– Branimir Stanić, Ivan Tašev –
Die kroatischen Gläubigen blicken auf den im September in Budapest zu veranstaltenden Internationalen Eucharistischen Kongress und die diesen begleitenden Ereignisse voraus. Wir waren sehr überrascht, als wir in den vergangenen Tagen aus den Medien im Zusammenhang damit über Diskussionen hören konnten, Papst Franziskus wolle sich nicht mit Ihnen treffen. Später stellte sich heraus, dass es sich um eine Falschmeldung handelte. Können Sie darlegen, was in Wirklichkeit geschehen war?
Die erste Lehre ist, selbst der Heilige Vater ist nicht vor Falschmeldungen gefeit. Der ungarische Standpunkt war ganz klar: Der Heilige Vater ist zugleich ein Staats- und Kirchenoberhaupt. Als Staatsoberhaupt stehen ihm die größten Ehrerbietungen zu, und wenn er als Haupt der katholischen Kirche kommt, dann werden wir ihn mit christlicher Demut empfangen. Der Eucharistische Kongress ist kein ungarisches Ereignis, sondern eine in Ungarn durchgeführte internationale Veranstaltung, die auch der Papst besucht. Deshalb war es nicht ganz offensichtlich, was genau im protokollarischen Sinn geschehen wird, denn wenn er nur nach Ungarn käme, wäre alles klar, doch handelt es sich hier um ein internationales Ereignis. Und ich bin Teilnehmer an einer Politik genannten Kampfsportart, in der die Kämpfe alltäglich sind, Tag und Nacht andauern. Bildlich formuliert: Wenn am Panzer ein kleiner Spalt entsteht, wird gleich auf diese Stelle geschossen. Dass es sich hierbei um ein internationales Ereignis handelt, das gewisse protokollarische Fragen offengelassen hat, öffnete einen Spalt. Und da begannen die kirchen- und christenfeindlichen Kreise auf diesen Spalt zu schießen.
Wie konnte überhaupt so ein Missverständnis geschehen?
Tatsächlich gibt es einen Meinungsunterschied zwischen der Meinung und der Einstellung des Heiligen Vaters hinsichtlich der Migration bzw. dem Standpunkt der ungarischen Regierung, der offensichtlich und für die ganze Welt sichtbar ist. Wir lehnen die Migration vehement ab, und die katholische Kirche besitzt ihren eigenen Standpunkt. Daraus kann man sehr leicht eine Geschichte kreieren, laut der der Heilige Vater und der ungarische Regierungschef „sich nicht verstehen“, „ihr Standpunkt stimmt nicht überein“, und schließlich „sie wollen sich nicht einmal treffen“. Jedoch schmerzen nicht die Falschmeldungen über das Treffen im September in Budapest am meisten. Besonders bedauere ich, dass ich nicht an der Seligsprechung von Kardinal Stefan Wyszyński teilnehmen kann, die an dem Tag des Budapester Eucharistischen Kongresses in Polen erfolgt. Wir schätzen die polnischen Katholiken äußerst hoch.
Gerade in diesem Jahr haben wir das dreißigste Jubiläum des erhabenen Ungarnbesuchs von Papst Johannes Paul II. Unvergessen sind seine damalige Fürbitte und sein Gebet, in denen er nach den Jahren der Diktatur um die Wiedergeburt Ungarns bat. Ist es Ungarn in den vergangenen dreißig Jahren gelungen, wiedergeboren zu werden?
Wir können noch nicht über eine Wiedergeburt sprechen, obwohl sich vieles verändert hat. Auch die geistige Haltung des Landes hat sich weitgehend verändert. Das Leben besitzt einen größeren Wert, doch erhält es noch nicht den vollkommenen Respekt. Aufmerksamkeit und Interesse für die Kirche und die Botschaft Gottes ist spürbar, doch gibt es keine massenhaften Bekehrungen. Ich könnte es so formulieren: Die Wiedergeburt ist nicht geschehen, doch sind wir in einem viel besseren Zustand im Vergleich zu dem früheren, und auch die Chance auf die Wiedergeburt ist größer als sie vor dreißig Jahren es war. Ungarn ist noch immer ein säkularer Staat, der Wege zu Gott und auf diesem Weg Stützen sucht. Der polnische Papst bedeutete auch eine politische Erlösung, da die Erlösung der Ausdruck der Freiheit ist, und er uns diese Erlösung auch im politischen Sinn gebracht hat. Wir sind der Ansicht, dass wir ohne den polnischen Papst uns nicht von den Kommunisten befreit hätten. Mögen wir Gläubige sein oder nicht, wir verehren den polnischen Papst als einen Heiligen. Ich persönlich verdanke ihm sehr viel, wir haben uns mehrmals getroffen, und er hat mir wichtige Dinge im Voraus angedeutet. Er hat mich immer ermutigt. Wir haben seine große und tiefe Liebe zu den Ungarn gespürt.
Wie stark sind heute in Ungarn die prädemokratischen Strukturen auf dem Gebiet der Kultur, des Schulwesens und der Medien?
In der ungarischen Seele lebt im Allgemeinen eine Sehnsucht nach dem, das wichtiger ist und über dem persönlichen Leben steht. Die Ungarn suchen dies im Allgemeinen in drei Richtungen: in der Richtung der Familie, der Nation und Gottes. Auch die Bekehrung geschieht im Allgemeinen dann, wenn diese drei Welten sich berühren. Das ist ein sich entwickelnder Prozess, ich kann nicht sagen, dass uns hierbei prädemokratische Kräfte behindern würden, man kann niemandem anderen die Verantwortung zuschieben, das ist unsere Verantwortung. Natürlich gibt es in Ungarn Atheisten, es gibt Kirchengegner und Liberale, die alles gegen die Verbreitung der christlichen Werte unternehmen. Sie haben ihre Medien, sie sind organisiert, sie besitzen starke zivile Vereine. Doch über diese verfügen wir auf der konservativen Seite ebenso – es gibt mindesten so viele christliche Medien wie antichristliche, unsere zivilen Organisationen sind mindestens so stark wir die ihren, vielleicht auch noch stärker; wir halten die politischen Positionen, da wir eine christliche Regierung haben. Wir können für das Ausbleiben der geistigen Erneuerung also nicht unsere Gegner verantwortlich machen. Der Fehler ist nicht bei den anderen, sondern in uns zu suchen.
Im Mittelpunkt des Papstbesuchs in Ungarn steht die Eucharistie. Obwohl die Calvinisten und die Katholiken nicht die gleiche Einstellung in Bezug auf die Eucharistie haben, teilen sie zahlreiche christliche Werte. Welche sind Ihrer Ansicht nach jene eine zentrale Bedeutung besitzenden Werte, die nach dem Treffen mit dem Papst im September stärker werden können?
Auch wir, Calvinisten, haben einen Gottesdienst, auch wir teilen das Brot und den Wein, aber unsere Liturgie ist in erster Linie Erinnerung. Doch erlebe und verstehe ich die Schönheit der Eucharistie, da meine Gattin eine Katholikin ist. In unserer Kultur folgen die Kinder den Eltern, wenn die Ehepartner zu verschiedenen Bekenntnissen gehören, dem Geschlecht entsprechend. So habe ich vier katholische Töchter – was so viel bedeutet, dass ich mit fünf katholischen Frauen unter einem Dach lebe – und einen calvinistischen Sohn. Auf diese Weise leben bei uns Katholiken und Calvinisten zusammen, in einer Liebesgemeinschaft. Hinzu kommt noch, dass meine Tochter den Sohn eines griechisch-katholischen Priesters geheiratet hat. Bei uns sagen die Katholiken: „Das Problem ist, dass der Mantel unseres Herrn Jesus Christus in Teile zerrissen worden ist.“ Wir sind viele, die wir uns nach der Verwirklichung der christlichen Einheit sehnen. Ich denke natürlich nicht nur an das westlich-lateinische Christentum, sondern an dessen Ganzes, das auch die Orthodoxie beinhaltet. Dem Heiligen Vater werden wir die Botschaft senden, dass in Ungarn das Christentum keine Frage der Wahl, sondern der Vorbestimmtheit ist. Dazu ist keinerlei Argumentation nötig, das ist so, das ist so vorbestimmt. Die uns umgebende Welt ist gegenüber uns allen feindlich. Gegenüber Ihnen, Katholiken, und mir, dem Calvinisten, gleichermaßen. Gegenwärtig tobt ein kultureller, ja sogar ein Zivilisationskampf; der Kampf um die Seele und die Zukunft Europas ist hier, er geschieht hier. Man pflegt zu sagen, in den Schützengräben würden selten Diskussionen um den Glauben geführt, denn wir alle werden angegriffen. Deshalb brauchen wir das Gebet für die völlige christliche Einheit, die Orthodoxen mit inbegriffen, denn ohne Zusammenarbeit können wir in Europa das Christentum nicht erhalten. Erlauben Sie mir ein mir nahestehendes Beispiel zu nennen. Als wir die Wahlen gewonnen hatten, arbeitete ich noch im Parlament, dort war mein Büro. Ich bereitete mich auf die Vereidigung und meine erste Rede vor, ich trat aus der Tür, und ein Priester aus Međugorje kam mir entgegen, der sagte: „Ich bin gekommen, um Sie vor der Vereidigung zu segnen.“ Achten Sie nur darauf: Ein kroatischer Priester aus Međugorje kam zu einem calvinistischen ungarischen Ministerpräsidenten, um ihn zu segnen! Wir beteten gemeinsam, danach legte ich meinen Eid ab. In der christlichen Welt geschehen solche Dinge, wenn wir zulassen, dass sie geschehen können.
Sie haben die Seele Europas erwähnt. Sollte die gegenwärtige Politik im Grunde die Materialisierung des im Hintergrund laufenden geistigen Kampfes sein?
Die Politik läuft gleichzeitig auf drei Ebenen. Die erste Ebene ist eine praktische: Hier geht es um Machtfragen, die Annahme des Haushaltes, die Ernennung von Personen, die Aufrechterhaltung der Ordnung. Die zweite Ebene würde ich als Vision bezeichnen, denn jede nationale Gemeinschaft braucht eine Vision. Was wird mit den Ungarn sein, nicht morgen früh, sondern in fünf-zehn-zwanzig Jahren? Aber in dem Hintergrund von all dem gibt es auch eine breitere Dimension, die Welt der Transzendenz. Wir leben auch in dieser Dimension, auch das ist ein Teil des Lebens. Im ungarischen politischen Denken nennt man dies das Problem der Mehrheit und der Wahrheit: Wenn jemand die Mehrheit hat, aber nicht nach der Wahrheit strebt, wozu braucht er überhaupt die Mehrheit? Das ist nur Profanierung. Und wenn jemand die Wahrheit vertritt, aber für sie nicht die Mehrheit mobilisieren kann, wie kann er im Namen der Wahrheit handeln? Das ist die zentrale Herausforderung der christlichen Politik, die unter demokratischen Umständen erscheint. Um einfacher zu formulieren, wir haben keine sakralen, durch Gott gesalbte Könige, wir müssen also in der Demokratie die Mehrheit und die Wahrheit verbindend existieren. Das ist schwer, aber möglich. Die christlich-demokratische Politik besitzt auch in Verbindung mit der christlichen Kultur ein Mandat. Das Christentum hat erstens den freien Menschen geschaffen. Deshalb müssen wir in erster Linie die menschliche Würde verteidigen. Danach schuf das Christentum die christliche Familie. Wir müssen das Konzept der christlichen Familie verteidigen. Außerdem hat das Christentum in diesem Teil der Welt auch Nationen geschaffen. Wenn wir, Ungarn, über tausend Jahre hinweg nicht dem Christentum gefolgt wären, wären wir verschwunden, deshalb müssen wir auch die Nation schützen. Doch müssen wir auch die religiösen Gemeinschaften, die Kirchen schützen. Zusammengefasst: Unsere Aufgabe ist es nicht, Glaubenssätze zu schützen, das ist die Mission der Kirche, sondern die großen Ergebnisse der christlichen Zivilisation. Und wenn ich diese verteidige, dann kämpfe ich nicht nur mit dem Schwert, gebrauche nicht nur die Macht, sondern auch mit Argumenten. Im Beruf des Politikers ist es die schönste Sache, dass es keine Stellenbeschreibung gibt. Auch ich habe meine eigene Definition. Ich denke, die Politik ist eine Machtfrage und die Macht ist die Fähigkeit des gemeinsamen Handelns. Die politische Macht erschafft das gemeinsame Handeln als politisches Handeln. Zum Beispiel durch Wahlen, die Verfassung und auf andere Weise. Doch dürfen wir die göttliche Macht nicht vergessen, denn das gemeinsame Handeln kann man nicht nur mit politischen Mitteln, sondern auch auf geistigem, auf seelischem Weg verwirklichen. Dies ist in Wirklichkeit die Aufgabe der Kirche und der Diener der Kirche: Die Kirche verwirklicht das gemeinsame Handeln durch seelische Führung, und wir mit politischen Mitteln. Wenn diese beiden Seiten in Verbindung treten, entstehen große Ergebnisse. Deshalb werden wir die Trennung von Kirche und Staat auf die Weise, wie das im Westen aufgefasst wird, niemals akzeptieren. Im ungarischen Grundgesetz steht, der Staat und die Kirche wirken getrennt, was auch die Zusammenarbeit ermöglicht.
Wie können wir dann erklären, dass man vielerorts in der Welt hört, die ungarische Staatspolitik, die die christlichen Werte derart betont befördern möchte, hält die Migranten an der Grenze mit einem Stacheldrahtzaun auf?
Wenn uns die Kroaten wirklich verstehen wollen, sollten sie sich das Denken und die Taten von Miklós Zrínyi in Erinnerung rufen; wenn sie uns in ihrem eigenen Weltbild einordnen wollen, dann müssen sie im Kontext von Miklós Zrínyi an die Ungarn denken. Aber kommen wir auf die Frage der Migration zurück. Unsere philosophische Meinung ist, dass die Migration ontologisch eine schlechte Sache ist. Es ist schlecht, wenn wir nicht in unserem eigenen Land bleiben und dort leben können, wenn wir unser persönliches Glück, unsere Profession nicht finden und wir dieses Gebiet aus welchem Grund auch immer verlassen müssen, besonders wenn dies unter Zwang geschieht. Von Zeit zu Zeit kommt es vor, dass jemand seine Heimat verlassen muss, weil man ihn sonst umbringen oder ihn zum Sklaven machen, ihn einkerkern würde oder er verhungern könnte. Diese Gründe sind sehr wohl möglich. Aber selbst noch in solchen Fällen, wenn jemand seine Heimat verlassen würde, ist das Ziel, später nach Hause zurückzukehren. Deshalb müssen wir, wenn wir jemandem helfen wollen, ihm nicht dazu den Anreiz geben, möglichst lange seiner Heimat fern zu bleiben, sondern wir müssen ihm helfen, damit er möglichst schnell dorthin zurückkehren kann. Diesen Standpunkt vertrete ich auch persönlich und ich empfehle dies auch der Europäischen Union: Europäisches militärisches Auftreten, Übernahme einer Rolle in der Wirtschaft, Stabilisierung und die Schaffung normaler Lebensbedingungen in diesen Regionen. Ich denke, dieser Standpunkt ist auch im christlichen Sinn vertretbar. Sie haben den Zaun erwähnt. Wenn an der ungarischen Grenze mehrere zehntausend, zumeist junge Männer erscheinen, in hervorragendem physischen Zustand, indem sie in Marschkolonnen über die Staatsgrenze stapfen und wenn wir sie aufhalten wollen, trampeln sie auch über uns hinweg, können wir nicht mehr von Migration, sondern von der Verletzung der staatlichen Souveränität sprechen. Dem muss Einhalt geboten werden. Niemand darf auf das Territorium deines Landes kommen, wenn du ihm das nicht zuvor erlaubt hast, wenn er dies aber macht, muss man ihn von dort hinausdrängen, deshalb nutzen wir diesen Zaun. Wir müssen auch sagen, wir sind davon überzeugt, dass die Migration sich nicht auf spontane Weise ereignet, sondern sie organisiert wird. Dies hält man im Westen für eine Verschwörungstheorie, doch geschieht all dies trotzdem organisiert, entlang von politischen und geschäftlichen Erwägungen, und die Folge dessen wird sein, dass große muslimische Massen auf den europäischen Kontinent gelangen. Ich denke, jene, die sich nicht verteidigen, werden in zwanzig Jahren ihr Land nicht mehr wiedererkennen. Die Veränderung geschieht auf eine von außen ihnen aufgezwungene Einwirkung hin. Ich denke, Miklós Zrínyi wüsste, was man in so einer Situation unternehmen muss.
Hat die Pandemie diesen Prozess verlangsamt?
Ich sehe keinen Wendepunkt. Im anthropologischen Sinn ist das Wesen des Problems das gleiche. Die Gedankenfabriken der westlichen Welt produzieren auch weiterhin für die Menschen Sehnsüchte, laut denen es besser ist, woanders hin zu gehen, woanders sind die Lebensumstände besser und du hast keine Verpflichtung gegenüber deinem eigenen Land. Ich glaube, das kommende Jahrzehnt werden die Epidemien und die Migration bestimmen. Alles hat eine schwerwiegende, vielleicht verhängnisvolle Wirkung auf die europäischen Christdemokratien.
Wie kann man mit diesem Standpunkt die Zustimmung der Staatsmacht vereinbaren, dass die chinesische Universität nach Ungarn „emigrieren“ soll, was vor kurzem in Ihrer Hauptstadt zu Demonstrationen geführt hat?
Ich bin der Ansicht, dass es gut ist, wenn in einem Land ausländische Universitäten tätig sind, von solchen haben wir mehr als zehn. Es ist richtig, wenn wir auch eine östliche Universität haben. Wir würden auch gerne eine südkoreanische, eine japanische, aber auch chinesische Universität sehen. Die ungarische Wirtschaft ist exportorientiert, wir müssen also mit der Welt in geschäftlicher Verbindung stehen. Tatsache ist, dass sich der Schwerpunkt der Weltwirtschaft in den Osten verschiebt, deshalb muss man die ungarischen Jugendlichen auf das Funktionieren in der westlichen und der östlichen Welt gleichermaßen vorbereiten. Deshalb würde ich die Frage der Universität von dem Kontext der Migration trennen.
Wie viel kostet das Schwimmen gegen den herrschenden europäischen politischen Strom?
Wenn wir im Mittelalter wären und ich irgendein Motto auf meine Fahne schreiben müsste, die meine Arbeit und Philosophie beschreibt, würde ich Folgendes wählen: „Nur die toten Fische schwimmen mit dem Strom.“ Wenn du mit der multikulturellen Mode der Zeit schwimmst, verlierst du alles, was im Leben wichtig ist. Wahr ist auch, dass jene, die gegen den Strom schwimmen, sich selbst viele Probleme bereiten. Wir zahlen einen hohen Preis, Ungarn zahlt dafür einen hohen Preis, weil es nicht bereit ist, das Abkommen von Istanbul zu unterzeichnen und jedwede Unterstützung der Politik des Kalten Krieges zurückweist; wir zahlen einen hohen Preis dafür, dass wir nicht täglich gemeinsam mit den Westlern nach dem russischen Präsidenten treten, sondern ihm den ihm zustehenden Respekt erweisen; wir zahlen einen hohen Preis, da wir das christliche Familienmodell verteidigen; dafür, weil es hier keinen Platz für den LMBT-Wahn gibt; und dann zahlen wir einen hohen Preis für unseren Standpunkt im Zusammenhang mit der Migration und weil wir die Brüsseler Bürokratie nicht akzeptieren, sondern als Gegengewicht eine mitteleuropäische Zusammenarbeit errichten wollen. Wir zahlen also tatsächlich einen hohen Preis. Doch wenn wir diesen Preis nicht zahlen und unsere Interessen nicht vertreten, werden wir vielleicht bequemer leben, doch am Ende werden wir viel mehr verlieren. Es ergeht uns besser, wenn wir kämpfen. Ich glaube, dies würde auch Zrínyi verstehen.
Bemächtigt sich Ihrer nicht die Angst, wenn Sie ständig so handeln? Haben Sie keine Angst?
Wer Angst vor der politischen Auseinandersetzung hat, der tut besser daran, eine andere Laufbahn zu wählen. Aber ich habe Angst, wie die Christen Angst zu haben pflegen. Ich möchte nicht der Verdammnis anheimfallen. Es gibt Versuchungen und Fehler, doch müssen wir uns jeden Tag stärken, um nicht zu verirren. Die Ungarn pflegen zu sagen: Ich fürchte Gott. Einmal müssen wir uns alle vor Gottes Angesicht stellen, und Rechenschaft ablegen, das kann niemand vermeiden.
Kroatien war unlängst von starken Erdbeben betroffen. Es folgte eine überraschende Hilfswelle, in deren Rahmen wir von der ungarischen Regierung eine zusätzliche Hilfe erhielten, die zum Beispiel in Žažina eine Kirche und eine Schule errichtet. Was hat Sie veranlasst, so schnell und umfassend zu helfen?
Ich hatte bemerkt, dass auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens eine Art Gefühl des Eingesperrtseins anzutreffen ist. Es scheint, als ob Sie noch nicht daran glauben würden, erfolgreich werden zu können, durch die Zusammenarbeit gewinnen zu können, ausreichend stark zu sein, um zu entscheiden, wem Sie die Tür öffnen – nicht nur Menschen, sondern auch dem Kapital –, und dass Sie das Schicksal Ihres Landes und seine Wirtschaftsstruktur formen können. Dies erscheint manchmal, selbst dann, wenn andere Länder Ihnen etwas Gutes tun wollen, indem Sie denken, „die wollen sicher etwas erreichen.“ Es ist schwer, so zu leben, ich kenne das Gefühl. Nach der kommunistischen Periode haben auch wir einen Haufen von Fehlern begangen. Bis wir überhaupt begriffen hatten, was geschah, hatten wir die Kontrolle über die lebenswichtigen nationalen Ressourcen verloren – Energiesystem, Bankensektor, Medien –, all das kam in den Besitz von Ausländern, und zwar nicht auf Grund einer eigenen, planvollen Logik, sie haben diese einfach weggenommen. Ich arbeite bereits seit zehn Jahren daran, das zurückzugewinnen, was man nicht hätte verschleudern sollen. Deshalb verstehe ich Ihren Lebensinstinkt vollkommen. Wir müssten – bei dem unseren nationalen Interessen zustehenden Respekt – erreichen, dass wir endlich verstehen: Mitteleuropa ist eine Schicksalsgemeinschaft. Wenn ein mitteleuropäisches Land seine Hand ausstreckt, dann sollte man annehmen, es möchte helfen. Wenn eine Großmacht ihre Hand ausstreckt, müssen wir die Frage wirklich stellen: Was will sie? Wenn ein Kroate einem Ungarn hilft oder ein Ungar einem Kroaten, oder ein Pole einem Kroaten, ist meiner Ansicht nach so eine Befürchtung unbegründet. Ich glaube daran, dass wir in Mitteleuropa eine Schicksalsgemeinschaft sind, ich bin nicht naiv, es gibt Diskussionen zwischen uns, aber im Wesentlichen ist das eine Schicksalsgemeinschaft. Wir können unsere elementaren Interessen gegenüber den Imperien nur durch Zusammenarbeit verteidigen. Ich bin mir darin sicher, wenn wir unsere Kräfte vereinen, in jedem politischen Umfeld, selbst in der Europäischen Union, werden wir unseren Interessen viel besser Geltung verschaffen können. Wenn wir darauf vertrauen, dass die Franzosen und die Deutschen uns helfen, und wir ihnen günstige Entscheidungen treffen werden, wenn wir sie hofieren und es uns dadurch gut ergehen werde, dann verstehen wir die Situation nicht. Uns wird es nur dann gut ergehen, wenn wir eine gemeinsame mitteleuropäische Kraft aufzeigen können. Deshalb müssen wir einander helfen, wenn es Probleme gibt. So ist das auch bei dem Erdbeben geschehen. Im umgekehrten Fall hätten auch Sie das getan.
In Kroatien bringen einzelne Medien die ungarische Hilfe mit der Lösung der nicht verwirklichten Projekte der ungarischen Firma Mol in Verbindung, besonders in der von dem Erdbeben betroffenen Region. Könnten Sie dies klären?
Das ist eine unbegründete Spekulation. Wenn wir helfen, dann folgen wir unserem Herzen, nicht unserem Portemonnaie. Mein prinzipieller Standpunkt ist der folgende: Es existieren Freihandelsabkommen und Vereinbarungen, der gemeinsame Markt, die europäische Regelung, all das ist wichtig. Doch gehört jedes Land zu seinem eigenen Volk. Kroatien gehört den Kroaten, und das, was dort geschieht, entscheiden die Kroaten. Ich erwarte von den führenden Politikern der benachbarten Länder und bitte sie darum, uns mitzuteilen, auf welchen Sektoren man uns gerne sieht und auf welchen nicht. Und ich bitte auch darum, dass ihr Standpunkt ein langfristiger sein soll, teilen sie es uns einfach mit: „Ja, auf diesem Sektor sehen wir Sie gerne, aber auf einem anderen nicht. Wir werden das verstehen, denn auch wir denken so. Ungarn gehört den Ungarn. Unser Land besitzt zehn Millionen Einwohner, wir leben vom Export, wir stehen mit der ganzen Welt in Handelsbeziehungen, wir gehen überallhin, wir investieren, wir treiben Handel, aber wir verstehen es, wenn jemand sagt, er möchte dies nicht.
Wenn es geschähe, dass die mitteleuropäischen Länder in dieser Region sich dafür entscheiden, ihre – wie Sie das nannten – Schicksalsgemeinschaft auszunutzen, würde dies die Unterstützung von ganz Europa und seiner zentralen Institutionen gewinnen?
Nein, sie würden das strikt ablehnen. Und zwar aus zwei Gründen, die wir nicht miteinander verwechseln dürfen. Der erste Grund ist ein ideologischer: Die Westler haben beschlossen, dass sie in einer postnationalen und postchristlichen Welt leben wollen, und wir respektieren das. Doch wollen sie noch mehr als das. Sie wollen, dass auch wir so leben sollen. Deshalb kommen, wenn in der regionalen Zusammenarbeit eine Einstellung erscheint, die auch den Schutz der nationalen, der christlichen Kulturen beinhaltet, sofort die ideologischen Attacken. Das ist ein linksliberaler Angriff, der von Brüssel ausgeht und mit den amerikanischen liberalen politischen und wirtschaftlichen Kräften in Verbindung steht. Sie wollen, dass wir auf die Weise frei sein sollen, wie sie es möchten. Deshalb sind sie gegen die mitteleuropäische Zusammenarbeit und beurteilen sie negativ, wie zum Beispiel die polnisch-ungarische Zusammenarbeit. Der andere Grund hat in seiner Natur mit der Macht zu tun. Es geht um die deutsch-französische Machtachse. Die Europäische Union ist so organisiert, dass sie aus Mitgliedsstaaten besteht, die formell alle gleichberechtigt sind, aber natürlich zählt die Größe, die Tatsachen zählen, die beiden großen Länder bilden eine Achse, und sie bringen in erster Linie ihren eigenen Willen zur Geltung. Dies überschneidet sich manchmal mit den Interessen Mitteleuropas und manchmal kollidiert das mit diesen, das ist manchmal von Vorteil für uns und manchmal von Nachteil. Zum Beispiel sind die die in den westeuropäischen Ländern arbeitenden Mitteleuropäer betreffenden Regeln für sie von Vorteil, für uns nicht. Dann möchten sie gemeinsame europäische Steuern, die ihnen entsprechen, uns aber nicht. Wenn es um den Horizon Fonds für Unterrichts- und Forschungsentwicklung geht, so erhalten sie 90 Prozent der Mittel, der Rest ist der unsere. Natürlich ist es manchmal auch für uns von Vorteil, was sich diese beiden Länder ausdenken. Doch dürfen wir uns nicht mit soviel zufrieden geben. Wir müssen stärker werden, um unsere Interessen durchsetzen zu können. Die V4-Länder wickeln bereits einen größeren Handelstauschverkehr mit Deutschland ab als Frankreich, und dreimal mehr als es der deutsch-italienische Handelsverkehr ist! Unser auf Brüssel ausgeübter politischer Einfluss steht noch nicht mit unserer Wirtschaftskraft im Einklang. Wenn ich das bisher Gesagte auf eine höhere Ebene stellen möchte, kann ich sagen: Wir, Mitteleuropäer, votieren für die Nationalstaaten, die wir gerne behalten möchten, da wir der Ansicht sind, dass die Demokratie nur im nationalen Rahmen verwirklicht werden kann. Westeuropa möchte eher ein Imperium mit dem Sitz in Brüssel. Das ist in Wirklichkeit das Wesen unserer Meinungsunterschiede über Europa.
Wir kommen wieder zu der Frage des Charakters. Fällt Ihnen die Zusammenarbeit mit Menschen mit Charakter leichter oder schwerer?
In Europa vertraut man den Institutionen, nicht den Leitern der Institutionen. Die Europäische Union denkt folgendermaßen: Der Politiker besitzt seine eigene Aufgabe, die nichts anderes ist, als das Wirken der Institutionen zu befördern. Das ist wichtig. Doch wer bestimmt die Richtlinien? Wer sagt, wo sich die Zukunft verbirgt, wo sich der Horizont öffnet? In Westeuropa gibt es Strukturen, die die starke politische Führung ersetzen können – wirtschaftliche Strukturen, Medienkonzentration, Netze ziviler Organisationen –, so kann man auch bei einer schwachen Regierung eine starke Macht schaffen. Wenn es aber in Kroatien, in Polen oder in Ungarn keinen starken gewählten führenden Politiker gibt, dann kommen wir nicht zurecht, ja wir verlieren sogar unser Land, und werden fremd in unserer eigenen Heimat sein.
Kroatien ist ein junges EU-Mitglied, bei uns wird noch immer sehr viel über die Werte, deren Schutz und deren Austausch mit den anderen Teilen Europas gesprochen. Wie betrachten Sie in dieser Hinsicht Kroatien?
1990 sagte unser erster Ministerpräsident nach dem Kommunismus folgendes: „Ich bin Ungar, also bin ich Europäer.“ Dies bedeutet in Wirklichkeit, dass man Europa nicht in Brüssel finden kann, Europa kann man in den nationalen Hauptstädten finden, zum Beispiel in Zagreb. Das ist Europa. Deshalb besitzt Brüssel nicht das Recht den Kroaten auch nur irgendetwas aufzuzwingen. Das kroatische nationale Selbstbewusstsein ist ein wertvoller Beitrag zu Europa. Ihr Land ist fantastisch. Jedes seiner Teile ist herrlich, nicht nur das Meer, sondern das ganze Land. Ich denke, Ihr Volk ist sehr vielfarbig, ich bin Kroaten unterschiedlichen Charakters auf den Inseln und, sagen wir, in Esseg (Osijek) begegnet. Sie wissen, wie man sie in ein gemeinsames Land organisieren muss, und das ist ein wichtiger Beitrag zu Europa. Außerdem sind Sie hervorragende und leidenschaftliche Kämpfer, Europa benötigt auch dies. Sie besitzen auch einen charakteristischen Antikommunismus. Wir haben ihn auch, und wir sind der Ansicht, unser Antikommunismus ist ein wertvoller Beitrag zur Europäischen Union. Unser hat sich gegen die Sowjets entwickelt, gegen den internationalen Kommunismus. Sie haben Ihre Souveränität gegenüber einem Kommunismus erkämpft, der sich von jenem in Ungarn unterschied. Es ist eine wertvolle Erfahrung, dass der Kommunismus auch ohne sowjetische Besatzung, in einem kleineren, nationalen Rahmen existieren kann und das ist gefährlich. Die Ungarn wollen, dass Ungarn ein ungarisches Land bleiben soll. Auch Kroatien kann ein kroatisches Land sein. Das hängt nur von Ihnen ab.