Eszter Baraczka: Guten Tag! Gut, dass es vorbei ist, nicht wahr?
Es gibt Dinge, an denen das Ende das Beste ist.
Darin stimmen wir überein… Dann sollen wir in erster Linie nach vorne blicken, nicht wahr?
Wir können über alles reden, und dann wird daraus irgendetwas.
Über alles? Gut!
Ein-zwei Sätze sollten wir natürlich darüber sagen, was geschehen ist.
Schließlich wissen wir es gar nicht, und das ist eine sehr spannende Sache, da wir davon ausgeschlossen sind.
Und wie gut das ist!
Ich weiß nicht, auch für uns war es nicht allzu gut, ja. Herr Ministerpräsident, wir haben ein dreitägiges Gipfeltreffen hinter uns, das – so glaube ich – als Marathon zu bezeichnen keine Übertreibung ist, auf dem es durchwachte Nächte, eine mehrfache Unterbrechung der Beratung, bilaterale, multilaterale Beratungen, auch solche im engen Kreis, die man hier: „Beichte“ nennt, gab, doch schließlich gibt es ein Endergebnis. Verraten Sie uns, bitte, da nur sehr wenige Nachrichten aus dem Saal gedrungen sind, wie war all das von innen, wie war die Stimmung? War sie sehr gespannt?
Sie war gespannt, denn es ging um viel. Schließlich mussten wir darüber entscheiden, welche Personen an der Spitze der europäischen Institutionen stehen werden, was für jeden Mitgliedsstaat wichtig ist. Dies entscheidet über vieles, zum Beispiel darüber – ich betrachte jetzt die Frage aus der ungarischen Perspektive – ob solche Menschen einen Posten erhalten, die Ungarn gern haben, die Ungarn respektieren, die die Geschichte Mitteleuropas kennen, die positive Erinnerungen über Mitteleuropa besitzen, oder die über die Migration auf die Weise denken wie wir, eine Gefahr in ihr sehen, oder die die Bedeutung der kulturellen Identität, die Bedeutung der christlichen Kultur verstehen. Wir haben also mit den jetzigen personellen Entscheidungen auch in inhaltlichen Fragen einen Standpunkt eingenommen. Aus der ungarischen Perspektive gesehen konnten wir das einhalten, was wir gewollt hatten, beziehungsweise wozu wir uns verpflichtet hatten, es kommen also derartige Personen an die Spitze der Institutionen der EU, die aus der Perspektive Ungarns eine gute Politik verfolgen werden, oder zumindest besteht eine gute Chance dafür, dass sie eine gute Politik verfolgen werden. Zugleich wird die Angelegenheit keine einfache sein. Wir stehen also nicht am Ende der Angelegenheit, sondern an ihrem Anfang, denn diese Personen in den Spitzenpositionen werden jetzt zu arbeiten beginnen. Es gibt im Übrigen auch noch Abstimmungsprozeduren, hoffen wir, dass sie diese überleben, aber danach beginnt die Arbeit. Und die Arbeit ist nicht klein und nicht einfach, denn es geht darum, dass hier in den vergangenen Jahren schwerwiegende Fehler begangen worden sind – diese Fehler müssen korrigiert werden. Hier gab es Fehler in der Wirtschaftspolitik, es gab Fehler in der Migrationspolitik, und es gab auch Fehler hinsichtlich des Respekts, der den Nationen gegenüber zu zeigen ist. Diese Dinge müssen alle für sich korrigiert werden. Es wartet also eine schöne und lange Liste von Aufgaben auf uns, doch sind die Chancen für die Lösung der Sorgen, der Probleme jetzt besser als sie es vor drei Tagen gewesen waren.
Kann man wissen, wie schließlich die Person von Ursula von der Leyen, die ja die deutsche Verteidigungsministerin ist, zur Sprache kam und wie groß die Unterstützung für sie war?
Solch eine Verhandlungsreihe besitzt ihre eigenen taktischen Elemente, wann man was sagen muss, wann man wessen Namen vorbringen, welchen Vorschlag man machen muss. Es gab also zwei Kandidaten, die für Ungarn eindeutig mehr als nur schlecht gewesen wären, denn sie haben ja schon zuvor den Beweis geliefert, dass sie Ungarn und die Ungarn nicht respektieren. Dies zu verhindern ist uns gelungen. Das ist die gute Nachricht. Und wir haben eine deutsche Familienmutter, die Mutter von sieben Kindern an die Spitze der Kommission gewählt. Dies verrät an sich schon viel darüber, dass in Europa eine Wende zu erwarten ist.
Ich weiß nicht, ob Sie gelesen oder gehört haben, wie sich im Zusammenhang mit der Nominierung von Ursula von der Leyen der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, geäußert hat, der einer der härtesten Kritiker von Ihnen und der Fidesz-Regierung war, und er sagte, dies sei der Erfolg von Viktor Orbán. Was sagen Sie dazu?
Martin Schulz wäre früher gern der Präsident der Kommission geworden, aber das ist ihm nicht gelungen, und jetzt spricht er wie der Fuchs in der Fabel von Äsop, der behauptet, nachdem er nicht an die Weintrauben gelangen konnte, er hätte sie auch gar nicht haben wollen, da sie sauer seien.
Übrigens gab es auch Tiefpunkte im Laufe der Verhandlungen, und viele Stimmen meinten, das entschlossene Festhalten der Visegrád-Länder an ihrer Position habe eine Rolle dabei gespielt, dass die früheren Kandidaten verblutet sind, das Rennen verloren. In ziemlich vielen Nachrichten ging es um die Visegrád-Länder, es ist erstaunlich, wie die Presse zum Beispiel bei jedem einzelnen Kandidaten auch darauf eingegangen ist, was die Visegrád-Länder zu ihm sagen. Was sagen Sie dazu? Was ist Ihr Geheimnis, und war Ihre Rolle tatsächlich so groß, wie sie von außen erschien?
Die Visegráder Vier vertreten mehr als 62-63 Millionen Menschen. Der Umsatz der Visegráder Vier mit der deutschen Wirtschaft ist größer als der der Franzosen oder der Italiener. Bei den Visegráder Vier findet man das höchste Wirtschaftswachstum. Die Länder, die in ganz Europa das höchste Wirtschaftswachstum, die größte Senkung der Arbeitslosigkeit zu erreichen in der Lage waren, kann man alle unter den V4 finden. Ich muss also sagen, unabhängig von den gegenwärtigen Ereignissen erhält der mitteleuropäische Raum, das enge Bündnis der V4-Länder eine besondere Aufmerksamkeit und es gilt als eine Erfolgsgeschichte. Hinzu kommt noch, dass dies die am engsten zusammenarbeitende Gruppe innerhalb der EU ist. Es gibt auch noch andere, die zusammenarbeiten, doch keiner von ihnen ist derart stark solidarisch mit den anderen, kann nicht derart starke Verbindungen ausbilden, wie das die V4 in den vergangenen Jahren getan haben. Und jetzt, wo es um Personalfragen geht, in denen es zahlreiche divergierende Interessen gibt, gelang es bis zuletzt auch in derart schwierigen Fragen das Bündnis der V4 vom Anfang bis zum Ende zusammen zu halten, was im Übrigen das Verdienst des jetzt den Vorsitz der V4 innehabenden tschechischen Ministerpräsidenten, Babiš, ist.
Was für eine Zukunft zeichnet sich angesichts dieser jetzigen Führungsgarnitur ab, die nominiert bzw. gewählt worden ist? Denn wir wissen ja, es gibt eine Führungsagenda, einen Fahrplan, den auch Sie auf dem letzten Gipfel akzeptiert haben. Und darin finden sich durchaus Dinge, die aus ungarischer Perspektive anzuzweifeln wären, zumindest würde man das annehmen, denn es steht – zum Beispiel – darin, man müsse die Dublin-Reform akzeptieren. Der Mädchenname dessen lautet nicht anders als „Flüchtlingsquote“, nicht wahr? Es wird also auch weiterhin Kämpfe geben, oder denken Sie, dass ein zahmerer Zeitraum folgen wird?
Kämpfe wird es geben, es gibt Meinungsunterschiede, es wird auch Diskussionen geben, doch sind die Chancen heute viel besser als sie es früher waren, diese Auseinandersetzungen erfolgreich zu einem Ende zu bringen. Wir haben einen wichtigen Sieg errungen, jedoch endet die internationale Politik niemals, es gibt so etwas nicht, dass man auf einmal mit etwas aufhört, demzufolge werden immer neue Fragen, neue Diskussionen in den Vordergrund treten. Und da wir, Ungarn und Mitteleuropäer, unsere deutlichen und klaren Interessen besitzen, und wir jetzt auch schon die Kraft haben, diese zur Geltung zu bringen, deshalb werden wir auch im kommenden Zeitraum uns für unsere Interessen einsetzen und an diesen festhalten. Der Unterschied besteht darin, dass wir jetzt eine größere Chance zum Erfolg haben, als jemals zuvor.
Vielen Dank!
Auch ich bedanke mich.