Zsolt Törőcsik: 15 Prozent Erdgas sollen in der Europäischen Union eingespart werden, die Lieferkapazitäten über North Stream gehen weiter zurück und der Gaspreis an der europäischen Börse erreicht Rekordhöhen. Auch diese Woche kommt man aus dem Staunen nicht heraus, so viele Dinge sind in der Energiepolitik passiert, die praktisch zum brisantesten Thema in der Entscheidungsfindung der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten avanciert ist. Im Studio begrüße ich Ministerpräsident Viktor Orbán! Guten Morgen!
Guten Morgen!
Es gibt einen vorläufig freiwilligen Vorschlag zur Einsparung von Erdgas, in dem sich die Fachminister der EU verpflichtet haben, in gut einem halben Jahr den Gasverbrauch um 15 Prozent zu reduzieren. Was sagt das für Sie über die Sanktionspolitik der Europäischen Union aus? Der Mensch in Europa sieht nur, dass der Krieg weitergeht, er selbst wiederum sparen muss, um im Winter heizen zu können.
Erstens, die Ungarn denken meistens, dass sie sich vor allem auf sich selbst verlassen können, wenn sie in Schwierigkeiten geraten. Deshalb freue ich mich, dass man in Brüssel bemüht ist, auch gesamteuropäische Lösungen zu finden. Da es hier aber um die Existenzfrage geht, ob wir im Winter eine Heizung, Strom und insbesondere Gas noch haben, ist es besser, wenn wir uns in erster Linie auf uns verlassen. Ohne den guten Willen dabei abzustreiten, halte ich es nicht für zielführend zu glauben, dass irgendjemand in Brüssel die Probleme der Energieversorgung in Ungarn lösen wird. Das muss von den Ungarn, von uns selbst kommen. Daher führe ich die Regierung so, dass unabhängig davon, was an der Front passiert – da die ganze Sache, von der wir reden, eine Folge des Krieges ist –, also an der ukrainisch-russischen Front, und unabhängig davon, was sie in Brüssel ausdenken, wir Ungarn alle Mittel in der Hand haben, die erforderlich sind, um die Energieversorgung in Ungarn zu sichern. Um auf Ihre Frage zu antworten: Ich lese aus dieser Entscheidung heraus, dass unsere Kriegsstrategie nicht funktioniert. Wir hatten eine, als der Krieg vor 155 Tagen ausbrach, damals hatte Europa eine Überlegung, was wir in diesem Krieg tun – wir können vielleicht auch die Amerikaner dazuzählen, wir können also vom Westen sprechen. Wir hatten also eine Zielsetzung und wir hatten eine Strategie, sie gründete auf vier Pfeilern. Wir dachten zunächst, dass eine mit amerikanischen Beratern und Ausbildungsoffizieren gestärkte ukrainische Armee ohne militärische Delegation der NATO Russland besiegen kann. Wir sehen nun, dass dies nicht der Fall ist. Die Ukraine verliert unzählige Menschen und viele Gebiete, sodass die Souveränität der Ukraine in der nächsten Zeit kaum verteidigt werden kann. Die zweite Überlegung war, Sanktionen gegen Russland zu verhängen, um Russland, das die Ukraine angegriffen hat, zu erschüttern, und sogar die russische Führung zu destabilisieren. Die Situation sieht aber anders aus, es ist genau umgekehrt. Unsere dritte Überlegung war, dass wir die Folgen dieses Krieges und der Sanktionen als Reaktion darauf, die auch uns als sanktionierende Staaten erreichen, wenn auch nicht ganz leicht, aber doch bewältigen können, ohne das Leben der Menschen erheblich zu beeinträchtigen. Heute steht die Welt offensichtlich auf dem Kopf, und Europa driftet einer Kriegswirtschaftslage entgegen. Und die vierte Überlegung bestand darin, dass die Welt einsieht, dass Russland ein Aggressor ist und wir Recht haben, und sie würden sich auf unsere Seite stellen, wodurch eine große Welteinheit entsteht, durch die man Russland dazu zwingen kann, seinen militärischen Angriff zu überdenken. Aber die Welt ist nicht auf unserer Seite. Nur noch der Westen steht zusammen, vielleicht noch Japan und Südkorea. Große Massen in der Welt, um nicht zu sagen die größeren Massen, China, Indien und die arabische Welt, ein beträchtlicher Teil Afrikas stellen sich nicht auf unsere Seite. Sie sind zwar auch nicht gegen uns, aber sie haben ihre eigenen Probleme. Der Krieg erschwert nur ihre Probleme und sie wollen sich im Krieg nicht auf die eine oder andere Seite schlagen, sondern wollen ihre eigenen Probleme lösen, dem Krieg baldmöglichst ein Ende bereiten, und sie wollen keinen gerechten Krieg gemeinsam mit uns gegen Russland führen. Diese Strategie, auf die unser Handeln aufgebaut war, ist schwach geworden und ist gescheitert, es gibt sie nicht mehr. Eine neue Strategie muss her. Und die verzögert sich im Moment. Stattdessen wird der Verbrauch reduziert und die Preise steigen. Wenn die Menge eines Produkts, eines für die Lebenshaltung wichtigen Produkts reduziert werden muss, stehen wir schon im Vorzimmer der Kriegswirtschaft. Da sind wir jetzt. Und wenn Brüssel nichts ändert – aber ich hoffe, dass es uns gelingt, etwas gemeinsam zu ändern –, muss man sich ab Oktober in ganz Europa auf eine vom Krieg geprägte Wirtschaftssituation einstellen.
Was bedeutet das für die Zukunft? Gibt es überhaupt den Willen zur Änderung? Bis jetzt sind nur Vorschläge für Einsparungen zu hören. Es gibt schon eine Stadt in Deutschland, Hannover, wo es von nun an kein warmes Wasser in den öffentlichen Gebäuden geben wird, aus den Duschen der Sporteinrichtungen wird nur kaltes Wasser fließen. Ist es gewissermaßen ein Eingeständnis, dass es nicht gelungen ist, uns von der russischen Energie abzukoppeln? Das war ja eines der Ziele.
Ich erinnere mich noch an die Treffen der Regierungschefs, an die Sitzungen des Europäischen Rates, wo viele Länder, die die Sanktionen verhängen wollten, etwas großspurig die Meinung äußerten, dass eine Lösung gefunden werden könne. Das Ölembargo sei kein Problem, auch die Folgen des Gasembargos könnten gelöst werden, und so weiter, und wir würden uns auf den Weg machen und irgendwo Erdgas kaufen. Wir haben auch damals gesagt, dass uns Ungarn das Selbstvertrauen nicht fremd ist. Es ist auch schwer, ohne Selbstvertrauen am Leben zu bleiben und zu überleben, aber es schadet nicht, Rechnungen anzustellen. Wir meinten, dass die Kapazitäten nicht da sind. Wir können also nicht aus anderen Ecken der Welt genug Energie einsammeln, wenn wir uns mit Russland nicht einigen können. Und genau das ist jetzt passiert. Meiner Ansicht nach ist es am wichtigsten, den Frieden in den Mittelpunkt einer neuen Strategie zu stellen. Man sollte sich mit den Kriegsparteien darauf einigen, dass es einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen geben soll. Sanktionen und Waffenlieferungen führen nicht zum Erfolg. Man könnte auch sagen, dass man auch das Feuer üblicherweise nicht mit einem Flammenwerfer bekämpft. Ob das alles gelingt oder nicht, wissen wir nicht, aber den Amerikanern kommt dabei eine Schlüsselrolle zu, denn dieser Krieg wird nicht durch eine russisch-ukrainische Verhandlung beendet werden. Dazu ist er zu sehr ausgeufert. In der internationalen Welt nennt man so etwas einen Stellvertreterkrieg. Der Westen ist schon halbwegs in diesen Krieg hineinverwickelt, und die Situation kann offenbar nur durch umfassende Verhandlungen beendet werden. Eine Einigung über ein neues europäisches Sicherheitssystem wäre notwendig, und da wir in Europa keine gemeinsame Armee haben, und nicht stark genug sind, können wir uns eine Stabilität der Sicherheit in Europa, genauso wie nach dem Zweiten Weltkrieg, nur von einem russisch-amerikanischen Übereinkommen versprechen. Solange es also keine unmittelbaren amerikanisch-russischen Verhandlungen gibt, besteht nur wenig Chance auf Beendigung des Krieges. Wir sollten uns mit Nachdruck für solche Verhandlungen einsetzen.
In dieser Situation drängt sich nun Ende Juli die Frage auf, ob wir im Winter in Europa genügend Erdgas haben werden. Nach den gestrigen Angaben sind in Ungarn die Speicher bis zu 29 Prozent aufgefüllt, in der Europäischen Union im Schnitt zu 18 Prozent. Die Heizungsperiode beginnt aber schon in zweieinhalb Monaten.
Die Entscheidung von Brüssel, den Verbrauch um 15 Prozent zu reduzieren, hat eine weitere Diskussion darüber entfacht, dass in dem Fall, wenn einem Land das verfügbare Gas ausgeht, es anderen Ländern weggenommen werden kann. Wir betrachten das schlicht und einfach als Wegnahme des Eigentums eines Schwächeren durch drohenden Auftritt (ung. „einstand“). Wir verstehen die Probleme der Deutschen, aber diese Art, etwas wegzunehmen, ist keine schöne Tradition, wir wollen es daher vermeiden. Ungarn wird über genug Gas verfügen. Uns wird also nicht der Mangel an Gas Probleme bereiten, denn Péter Szijjártó gibt schon seit Langem – ich muss sagen, seit Jahren – Warnsignale und rührt die Trommel, damit Ungarn alternative Beschaffungswege ausbaut. Und schließlich hat er uns überzeugt. Wenn Sie die Ereignisse beobachten, sehen Sie, dass in den letzten Jahren im Stillen, insgeheim, durch den Ausbau nationaler Kapazitäten eine Route für die Lieferung von größeren Mengen Erdgas ausgebaut wurde, von der Türkei über Serbien bis Ungarn, und heute kommt der Großteil des Gases aus Russland auch über diese südliche Route nach Ungarn. Wir haben auch mit Kroatien eine Vereinbarung abgeschlossen. Sie haben ein LNG-Terminal zur Anlandung von Flüssiggas an der See und von dort führen wir jährlich anderthalb Milliarden Kubikmeter Erdgas ein. Und unsere Wirtschaftsminister haben beschlossen, die eigene Erdgasförderung zu steigern. Ungarn hat Erdgasvorkommen, leider sehr wenig, aber es gibt sie. Man muss mit diesen Reserven sparsam umgehen, deshalb wird nicht die mögliche Gesamtmenge gefördert. Dennoch haben wir jetzt die Förderunternehmen verpflichtet, ihre Fördermengen zu erhöhen, und das alles wird unseren Bedarf decken. Wir sind noch zu den Russen gegangen und feilschten mit ihnen um den Kauf von weiteren 700 Millionen Kubikmeter Gas. Dieses Geschäft kann meiner Meinung nach noch im Sommer über die Bühne gehen, und dann ist bei uns alles vollkommen in Ordnung. Unser Problem wird es nicht sein, kein Gas zu haben, es sei denn, die Deutschen nehmen das Gas mit. Aber das gehört schon auf ein anderes Blatt, wir werden dann mit ihnen diskutieren, wie es um diese Wegnahme durch drohenden Auftritt („einstand“) steht, Sie werden sich an diesen Begriff aus dem Roman „Die Jungen von der Paulstraße“ erinnern. Unser Problem ist in Wirklichkeit der Preis. Das Problem ist also, dass der Preis, insbesondere der Gaspreis sich in den letzten Monaten vervielfacht hat. Nur in den letzten sechs Tagen stieg der Preis von etwa 160 Dollar auf über 200, in kürzester Zeit kann der Preis enorme Schwankungen zeigen. Deshalb wollen wir zum Teil die Senkung der Nebenkosten erhalten. Dazu möchte ich später nach Möglichkeit ein paar Worte sagen. Außerdem müssen wir den Menschen helfen, damit sie sich vom Gas entkoppeln können, wo es technisch überhaupt möglich ist. Deshalb haben wir nun László Horváth, unseren Parlamentsabgeordneten aus dem Komitat Heves als Ministerialbeauftragten damit beauftragt, die stillgelegten Blöcke des Kraftwerks Mátra wieder hochzufahren. Ein anderer Abgeordneter, Gábor Riz, der aus der Umgebung von Ózd kommt und sich auch früher schon mit Bergleuten beschäftigt hat, hat mit uns zusammen die Frage geprüft, ob die Braunkohlebergwerke wiedereröffnet werden können. Er hat jetzt als Ministerialbeauftragter den Auftrag bekommen, diesen Prozess zu beschleunigen. Wir schauen uns an, ob wir unsere Braunkohlebergwerke wieder in Betrieb setzen können. Die Ausfuhr von Brennholz haben wir verboten, die Forstwirtschaften haben wir verpflichtet, Pläne für die Steigerung der Brennholzernte zu erarbeiten. Herr Minister Palkovics wiederum wurde beauftragt, ein Ofen- und Heizkesselprogramm auf den Weg zu bringen, damit überall, wo es möglich ist, die Gasheizung ersetzt werden kann. Wir haben also schon viel unternommen, und diese Arbeiten werden auch ihre Früchte zeigen, wenn nicht morgen, dann übermorgen. Die Aufgabe für morgen ist aber der Schutz der Nebenkostensenkung.
Lassen Sie uns nun darüber sprechen, denn seit unserem letzten Gespräch sind auch die Einzelheiten bekannt geworden. Schauen wir uns zunächst an, wie die Situation bis zur Höhe des Durchschnittsverbrauchs aussieht. Hier also bleibt der gesenkte Preis bestehen, das bedeutet aufgrund der Tabelle, die mir vorliegt, dass ein durchschnittlicher Verbraucher für den Strom monatlich 7.560 Forint bezahlt, was mit dem tatsächlichen Marktpreis gerechnet 56.500 Forint kosten würde, also das Siebenundeinhalbfache. Für das Gas wiederum zahlt er monatlich 10.700 Forint, was mit dem tatsächlichen Marktpreis gerechnet fast 147.000 Forint, also das Zehnfache bedeuten würde. Sie haben auch schon gesagt, dass der Gaspreis das Problem ist, da er an der europäischen Börse tatsächlich auch schon bei 215 Forint lag. Wie groß ist die Last, die der Staat zur Unterstützung der Familien auf sich nehmen kann, und wie lange kann das in dieser Form nachhaltig weitergeführt werden?
Wir haben in Ungarn ein kluges System ausgebaut, das mehr als zehn Jahre lang gut funktioniert hat, und darin bestand, dass wir zur Unterstützung der Familien einen Preis für Strom und Gas festgelegt haben. Das war der gesenkte Preis für die Nebenkosten, und die Menschen konnten Gas und Strom zu diesem Preis beziehen. Auf dem Weltmarkt unterlag der Preis zwar Schwankungen, aber wir konnten ihn immer halten. Wenn der Preis auf dem Weltmarkt höher war, wurde die Differenz zwischen dem von den Familien bezahlten Betrag und dem tatsächlichen Preis vom Staatshaushalt beziehungsweise vom ungarischen Staat ausgeglichen. Das bedeutete jedes Jahr Ausgaben von mehreren Hundert Milliarden Forint. Im Jahr 2021 lag dieser Betrag bei etwa 250-260 Milliarden Forint, erhöhte sich dann aber im Jahr 2022, und wenn ich die aktuellen Preise bis Ende 2022 weiterrechne, kann ich die beiden Jahre 2021 und 2022 vergleichen, und dann geht es um mehr als 2.000 Milliarden. Also von 250-260-Milliarden stieg diese Zahl auf über 2.000 Milliarden. Im Augenblick boomt die Wirtschaft in Ungarn und zeigt gute Leistungen, auch wenn dichte Wolken am Himmel aufziehen. Aber insgesamt haben wir immer noch eine gute Wirtschaftsleistung, die Wirtschaft zeigt ein großes Wachstum, aber sie kann das nicht mehr erwirtschaften. Also diese Differenz kann die ungarische Wirtschaft nicht mehr erwirtschaften. Das ist nicht mehr drin. Man musste also etwas unternehmen. Wir haben dann die Entscheidung getroffen, dass jede ungarische Familie Strom und Gas auch in Zukunft zu einem gesenkten Preis beziehen kann, aber nur bis zur Höhe des Durchschnittsverbrauchs. Das heißt, dass die gesenkten Nebenkosten ab Herbst bis zur Höhe des Durchschnittsverbrauchs allen ungarischen Familien erhalten bleiben, und dadurch jede ungarische Familie in der Strom- und Gasrechnung im Vergleich zum Marktpreis auch weiterhin sparen kann. Man sieht jetzt verschiedene Prognosen und Kalkulationen, fast wie in einem Zahlenkrieg. Auch mir liegen Schätzungen vor, die wir in der Regierungssitzung zusammengestellt haben, und ich sehe, dass eine Familie in Ungarn heute bis zur Höhe des Durchschnittsverbrauchs 56.000 Forint bei Strom und 146.000 Forint bei Gas sparen kann. Ich möchte, dass sich die Familien in Ungarn dessen bewusstwerden, dass sie bis zur Höhe des Durchschnittsverbrauchs jeden Monat 181.000 Forint in Form von gesenkten Energiepreisen erhalten. Und das trifft auf alle zu. Diejenigen, die über dieser Grenze liegen, müssen selbst dafür sorgen, entweder den eigenen Verbrauch zu reduzieren oder ausreichend Geld zu verdienen, um den Marktpreis, den Marktpreis für Privatkunden, also den nicht subventionierten Preis für den über dem Durchschnitt liegenden Energieverbrauch bezahlen zu können. So sieht die Wirklichkeit in Ungarn im Moment aus. In diesem Jahr kann dieses System mit Sicherheit weitergeführt werden. Oktober halte ich für einen wichtigen Scheidepunkt, dann wird sich zeigen, ob die europäische Wirtschaft in eine Kriegswirtschaft hineinschlittert, ob die Kriegsinflation andauert, die Energiepreise hoch bleiben und sich die europäische Wirtschaft nach einer völlig anderen Logik neu gestaltet, wie uns auch schon die erste ungewöhnliche Kriegsentscheidung erreicht hat, 15 Prozent Verbrauch einzusparen, worüber wir zu Beginn unseres Gesprächs gesprochen haben. Ob es so kommt oder nicht, wird sich irgendwann im Oktober-November entscheiden, die ungarische Wirtschaftspolitik wird also das nächste Mal Ende Oktober unter Zugzwang stehen.
Gleich kommen wir noch auf die europäische Wirtschaft zu sprechen, aber Sie haben doch zwischen dem tatsächlichen Marktpreis und dem gesenkten Preis für Nebenkosten einen Marktpreis für Privatkunden eingebaut, der immer noch günstiger ist als der tatsächliche Marktpreis. Warum war das notwendig?
Das war notwendig, weil wir nicht eine Situation haben wollten, wo Energieversorger in Ungarn auch nur einen einzigen Forint an dem Strom verdienen, der an die Bevölkerung geliefert wird. Ob sie in der Industrie und an dem Strom für die Industrie etwas verdienen, ist eine Geschäftsfrage, sagen wir so: eine Frage des Marktes, die die Regierung nichts angeht, zumindest ist hier die Verantwortung der Regierung viel kleiner. Wir wollten aber auf jeden Fall verhindern, dass die Menschen das Gefühl bekommen, dass ihre Lasten steigen und gleichzeitig staatliche oder private Unternehmen in Ungarn aus ihrem Verbrauch, aus dem Verbrauch zu erhöhten Preisen einen Gewinn erwirtschaften. Das wollten wir nicht, deshalb haben wir diesen Gewinn zurückgestutzt, und das ist der Marktpreis für Privatkunden.
Sie haben erwähnt, dass Oktober-November einen Scheidepunkt für die europäische Wirtschaft bedeuten wird, aber aus Deutschland und den Vereinigten Staaten kommen jetzt schon die Nachrichten, dass eine Rezession in der Wirtschaft unvermeidbar ist. Die Regierung würde Ungarn – wie Sie gesagt haben – zu einer lokalen Ausnahme in dieser Rezession machen. Es ist bekannt, dass wir eine offene Wirtschaft haben. Ist das unter diesen Umständen machbar?
Auch ich möchte die Antwort auf diese Frage wissen. Aber was kann man machen? Wir müssen uns verteidigen. Man kann auch Politik machen, so etwas haben wir auch schon in Ungarn gesehen, indem der Ministerpräsident und die Regierung vor die Öffentlichkeit treten, die Arme ausbreiten und erklären: Leute, seht ihr, so sieht es jetzt aus, wir müssen diese Schläge gemeinsam wegstecken. Dann schießen die Nebenkosten in den Himmel, das Wirtschaftswachstum bleibt stehen und die Arbeitslosigkeit beginnt zu steigen. So war es in den Jahren 2007-2008-2009. Die Regierung versuchte den Menschen zu erklären, warum sie nichts tun kann. Es ist sicher auch eine Frage des Habitus, aber ich mag so etwas nicht. Wenn auch Schwierigkeiten kommen, sollten wir etwas unternehmen, wir sollten uns wenigstens verteidigen. Wir haben eine Reihe von Maßnahmen erarbeitet, um die bevorstehenden Probleme auszumerzen. Es ist ein realistischer Plan, also er kann erfolgreich sein. Ich kann Ihnen nicht sagen, dass dieser Plan mit hundertprozentiger Sicherheit, also mit mathematischer Sicherheit aufgeht und erfolgreich sein wird. Ich kann nur sagen, dass wir kämpfen werden. Wir werden also der Rezession, dem wirtschaftlichen Abschwung den Kampf ansagen und wir werden kämpfen, damit alle Arbeitsplätze erhalten werden können, wir werden kämpfen, damit die Menschen ein ausreichendes Einkommen haben und ihre Familien auch weiterhin unterhalten können. Wir werden dagegen kämpfen, dass die Nebenkosten den Familien ihr ganzes Einkommen rauben. Wir werden gegen die Verschlechterung unseres Lebensstandards kämpfen. Also die Menschen können sich sicher sein, dass wir Entscheidungen treffen, die in dieser Situation Abhilfe schaffen. Eine Entscheidung haben wir bereits getroffen. Wir haben ein Kabinett aufgestellt, das ein solches Wachstum verteidigen soll, ein Kabinett für Wirtschaftswachstum, das seinerseits schon die Entscheidung getroffen hat, beziehungsweise auf dessen Vorschlag die Regierung die Entscheidung getroffen hat, dass der Umsatzsteuersatz für Wohnungen, den wir von 25 Prozent vorübergehend auf 5 Prozent herabgesetzt haben – und dieser vergünstigte Umsatzsteuersatz würde am Ende dieses Jahres auslaufen –, also hier haben wir beschlossen, diese Regelung nicht zum 31. Dezember auslaufen zu lassen. Der Umsatzsteuersatz für Wohnungen wird um weitere zwei Jahre verlängert, weil wir gesehen haben, dass viele Menschen ihren Wohnungsbau beschleunigt und voreilig gehandelt haben, und Genehmigungen in der Hoffnung eingereicht haben, dass sie noch innerhalb der jetzigen Frist bleiben. Das ist aber nicht notwendig, man braucht nichts zu überstürzen. Die Regierung wird dafür Sorge tragen, dass der bedauerlicherweise immer langsamer werdende Wohnungsbaumarkt mit diesem Umsatzsteuersatz von 5 Prozent auch in den kommenden zwei Jahren unterstützt wird. Solche Entscheidungen sind also zu erwarten.
Aus den letzten zwanzig Minuten ist eindeutig hervorgegangen, dass der Krieg in unserer Nachbarschaft Europa in eine Wirtschaftskrise stürzen wird. Warum mehren sich dennoch nicht die Stimmen, die vielleicht nicht gleich einen Frieden, aber zumindest einen Waffenstillstand fordern?
Weil die Amerikaner immer noch glauben, oder ich würde lieber so formulieren, dass die Angelsachsen immer noch glauben, dass man mit unserer bisherigen Strategie diesen Krieg gewinnen kann. Und Europa hat keine bedeutsame militärische Kraft, auch seine finanziellen Möglichkeiten sind begrenzt. Der Krieg wird von den Amerikanern finanziert. In dem letzten Halbjahr – und ich nenne jetzt eine Schätzung, ich habe versucht, die inzwischen bekannten Daten zusammenzurechnen – sind also 50 Milliarden Dollar in die Ukraine geflossen. Das ist ein enormer Betrag. Wer den in dem nächsten Halbjahr bereitstellen wird, weiß ich nicht. Und wer den dann 2023 bereitstellen wird, weiß ich schon gar nicht mehr, aber Europa hat nicht so viel Geld. Also damit zu rechnen, dass Europa mit einem solchen Betrag die Ukraine, den Krieg und den ohne Gelder aus Europa oder ohne externe Gelder nicht funktionsfähigen Teil der ukrainischen Wirtschaft finanzieren, und dann eventuell noch Geld für den Wiederaufbau zurücklegen kann, ist unmöglich. Europa hat dafür kein Geld. Amerika hat vielleicht Geld, deshalb spielen die Vereinigten Staaten heute eine bestimmende Rolle in dem ganzen ukrainisch-russischen Krieg, auf unserer Seite, auf der Seite des Westens. Und solange sie meinen, dass die militärische Strategie, die im Moment die Vereinigten Staaten fahren, erfolgreich sein kann, werden sie nichts ändern. Aber ich hoffe sehr, dass sich das ändert, wenn nicht aus einem anderen Grund, dann vielleicht deshalb, weil es eine sogenannte midterm election in den Vereinigten Staaten geben wird, also Halbzeitwahlen zum US-Kongress zwischen zwei Präsidentschaftswahlen, wo Senatoren und Abgeordnete gewählt werden, und das ist immer ein wichtiger Moment, da kann man den Kurs ändern. Das Ergebnis dieser Wahlen kann auch die amerikanische Außenpolitik in Sachen Krieg und Frieden beeinflussen. Ich hoffe sehr, dass es so kommen wird.
Es gibt eine weitere Katastrophe, die Europa heimsucht, eine Naturkatastrophe, und zwar die Dürre, und da bildet auch Ungarn keine Ausnahme. Gestern wurde ein Dürre-Krisenstab eingerichtet. Wenn jemand in der Großen Ungarischen Tiefebene unterwegs ist, wird sehen können, dass der Mais nur kniehoch wächst. Der Agrarminister hat beim Weizen einen Ernteverlust von 25 Prozent angekündigt, der Mais ist in der Tiefebene praktisch vernichtet. Zwei Fragen stellen sich in einer solchen Situation. Einerseits, ob es genug Lebensmittel in Ungarn geben wird, andererseits, was mit den Landwirten passiert, die den Großteil ihres Vermögens praktisch auf den Feldern gelassen haben?
Auch ich reise durch das Land und bin mit dieser Situation konfrontiert. Zu diesem Problem würde ich noch hinzufügen, dass auch die Sonnenblumenköpfe nur handflächengroß sind. Also meiner Meinung nach können wir uns auch von dieser Ernte verabschieden. Das ist ein ziemliches Problem. Ungarn, die ungarische Wirtschaft hat wichtige Einnahmen aus der Landwirtschaft. Historisch gesehen sind wir grundsätzlich ein landwirtschaftlich geprägtes Land, damit kennen wir uns aus. Wir sind also gute Landwirte. Wir können dem Boden entnehmen, was zu entnehmen ist. Wir haben eine Jahrhunderte alte Kultur, die uns einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Auch das heutige Ungarn ist in der Lage, für die Lebensmittelversorgung von 20 Millionen Menschen zu sorgen. Wir sind aber nur 10 Millionen. Wir haben bereits die Dürreschäden ermittelt, und gesehen, dass die Lebensmittelversorgung in Ungarn nicht gefährdet ist. Also auch die dürregeplagte Landwirtschaft ist noch in der Lage, 10 Millionen Menschen mit Lebensmitteln zu versorgen. Es wird sogar Exporte geben, aber weniger als sonst. Es ist im Moment nicht so, dass wir für 20 Millionen Menschen produzieren: 10 davon behalten und 10 verkaufen, sondern es bleibt viel weniger für den Export. Das bedeutet einen Einnahmeausfall für die ungarische Wirtschaft, aber unsere Sicherheit, unsere Versorgungssicherheit ist nicht in Gefahr. Die zweite Frage betrifft die Landwirte. Das ist schon eine schwierigere Sache. In Ungarn funktioniert ein System, es heißt Schadensbegrenzungsfonds, in den die Landwirte einzahlen, und wenn es Probleme gibt, wird daraus wie nach der Versicherungslogik Schadensbegrenzung betrieben. Dieser Fond ist jetzt völlig ausgeschöpft. Wenn sich die Landwirte also nur auf diesen Fonds verlassen könnten, würden viele pleitegehen. Das ist auch der Regierung bewusst. Wir haben uns eine Vorlage des Wirtschaftsministers angehört und wir haben eine Taskforce eingerichtet, die die Aufgabe haben wird, Maßnahmen zur Unterstützung der Landwirte zu ergreifen. Mindestens ein Dutzend solcher Maßnahmen haben wir beraten. Wir haben uns noch nicht für die eine oder andere Maßnahme entschieden. Wir brauchen noch gut eine Woche, um diese Entscheidungen endgültig zu machen. Aber die Landwirte werden selbstverständlich eine Hilfe bekommen. Es wäre nicht gut, weder für sie noch für die ungarische Volkswirtschaft, wenn lebensfähige, auf Arbeit gegründete Familienwirtschaften, Landwirtschaftsunternehmen zu Grunde gehen würden. Wir würden dadurch nicht nur in diesem Jahr Verluste erleiden, sondern es gäbe auch in Zukunft in der ungarischen Wirtschaft, in der ungarischen Landwirtschaft keine Akteure, keine guten Landwirte mehr, die den Boden in unserem Land bewirtschaften, und Einnahmen für die ungarische Volkswirtschaft bringen. Es ist ein nationales Interesse, nicht nur ihr persönliches Interesse, sondern unser gemeinsames nationales Interesse, dass sie das überstehen.
In der letzten halben Stunde haben wir mit Ministerpräsident Viktor Orbán über die europäische Energiekrise, die Senkung der Nebenkosten und die Dürre in Europa gesprochen.