Dávid Heiter: Herr Ministerpräsident, wie werten Sie die Wahlen, und innerhalb dieser die Budapester Ergebnisse?
Kurz und zusammenfassend kann ich sagen, dass wir die Kommunalwahlen gewonnen, jedoch empfindliche Verluste erlitten haben, besonders in Budapest, aber auch in einigen Großstädten, auch in Städten, die unseren Herzen besonders nahe stehen. Die für die Regierung wichtigste Folge ist, dass wir insgesamt etwa 1 Million 800 tausend Stimmen erhalten haben dürften, und die Opposition deutlich weniger. Deshalb möchte ich im kommenden Zeitraum eine ebenso mutige und selbstbewusste Regierungsarbeit sehen wie in den vergangenen neun Jahren, denn hinter dem Programm der Regierung steht jene Unterstützung, die für eine gute Regierungsarbeit notwendig ist. Und was Budapest angeht, dort muss man die Entscheidung der Menschen akzeptieren. Es gab in Budapest eine Demszky-Epoche, dann gab es eine Tarlós-Epoche. Und die Menschen haben jetzt entschieden, es soll etwas anderes folgen. Sie haben offensichtlich in der Hoffnung ihre Stimme auf Gergő bzw. Gergely Karácsony abgegeben, dass er die Hauptstadt besser regieren werde, als es István Tarlós getan hat. Meine Aufgabe ist es nur, dass er dazu auch die Chance erhalten soll, und ich ihm die hierzu notwendigen Bedingungen ermögliche. Jene Vereinbarungen also, die wir und ich mit István Tarlós im vergangenen Zeitraum geschlossen haben und habe, die werden wir unverändert als gültig und wirksam ansehen. Die neue Führung der Hauptstadt kann also auf alles zählen, was im Übrigen auch István Tarlós von der Regierung bekommen hat. Die Arbeitsbedingungen werden also unverändert sein, und wir wünschen ihm, es möge ihm gelingen, die Hauptstadt besser regieren zu können, als dies in den vergangenen Jahren geschehen ist.
Sie können also mit Gergely Karácsony zusammenarbeiten?
Das ist meine Aufgabe. Ungarn ist also eine Demokratie. Die Menschen erwarten von ihren führenden Politikern, dass diese im Interesse der Menschen zusammenarbeiten sollen. Ungarns Regierung hat im vergangenen Zeitraum mit allen Selbstverwaltungen ein korrektes Verhältnis ausgebildet und das wird auch in der Zukunft so sein. Es spielt keine Rolle, welche Parteifarben die Selbstverwaltung trägt.
Was denken Sie, hat die Borkai-Affäre die Wahlergebnisse beeinflusst?
Das ist schwer zu sagen. Man müsste alle Wähler befragen, die ihre Stimme abgegeben haben, doch glaube ich, jeder ist durch so etwas betroffen, denn es macht jeden bestürzt und erschüttert ihn, und deshalb hat es sicher irgendeine Wirkung ausgelöst. Es ist nicht meine Aufgabe, über das Privatleben auch nur eines einzigen ungarischen Staatsbürgers oder irgendeines Politikers zu richten. Aber eine Pflicht hatte ich und habe ich doch, ich bin der Vorsitzende dieser Gemeinschaft, des Fidesz, und es muss klargestellt werden, dass bestimmte Dinge bei uns nicht gehen, und man muss daraus die Konsequenzen ziehen. Deshalb hat Zsolt Borkai dann auch unsere politische Gemeinschaft verlassen.
Reicht dies aus, dass Zsolt Borkai den Fidesz verlässt? Hätte man ihn nicht zurücktreten lassen müssen?
Zurücktreten lassen hätten wir niemand vor einer Wahl können, denn in dem Fall, wenn Zsolt Borkai nicht bei den Wahlen zum Bürgermeister von Győr angetreten wäre, dann hätten die Győrer keine Wahlmöglichkeit gehabt, denn dann wäre nur eine einzige Kandidatin stehen geblieben. Deshalb mussten wir abwarten, dass die Győrer entscheiden, was sie wollen. Die Győrer haben ihre Meinung zum Ausdruck gebracht, und danach mussten wir, danach musste ich als Parteivorsitzender handeln, und ich habe dies auch getan, was man in so einer Situation nicht nur machen muss, sondern wie man evident zu handeln hat.
Herr Ministerpräsident, worüber werden Sie hier auf der Fraktionssitzung sprechen?
Auf der Fraktionssitzung werde ich über die vor der Regierung und die vor der Fraktion stehenden Aufgaben sprechen. Die politische Arbeit der vor uns stehenden Monate besitzt drei wichtige Knotenpunkte. Der erste ist die Durchführung des Aktionsplanes zum Schutz der Familien, eventuell seine Ergänzung um neue Elemente. Der zweite ist die Aufrechterhaltung des Wirtschaftswachstums, denn vom Wirtschaftswachstum hängt die Zahl der Arbeitsplätze und das Maß der Lohnerhöhungen ab. Dies sind also die beiden Dinge, die wir an die erste Stelle setzen. Und da sich in der europäischen Wirtschaft die Wolken am Himmel versammeln, müssen wir einen Aktionsplan, müssen wir Pläne zum Schutz der Wirtschaft aufstellen und in den kommenden Monaten in die Wege leiten. Die dritte schöne Aufgabe ist die Stärkung des „Programms Ungarisches Dorf“, denn das Interesse für die Programme ist gewaltig. Deshalb möchte ich in den restlichen Monaten des Herbstes den finanziellen Rahmen, die Formen des „Programms Ungarisches Dorf“ stärken und dazu werde ich das Parlament um eine Ermächtigung bitten.
Es gibt eine spannende internationale politische Lage, ich denke an Syrien und die Türkei. Warum unterscheidet sich der ungarische Standpunkt von dem Brüssels?
Ich empfehle einem jeden, von den ungarischen nationalen Interessen auszugehen. Es handelt sich hierbei also nicht um einen weit von Ungarn entfernten und für Ungarn uninteressanten Konflikt, in dem wir nach Belieben zwischen den betroffenen Seiten je nach Sympathie uns eine Seite wählen können. Das ist kein solcher Konflikt. Hier geht es darum, dass aus Syrien mehr als drei Millionen Menschen, Migranten, Flüchtlinge in die Türkei hinübergegangen sind. Und in den kommenden Wochen wird sich herausstellen, was die Türkei mit diesen Menschen machen wird. Sie kann sie in zweierlei Richtungen auf den Weg schicken. Entweder bringt sie sie zurück nach Syrien, oder sie schickt sie auf den Weg Richtung Europa. Wenn die Türkei die letztere Variante wählt, dann werden diese Menschen an die Südgrenze Ungarns ankommen, und zwar in gewaltigen Massen. Das ungarische nationale Interesse ist, dass die Türken nicht die Entscheidung fällen sollen, die Tore Richtung Europa zu öffnen, sondern sich dafür entscheiden, diese Menschen nach Syrien zurückzubringen. Deshalb empfehle ich auch der Europäischen Union, dass man natürlich die Türken kritisieren kann, aber letztendlich müssen wir der Türkei eher Geld geben, damit sie auf dem Territorium Syriens jene Städte erbauen kann, wohin sie die in die Türkei hinübergeflohenen Syrer zurückbringt. Im entgegengesetzten Fall werden diese Menschen in Europa ankommen. Die Situation Ungarns ist eine andere als die der restlichen Staaten der EU, denn sie sind nicht Nachbarn der Balkanroute. Sie sind in Sicherheit, denn wir schützen sie. Aber wir sind ein Grenzland. Das, was jetzt in Syrien geschieht, das kann innerhalb von Augenblicken auch Konsequenzen für Ungarn haben. Nur wenige wissen es, aber vielleicht kann ich das an dieser Stelle mitteilen, dass sich gegenwärtig etwa neunzig tausend Menschen auf der Balkanroute befinden. Ihre Zahl nimmt zu, wird bald die hundert tausend erreichen. Wenn die Türken dazu noch weitere Hunderttausende kommen lassen, dann müssen wir mit aller Stärke den Schutz der ungarischen Grenze an der ungarisch-serbischen Grenze aufrechterhalten. Und ich wünsche es niemandem, dass wir dies tun müssen.
Vielen Dank!