Viktor Orbáns Interview in der Sendung „180 Minuten” [„180 perc”] von Radio Kossuth
Budapest, 26. August 2016

Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen! Es ist drei und halb Minuten nach halb acht. Im Studio anwesend ist Ministerpräsident Viktor Orbán. Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen.

Ich wünsche einen guten Morgen!

160 ungarische Sportler, 21 Sportarten, 8 Gold-, 3 Silber-, 4 Bronzemedaillen. Wir sind auf Platz 12 der Gesamtliste, gemessen an der Einwohnerzahl aber auf dem vornehmen 10. Platz. Sie waren dort am Schauplatz. Abgesehen davon, dass man als stolzer Ungar die Ereignisse verfolgte, welche Schlussfolgerungen muss die Regierung ziehen?

Also auch ich gehöre zu den Ungarn, die ihren Hut vor unseren Sportlern lüften, die die Qualifikation zu den olympischen Wettbewerben geschafft haben, unabhängig davon, welchen Platz sie dann belegten, denn die Tatsache, dass Menschen bereit sind, Jahre ihres Lebens dafür zu opfern, um ihre Heimat in einem herausragenden sportlichen Wettbewerb zu vertreten, das ist eine Respekt verdienende Entscheidung und Leistung. Und natürlich gibt es die Champions, vor denen wir nicht nur unsere Hüte lüften, sondern diese auch noch in die Luft werfen, denn wir haben die Welt nicht nur acht Mal besiegt, sondern angesichts des Umstandes, dass die Ungarn ungefähr 0,2% der Weltbevölkerung ausmachen, kann man unsere Leistung herausragend nennen. Zugleich gehe ich vorsichtig mit den Wörtern um, weil ich nicht möchte, wenn aus dem Sport wieder eine parteipolitische Frage werden würde. Wir haben lange Jahre daran gearbeitet, die Frage des Sports zu einem strategischen Zweig zu erklären und über die Angelegenheiten der Parteien zu erheben. Dies ist uns meiner Ansicht nach gelungen. Heute ist es gleichgültig, wer mit welcher politischen Richtung sympathisiert, oder gerade welche Partei ihm am liebsten ist. Wir betrachten die olympischen Erfolge als ungarische Erfolge und empfinden den Sport als ein unterstützenswertes Gebiet. Dies ist ein großes Ergebnis. Wir haben sehr wenige nationale Angelegenheiten, der Sport ist zu so einer geworden, wir sollten auf ihn achten und ihn bewahren. Zugleich ist es die Sache der Regierung, die Möglichkeiten zum Sport weiter auszudehnen. Wir möchten an den Punkt ankommen, dass in Ungarn ein jeder Jugendliche an jedem Tag regelmäßig Sport treiben kann und auch treibt.

Ich habe in dem Sinne nach den Schlussfolgerungen gefragt, ob zum Beispiel das System der Sportfinanzierung im Lichte der Ergebnisse überdacht werden muss? Muss man im Lichte der Pläne über die Ausrichtung einer Olympiade Schritte unternehmen? Oder überhaupt als Vorbereitung auf die Budapester Ereignisse in dieser Hinsicht?

Schauen Sie, eine der attraktivsten Eigenschaften unseres Berufes ist gerade, dass man denken muss und dass das Denken eine gute Sache ist. Also ist es nach einem alle vier Jahre veranstalteten weltweiten Wettbewerb obligatorisch, nachzudenken. Es ist Pflicht, die Situation zu bewerten, die Lehren zu ziehen und Pläne anzufertigen. Dies wird dann die Aufgabe des Ungarischen Olympischen Komitees und der Sportführung sein. Ich würde ihnen auch nicht ihr Brot wegnehmen, würde auch nicht vorauseilen. Doch soviel kann ich mit Sicherheit sagen, dass wir jetzt keinen nächsten Vierjahresplan brauchen werden, sondern vielmehr einen Zwölf- bis Fünfzehnjahresplan, der die ungarischen demographischen Veränderungen beinhaltet, denn es werden weniger Kinder geboren, weniger Jugendliche treiben Sport. Er beinhaltet die Frage der Abstimmung des schulischen Systems des Sportunterrichts mit der in den Vereinen durchgeführten Arbeit. Und er beinhaltet auch die finanziellen Fragen. Wenn Sie sich mit jemandem aus der Welt des Sports unterhalten, so werden Sie sicher zu hören bekommen, dass man den Charakter des Zweiges als Sportstrategie auch im Alltag spüren kann, denn die Bedingungen zum Sporttreiben stehen heute bei den Vereinen und auch an den Schulen in viel größerem Maße zur Verfügung als früher. Die Schwimmhallen, die Turnhallen, die Hallen werden gebaut. Wir möchten Fechtzentren, Schießplätze. Ich glaube also, wir werden dorthin kommen, dass Ungarn nicht nur im Spitzensport herausragend sein, sondern auch im Alltagsleben eine sportliche, gesunde Nation sein wird.

Um zum Beispiel das Austragungsrecht der Olympiade zu erlangen, ist auch die Unterstützung des Alltagslebens notwendig. Ein wichtiger Punkt für die Austragung der Olympiade ist auch, dass das Maß der Unterstützung dessen in dem jeweiligen Land gemessen wird.

Ja.

Wie sieht es mit den Chancen der Austragung aus?

Schauen Sie, die Chancen zur Austragung sind gemäßigt, also sollte niemand…

Sie sind nicht allzu optimistisch.

Ja, ich möchte niemandem die gute Laune verderben, doch gibt es hier drei Goliaths und einen David. So sieht die Aufstellung aus. Es ist also keine schlechte Liste, dass sich Budapest in einer Reihe mit Paris, Rom und Los Angeles befindet, doch die Körpermaße sind, deutlich erkennbar, unterschiedlich. Das sind also letztlich doch drei Riesen und ein gesunder Mensch. Drei Goliaths und ein David. Wir haben es also sehr schwer. Wir haben viele Argumente. Schließlich sind wir das einzige Mitglied der ersten zehn Nationen der olympischen Sportgeschichte, der es noch nie vergönnt war, eine Olympiade zu veranstalten. Gerade jetzt hatte man verkündet, die Austragung der Olympiade der ganzen Welt zurückzugeben, denn immer mehr konnte nur ein exklusiver Klub gewaltig großer Megastädte die Olympiade veranstalten. Es ist an der Zeit, dass so wie früher, Amsterdam, Stockholm, Helsinki, ich könnte auch noch Barcelona erwähnen, dass also die Möglichkeit des Veranstaltens erneut der ganzen Welt gehören sollte. Und schließlich wäre für uns die Olympiade auch deshalb wichtig, weil sie für uns gewaltige wirtschaftliche Vorteile mit sich brächte. Nun, Budapest entwickelt sich, das sehen wir alle. Wir sind stolz auf die Stadt, es ist eine schöne Stadt, und unheimlich viele Dinge geschehen in ihr. Also hat sie aus ihrem Zustand des Scheintodes Herr Bürgermeister, Oberbürgermeister Tarlós, ein bisschen auch mit der Hilfe der Regierung, aber erfolgreich wieder zum Leben erweckt. Sie lebt, ist dynamisch, spannend, die halbe Welt ist neugierig auf sie. Doch werden wir noch sehr viele Investitionen brauchen. Denn das Budapest des 21. Jahrhunderts ist erst vor unseren Augen in Entfaltung begriffen. Jede Investition in dieser Stadt, die wegen der Olympiade notwendig wäre, ist auch im Übrigen für die Stadt notwendig. Eines unserer entscheidenden Argumente neben der Veranstaltung der Olympiade lautet, dass wir kaum eine Investition durchführen müssten, die ansonsten nicht auch ohne die Olympiade notwendig ist. Deshalb stelle ich die Frage so, wenn dies die Situation ist, dann ist nicht die Frage, warum wir eine Olympiade veranstalten sollen, sondern warum wir keine veranstalten sollten.

Ist im Übrigen in Rio im Rahmen irgendeines Treffens zur Sprache gekommen, dass wir veranstalten?

Die Wahrheit ist, dass es besser gewesen wäre, wenn ich an den Sportwettbewerben in größerer Zahl hätte teilnehmen können. Denn mir sind insgesamt nur zwei oder drei Sportereignisse zuteil geworden. Weil ich aus dem Grunde hinausgefahren bin, um dort alle olympische Führer der Welt, den Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees, seine Vizepräsidenten, die über bedeutenderen Einfluss verfügenden Mitglieder alle aufzusuchen, mit jedem Gespräche zu führen, mit jedem zu sprechen, und jeden für die Sache der ungarischen Olympiade zu gewinnen.

Und dort hat man Sie etwas pessimistischer werden lassen…

Nun, dort konnte ich einen Blick auf die Gegner werfen. Wissen Sie, es war wie wenn man aus der Kabine herauskommt, dort führt der Schiedsrichter die Mannschaften auf das Spielfeld, und dann sieht man, wie groß die Spieler der anderen Mannschaft sind. Nun, dort in Rio hat sich jeder bemüht, hat sich selbst zur Gänze gezeigt, hat die Hemdsärmel hochgekrempelt, man konnte den Bizeps, die Bauchmuskeln, die Maße sehen. Also auch unsere Mitbewerber haben sich stramm hingestellt. Und das war ein beeindruckender Anblick.

Setzen wir mit einem weniger erfreulichen Thema fort! Der österreichische Innenminister hat am Mittwoch der Zeitung „Die Presse“ gesagt, dass Österreich die Einführung des Ausnahmezustandes plant. Dies hat übrigens früher auch der österreichische Bundeskanzler gesagt. Er jedoch würde vorher gerne eine Konsultation mit den Ungarn oder möchte sie haben. Jetzt schließen wir aus den Worten des Innenministers darauf, dass sie diesen so schnell wie möglich einführen möchten, und dieser Ausnahmezustand wird auch Ungarn betreffen, wenn aus keinem anderen Grund, so wegen der Rückführung der Migranten. Wissen Sie von diesem Plan?

Es gibt niemanden zum Zurückführen nach Ungarn, denn nach Ungarn kann niemand hereinkommen. Ich übertreibe natürlich ein bisschen, doch dies ändert nichts am Wesentlichen dessen, was ich sagen will. Nicht einmal ein Vogel kann ohne Kontrolle nach Ungarn hereinfliegen. Deshalb müssen also die Österreicher die Frage beantworten, wo sie den Zaun haben wollen. Soviel ist schon sicher, dass die Außengrenzen Europas verteidigt werden müssen. Klar ist auch, dass dies ohne physischen Schutz nicht möglich ist. Ich sage es immer, versuche dies mit der notwendigen Sanftheit zu sagen. Ich bin kein herzloser Mensch, die Ungarn sind es am wenigsten, doch kann man die Grenze nicht mit Blumen und Plüschtierchen verteidigen. Die Grenze kann man mit einem Zaun, Polizisten, Soldaten und mit Waffen verteidigen. Und es ist sicher, dass wir sie auch verteidigen müssen, und zwar wird die Verteidigung in den vor uns stehenden Jahren viel notwendiger sein als sie es bisher gewesen war. Die Frage ist also, wo wir die Grenzen Europas verteidigen wollen. Ich habe unseren österreichischen Freunden empfohlen, dass sie Österreich nicht an der österreichisch-ungarischen Grenze verteidigen wollen sollten, sondern an der ungarisch-serbischen und an der ungarisch-kroatischen sollten sie dies wollen. Ja, wir sollten sie lieber gemeinsam an der serbisch-mazedonischen und an der mazedonisch-griechischen Grenze verteidigen wollen! Und wenn die anderen europäischen Länder bereit sind, Ressourcen zu aktivieren, dann könnten wir sogar die Grenzen der südlichen Inselwelt Griechenlands verteidigen, doch dazu haben wir, Mitteleuropäer allein keine ausreichende Kraft mehr. Die reale Zielsetzung ist die hermetische Abriegelung und Verteidigung der ungarisch-serbischen und der ungarisch-kroatischen Grenze, und wenn es eine mitteleuropäische Zusammenarbeit gibt, dann können wir auch die mazedonische Grenze verteidigen.

Nun sagen die Österreicher einmal, dass die im vergangenen Zeitraum bei Hegyeshalom beinahe ständig gewordenen Kontrollen gibt es aus dem Grunde, weil die Migranten dank der Menschenschlepper über die serbisch-ungarische Grenze gelangen. Und die Menschenschlepper transportieren sie zur österreichischen Grenze und in Wirklichkeit suchen sie an der österreichischen Grenze Migranten. Das Nachrichtenmagazin „Heti Válasz“ hatte unlängst eine Reportage darüber veröffentlicht, wie die Menschenschlepper sie nachts über die ungarische Grenze bringen.

Aber in Ungarn halten sich nur einige hundert Personen auf, deren Asylverfahren läuft. Es handelt sich also nicht um Massen. Ungarn hat also seine Südgrenze verteidigt, deshalb kommt dort niemand herein. Natürlich haben wir ein Problem, nämlich dass wenn wir jemandem den Eintritt verwehren, aber die aus dem Geld von György Soros bezahlten Aktivisten der Menschenrechtsorganisationen gegen die Entscheidung Widerspruch einlegen, dann müssen die betroffenen auf dem Gebiet Ungarns die Entscheidung des Gerichtes abwarten, und inzwischen kann man sie nicht in geschlossenen Lagern unterbringen. Dies ist ein gewaltiger Fehler. Früher haben wir sie in geschlossenen Lagern untergebracht, doch die Europäische Union hat dies verboten. Wenn sie das Ergebnis ihres Widerspruches in geschlossenen Lagern abwarten müssten, dann gäbe es nicht einmal die einigen wenigen Menschen, die die Menschenschlepper heute in den Westen zu lotsen versuchen. Dann würde die Zahl tatsächlich null betragen.

Die Österreicher sagen, der Ausnahmezustand sei außerdem auch deshalb notwendig, weil, ich zitiere den Innenminister, „trotzdem muss die Sonderverordnung beschlossen werden. Sollte ein Massenansturm kommen, bleibt keine Zeit mehr“, um diese später einzuführen.

Ja, aber hier – Verzeihung, aber das sollten wir anmerken, dass sie hier – bei solchen Anlässen nicht an Ungarn denken, sondern an Italien, also…

Ja, auch ich…

… die Bedrohung Österreichs ist heute nicht aus der Richtung von Ungarn stark, denn wir sind ja ein sich gut verteidigendes Land. Sondern ihm droht von dem schwächer, sich schwerfälliger verteidigenden Italien her Gefahr.

Auch ich bin darauf neugierig, was für Informationen Sie darüber besitzen, ob diese Migrationswelle stärker werden wird, denn die führenden europäischen Politiker bereiten sich darauf vor.

Nun schauen Sie, die Sicherheit ist eine Frage, mit der man nicht spielen darf. Die Einwanderung und die Migration verschlechtern die öffentliche Sicherheit in Europa, sie stellen eine Bedrohung für die Menschen dar und bringen uns den Terrorismus. Wer behauptet, es gebe keinen Zusammenhang zwischen der Migration und dem Terrorismus, der weiß meiner Ansicht nach nicht, was er redet, oder er versucht klar erkennbare Tatsachen aus irgendeinem Grunde zu leugnen. Wir sind die Anhänger der ehrlichen Sprache. Die Zunahme des Terrorismus in Europa ist eingetreten, ja ist deshalb überhaupt erst erschienen und dann größer geworden, weil unkontrolliert mehrere hunderttausend Menschen aus Regionen gekommen sind, in denen man Europa und die westliche Welt als Feind ansieht. Deshalb ist der Terrorismus angewachsen. Es gibt halbe Kriegszustände. Unter solchen Umständen darf man nichts riskieren. In Ungarn hatten wir bisher 40 und ein paar tausend, 44 tausend Polizisten, das ist wenig, mit so viel Personal können wir die Sicherheit der Menschen nicht garantieren. Wir haben den Beschluss gefasst, die Zahl der Polizisten um 3 tausend auf 47 tausend zu erhöhen, und hiervon werden dann 3 tausend ständig Grenzschutz-, Grenzjägerdienst leisten. Wir haben beschlossen, dass die Grenzsperren an der serbisch-ungarischen Grenze physisch verstärkt werden müssen, wir werden also noch eine Zaunlinie mit den modernsten technischen Mitteln hochziehen. Wir müssen uns auch darauf vorbereiten, ich wünsche nicht, dass es so kommen soll, ich möchte, dass wir dies vermeiden könnten, da aber die Sicherheit kein Spiel ist, müssen wir uns auch darauf vorbereiten, dass sich die Politik der Türken verändert und auf einmal an der Grenze Ungarns gleichzeitig mehrere hunderttausend Migranten erscheinen. Und dann müssen wir sie, wenn es mit schönen Worten nicht geht, mit Kraft aufhalten. Und das werden wir auch tun.

Hierzu, zu den Türken kommen wir gleich zurück, doch stellen wir noch einen Satz klar, den Sie erwähnt haben. Wir sollen uns also auf noch einen Zaun, also auf einen doppelten Zaun vorbereiten?

Nun, gerade jetzt werden die technischen Pläne dafür angefertigt, damit wir hinter die, neben die gegenwärtigen – Sie erinnern sich, in welcher Eile und wie schnell hochgezogenen – Verteidigungslinien ein massiveres Verteidigungssystem aufbauen.

Für wann planen Sie dies?

Nun, wenn der Innenminister die sich hierauf beziehenden technischen Pläne vorlegt. Das wird dann schon eine ernsthafte Anlage sein. Jetzt sehen Sie, dass in Wirklichkeit der Zaun, den wir aufgebaut haben, zum Aufhalten solcher stoßartig, in einer Anzahl von einigen tausend, von zehntausend Ankommenden ausreicht. Wir brauchen ein technisches Anlagensystem, das auch mehrere hunderttausend auf einmal ankommende Menschen aufhalten kann.

Weil immer mehr kommen, und wenn ich es Ihren Worten richtig entnehme, dann bereiten auch Sie sich darauf vor, dass dieses gewisse Abkommen zwischen der Türkei und der EU scheitert.

Ich wünsche uns, dass es nicht scheitern möge, aber da…

Dies haben sie eindeutig gemacht, dass…

Aber da es, wenn es scheitern sollte, zu spät sein wird, um sich über die vertane Möglichkeit zu beklagen, müssen wir jetzt für unsere Sicherheit sorgen.

Was werden Sie auf diesem Gipfel in Pozsony [Bratislava, Pressburg] unterstützen, nachdem auch die Österreicher zur Sprache gebracht haben, man solle die Beitrittsverhandlungen der Türkei stoppen?

Nun, wir unterstützen die Türkei. Also wir brauchen eine stabile türkische Regierung, einen in einem sicheren Sessel sitzenden Präsidenten Erdogan und eine berechenbare türkische Außenpolitik. Wenn die Türkei aus irgendeinem Grunde erschüttert werden sollte, durch einen Putschversuch, wenn irgendeine andere Sache – wir haben so etwas schon gesehen – die Stabilität der Türkei erschüttert, dann wird es keinen einzigen stabilen Staat in jener Region geben, mit dem man verhandeln könnte, mit dem man eine Vereinbarung treffen könnte, und mit dem man gemeinsam handeln könnte.

Aber unterstützen Sie sie auch um den Preis, dass die Beitrittsverhandlungen zur Union weitergeführt werden sollen? Es gibt sehr viele Fragezeichen im Zusammenhang damit.

Nun, das ist kein Preis, denn auch bisher haben wir mit ihnen verhandelt.

Aber kann diese in naher Zukunft verwirklicht werden? Denn die Türken erwarten, nicht wahr, als klare und deutliche Rede, dass ihnen jemand sagt, ab wann genau, vom Wievielten an, welcher Monat.

Meiner Ansicht nach muss man mit den Türken verhandeln und alles, was unserer Sicherheit dient, das muss man ihnen geben und darüber muss man übereinkommen. Was unserer Sicherheit nicht dient, darüber muss man mit ihnen keine Übereinkunft schließen.

Hier vom Studio aus fahren Sie nach Warschau, Bundeskanzlerin Angela Merkel stimmt sich mit den V-4-Staaten ab. Dürfte ich Ihnen die Frage stellen, was Sie erwarten, wobei aus Ihren Äußerungen, Erklärungen in Großem und ganzen ein jeder weiß, womit Sie rechnen. Das „wir schaffen das“ hat sich hinsichtlich Deutschlands nicht geändert, nun weiß aber niemand, und das ist die Hauptfrage, weil wir wissen, wer was erklärt, doch die Hauptfrage ist, dass einmal jemand die ganze Angelegenheit bis zum Ende wird durchfechten müssen. Wer wird das sein?

Ich möchte auch zu denen gehören, die wissen, womit sie rechnen müssen.

Aber aus den Erklärungen können Sie das ja auch herausfolgern.

Nun gut-gut, aber wissen Sie, das ist doch ein komplizierteres Metier. Wir werden uns heute in Warschau also tatsächlich sehen, die Visegráder Vier und Angela Merkel, und wir werden zahlreiche Fragen diskutieren. Aber man weiß nicht, zu welchem Ergebnis wir kommen werden, ja, in zahlreichen Fragen ist der Standpunkt nicht jedes Teilnehmers bekannt. Auch ich habe nicht alle meine Karten auf den Tisch gelegt. Was ich Ihnen mit Sicherheit sagen kann, ist, dass wir in den folgenden Wochen und Monaten eine sehr große Aufgabe werden bewältigen müssen. Denn in der Angelegenheit der Flüchtlings- beziehungsweise der Migrantenkrise hat Brüssel Entscheidungen gefällt. Nun besteht Brüssel aus zwei Teilen, nicht wahr. Dies ist von Ungarn aus schwer zu verstehen, weil es eine komplizierte Welt ist, aber sie besteht aus zwei Teilen. Es gibt in ihr Bürokraten und es gibt in ihr Politiker. Nun, jetzt haben die Bürokraten Entscheidungen gefällt, ihre eigenen Entscheidungen haben sie gefällt. Sie wollen eine Zwangsansiedlung. Die Bürokraten sagen, dass die Einwanderung eine gute Sache sei, Europa brauche die hier ankommenden Menschen, deshalb sollen wir ermöglichen, dass sie hereinkommen können. Wenn sie hereingekommen sind, dann soll ein jedes Land auf Grund einer bestimmten Quote von ihnen Menschen aufnehmen. Und wenn jemand hierzu nicht bereit ist, dann muss man ihn mit der Zwangsansiedlung hierzu anhalten. Dies ist die Entscheidung der Bürokraten in Brüssel. Jetzt kommen die Politiker. Unsere Aufgabe ist es, zu erreichen, dass die Politiker diese Entscheidung verändern. Dies ist eine schlechte Entscheidung. Wir müssen also in den kommenden Wochen die Veränderung der durch die Bürokraten gefällten Entscheidung erreichen. Das Problem ist, dass nicht alle Politiker dem zustimmen, dass man die Entscheidung der Bürokraten verändern müsste. Es gibt europäische Politiker, die den Bürokraten zustimmen und versuchen, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Ich, Ungarn, die führenden Politiker der Visegráder Vier, die Völker und die Regierungen der Visegrád-Länder aber wollen die Entscheidung der Bürokraten verändern. Die Frage ist, ob Angela Merkel bereit sein wird, gemeinsam mit uns diese verfehlte Brüsseler Entscheidung zu verändern? Ob sie bereit ist, mit uns hierfür zu kämpfen oder nicht? Hierin müssen wir bis heute Nachmittag klar sehen.

Angesichts der bisherigen Äußerungen werden die meisten in dieser Angelegenheit wahrscheinlich gemeinsam mit Jean-Claude Juncker sagen oder seine Sätze zitieren. Es ist nicht obligatorisch…

Doch jetzt haben wir erst Morgen, am Nachmittag muss das Ergebnis erreicht werden.

Aber glauben Sie, dass zum Beispiel das, was Juncker im Übrigen über die Volksabstimmung gesagt hat, dass diese und ihr Ergebnis für die Institutionen der Europäischen Union nicht verpflichtend sei und die Verpflichtungen der ungarischen Regierung als Mitgliedssaat nicht außer Kraft setzt.

Nun, Jean-Claude Juncker ist der Führer der Brüsseler Bürokraten. Sie haben…

Womit werden Sie Angela Merkel überzeugen?

Sie haben eine Entscheidung gefällt, und er will diese durchführen. Und ich wünschte, er könnte diesen Beschluss nicht umsetzen, und ich wünschte, die Politiker würden ihm verbieten, diese Entscheidung zu vollstrecken.

Was bedeutet das „verbieten“ in der Praxis?

Nun, dass wir einen Beschluss fassen, eine andere Entscheidung, nach der Entscheidung der Bürokraten muss auch eine Entscheidung der Regierungschefs gefällt werden, die „nein“ sagt.

Und dann kommt der 2. Oktober, und nehmen wir an, die Volksabstimmung wird gültig sein und die Nein-Stimmen gewinnen. Was wird am 3., am 4. Oktober geschehen? Wozu wird dies eine Ermächtigung sein, was ohne dem nicht da ist?

Nun, dies wird bedeuten, dass es ein Volk in Europa gibt, übrigens das einzige, das man nach seiner Meinung gefragt hat, das einzige Volk, das sagen konnte, was es über die Frage der Einwanderung und der Migration denkt, das einzige Volk, das deutlich macht, es akzeptiert die Entscheidung der Bürokraten nicht. Wir werden also keine Verhandlungsposition haben, sondern einen endgültigen starken ungarischen Standpunkt. Und meiner Meinung nach werden wir viele andere Länder um uns versammeln.

Wenn die führenden europäischen Politiker nicht in der Lage oder nicht bereit sind, die schwierigen Entscheidungen zu treffen, dann werden die europäischen Wähler die Entscheidung in ihre Hand nehmen, mit dem Ergebnis werden aber vermutlich die politischen Führer nicht zufrieden sein. Dies ist eine aktuelle Analyse des Wirtschaftswissenschaftlers, Nobelpreisträgers und Professors der Columbia Universität, Professor Stiglitz, der übrigens hierbei die Antwort darauf sucht, warum die Mitglieder der Eurozone schlechtere Ergebnisse aufweisen, als…

Ja, ich habe es auch selbst gelesen.

…jene Mitgliedsstaaten der Union, die sich außerhalb der Eurozone befinden. Der Wirtschaftswissenschaftler zählt viele Gründe auf, doch schließlich kommt auch er zu der Schlussfolgerung, dass seiner Ansicht nach in Europa, in der Europäischen Union eine friedliche Scheidung besser wäre als die gegenwärtige Pattsituation, denn dieses System sei langfristig funktionsunfähig. Jetzt haben wir hier außer der politischen Pattsituation auch noch eine wirtschaftliche.

Auch ich selbst habe diese Studie gelesen, die nachdenklich stimmt, aktuell ist, und so den Leser zu Gedanken animiert. Dies ist der schönste Teil unseres Metiers, dass ständig neue und immer neue Gedanken, Herangehensweisen entstehen können, und deshalb kann der optimistische Mensch immer sehen, wie der menschliche Wille die Umstände in den Griff bekommt. Dies ist der schönste Teil der Politik. Nun, deshalb sage ich jetzt hinsichtlich der Wirtschaft, dass die Meinung des Professors wahr sein kann, wenn die führenden europäischen Politiker nicht anders entscheiden. Doch warum könnten sie nicht anders entscheiden, denn gerade deshalb sind wir an führender Stelle.

Weil wir dies im vergangenen Zeitraum nicht gesehen haben.

Ja, bis jetzt haben wir es nicht gekonnt, doch sind wir an führender Stelle, damit wir bessere Entscheidungen fällen. Was die Sicherheit, was den die Sicherheit betreffenden Teil der Angelegenheit angeht, dort kann ich sagen, dass das, was jetzt auf dem Spiel steht, das ist in kontinentaler Perspektive die Zukunft Europas, und in nationaler Perspektive die Zukunft Ungarns. Jetzt geht es darum, in was für einer Welt wir leben werden, wie Ungarn aussehen wird. Werden wir mit großen muslimischen Massen zusammenleben, wird es Parallelgesellschaften geben, werden wir in Terrorgefahr leben, bei einer viel schlechteren öffentlichen Sicherheit als wir sie heute haben, wird die Gleichheit von Mann und Frau eine evidente Sache für alle sich in Ungarn aufhaltenden Menschen sein, werden unsere Ehefrauen, unsere Töchter, unsere Eltern und so weiter in Sicherheit sein. Also geht es um die Zukunft Ungarns. Ich kann den ungarischen Menschen nur dazu raten, nichts zu riskieren. Schützen wir das, was wir haben, verteidigen wir unsere Lebensweise und sagen wir „nein“ zu den Brüsseler Entscheidungen!

Von diesen Problemen der Eurozone ausgehend sollten wir einige Sätze über die Wirtschaft sprechen. Aufgrund der aktuellen Daten sehen wir, dass das Defizit ein Rekordtief aufweist, die Einnahmen sind gestiegen. Einen wie großen Bewegungsspielraum wird dies bedeuten?

Nun, man kann die Ergebnisse der Wirtschaft auch von der Seite des Geldes betrachten. Jetzt spaziert vor Freude ein jeder, mit dem ich gesprochen habe und der ein Wirtschaftsfachmann ist, fünf Zentimeter über dem Boden.

Nun, ein jeder zählt nach.

Weil die Zahlen viel besser sind, als womit auch nur irgendjemand gerechnet hätte. Die Prozesse sind viel überzeugender und so weiter. Auch ich teile diese Freude. Ich pflege eine Zahl, eine Dimension als erste zu beobachten und zu verfolgen, und diese ist, ob jeder ungarische Mensch, der arbeiten kann, dies auch tun kann. Heute kann ich Ihnen sagen, dass wir hinsichtlich der Arbeitslosigkeit in Europa den fünftbesten Platz einnehmen. Wir sind also das Land mit der fünftniedrigsten Arbeitslosigkeit, was ein phantastisches Ergebnis ist, gemessen daran, dass diese Zahl im Jahre 2010, als wir mit der Umformung und Erneuerung Ungarns angefangen haben, noch in der Größenordnung von 12% lag. Und alle hatten aufgehorcht, viele hatten ihren Standpunkt durch unmissverständliche Handbewegungen zum Ausdruck gebracht, als ich gesagt hatte, man müsse im Laufe von zehn Jahren in Ungarn eine Million Arbeitsplätze schaffen. Wir sind jetzt bei 650 Tausend im Laufe von 6 Jahren angekommen. Es ist also überhaupt nicht unmöglich, dass Ungarn zu einem Land werden kann, in dem jeder ungarische Mensch, der arbeiten und von seiner Arbeit leben möchte, hierzu die Möglichkeit hat. Wir müssen hierfür noch arbeiten, doch die Zahlen sprechen dafür, dass dies die richtige Richtung ist. Hinzu kommt noch, und das ist die zweitwichtigste Sache, die ich verfolge, das ist die Anerkennung der Arbeit. Dies ist eine komplizierte Angelegenheit, wie und auf welche Weise man den Lohn so erhöhen kann, dass wir damit eine Wirtschaft nicht zugrunde richten. Ich erinnere mich nach 2002 an die Lohnerhöhung der Sozialisten, die das Land beinahe kaputtgemacht hätte, denn auch der Weg in die Hölle ist gepflastert mit guten Vorsätzen. Man kann also nur als Ergebnis eines komplizierten Denkprozesses das Maß jener Lohnerhöhung bestimmen, die insgesamt die Wirtschaft stärkt, die Wettbewerbsfähigkeit verbessert und keine Arbeitslosigkeit schafft. Wir berechnen diesen schmalen Pfad Tag für Tag, und jetzt sehe ich, dass seit dem Januar ’13, oder vielleicht seit noch Längerem, die Löhne in Ungarn kontinuierlich jeden Monat anwachsen. Auch in diesem Jahr kommt es zu einem bedeutenden Lohnanstieg sowohl im privaten als auch im staatlichen Bereich, und zwar so, dass zugleich die Wettbewerbsfähigkeit zunimmt, die Arbeitslosigkeit abnimmt und die Wirtschaft wächst. Die Erhaltung dieser Mischung, sie zu beschützen, ist unsere wichtigste Aufgabe.

Und gleichzeitig haben wir hier eine Doppelheit, der Arbeitskräftemangel und die Arbeitslosigkeit stemmen sich gegeneinander.

Nun schauen Sie, wer hätte vor einigen Jahren gedacht, dass jener Mensch normal ist, der sagt, Ungarn würde bald nicht die Arbeitslosigkeit, sondern der Arbeitskräftemangel drohen? Und sehen Sie, wir sind hier angekommen. Als Ergebnis der harten Arbeit von sechs Jahren sind wir hier.

Dann sind wir bei der Tausend-Dollar-Frage angekommen: Was wird in dieser Angelegenheit geschehen? Der Wirtschaftsminister hat schon darüber gesprochen, dass er sich eine Senkung der Beiträge vorstellen könnte. Doch liegt zum Beispiel ein Drehbuch auf dem Tisch, dessen Teil Sie bereits früher, im Laufe der früheren Amtszeit verwirklicht haben? Können Sie sich das vorstellen, dass es eine bedeutende, radikale Erhöhung des Minimallohns gibt und dazu Nachlässe für die Arbeitgeber?

Nun, ich denke in ganz anderen Relationen. Dies sind alles interessante technische Fragen und Instrumente, über deren Anwendung es sich immer zu sprechen lohnt, aber ich denke nicht in diesem Rahmen, sondern darin, dass zuerst alle in Ungarn lebenden Menschen eine Arbeitsmöglichkeit erhalten sollen. Dies ist das Wichtigste. Wir haben noch Ressourcen, während man für viele Stellen, etwa fünfzigtausend und einige Stellen heute keine Leute, keine Arbeitnehmer, Arbeiter findet, haben wir immer noch Arbeitslose, es ist also eine innere Reserve vorhanden, die mobilisiert werden muss. Und man muss längerfristig denken. Wir brauchen mehr Kinder und stärkere Familien. Wenn dann mehr Kinder in Ungarn geboren sein werden, dann werden mehr Menschen in Ungarn arbeiten. Ich stelle mir also die Lösung dieser Frage in einer längerfristigen historischen Perspektive grundsätzlich im Rahmen der demographischen- und der Familienpolitik vor. Eine Regierung muss sich natürlich auch mit den täglichen Angelegenheiten beschäftigen, doch ist es zumindest genauso wichtig, die historische Dimension nicht aus den Augen zu verlieren. Deshalb brauchen wir zur Lösung unserer Probleme einen starken Schutz der Familie, starke Familien, die Unterstützung, Achtung und Anerkennung der Eltern mit Kindern. Man muss eine demographische Politik machen, so könnte ich Ihnen das in einem Wort zusammengefasst sagen. Dies wird kritisiert, dies ist heute in Europa nicht in Mode, in Europa will man den Arbeitskräftemangel durch die Migranten lösen, weil ihr Horizont sich nur über einen Tag erstreckt oder sich der Horizont der Entscheidungsträger auf dem Niveau eines Tages befindet. Ich akzeptiere dies nicht, ich stimme dem nicht zu. Der Großteil des Landes denkt meiner Ansicht nach so wie ich. Wir müssen dieses Problem aus eigener Kraft lösen. Wir müssen die Ungarn vereinen und wir müssen in die Richtung voranschreiten, in die Richtung gehen, dass wir aus eigener Kraft möglichst stark sein sollen.

Dann ist aber demnach die Beitragssenkung eine theoretische Frage?

Nein, sie ist die Frage eines Instruments. Die Beitragssenkung ist eine gute Sache. Steuersenkung ist eine gute Sache. Wichtig ist nur, dass sie sich in einen langfristigen großen Plan einfügt.

Wir setzen das nächste Mal fort. In der vergangenen halben Stunde hörten Sie Ministerpräsidenten Viktor Orbán.