündigt, es handelte sich um einen Posten von beinahe hundert Milliarden. Wird das eine Fortsetzung haben, da sich ja auch die Epidemie fortsetzt?
Auch heute haben wir in mehreren Angelegenheiten entschieden, die uns der andere, der mit dem Schutz der Wirtschaft betraute Operative Stab vorgelegt hat. Steuererleichterungen, Schritte zur Ankurbelung der Wirtschaft. Und die neue, für die Belange der Familien verantwortliche Frau Ministerin, Katalin Novák, hat die Grundpfeiler eines neuen Programms zur Schaffung von Eigenheimen vorgelegt. Davon haben wir die 5-prozentige Mehrwertsteuer auch beschlossen, also wird die Mehrwertsteuer bei den bis zum 31. Dezember 2022 laufenden Bauarbeiten für den Bau von Wohnungen erneut 5 Prozent betragen, und die Frau Ministerin hat noch eine ganze Reihe von Dingen mit ähnlicher Tragweite vorgeschlagen. Die 5-prozentige Mehrwertsteuer haben wir ja auch schon früher angewendet, das ist bereits ausgearbeitet, deshalb wage ich darüber zu sprechen, bei den anderen Schritten gibt es noch Arbeit zu tun, an ihnen muss noch gearbeitet werden, und sobald wir mit den Details fertig sind, so wird die Frau Ministerin vor ihnen, also vor der Öffentlichkeit mit ihnen erscheinen.
Werden zwischendurch auch Gesetzesänderungen notwendig werden?
Ja, es wird darunter welche geben. Zum Beispiel die Erleichterung der steuerrechtlichen Vorschriften sowie der Vorschriften für das Steuerverfahren, die Minderung der Bürokratie wird dies auf jeden Fall erfordern.
So wie ja auch Sie das erwähnt haben, sind an den Krankenhausbetten Ärzte, Pfleger notwendig. Die Regierung hat angekündigt, dass es zu einer Gehaltserhöhung von 120 Prozent kommen wird, nicht wahr, im Hinblick auf die Ärzte, in mehreren Schritten. Sie sagten auch, dies sei ein historischer Schritt, denn früher hat niemand, obwohl jede Regierung sagte, dies sei notwendig, aber niemand hat diese Aufgabe auf sich genommen. Warum gerade jetzt?
Das Wort „historisch“ ist schon ziemlich abgenutzt, es hört sich also für viele auch schon langweilig an, so viele historische Dinge ereignen sich mit uns Tag für Tag – die Epidemie selbst ist auch so eine Sache –, also würde ich mich nicht aus dieser Richtung annähern, nicht von der historischen Seite her. Obwohl wir sagen können, so etwas hat sich in Ungarn seit 50-60-70 Jahren nicht ereignet, und dann können wir auch sagen, es besitzt einen durchschlagenden Charakter, doch ich betrachte die Welt nicht von dieser Seite, von der Epidemie aus. Und man musste die Frage beantworten, ob es zur Zeit der Epidemie begründet ist, wenn es auch eine Wirtschaftskrise und Probleme im Haushalt gibt, ob es begründet ist, eine Gehaltserhöhung dieses Maßes zu riskieren? Und da diese Epidemie noch sieben-acht Monate dauern wird, wir uns also auf dem aufsteigenden Ast befinden werden, so lange kein Impfstoff kommt, gibt es keine Befreiung, und die Ärzte drückte eine gewaltige Last, lautete in meinem Kopf die Logik: „Wann, wenn nicht jetzt?“ Wenn es also so eine Belastung geben wird, wenn ein jeder sehen kann, dass die Ärzte tatsächlich eine übermenschliche Arbeit verrichten müssen, wann sollen wir denn diese wichtigen Schritte zur Gehaltserhöhung durchführen, wenn nicht gerade jetzt?
Erlauben Sie mir zu fragen, dass im Übrigen – es handelt sich ja um eine Pandemie – also überall, in allen Mitgliedsstaaten gute Ärzte gebraucht werden. Generiert dies im Übrigen einen zusätzliche die Ärzte ins Ausland wegsaugende Wirkung?
Es gibt auch ansonsten eine wegsaugende Kraft, denn die ungarischen Ärzte sind auf Weltniveau. Ich weiß nicht, ob dies irgendein altes Talent ist, ob sich in den Ungarn ein Gespür befindet oder ob sich dies aus dem Niveau unserer Ausbildung ergibt, aber vielleicht sind es beide, ja sicherlich ist es auch die Tradition, der Arztberuf besitzt in Ungarn eine hochangesehene Tradition seit Jahrhunderten. Es kann also sein, dass all dies gemeinsam zum Ergebnis hat, dass die ungarischen Ärzte überall zu den besten der Welt gehören, auf Weltniveau Leistungen erbringen können, so dass wir im Frühling unter den 20-25 sich am besten verteidigenden Ländern waren, in der ersten Welle der Epidemie, da unsere Ärzte eine Leistung von Weltniveau gezeigt haben, sie haben eine bessere Leistung gezeigt, als ihre Kollegen in zahlreichen westeuropäischen Ländern. Eine Sogwirkung wird es also immer geben, denn ein ungarischer Arzt wird immer sehr gut, ein gesuchter Mensch, eine gesuchte Arbeitskraft sein.
Kann diese Gehaltserhöhung die Sogwirkung verhindern? Wie kalkulieren Sie?
Auf dem Papier schon. So wie ich die Papiere gesehen habe, gab es da verschiedene Niveaus der Gehaltserhöhungen, und zu jedem Niveau waren die Auswirkungen zugeordnet worden, ein Material zur Vorbereitung von Entscheidungen sieht im Allgemeinen so aus, und es gab einen Punkt, an dem jene, die das Material vorlegten, sagten, dies ist das Niveau, ab dem die Chance besteht, dass die Ärzte zu Hause bleiben. Ich wiederhole es noch einmal, dass unsere besten Ärzte ständig damit rechnen müssen, ein finanziell besseres Angebot zu erhalten als hier zu Hause. Doch woanders zu leben ist schwer, wir sind ja doch Ungarn, man möchte doch hier sein Wissen weitergeben, wo man es von den eigenen Professoren erhalten hat, ich glaube also nicht, dass die Ärztegehälter an sich es entscheiden, wo man arbeitet. Natürlich wenn sie unmenschlich niedrig und die Umstände der Arbeit unzivilisiert sind, und sagen wir, eine Kultur, in der man arbeiten muss, eine Krankenhauskultur eher abstoßend ist, dann werden die Menschen nicht weggesogen, sondern sie fliehen. Wir müssen uns also überall verbessern, wir müssen in den Krankenhäusern sowohl für die Kranken als auch für die Ärzte freundliche Arbeitsplätze, eine aufnehmende Atmosphäre schaffen, damit man dort gerne arbeitet. Es ist ja an sich schon ein schwieriger Ort, denn die Menschen gehen nicht zum Vergnügen ins Krankenhaus, das ist also ab ovo ein sehr schwieriger Ort, doch sollte er trotzdem, wenn es möglich ist, eine zuversichtliche Atmosphäre, Stimmung, Kultur besitzen. So sollten wir miteinander umgehen, der Arzt mit dem Kranken, der Kranke mit dem Arzt, es soll anständige Gehälter geben, und anständige Möglichkeiten zum beruflichen Vorankommen, damit wenn jemand besser ist, wenn er mehr leistet, er dann auch besser zurechtkommt. Meiner Ansicht nach lassen diese Dinge gemeinsam die Entscheidung in den Köpfen reifen, ob man geht oder bleibt.
In welcher Höhe erfordert diese Gehaltserhöhung Quellen aus dem Haushalt?
Da steckt ein kleines Risiko drin, da wir zwar über Berechnungen verfügen, aber da wir heute die Ärzte in unseren Krankenhäusern im Rahmen von 10-11 verschiedenen rechtlichen Verhältnissen anstellen und diese unterschiedlichen Rechtsverhältnisse verschiedene Auswirkungen auf die Löhne haben, und wir das System auf die Weise umformen möchten, dass niemand verlieren soll, deshalb kann niemand eine todsichere Zahl nennen. Wir können sagen, dass wir das, was wir aus dem Haushalt, aus der Schatzkammer bisher bezahlt haben, davon werden wir sicherlich mindestens das Doppelte bezahlen. Dies ist eine Summe der Größenordnung von 100, aber doch eher von 200 Milliarden Forint.
Was durch den Haushalt gedeckt ist.
Der Finanzminister hat der Vorlage zugestimmt. Ich möchte dreimal unterstreichen, dass die Ausformung der Gehaltstabelle und der sich auf die Parasolvenz beziehenden neuen Regeln dem Buchstaben und jeder Zahl nach der Vorschlag der Ärztekammer war. Wir haben diesen also aufgenommen, und der Finanzminister hat es abgenickt.
Jetzt bringt die Ungarische Ärztekammer trotzdem Kritik vor. Sie sagen, sie seien keine Soldaten, oder die Regierung solle sie nicht als Soldaten ansehen. Diese Kritik haben sie ja hauptsächlich im Zusammenhang mit dem Umdirigieren der Ärzte und der Regelung der Zweitbeschäftigungen formuliert. Was sagen Sie dazu?
Das sind Angelegenheiten verschiedener Natur. Über das Umdirigieren denke ich: Wir haben jetzt eine Epidemie. Ein jeder kann sehen, dass das Umdirigieren eine Frage von Leben und Tod ist. Ich glaube, wir alle müssen zur Kenntnis nehmen, ich ebenso wie die im Krankenhaus Arbeitenden, dass wenn man gehen muss, dann muss man gehen, denn wenn jemand nicht geht oder wir niemand an seiner Stelle finden, dann wird irgendjemand sterben, weil er nicht versorgt wird. Also in der Zeit der Epidemie, wenn man nicht entsprechend der normalen Arbeitseinteilung arbeiten muss, sondern das Übel mal hier und dann wieder woanders auftritt, in solchen Zeiten ist die juristisch entsprechende Regelung des Umdirigierens unvermeidlich. Das Statusgesetz muss also ein System des Dirigierens beinhalten. Eine andere Sache ist, dass das Umdirigieren keine Alltagspraxis sein kann. Man kann sie nicht hin- und herzerren. Man kann also die schlechte Organisation nicht durch das Umdirigieren ersetzen. Man muss die Krankenhäuser gut leiten, man muss gut planen, und dann muss nicht umdirigiert werden, nur dann, wenn es Probleme gibt. Aber Probleme pflegen vorzukommen, wie jetzt, deshalb ist das Dirigieren eine notwendige Sache. Sie müssen keine Soldaten sein, Militärärzte haben wir im Übrigen in ausreichender Zahl. Wenn es also sehr wichtig sein sollte, dass die Ärzte Soldaten sein sollen, dann können diese besondere Arbeit unsere Militärärzte auf hervorragende Weise verrichten. Das ungarische Militärkrankenhaus ist eines der NATO-Exzellenz-Krankenhäuser. Dort arbeiten ganz herausragende Geister.
Über die Parasolvenz haben Sie, Herr Ministerpräsident, ja gesprochen, ob das Land sich von dieser Gepflogenheit befreien können wird, das wird sich noch herausstellen, obwohl sie strafbar sein wird, sowohl sie zu geben als auch sie anzunehmen, aber auch die Ärzte müssen sich daran gewöhnen, „nein“ auf den Umschlag zu sagen, und die Kranken, ihn nicht anzubieten. Was glauben Sie, kann man dies kurzfristig liquidieren?
Ich wäre ein glücklicher Mensch, wenn ich das wüsste. Man muss es versuchen. Auch hier kann ich nur sagen, dass es von außen her schwer ist, klug zu sein. Man hätte auch vor Jahren so eine Regelung erlassen können, doch so lange nicht die Ärzte fordern, dass wir diese Regeln aufstellen sollen, wäre es meiner Ansicht nach von der Politik her eine mehr als riskante Sache gewesen, doch um dies hat die Ärztekammer gebeten. Diese Texte, die Texte der Gesetzesvorschläge, selbst die Texte für das Strafgesetzbuch haben sie ausgearbeitet. So habe auch ich gewagt, mich hinzustellen, und ich kann der Ärztekammer sagen: „Wir haben es gemeinsam gemacht, jetzt müssen wir es gemeinsam verteidigen.“ Darin hat die Ärztekammer recht – und ich rechne im Weiteren im Übrigen auf die Zusammenarbeit mit ihr und auf ihre Arbeit –, dass es im angenommenen Gesetz mehr als zehn Fragenkreise gibt, die später in Verordnungen geregelt werden müssen. Wir haben die Probleme also nicht abgehakt, wir haben nicht auf alle Fragen geantwortet, und wir können eine ganze Reihe von Fragen auch nicht ohne die Ärztekammer beantworten, sie wird also auch in der Zukunft benötigt. Davon ganz zu schweigen, dass es außerhalb der Welt der Verordnungen noch die Welt des nicht durch Verordnungen geregelten moralischen Gebietes gibt, auf dem die Ärztekammer moralische Standards aufstellen muss, und für deren Einhaltung muss sie sorgen. Also man kann ohne eine Ärztekammer ein Gesundheitssystem nicht am Laufen halten.
Nun, ob es gelingen wird, sich vom System der Parasolvenz zu befreien, das ist Zukunftsmusik, jedenfalls ist es wahrscheinlich nicht möglich, sich kurzfristig von der Kritik aus dem Ausland zu befreien. Um ein ganz frisches Beispiel anzuführen: George Soros hat heute die EU aufgefordert, eine Musterklage gegen Ungarn zu initiieren, denn der Europäische Gerichtshof hat in allen Belangen dem stattgegeben, was die Europäische Kommission in dem im Zusammenhang mit der Lex CEU eingeleiteten Pflichtverletzungsverfahren festgehalten hat. Was sagen Sie dazu?
Zuerst einmal pflegen wir die Urteile des Europäischen Gerichtshofes zu vollstrecken, unabhängig davon, ob wir sie für gut halten oder nicht, ob wir sie fachlich für ausgereift bewerten oder nicht, sie eventuell als absurd bewerten oder als klug. Das wird auch jetzt so sein, das verursacht auch keine großen Schwierigkeiten, es sind zahlreiche juristische Lösungen möglich, die dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes entsprechen, wobei wir noch auf einige klärende Fragen eine Antwort erhalten müssen. Der Dialog wird also weitergehen. Wenn jemand gegen Ungarn eine Musterklage einreichen möchte, so soll er das tun, wir sind – wie das die ungarische Redewendung formuliert – niemand, der etwas Gutes kaputtmacht.
Hat Sie im Übrigen dieser Vorschlag überrascht?
George Soros ist der Patriot, von dem es mich nicht überrascht, wenn er im Ausland seine eigene Heimat attackiert, denn schließlich sprechen wir über einen ungarischen Menschen, und mich überraschen diese Dinge auch aus dem Grund nicht, wenn Sie erlauben, dass ich so formuliere, denn hier ist nicht das wichtig, was sie sagen, sondern wichtig ist, warum sie es sagen. Und die Situation ist die, dass die Attacken gegen Ungarn Angriffe der europäischen politischen Linken sind oder die Angriffe der europäischen Linken gegen Länder, und hierbei ist Ungarn ein wichtiges Land, in denen die Linke nicht an der Regierung ist. Sie greifen immer nur jene Regierungen an, in denen die Linke nicht enthalten ist. Und sie greifen diese Regierungen aus dem Grund an, damit sie früher oder später in diesen Ländern die Linke an die Regierung verhelfen können. Auch hier geht es darum – Sie sind jung, vielleicht erinnern Sie sich nicht daran, aber Personen meines Alters kennen das, man nennt dies „internationalistische Hilfeleistung“. Als die russischen Truppen, Verzeihung, die sowjetischen Truppen hierher hereinkommandiert wurden, um die Kommunisten zu schützen, war dies eine internationalistische Hilfe. Jetzt ist die Situation die gleiche, die ungarische Linke ist schwach, das Volk ist eher gegen sie, sie sind im Übrigen auch gegen das Volk, aber das ist eine andere Sache, und in solchen Momenten pflegt man, damit die Linke an die Regierung kommen kann, internationale Truppen zu entsenden, internationalistische Hilfe zu leisten. Dies sehen wir. Also müssen die Juristen die Angriffe gegen Ungarn natürlich gründlich untersuchen und analysieren, und sie müssen auf alles eine Antwort geben, denn dieses Boxmatch wird auf die Weise ausgetragen, dass alles beantwortet werden muss, doch das Wesentliche und der Sinn der Sache ist nicht dies, sondern warum das geschieht, was geschieht. Und ich sage es noch einmal: Es geschieht, weil man von Brüssel aus die ungarische Linke zur Macht verhelfen will.
Sie haben diese Erscheinung als „Soros-Wurst“ beschrieben, in der, ja auch unter Hinweis auf die praktisch aufeinander abgestimmten Angriffe, ein aus vielen Zutaten angefertigtes Endprodukt hergestellt wird. Was ist die Rolle der ungarischen Opposition bei diesem koordinierten Angriff?
Manchmal formuliere ich stärker, ich bin zwar ein geduldiger Mensch, und ich erweise einem jeden gegenüber den nötigen Respekt, aber auch mich kann man reizen, und dann formuliere ich derartige Begriffe wie „Soros-Wurst“. Die Situation ist die, dass die ungarische Opposition tatsächlich von den Ultrarechten bis zu den Kommunisten durch den Fleischwolf gedreht worden ist und sich dort in eine Wursthaut gefüllt befindet, und ich kann sie nicht anders benennen als nach ihrem Finanzierer, der hinter der ganzen Sache steht, und dies ist George Soros, deshalb nenne ich dies „Soros-Wurst“.
Auch von Věra Jourova hat die Regierung in letzter Zeit eine harte Kritik erhalten. Sie sprach ja über eine kranke Demokratie im Zusammenhang mit Ungarn. Und da ist sie nun, die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments…
Lassen Sie mich soviel sagen: „kranke Demokratie“ hört sich nicht besonders gut an, doch deswegen hätten wir jetzt unsere Stimme nicht mehr erhoben oder die Augenbrauen hochgezogen, aber nicht das war der schwerwiegende Satz, sondern sie sagte, die ungarischen Menschen seien nicht in der Verfassung und Lage, selbständige Entscheidungen zu treffen. Hierbei geht es nicht um die Politik und die Demokratie, hierbei geht es um die ungarischen Menschen. Diese Frau sieht die Ungarn von dort, von Tschechien aus als Tölpel, die nicht in der Lage sind, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Die Ärmsten treffen zwar Entscheidungen, aber sie können keine eigenen Entscheidungen treffen, sie sind nicht in der Lage dazu, die armen Unglücklichen. Das ist eine derartige Beleidigung und Beschimpfung, dass man in solchen Momenten sagen muss: „Stopp! Das ist keine Politik mehr, das geht tiefer, das sollten wir lieber bleibenlassen.“
Ja, aber daraufhin ist nichts geschehen. Sie haben ja vorgeschlagen, man solle die Frau Vizepräsidentin Věra Jourova ihres Amtes entheben, und Sie sagten auch, wenn Sie persönlich die Möglichkeit dazu haben werden, dann werden Sie dies auch mit Ursula von der Leyen besprechen. Haben Sie eine Antwort von der Präsidentin der Europäischen Kommission erhalten?
Noch nicht, aber für alles kommt seine Zeit. Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.
Eine kurze Frage noch hier an dieser Stelle. Im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Soros Open Society pflegt zugleich jener Gerald Knaus ja gute Beziehungen zu Věra Jourova, der der Leiter der Europäischen Stabilitätsinitiative ist. Hier haben ja die Geheimdienste eine Untersuchung begonnen, als deren Ergebnis – wenn festgestellt wird, Gerald Knaus habe ein Verbrechen begangen – er ausgewiesen werden kann, oder kann die Ausweisung dieses Herrn in Frage kommen?
Das ungarische Rechtssystem verfügt über ein breites Instrumentarium, aber ich glaube nicht, dass das neue Fakten wären. Dass Frau Jourová zu den Leuten von George Soros gehört und, um härter zu formulieren, ihm aus der Hand frisst, das wissen wir alle. Das haben wir auch schon immer gewusst, Věra Jourová gehört also zu den Leuten von George Soros in der Europäischen Kommission. Sie vertritt nicht Tschechien, ja nicht einmal die tschechischen Menschen, ja auch nicht die europäischen Menschen, ja nicht einmal die Kommission, sie vertritt George Soros. So ist die Situation, so ist die europäische Politik. Es lohnt sich nicht, deswegen beleidigt zu sein, doch lohnt es sich auch nicht, dies zu verschweigen. Man muss sich dem stellen, dass dies die Lage ist. Bedenken Sie nur, was für absurde Dinge geschehen. Heute ist in der europäischen Presse das Objekt der Kritik oder wenn man – sagen wir – etwas Schlechtes über den ungarischen Ministerpräsidenten oder über Ungarn sagen will, dass sie ihn in einem Lager mit dem amerikanischen Präsidenten und den englischen Ministerpräsidenten erwähnen, während es seit 150 Jahren das Ziel der ungarischen Demokratie oder der ungarischen Politik war, gemeinsam mit den Musterdemokratien genannt zu werden, mit Amerika und Großbritannien. Jetzt haben wir dies bekommen. Derart absurde Verhältnisse gibt es heute in der europäischen Politik, deshalb unterstreiche ich noch einmal, dass die Worte nicht unwesentlich sind, aber die sich hinter den Worten befindende Absicht ist besonders wichtig.
Na, schauen wir uns dann die Absicht hinter den Worten an. Budapests Oberbürgermeister Gergely Karácsony hat im Übrigen gemeinsam mit mehreren anderen Bürgermeistern zusammen den Vorschlag gemacht, die EU soll die ungarischen linken kommunalen Selbstverwaltungen oder die durch die Linke geleiteten kommunalen Selbstverwaltungen unmittelbar finanzieren. Sie berufen sich ja darauf, dass während hinsichtlich der Regierung die führenden Persönlichkeiten der EU-Körperschaften zu Recht Kritik in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit äußern, gegenüber den kommunalen Selbstverwaltungen, gegenüber den linksliberal geführten kommunalen Selbstverwaltungen diese Rechtsstaatlichkeitskritik nicht besteht.
Wenn wir hiervon die politische Absicht abschälen und es ernst nehmen, dann kann ich Ihnen sagen, im Haushalt der Europäischen Union befinden sich auch heute sehr bedeutende Geldsummen, die sie nicht den Mitgliedsstaaten geben. Also nicht die Mitgliedsstaaten verteilen das Geld, sondern man kann sich unmittelbar mit den Programmen melden, und in dieser Hinsicht tun sich die Ungarn nicht hervor. Ich freue mich also, dass plötzlich die ungarischen linken kommunalen Selbstverwaltungen Stärke zeigen, und das Gefühl haben, jetzt könnten auch sie schon in den europäischen Kämpfen um die Geldquellen die Bewohner ihrer eigenen Stadt gut vertreten, doch dazu hatten sie auch bisher die Möglichkeit, und sie haben dabei nicht gut abgeschnitten. Ich will also sagen: „Nur vorsichtig!“ Meiner Ansicht nach ergeht es auch den kommunalen Selbstverwaltungen besser, wenn der ungarische Staat die Interessen der ungarischen Menschen durchsetzt, und so können wir auch das Interesse der in Budapest oder in anderen Siedlungen mit oppositioneller kommunaler Selbstverwaltung besser vertreten und mehr Quellen für sie erreichen. Wenn aber jemand meint, er wolle das versuchen, dann will ich weder den Budapester Oberbürgermeister noch die anderen davon abbringen. Versuchen sie es, auch heute besteht die Möglichkeit. Im Übrigen wird auch der ungarischen Regierung das Geld nicht nachgeschmissen. Zunächst einmal müssen wir dorthin eine Summ einzahlen. Zweitens: Der Großteil der Unterstützungen wird für Programme vergeben. Wenn du also kein gutes Programm hast, wenn du nicht dessen fachliche Grundlagen verteidigen kannst, dann kann man dazu auch keine Quellen von der Europäischen Union einsammeln. Hinzu kommt noch, dass wir auch wissen müssen, dass eine Quelle der Europäischen Union kein Geschenk ist, denn sie nehmen mehr Geld aus Ungarn mit hinaus, als wir erhalten. Also sieht die Bilanz, was die aus Ungarn hinausgehenden und nach Ungarn hereinkommenden Gelder angeht, so aus, dass heute mehr Geld aus Ungarn hinausgeht als welches, das hereinkommt, die EU-Gelder hierin mit inbegriffen. Hinzu kommt noch – um die Lage nur weiter zu komplizieren –, dass die jetzige Regelung der Europäischen Union einen neuen, wegen der Wirtschaftskrise erschaffenen Finanzfonds geschaffen hat. Endlich! Denn meiner Ansicht nach gibt es heute in Europa keine wichtigere Sache, als uns mit der Epidemie, der Auseinandersetzung mit dem Virus und dessen wirtschaftlichen Auswirkungen zu beschäftigen. Dass in der Zwischenzeit die europäische Linke rechtsstaatliche Matches austrägt, ist eine ernsthafte Verantwortungslosigkeit, jetzt ist nicht die Zeit dafür. Ich will also sagen, dass noch hinzukommt, dass jenes Geld, welches aus dem Fonds zur Überwindung der Krise kommt, den man als Next Generation bezeichnet, das ist ein Kredit. Das bekommt gar nicht Ungarn, sondern das werden wir gemeinsam vom Finanzmarkt aufnehmen. Und wenn jemand nicht bezahlen kann – ich möchte jetzt keine Ländernamen nennen, aber es gab schon ein Land im Süden, das nicht zahlen konnte, und es gibt eins, über dessen Kopf sich derartige Wolken zusammenziehen –, wenn sie dann nicht werden zahlen können, werden wir zahlen. Hierbei geht es nicht im Geringsten darum, dass irgendein Geld der Europäischen Union nach Ungarn käme, das ist der aus dem gemeinsam aufgenommenen Kredit auf uns entfallende Teil und etwas mehr. Die Wahrheit ist, wenn ich richtig rechne, dann ist das auch etwas mehr als das, aber insgesamt geht es hier darum, einen Kredit aufzunehmen.
Nur eine ganz kurze Frage im Zusammenhang damit. Lohnt es sich für Ungarn, ihn aufzunehmen? 16 Milliarden wären ja der Anteil, der von diesem Kredit – sagen wir – auf uns entfallen würde, wenn unter Hinweis auf verschiedene rechtsstaatliche Einwände davon nicht etwas – sagen wir – zurückgehalten wird oder sie sogar nicht einmal einen einzigen Eurocent ausbezahlen. Lohnt es sich also so in eine gemeinsame Kreditaufnahme oder Schuldenaufnahme einzutreten? Oder kann es sein, dass wir nichts davon erhalten?
Wenn wir eng nur die ungarischen Interessen betrachten, dann ist die Entscheidung gerade so dafür gefallen. Hier geht es ja darum, dass man zwei Arten von Kredit geben möchte, den einen, den die Mitgliedstaaten unmittelbar aufnehmen können, aber unter der Flagge der EU, doch nimmst du ihn unmittelbar auf, du zahlst ihn unmittelbar zurück. Der andere Teil ist der, den wir gemeinsam aufnehmen und auch gemeinsam zurückzahlen werden. Also ob sich dies für Ungarn lohnt, ist mehr als zweifelhaft. Warum haben wir trotzdem „ja“ gesagt? Warum hat das ungarische Parlament und die ungarische Regierung „ja“ gesagt? Weil es Länder gibt, besonders im Süden, die – wenn sie keine finanzielle Hilfe erhalten – zusammenbrechen werden, und wenn sie zusammenbrechen, dann werden sie uns zwar nicht mit sich reißen, denn wir sind kein Mitgliedsstaat der Eurozone, aber zweifellos werden auch wir leiden, von ihrer Krankheit werden auch wir etwas abbekommen. Deshalb haben wir uns so entschieden, dass obwohl die Sache aus dem engen ungarischen Gesichtspunkt betrachtet zu fifty-fifty steht bzw. die Sache ist zweifelhaft, aber wir folgen der europäischen Logik und wenn wir auch noch die Solidarität beachten, dann lohnt es sich, dieses Risiko gemeinsam mit den anderen auf uns zu nehmen, und schließlich haben wir so entschieden. Aber ich sage es noch einmal, das ist kein Manna, das vom Himmel fällt, das man nur aufsammeln muss, und wir dann gleich dessen Früchte genießen können, dies ist ein Kredit. Wir werden ihn dann zurückzahlen müssen, es stimmt zwar, dass dies nicht sofort geschieht, sondern wir beginnen damit in sieben Jahren, doch zahlen wir ihn über dreißig Jahre hinweg ab, auch Ihre Kinder werden ihn noch abbezahlen.
Es gibt noch sehr viele offene Fragen, wir werden sehen, wie sich welche entscheidet. Herr Ministerpräsident, ich danke Ihnen, dass Sie hier waren. Und das war „Ungarn live” am Mittwochabend. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Auf Wiedersehen!