Tünde Volf-Nagy: Ich begrüße die Zuschauer! Ich begrüße Sie, Herr Ministerpräsident! Man hat 916 neue Erkrankungen während eines einzigen Tages registriert. Heute Morgen tagte der Operative Stab, und danach der für den Schutz der Wirtschaft zuständige Operative Stab. Was für Entscheidungen sind getroffen worden?
Auch ich beginne jeden Morgen den Tag damit, mir die Zahlen anzusehen. Ich möchte nicht als der Überbringer schlechter Nachrichten erscheinen, aber ich muss sagen, wir sollten uns darauf vorbereiten, dass diese Zahl auch noch höher sein wird. Worauf wir aber in erster Linie achten müssen, ist während der zweiten Welle der Epidemie nicht die Zahl der Erkrankungen, sondern in erster Linie die der Todesfälle. Denn jetzt verteidigen wir uns anders, und infolge dieser Verteidigung ist die Zahl der Infizierten höher, aber es könnte gelingen, die Zahl der Todesfälle niedrig zu halten. Wir können also jetzt den Erfolg der Verteidigung in Form der Todesfälle bzw. der geretteten Leben ermessen.
Die erste Welle der Epidemie hat alle überrascht und es mussten beinahe innerhalb von Tagen wichtige Entscheidungen getroffen werden. Jetzt konnte man aber doch mit der zweiten Welle rechnen, ja, in irgendeiner Form konnte man sich auch auf sie vorbereiten. Aber die zweite Welle ist doch ganz anders, als es die erste Welle war. Einerseits gibt es Tag für Tag neue Rekorde, wie Herr Ministerpräsident ja darauf verwiesen hat. Außerdem war bei der ersten Welle das Land geschlossen worden, während Sie, Herr Ministerpräsident, jetzt bei der zweiten Welle gesagt haben, das Land müsse auf die Weise funktionstüchtig bleiben, indem auch der Schutz der Menschenleben gesichert werden muss. Wie kann man diese beiden Faktoren, diese beiden sehr wichtigen Faktoren miteinander vereinbaren?
Wenn man sich in einer Gefahrensituation verteidigen muss, und dies war im Frühling und ist auch jetzt so, dann ist für die Verteidigung, wenn wir wollen, dass sie erfolgreich sein soll, ein Schlachtplan nötig. Und wir hatten einen Schlachtplan im Frühling und wir haben auch jetzt im Herbst einen Schlachtplan. Das sind zwei verschiedene Schlachtpläne. Unsere Situation ist jetzt im Herbst insofern einfacher, dass wir Erfahrungen besitzen. Wir wissen jetzt also vieles, das wir im Frühling noch nicht gewusst hatten, damals standen wir einer unbekannten Welt gegenüber. Jetzt haben wir sie aber schon zu berechnen gelernt. Andererseits waren im Frühling die Systeme des Gesundheitswesens auf der ganzen Welt, so auch in Europa, nicht darauf vorbereitet, ihre Bürger zu schützen. Auch in Ungarn mussten wir nervös sein, ob das ungarische Gesundheitswesen in der Lage sein würde, die Menschen zu schützen. Die Antwort lautet: Es war dazu fähig, Dank gebührt den Ärzten, den Fachleuten des Seuchenschutzes, den Krankenschwestern, Cecília Müller, Herrn Minister Kásler, also vielen Menschen. Doch hat schließlich alles in allem das ungarische Gesundheitswesen die Belastung ausgehalten, hielt dem Druck stand, und jetzt können wir unsere Krankenhäuser, unsere für die medizinische Verteidigung notwendigen Instrumente und Mittel herstellenden Firmen für den Herbst darauf vorbereiten, dass es eine zweite Welle geben wird. Und unsere Lage ist jetzt auch aus dem Grund einfacher, denn – wie die Volksweisheit lautet – „wer Zeit gewinnt, der gewinnt Leben“, und wir haben einige Monate gewonnen. Im Sommer haben wir eine Nationale Konsultation durchgeführt und wir wissen genau, was die Menschen erwarten, was sie erhoffen, was sie wollen, wie sie die Verteidigung lenken wollen oder welche Ratschläge sie uns geben, wie wir die Verteidigung lenken sollen, und das gibt eine große Ruhe. Wenn ich also ihre Frage auf meine eigene Person bezogen übersetzen darf, dann kann ich sagen, ich bin im Vergleich zum Frühling jetzt viel ruhiger und vermutlich auch selbstsicherer, da ich genau weiß, wem wir gegenüberstehen. Ich weiß genau, dass wir über die Mittel zur Verteidigung verfügen und ich weiß genau, was die Menschen möchten. Ich stehe nicht allein auf dem Damm, sondern an meiner Seite stehen eine Million und achthundert tausend Menschen, denen ich auch meinen Dank dafür aussprechen möchte, dass sie den Fragebogen der Nationalen Konsultation zurückgeschickt und die Richtung der Verteidigung markiert haben. Die ganz eindeutig ist. Die Richtung der Verteidigung lautet: Ungarn muss funktionieren. Man erwartet von der Regierung, man erwartet von mir, vom Gesundheitswesen, von den in der Wirtschaftsleitung Teilnehmenden, Ungarn in einem funktionsfähigen Zustand zu halten, und nicht zuzulassen, dass das Virus das Alltagsleben des Landes und der Ungarn lähmt.
Konnte man die Nationale Konsultation als Grundlage für die Entscheidungen nehmen? Ich frage dies aus dem Grund, da diese Fragen und Antworten noch zu einem Zeitpunkt gestellt und gegeben worden sind, als wir eine ganz andere Situation hatten als jetzt.
Ja. Aber wir haben gewusst, was die entscheidende Frage sein wird. Wenn Sie sich heute mit einer ungarischen Familienmutter, mit Arbeitenden, Arbeitnehmern unterhalten, dann werden Sie ihnen ansehen, werden sie aus ihren Sätzen herauslesen, dass sie befürchten, ob sich nicht das wiederholt, was sich im Frühling abgespielt hat, dass im Interesse der Verteidigung das Land geschlossen werden musste. Und dann gibt es keinen Arbeitsplatz, und dann gibt es keine Schule, und dann gibt es keinen Kindergarten, und dann muss alles umgeformt werden. Dann gibt es digitalen Unterricht, und es ist zweifelhaft, ob die Ersparnisse der Familie ausreichen, um bis zum Ende der Seuche durchzuhalten. Heute hat also ein jeder in Ungarn die Befürchtung, ob nicht das Ergebnis der Verteidigung sein wird, dass das Land wieder stillsteht. Und das haben sie auf den Fragebogen mitgeteilt. Dass sie nicht wollen, dass das Land stillsteht. Sie wollen, dass es funktioniert. Es ist unsere Aufgabe, eine Verteidigung zusammenzustellen, einen Schlachtplan, der die Menschenleben schützt und zugleich Ungarn in einem funktionsfähigen Zustand hält. Das ist möglich. Es gibt so einen Schlachtplan, wir fällen dementsprechend unsere Entscheidungen.
Inwieweit kann man die Meinung der Experten des Gesundheitsschutzes, der Obersten Amtsärztin, der Virologen, der Fachleute für Seuchenschutz mit der Meinung der Wirtschaftsexperten vereinbaren?
Das ist überhaupt nicht unmöglich, nur muss man sie in getrennten Räumlichkeiten halten. Aber Spaß beiseite. Jeder hat seine eigenen Gesichtspunkte. Auch die Virologen, die Ärzte, die Seuchenschutzexperten sehen, dass sie uns jetzt solche Ratschläge geben müssen, damit man das Land nicht stillstehen lassen muss. Wir wollen also kein Ausgehverbot, keine Ausgehbeschränkungen, wir wollen nicht zum digitalen Unterricht zurückkehren, sondern wir wollen, dass alles entsprechend seiner eigenen Ordnung funktioniert. Die Arbeitsplätze, die Schulen, ja sogar der Sport, ja sogar die Kultur, ja auch noch die Kunst – also wir möchten, dass es in Ungarn die normalen Rahmen des Lebens sein können. Der Tourismus, die Gastronomie soll funktionieren. Ich sage nicht, dass alles auf die Weise funktionieren kann, als ob nichts geschehen wäre, doch muss die Funktionsfähigkeit der Dinge aufrechterhalten werden. Dazu ist natürlich notwendig, dass wir jene wenigen, nicht viele, einige Sicherheitsregeln alle einhalten, die wir aufgestellt, die wir vorgeschrieben haben. Also dass wir dort, wo es nötig ist, die Maske aufsetzen, dort, wo es notwendig ist, den Sicherheitsabstand einhalten, wir ständig darauf achten, dass wir, wenn wir uns schlecht fühlen, nicht unter Menschen gehen und so weiter. Wir haben zahlreiche Regeln aufgestellt. Wir haben jetzt die Besuchsmöglichkeiten bzw. die Krankenhäuser sowie die Altersheime vor den Besuchern gesperrt. Man sollte die Regel nicht verletzen, man sollte sich nicht hineintricksen, sondern man muss dann wissen, dass man jetzt nicht hingehen kann, und dann gehen wir auch nicht. Wenn im öffentlichen Verkehr und auf den Fahrzeugen die Maske getragen werden muss, dann muss die Maske getragen werden, wenn man im Geschäft nur mit der Maske mit den anderen Menschen zusammen sein darf, dann sollten wir das einhalten. Heute haben wir einige Entscheidungen getroffen, die Sanktionen in Aussicht stellen. Wenn also jemand in einem Geschäft keine Maske trägt, dann erhält er eine Strafe, das ist unvermeidlich, aber auch das Geschäft. Und beim zweiten Mal erhält das Geschäft eine Verwarnung, beim dritten Mal werden wir das Geschäft schließen. Es gibt also einige Regeln, um deren Einhaltung wir einen jeden, bei allem Respekt, bitten. Wir möchten nichts Derbes, wir möchten keinen kräftigen Auftritt, wir wollen nicht die Muskeln des Staates spielen lassen, wir bitten nur einen jeden um Einsicht. Doch wollen wir darüber keine Unklarheit entstehen lassen, dass wenn die Regeln nicht eingehalten werden, dies erzwungen werden muss.
Zugleich haben Sie, Herr Ministerpräsident, ja auch über die Sanktionen, die Strenge, die Polizei im Fall der Krankenhäuser, der Altersheime gesprochen, denn Polizisten beaufsichtigen ja, damit es ein tatsächliches Besuchsverbot gibt und das auch tatsächlich eingehalten wird. Und Sie, Herr Ministerpräsident, haben gesagt, dies müsse man gegebenenfalls auch mit polizeilichen Kräften erreichen. Erweckt dies nicht eher Angst in den Menschen als Beruhigung?
Man muss es richtig sagen. Wenn wir es also drohend sagen, dann werden davon alle nervös, aber ich möchte klarstellen, dass wir diese Entscheidungen geleitet durch unsere gemeinsamen Interessen treffen. Wir wollen jetzt also die Regeln nicht aus dem Grund einhalten lassen, weil Vorschrift Vorschrift ist und die Einhaltung der Regel das Richtige darstellt, sondern umgekehrt, wir wollen sagen: „Leute, diese Regeln sind alle sinnvolle Regeln. Schutzregeln. Wenn wir diese nicht einhalten, dann holen wir uns nur das Übel an den Hals. Nicht nur an unseren eigenen, sondern in erster Linie an den von anderen Menschen, deshalb ist es das Richtige, wenn wir die Regeln einhalten.“ Und mit Recht erwartet auch der andere Mensch von uns, dass wir die Regeln einhalten. Und wenn das nicht geschieht, dann erwarten die Menschen zurecht von der Polizei, dass diese die Regeln einhalten lassen soll. Nur muss man das nicht derb, sondern im Interesse des Gemeinwohls klar, sinnvoll, im Tonfall der Zusammenarbeit als Bitte formulieren.
Herr Ministerpräsident, Sie haben vorhin die Schulen erwähnt. Viele Menschen denken, es sei unverantwortlich gewesen, dieses Schuljahr zu beginnen, obwohl mir meine kleine Tochter gesagt hat, es solle mir nicht einfallen, Ihnen diese Frage zu stellen, nicht damit Ihnen, Herr Ministerpräsident, einfällt, die Schulen zu schließen, denn sie ist so glücklich, dass man in die Schule gehen kann. Es war unverantwortlich, besonders so, dass die Zahlen immer weiter ansteigen, und der Unterricht wird auch weiterhin fortgeführt?
Nun, es war auf Grund der Konsultation eindeutig, und wenn die Menschen Kinder haben, auch ich habe einige, dass die Eltern sich wünschen, die Schule solle im September entsprechend der normalen Ordnung ihre Arbeit beginnen. Und wenn es Probleme gibt, dann versuchen wir lieber die Klassen umzuorganisieren, wenn isoliert werden muss, dann sollten wir lieber die Klassen, und nicht die ganze Schule schließen. Hinzu kommt noch, dass es Siedlungen gibt, in denen das Coronavirus nicht aufgefunden worden ist und auch niemals aufgefunden werden wird, dort lohnt es sich offensichtlich nicht, die Schulen zu schließen. Im Frühling war die Situation eine andere. Wir wussten nicht genau, welchen Schaden das Virus anrichten kann, deshalb war es so wie es war. Und wir wussten auch nicht, ob unser Gesundheitswesen dem Druck standhalten würde, deshalb war es normal, dass wir alles unternommen hatten, um den auf dem Gesundheitswesen lastenden Druck zu mindern. Wir können uns ja daran erinnern, wie in Westeuropa Tausende, Zehntausende in den Krankenhäusern oder auf den Gängen der Krankenhäuser verstorben sind, man hat sie in Massengräbern bestattet. Es war also eine sehr schwerwiegende Situation im Frühling. Ungarn hat nicht nur gemessen an diesem, sondern auch an jedem anderen Maß die Hürde gut genommen. Wenn man hier von Erfolg reden könnte, dann könnte ich sagen, wir haben uns erfolgreich verteidigt, verglichen die Leistung des Landes mit denen anderer Länder. Im Frühling war es also die richtige Politik, die Schulen zu schließen. Damals haben wir darüber auch lange nachgedacht, sind aber schließlich zu diesem Ergebnis gekommen. Jetzt gibt es keine Begründung dafür, solange nicht die Todeszahlen zu steigen beginnen, doch vorerst scheint es so zu sein, dass es gelingt, die Alten zu verteidigen. Solange wird der Gedanke, die Schulen beschränken zu müssen, keinerlei Rolle spielen.
Gergely Gulyás sagte, vorerst scheine das Virus wahrscheinlich nicht derart virulent zu sein, wie es im Frühling war. Und darauf antworten namhafte Ärzte, dies sei nicht der Grund dafür, dass jetzt weniger Menschen ins Krankenhaus kommen, an die Beatmungsgeräte angeschlossen werden müssen oder weniger Menschen sterben, sondern der Umstand, dass das Virus jetzt erst noch die Jugendlichen angreift, doch kann es innerhalb weniger Tage auch innerhalb der älteren Altersstufe ankommen. Sind Sie darauf vorbereitet?
Ich würde einen jeden davor warnen, also ich meine damit Laien wie mich, plötzlich sich auf Crashkursen zu Virologen umschulen zu lassen. Natürlich hat ein jeder seine eigene Meinung, das ist auch vielleicht unvermeidlich, aber wir sollten nicht glauben, wir wären kompetent. Ich selbst wage dies nicht zu behaupten, ich wage nur soviel zu behaupten, dass wir über Erfahrungen verfügen. Und die Entscheidungen muss man auf die Weise treffen, indem wir die Experten für Virologie, die Ärzte, den Minister, die Seuchenschutzexperten anhören, und auf Grund ihrer Meinungen entstehen dann schließlich unsere Entscheidungen. Wir werden sehen, was geschieht. Eine Sache ist sicher: Man muss jeden Tag arbeiten, man muss also jeden Morgen die Experten anrufen, man muss sich jede Woche mehrmals mit ihnen zusammensetzen, man muss sie anhören. Hier ist jetzt die Flexibilität, die Handlungsfähigkeit, die Fähigkeit, sofort reagieren zu können, am wichtigsten. Ich beginne jeden meiner Tage auf diese Weise und ich erlebe alle meine Wochen so, jede Woche treffe ich mich mindestens einmal, aber eher zwei-dreimal mit dem Operativen Stab, ich treffe den für die Wirtschaft zuständigen Operativen Stab, und wenn es notwendig ist, dann ändern wir immer etwas an unseren Entscheidungen. Doch noch sind wir nicht bei den Detailfragen angekommen, jetzt muss man erst die Richtung unserer Entscheidungen ausrichten. Auch die Menschen erwarten dies von uns, und ich möchte die Menschen wissen lassen, dass die Richtung unserer Entscheidungen eindeutig ist: Das Land muss funktionieren.
Das Land muss funktionieren, sagen Sie, Herr Ministerpräsident, und als negatives Beispiel fällt mir Schweden ein, die sich ja nicht verteidigt haben, da sie sagten, die Wirtschaft, das Land muss funktionieren. Infolgedessen war die Seuche nicht mehr zu kontrollieren und es gab sehr viele Todesopfer. Befürchten Sie nicht, dass sich dieses Drehbuch auch in Ungarn ereignen könnte?
Es ist sehr wichtig, dass wir die Alten nicht vergessen. Also den Umstand, in dem alle Experten übereinstimmen, dass der größten Gefahr die an einer chronischen Erkrankung Leidenden und die Alten ausgesetzt sind. Wir müssen also eine besondere Aufmerksamkeit darauf verwenden, was mit ihnen geschieht, deshalb geschieht dies kontinuierlich. Wir haben einen Seuchenschutzbeobachtungsdienst, wir beobachten kontinuierlich, was geschieht, und wenn es notwendig werden sollte, werden wir dann beschränkende Maßnahmen treffen. Auch jetzt liegen einige auf dem Tisch. In diesen geht es aber natürlich nicht um die Einschränkung des alltäglichen Lebens, sondern – sagen wir – um solche Fragen, ob wir nach 23 Uhr die Bars und die Vergnügungslokale schließen sollen oder nicht. Auf welche Weise wir das Tragen der Maske in den Geschäften oder eben in den öffentlichen Verkehrsmitteln erzwingen sollen. Sollen wir – hierüber haben wir bereits entschieden – die Besuchsregeln der Krankenhäuser und Altersheime umformend die Tore vor den Besuchern schließen? Oder: Dürfen die Eltern die Schulgebäude betreten? Die Eltern dürfen nicht in die Schulen.
Leider ja.
Oder ob wir bei den die Schule betretenden Kindern die Körpertemperatur messen sollen? Ab dem 1. Oktober werden wir in der Lage sein, diese bei allen Kindern zu messen. Auch heute ist es schon überall empfohlen, doch ab dem 1. Oktober wird es obligatorisch sein, und auch die Voraussetzungen dafür werden vorhanden sein. Und ich könnte noch weitere Beispiele aufzählen, wir treffen also Tag für Tag zahlreiche praktische Entscheidungen, mit denen wir im Übrigen die Gesundheit und das Leben unserer alten Mitbürger schützen. Dies halte ich für am wichtigsten. Ich rechne in Menschenleben. Meiner Meinung nach haben wir mit der Verteidigung im Frühling die Leben von mehreren tausend, aber doch eher von zehntausend alten ungarischen Menschen gerettet, und auch jetzt werden wir kein einziges Leben riskieren, doch muss in der Zwischenzeit das Land funktionieren, und die beiden Dinge sind meiner Ansicht nach zusammen möglich.
Sie sagten, Herr Ministerpräsident, wir stünden bis an die Zähne bewaffnet dem Virus gegenüber. Gilt das auch für das Gesundheitssystem? Und ich denke dabei nicht nur an die Waffen, sondern auch an die Soldaten. Gibt es genügend Waffen und gibt es genügend Soldaten?
Ja. Es gibt also mehr als zehntausend Betten, die wir – wenn es notwendig sein sollte – im Fall der Epidemie bereits ab heute Abend den Kranken zur Verfügung stellen können. Es gibt an den Betten Ärzte, es gibt Pfleger, wir können sie auch umgruppieren, wenn das notwendig werden sollte. Wir haben Verteidigungsinstrumente, wir haben Beatmungsgeräte. Also als ich sagte, ich sei viel ruhiger und selbstsicherer, und das können wir alle sein, als wir es im Frühling waren, hat das zum Grund, weil wir im Rahmen einer großen militärischen Übung das ungarische Gesundheitssystem einem Test, einem Stresstest unterzogen haben, und es hat die Probe bestanden. Seitdem haben wir es weiter verstärkt, wir haben weitere Entscheidungen getroffen, ich bin mir also darin sicher, dass kein einziger ungarischer Mensch leiden oder sterben muss, weil das Gesundheitswesen ihn nicht aufnehmen und ihm nicht die entsprechende Versorgung geben könnte. Das ungarische Gesundheitssystem ist fähig, jedes ungarische Leben zu schützen.
Sprechen wir auch ein bisschen über die Wirtschaft. Die Optimisten sagen, die Wirtschaftsdaten des ersten Halbjahres waren in Ungarn besser als im Allgemeinen in Europa. In Frankreich, in Belgien, in Italien, in Spanien bzw. auch im Vereinigten Königreich sei der Rückgang der Wirtschaft größer als in Ungarn. Und die Pessimisten sagen, das Land befinde sich auch so noch in der Rezession.
Nun bin auch ich kein Anhänger dessen, mit dem Zentimetermaß zu messen, denn was hilft es uns, welches Bild das Land im Vergleich zu anderen zeigt? Uns hilft, was in Ungarn ist, bzw. es hilft, wenn wir die Situation verbessern. Am wichtigsten sind die Arbeitsplätze. Die ungarische Regierung war eine sehr klare Verpflichtung eingegangen, hinter diesem Satz stand auch ich, und ich sagte: „So viele Arbeitsplätze das Virus zerstört, so viele Arbeitsplätze werden wir schaffen.“ Wenn Sie sich die Daten von diesem Jahr, sagen wir vom März anschauen, also die Zahlen aus der Zeit vor der Krise, wie viele Menschen damals arbeiteten und das mit den jetzigen Zahlen vergleichen, dann werden Sie sehen, dass wir unser Versprechen eingehalten haben. Ja, die Zahl der Arbeitsplätze wird im Rest des Jahres anwachsen, wir werden also keine Arbeitsplätze verlieren, sondern wir werden neue Arbeitsplätze schaffen, denn wir haben sehr viele Energien und viel Geld aufgewendet, um Investitionen zu starten. Die ungarischen Unternehmen werden nicht schwächer, sondern wir haben sie gestärkt. An einer Stelle gibt es ernsthafte Probleme, das ist der Budapester Teil des Tourismus, der beinahe zu hundert Prozent auf die ausländischen Gäste aufbaut. Und das ist nun eingebrochen. Und das Geschäftsmodell, entlang dessen die Hotels und die Restaurants in Budapest tätig sind, wird nicht nur in diesem Jahr nicht aufrechtzuerhalten sein, sondern auch im kommenden Jahr nicht. Dass mehr als neunzig Prozent der Übernachtungen mit den Ausländern in Verbindung stehen, ist nicht aufrechtzuerhalten, denn der Tourismus der Welt wird meiner Ansicht nach auch noch 2021 nicht in die alte Fahrbahn zurückfinden. In Budapest muss also etwas anders gemacht werden, man muss das Geschäftsmodell wechseln, man muss den Taxifahrern, den Gastronomen, den Hoteliers usw., im Allgemeinen den in dem mit dem Fremdenverkehr in Verbindung stehenden Sektor Arbeitenden jeweils eine gesonderte Form von Hilfe zukommen lassen. Im Übrigen können an vielen Stellen die Investitionen und die Entwicklungen jene Arbeitskräfte aufsaugen, die eventuell im Fall des Bankrotts der einen oder der anderen Firma frei wird. Insgesamt sind wir also in der Lage, Arbeitsplätze in ausreichender Zahl zu schaffen. Worauf man noch achten muss, das ist das Lebensniveau der Familien. Das ist kein halbes Jahr, hier müssen wir meiner Meinung nach in der Dimension von anderthalb bis zwei Jahren denken. Jetzt habe ich den Eindruck, am besten ist es, wenn wir auch den Posten eines für die Angelegenheiten der Familien, sich mit den Familien beschäftigenden Ministers ohne Portefeuille schaffen. Ich glaube, wir müssen die Zuständigkeiten und die Möglichkeiten der Frau Staatssekretärin Katalin Novák, die bisher innerhalb des Ministeriums für Humanressourcen gearbeitet hat, vergrößern, damit wir das Lebensniveau der Familien schützen können, und diese Arbeit muss sie dann ab dem 1. Oktober leiten.
Vorhin haben Sie, Herr Ministerpräsident, die Budapester Taxifahrer erwähnt. Vor kurzem bin ich mit dem Taxi gefahren, und der Taxifahrer fragte mich: „Wer hilft uns?“ denn es ist ja deutlich zu sehen, dass der Inlandstourismus blüht. Ich war Ende August in Balatonfűzfő. Ich glaube, so viele Menschen habe ich noch nie am Ufer des Plattensees gesehen. Zugleich steckt Budapest in Problemen, und Sie sagen, die Hauptstadt müsse zum Beispiel den Taxifahrern helfen, denn die Gewerbesteuer wird von ihr eingenommen. Zugleich sagt die andere Seite, die Regierung würde die Hauptstadt allein lassen.
Nein! Wir helfen allen. Wir haben also die Beiträge gesenkt. Das betrifft auch die in der Hauptstadt Lebenden oder wir haben die Beiträge zur Sozialversicherung gesenkt, das betraf auch die Unternehmer in der Hauptstadt, oder wir haben auch denen über drei Monate einen Nachlass eingeräumt, die ihre Steuern entsprechend des Gesetzes für kleine Steuerzahler entrichten. Wir haben keinen Unterschied zwischen Budapest und der Provinz gemacht. Hier geht es eher darum, dass ein spezielles Budapester Programm nötig ist. Ich sage es noch einmal, man muss hier in Budapest das Geschäftsmodell wechseln. Die gute Nachricht ist, dass die Hauptstadt über mehr als hundert Milliarden Forint frei verfügbare Geldmittel verfügt, die sie für diese Zwecke benutzen könnte. Meiner Ansicht nach ist die Zeit gekommen, dieses Geld einzusetzen.
Am Freitag haben Sie, Herr Ministerpräsident, sich auch mit den V4-Ländern abgestimmt. Es ist ja deutlich erkennbar, dass die V4 in dieser Krise erstarkt sind, dass der Zusammenhalt stärker geworden ist. Während der ersten Welle standen die V4-Länder sehr gut, jetzt aber, während der zweiten, ist das nicht so sehr der Fall. Deutschland hat zum Beispiel nach Brüssel und Paris jetzt auch schon Prag zum Risikogebiet erklärt. Ist es angesichts dessen begründet, hinsichtlich der Einreise mit den V4-Ländern eine Ausnahme zu machen?
Es ist immer begründet, vor allem aus dem Grund, da wir mit ihnen täglich in Verbindung stehen. Wir wissen also genau, was in Prag geschieht, wie sie sich verteidigen, welche Entscheidungen sie treffen. Wir haben jetzt im Übrigen auch unter den Flügeln des polnischen Vorsitzes ein Seuchenschutzkoordinierungsbüro geschaffen, damit diese Verbindungen noch stärker sind. Wenn Sie also mich fragen würden, über welches andere Land wir mit der größten Sicherheit wissen, ob es sich gut oder schlecht verteidigt, dann würde ich sagen, wir wissen es über die Slowaken, wir wissen es über die Tschechen und auch über die Polen, denn mit ihnen stehen wir in einem täglichen, lebenden Kontakt. Deshalb lohnt es sich in ihrer Hinsicht immer, gesonderte Regeln aufzustellen oder zu schaffen als für die anderen Länder. Ich behandle also die V4, ganz gleich um welche Sache es geht, um Handel, Einreise, Grenzsicherung, Tourismus, sowohl in meinen Gedanken als auch bei der Schaffung von Regelungen als eine gesonderte Gruppe. Wir müssen uns in ganz Europa darauf vorbereiten, dass die Zahl der Infektionen zunehmen wird, denn die Epidemie hat auch die Jugendlichen erreicht. Jetzt gibt es nicht mehr Hotspots, sondern es gibt massenweise Infektionen. Die Zahl der Infektionen wird also in allen Ländern höher liegen. In den sich gut verteidigenden Ländern wird die Zahl der Todesfälle niedrig sein, und in Abhängigkeit davon, wie die Leistung der jeweiligen Regierung ist, werden sie in der Lage sein, das Lebensniveau der Menschen und der Familien zu schützen oder nicht zu schützen. Meiner Ansicht nach bieten in Mitteleuropa – nicht nur in Ungarn, sondern auch bei den Tschechen und Polen sowie den Slowaken – die Regierungen ein recht gutes Bild, so dass ich es auszusprechen wage: Sie werden das Lebensniveau ihrer Familien verteidigen können. Auch Ungarn gehört zu dieser Gruppe. Das wird schon gehen. Das heißt, wir werden das Leben der älteren Menschen beschützen. Wir nehmen es zur Kenntnis, dass wir mit einer höheren Zahl an Infektionen zusammenleben müssen, und zugleich müssen wir die Funktionsfähigkeit der Wirtschaft und jene des Landes bewahren, und natürlich helfen wir einem jeden, wieder gesund zu werden. Wenn es also Probleme gibt, stehen unsere Krankenhäuser allen zur Verfügung.
Ich habe die erste Welle der Seuche in Berlin erlebt, und ich machte die Erfahrung, dass neben dem Coronavirus noch ein anderes Virus in der europäischen und deutschen Presse und Politik eine zerstörerische Wirkung ausübte, das versuchte, die Glaubwürdigkeit Ungarns zu vermindern. Man konnte beinahe täglich lesen, das ungarische Parlament würde nicht tagen bzw. die Regierung habe das Gesetz versteckt. Dies hat auch noch ein das Ungarische recht gut sprechender deutscher Journalist geschrieben. Die Bertelsmann Stiftung hat auch noch am selben Tag ein niederschmetterndes Bild von dem Zustand der ungarischen Demokratie gezeichnet, als die Europäische Kommission die Verfassungsmäßigkeit der Maßnahmen bestätigte, und jetzt erhält ja die ungarische Regierung wegen der Grenzbeschränkungen heftige Kritik. Worin hat diese Kritik ihre Wurzeln?
Der Staat ist halt groß, das Auftreten ist großspurig. Die Deutschen glauben also aus irgendeinem Grund, dass ihre Demokratie besser sei als die Ungarns. Sie irren sich. Aus irgendeinem Grund glauben sie, die Pressefreiheit wäre dort in einem besseren Zustand als hier. Sie irren sich. Wenn wir uns die Medienvielfalt ansehen, dann muss ich sagen, Ungarn steht da vor Deutschland. Wenn wir den Rechtsstaat betrachten, dann muss ich sagen, der ungarische Rechtsstaat besteht gegenüber dem deutschen, doch ist das eine Eigenschaft der großen Länder. Die Großen denken, sie würden alles besser wissen. Das müssen wir mit einer gewissen Heiterkeit akzeptieren.
Nun wenn man denn immer die Heiterkeit dazu besitzt. Jedenfalls ist es „genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat“, wie das Evangelium des Matthäus es formuliert, und so hat man in der Zeit der Seuche das Gefühl, wenn man die Aufgaben des Tages bewältigt hat, dass man dann schon alles getan hat. Zugleich gibt es langfristige Projekte wie zum Beispiel den für den Zeitraum des deutschen EU-Vorsitzes geplanten Abschluss von Artikel sieben. Die Migration, die jetzt nicht nur mehr ein Sicherheitsproblem darstellt, sondern auch eines für das Gesundheitssystem oder das Verhältnis zwischen China und Europa. Inwieweit fürchten Sie die Konsequenzen dessen, dass diese sehr wichtigen Fragen, diese langfristigen Fragen nicht rechtzeitig oder gar nicht auf die Tagesordnung gelangen?
Nun, in Ungarn stehen sie auf der Tagesordnung, deshalb habe ich keine solchen Befürchtungen. Ob Europa sich im notwendigen Tempo und in der notwendigen Tiefe während der Krise mit diesen Fragen beschäftigt, ist eine andere Frage. Die Deutschen tun im Übrigen alles, was sie können, da kann man ihnen nichts vorwerfen. Sie versuchen also diese Fragen auf der Tagesordnung zu halten. Aber was auch immer Brüssel unternimmt, hier, in Ungarn, stehen diese Fragen auf der Tagesordnung. Der ungarische Außenminister kam unlängst aus China zurück. Ich war gerade bei den V4. Wir beschäftigen uns neben dem Krisenmanagement also auch mit den großen, langfristigen Angelegenheiten. Zweifellos stimmt es, dass es einen Unterschied zwischen den V4-Ländern, Mitteleuropa und Westeuropa, sagen wir Deutschland gibt, und dieser wird auch aufrechterhalten bleiben. Sie haben sich also für eine offene Gesellschaft entschieden, in der die Grenzen keine Bedeutung besitzen, sie lassen die Migranten herein. Ja, sie rufen sie sogar herein und sie stellen sich so eine gemischte Welt vor. Sie wollen mit Menschen zusammenleben, die aus fremden Kulturen kommen. Das ist ihr gutes Recht. Wir hier in Mitteleuropa wollen das nicht. Deshalb entstehen offensichtlich und auch gefühlt kontinuierlich unterschiedliche Welten sagen wir in Berlin und Deutschland und eine andere Welt in Budapest und Ungarn. Jedoch wird dies auch langfristig so sein, denn ein jeder lebt so, wie er möchte, und jeder hat das Recht, so zu leben, wie er leben möchte. Wir, Ungarn, wollen also keine Migranten, wir wollen keine offene Gesellschaft, wir wollen uns nicht mit anderen vermischen. Wir wollen eine christliche, ungarische Zivilisation bleiben. Wir freuen uns natürlich über jeden, der aus einer anderen Kultur kommt, dem wir zuhören können, doch die Art, den Charakter und vor allem den Besitzer, also dass die ungarische Nation der Besitzer dieses Landes ist, daran werden wir überhaupt nichts, daran wollen wir überhaupt nichts ändern, auch dann nicht, wenn andere Länder einen anderen Weg beschreiten. Deutschland und einige große westeuropäische Länder werden in den kommenden Jahrzehnten eine migrantenfreundliche Linie verfolgen. Der Unterschied zwischen uns wird deshalb sichtbar größer werden, doch bedeutet dies nicht, dass unser Leben nicht mindestens so gut wäre wie das ihre, unsere Wirtschaft nicht ebenso wettbewerbsfähig sein könnte. Ich bin also der Überzeugung, dass wir uns richtig entschieden haben, denn wir errichten eine ungarische Welt, die zu uns passt. Wir wollen uns keine fremden Kleider überziehen, sondern wir möchten ein sich aus christlichen, aus ungarischen Traditionen aufbauendes Leben nicht nur für uns, sondern auch für unsere Kinder – und dazu haben wir das Recht.
Während der Coronaepidemie, während der ersten Welle war das Geheimnis des Erfolgs die Schnelligkeit. Die Gefahrensituation wurde durch die ungarische Regierung am siebenten Tag nach dem Erscheinen des ersten Infizierten eingeführt. Im Vergleich dazu: In Berlin geschah das am 37. und in Spanien am 45. Tag. Wenn die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Wirtschaft ein mindestens so wichtiges Ziel ist, besteht dann dabei die Möglichkeit, derart schnell Entscheidungen zu treffen?
Im Frühling war dies von Bedeutung. Jetzt ist meiner Ansicht nach eher die selbstsichere Berechenbarkeit nötig. Ich möchte also keine dramatischen Entscheidungen treffen, und es ist nicht notwendig, plötzlich einen radikalen Richtungswechsel zu vollführen, denn es gibt nicht einmal theoretisch solch eine Möglichkeit, auf die wir uns nicht vorbereitet hätten. Wir wissen also genau, was wir im Fall von Drehbuch A, B, C und D tun müssen. Was ich also jetzt die Bürger Ungarns wissen lassen möchte, ist nicht, dass wir sogar dazu in der Lage sind, von einem Tag zum anderen eine Kursänderung zu vollziehen, sondern dass wir einen Schlachtplan haben, der Kapitel, Entscheidungen, Punkte besitzt, laut denen wir vorangehen, und wenn ein jeder seine Arbeit schön, ruhig, besonnen verrichtet und die Regeln einhält, dann schützen wir das Leben der Alten. Das Lebensniveau der Familien wird nicht abnehmen und Ungarn wird funktionieren. Dazu gibt es die Möglichkeit. Der Schlachtplan der Regierung gibt hierfür nicht nur eine Chance, sondern auch eine Garantie, doch ist das Wesentliche dessen jetzt nicht die Schnelligkeit, sondern vielmehr die besonnene, ruhige, berechenbare Regierungspolitik.
Herr Ministerpräsident, vielen Dank!