Anett Szabó: Wir begrüßen Viktor Orbán, Ungarns auch zum vierten Mal gewählten Ministerpräsidenten. Wir gratulieren recht herzlich zum Sieg des Fidesz–KDNP-Parteienbündnisses.
Vielen Dank!
Zsolt Bayer: Ich kann mich meiner Vorrednerin nur anschließen.
Dank auch an Dich, Zsolt!
Anett Szabó: Herr Ministerpräsident, vor einigen Minuten erklangen hier, auf dem Platz vor dem „der Wal” genannten Gebäude, dirigiert von Ihnen, die Liedzeilen: „Es lebe die ungarische Freiheit! Es lebe die Heimat!”, aber wenn wir die Zeit ein bisschen zurückdrehen, so haben Sie morgens um halb 8, als Sie mit Ihrer Frau Ihre Stimmen abgeben waren, und Sie eine Pressekonferenz abhielten, dahingehend formuliert, dass die Ungarn heute nicht nur Parteien, nicht nur eine Regierung und einen Ministerpräsidenten wählen, sondern auch für sich selbst eine Zukunft.
Schauen Sie, darum hatten wir sie gebeten, das hatten wir im Laufe des Wahlkampfes versucht, deutlich zu machen, dass sie es nicht zulassen sollen, dass diese Wahl eine einfache, für lediglich einen Anlass gültige Entscheidung sei, sondern wir sollten alle gemeinsam die Bedeutung dessen verspüren, dass sich jetzt das Schicksal Ungarns entscheiden wird, vielleicht für lange Jahrzehnte. Und wir sind eine nationale Partei, wir lieben unser eigenes Volk, und ich muss gestehen, wir haben auch eine gute Meinung über unser Volk, und ich war mir auch sicher, dass wenn wir es gut machen, wenn wir also geradeheraus sprechen, wenn wir klar sprechen, wenn wir nicht zurückweichen, wenn wir nicht zulassen, dass man uns von unserer Richtung abbringt, und wenn wir auf diese Weise bei den Menschen ankommen können, dann wird dieses Volk, wenn der wahre Moment gekommen sein würde, wenn Not am Mann ist, wenn Gefahr bestehen kann, dann wird es sich zusammenraufen und in großer Zahl zur Wahl gehen und der Welt einen übereinstimmenden Willen zeigen. Diese hohe Teilnahme und den übereinstimmenden Willen hat die Welt, hat Ungarn und habe persönlich auch ich erhalten. Dies ist eine gewaltige Verantwortung. Heute freut sich natürlich ein jeder, auch ich möchte nicht davon ausgeschlossen bleiben, doch ist die Wahrheit, dass das Ergebnis dermaßen gut gelungen ist, dass es auch ein ernsthaftes Gewicht auf meinen Schultern darstellt.
Zsolt Bayer: Wenn Du schon das ernsthafte Gewicht erwähnst, Herr Ministerpräsident, Du selbst hast es mehrmals formuliert, aber auch zahlreiche führende Politiker und Medien der Europäischen Union haben den Satz ausgesprochen, dass die Wahlen in Ungarn eine weit über die Landesgrenzen hinaus weisende Bedeutung, eine europäische Bedeutung besitzen. Worin siehst Du diese Bedeutung?
Mit der notwendigen Bescheidenheit müssen wir formulieren, denn man ist ja – und meiner Ansicht nach ist das in allen Berufen der Fall, auch beim Maurer, auch bei dem Journalisten und dem Steinmetz sowie dem Politiker – davon überzeugt, dass man eine wichtige Sache macht. Und in der Politik ist dies mit der Gefahr verbunden, dass man dem eine zu große Bedeutung beimisst, was man selber macht und tut. Ungarn muss schon wissen, wie groß sein Bruttoinlandsprodukt ist, muss wissen, wie viele Soldaten wir haben, wir müssen wissen, wie groß unser Landesgebiet, wie groß unsere Bevölkerung ist, wie unser Stimmrecht in der Europäischen Union aussieht. Ich möchte also, dass wir auch weiterhin mit beiden Beinen auf der Erde bleiben, und uns über die Realitäten im Klaren sind, zugleich lebt Europa in einem Zeitalter, dem ein ähnliches wir, die wir den Fidesz gegründet haben, bereits sehen konnten. Europa befindet sich also in einem Zeitalter, in dem es unter der Unehrlichkeit leidet. Und wenn ein Erdteil, eine Welt, viele Völker gemeinsam unter der Unehrlichkeit leiden, weil sie es nicht formulieren können – entweder weil sie es nicht formulieren können oder weil man sie nicht lässt, es auszusprechen, worunter sie leiden, was sie befürchten, was sie für die Zukunft für wichtig halten –, dann zählen nicht sosehr die Zahl der Soldaten, die Armee, das GDP und das Gebiet, sondern die Reinheit des Gedankens und der Stimme, wie ehrlich sie sind. Und hier gibt es kein großes und kein kleines Volk, hier gibt es nur mutige Völker, mutige Menschen. Ungarn ist das Land der mutigen Menschen, die am heutigen Tag nicht nur für sich selbst, sondern für ganz Europa klargemacht haben, dass man die Dinge auf diese Weise nicht fortsetzen kann. Wir wollen also ehrliche, klare, gerade Reden, wir wollen das benennen, das diesen Kontinent quält. Das ist unser Kontinent, das ist unsere Heimat, unsere Heimat im weiteren Sinne, wir lieben ihn. Wir möchten, dass für ihn die Zukunft genauso schön sein soll, wie es die wenigen erfolgreichen Jahrzehnte waren, die wir hinter uns gelassen haben. Wir stehen Europa und der Europäischen Union nicht gegenüber, sondern wir wollen Europa, wir wollen die Europäische Union, und wir wollen eine erfolgreiche und starke Europäische Union, doch dazu muss zuerst all das, was uns quält, ehrlich ausgesprochen werden. Die Ungarn besitzen hierin eine große Kraft. Auch unsere Sprache hilft offensichtlich dabei, auch unsere politische Tradition baut darauf auf, dass derjenige der anständige Politiker ist, der das auszusprechen wagt, was im Übrigen schon alle denken. Ich glaube, diese Rolle war in den vergangenen Jahren für Ungarn passend. Wir haben höflich, einem jeden den gebührenden Respekt erweisend, jedoch deutlich ausgesprochen, was gut und was nicht gut ist. Und Ungarn will nicht jene Fehler begehen, die mächtigere, reichere und größere Länder als wir gemacht haben, und wir wollen auch nicht, dass Europa an diesen Fehlern kaputtgeht. Wir wollen diese korrigieren, und Ungarn steht bereit, nach der heutigen Wahl steht es mit seinem ganzen Gewicht bereit, um an der gemeinsamen europäischen Arbeit teilzunehmen.
Anett Szabó: Ungarn steht bereit, uns es scheint auch so zu sein, dass zu dieser Arbeit, auf die Sie, Herr Ministerpräsident, gerade verwiesen haben, von dem ungarischen Volk auch die Ermächtigung erhalten haben. Tatsächlich stellt diese Unehrlichkeit auch weiterhin eine Frage in der Hinsicht dar, ob sie seitens Europas zur Ehrlichkeit wird werden können, wenn und sofern wir hier über Europa als über die Europäische Union reden. Früher hatten auch Sie im Laufe des Wahlkampfes gesagt, diese heutige Wahl sei eine schicksalsentscheidende gewesen, dass seit 1990 bei keiner Parlamentswahl in Ungarn soviel auf dem Spiel stand wie jetzt.
Man musste verteidigen, es war wichtig …
Anett Szabó: Und tatsächlich, es ging darum, dass nicht nur Ungarn, sondern auch Europa geschützt werden muss, denn heute haben wir nicht nur über Ungarn, sondern auch über Europa entschieden. Wird Europa die Botschaft vernehmen, die ihm das ungarische Volk mit dem heutigen Tag schickt?
Wir werden sehen. Wir haben heute über wichtige Dinge entschieden, und haben ausgesprochen, dass wir wichtige Dinge verteidigen wollen. zunächst einmal wollen wir, dass Ungarn ein ungarisches Land bleiben soll. Wir besitzen eine Kultur. Unabhängig davon, wie ein jeder zum lieben Gott stehen mag, besitzen wir eine Kultur, die wir christliche Kultur nennen, die aus einer sehr starken, tausendjährigen, christlichen Staatstradition, christlichen Staatlichkeit emporgewachsen ist. In dieser leben wir unser Leben, das ist unsere Welt, unsere Lebensweise, dies sind unsere Lebensprinzipien. Diese wollen wir schützen und wir wollen nicht, dass jemand diese verändere oder dass man uns von außen befiehlt, diese zu verändern. Dann mussten die Ergebnisse verteidigt werden. Denn Ungarn – wie ich das vielleicht auch draußen, auf dem Platz gesagt habe und es vielleicht verständlich war – ist zwar noch nicht dort angelangt, wo es angekommen sein müsste oder möchte oder wozu es in der Lage ist, aber es ist auf einem Weg losgegangen. Wir schreiten auf dem Weg eines ungarischen Modells voran, der in vieler Hinsicht von der Wirtschaftspolitik, der Gesellschaftspolitik, der Kulturpolitik anderer Länder abweicht, jedoch ist dies eine europäische, der Freiheit des Menschen dienende Politik, zu der man stehen kann, ein ungarisches Modell. Hieraus ergab sich die niedrige Arbeitslosigkeit, dadurch konnten wir den Rentnern helfen, deshalb gibt es in Ungarn das größte System zur Unterstützung der Familien in ganz Europa. Wir haben einen eigenen Weg, an den wir glauben, und den wollen wir beschreiten, und wir mussten heute unser Recht verteidigen, dass wir auf diesen bis zu seinem Ende entlanggehen können. Denn die Situation ist die, dass uns viele von diesem Weg abbringen wollten, doch am heutigen Tag haben sich die ungarischen Menschen zusammengestellt und haben ihr Recht auf die Zukunft verteidigt.
Zsolt Bayer: Bei einer Beteiligung von 70 Prozent ein Sieg nahe von zwei Dritteln. Dann ist die moralische und die politische Genugtuung am heutigen Tage erfolgt.
Ja, aber jetzt sollten wir einmal darüber eine Nacht schlafen.
Ich muss aber den Menschen fragen, der gerade an der Schwelle seiner vierten Legislaturperiode als Ministerpräsident steht: Ich erinnere mich daran, dass Du in der Nacht des Sieges im Jahre 2010 auf dem Vörösmarty Platz gesagt hast: „Ich weiß, dass ich vor der schwierigsten Aufgabe meines Lebens stehe”. Was hat sich im Vergleich dazu verändert?
Schau, dies war unsere schwierigste Kampagne. Vielleicht wird man ein anderes Mal hierüber ausführlicher sprechen müssen, aber sehr viel gute Absicht und guter Wille hat sich auf unserer Seite angesammelt, und sehr viel böse Absicht kam uns entgegen. Nicht einfach nur aus Ungarn. Hier haben sich von den nicht besonders ruhmreichen Kräften der Welt zahlreiche zusammengeklammert, um uns aufzuhalten. Doch möchte ich jetzt weder diese Kampagne noch die ungarische Entscheidung heroisieren, jetzt sollten wir uns nur über sie freuen, ich will nur andeuten, dass meiner Meinung nach nicht einmal wir selber, auch ich nicht, genau in der Lage sind, die Bedeutung dieser Entscheidung zu ermessen. Doch soviel spüren wir alle, dass dies eine wichtige und große Entscheidung war.
Anett Szabó: Ich möchte Sie jetzt hier wirklich nicht mit wirtschaftlichen Analysen strapazieren, denn…
Und wie dankbar ich Ihnen dafür wäre!
…der hinter Ihnen stehende Zeitraum hat kaum Gelegenheit zur Erholung gegeben. Nur damit dieser erwähnte internationale Rückenwind, der eher ein Gegenwind war, ein bisschen auch einen positiven Ausklang erhält; ich glaube, wenn wir an den im Laufe der vergangenen Wochen und Monate erfolgten Wahlkampf denken, dann nur ein einziges Zitat, die Analyse von Bloomberg, die der Herr Ministerpräsident, wenn er Zeit auch dazu gehabt haben sollte, sicher besser kennt als ich es tue: Ausländische Investoren haben mit einem großen Sieg des Fidesz gerechnet, denn auch sie haben es erfasst, dass auch sie die wirtschaftliche Stabilität auf diese Weise als gesichert ansehen würden. Da war dann doch der gesunde Menschenverstand anwesend.
Ja, das ist eine interessante Sache, doch ist am wichtigsten, dass auch die Ungarn auf dem Lande damit gerechnet haben und die Ungarn in den Städten und ein großer Teil auch der Budapester. Ich muss sagen, Bloomberg und diese ausländischen Investoren sind wichtig. Das ist sehr wichtig, auch sie sind ein Teil unseres Lebens, doch ist am allerwichtigsten, dass letztendlich heute hier Ungarn entschieden haben und zwar auf die Weise, wie sie es für richtig hielten. Ich halte es für wichtig, dass wir auch in Budapest ein Ergebnis über den Erwartungen erzielt haben, und als Mensch vom Dorfe halte ich es im Übrigen für sehr wichtig, dass ich den Eindruck habe, das ländliche Ungarn hat in der Frage der Wahlbeteiligung den Anschluss an die Städte und Budapest geschafft. Unser Volk ist ein weises. Wenn es das Gefühl hat, es gibt Probleme, erkennt es auch im entferntesten Winkel des Landes irgendwie, dass es jetzt handeln muss. Und dann geht es los, und dann geschieht dies.
Zsolt Bayer: Herr Ministerpräsident, die Situation ist die, dass wir Dich gehen lassen…
Danke.
…und die Situation ist auch die, dass wir meiner Ansicht nach auch ein Glas Wein trinken werden. Wir gratulieren noch einmal!
Vorwärts Ungarn!
Zsolt Bayer: Alles Gute!
Anett Szabó: Wir danken Ihnen, dass Sie uns zur Verfügung standen.