Viktor Orbáns Interview in der Sendung „Guten Morgen Ungarn” von Radio Kossuth
26. November 2021

Katalin Nagy: Während der Impfwoche konnten täglich mindestens 130 Tausend Impfungen verabreicht werden. Im Studio begrüße ich Ministerpräsident Viktor Orbán! Hätten Sie gedacht, dass diese Aktionswoche so erfolgreich wird?

Ich habe darauf gehofft, deshalb wurde das von uns ausgeschrieben. Es ist schwer, sich mit Ungarn auszukennen. Einerseits ist das doch ein seriöses Land, die Bedrohung wird also ernstgenommen, und andererseits sehe ich bei den Steuererklärungen, dass obwohl auch zwei bis drei Monate zur Verfügung stehen, die Geschäfte immer erst an den letzten ein bis zwei Tagen erledigt werden. Ich habe also erwartet, dass diejenigen, die nicht gegen die Impfung sind, sondern die Impfung mit der geringstmöglichen Mühe oder mit dem geringstmöglichen Verwaltungsaufwand bekommen können, diese Möglichkeit beziehungsweise diese Gelegenheit nutzen werden. So ist es auch geschehen. Wir hatten gestern eine Regierungssitzung und sind zum Schluss gekommen, dass die Impfwoch ein solcher Erfolg ist, dass wir sie verlängern. Sie wird also um eine Woche verlängert, sodass diejenigen, die diese Möglichkeit diese Woche versäumt haben, sich nächste Woche noch impfen lassen können. Viele Menschen lassen sich zum dritten Mal impfen, es lassen sich also nur wenige zum ersten Mal impfen, es gibt etwa mehr Menschen, die sich zum zweiten Mal impfen lassen, aber die meisten lassen sich zum dritten Mal impfen, und das ist entscheidend. Weihnachten steht vor der Tür, letztes Jahr war es ja ein kleines Weihnachtsfest, weil es keinen Impfstoff gab, dieses Jahr kann es ein großes Weihnachtsfest werden, aber nur, wenn die Zahl der Menschen, die sich zum dritten Mal impfen lassen, steigt. Im europäischen Durchschnitt liegt übrigens der Anteil der Menschen, die die dritte Impfung erhalten haben, bei etwa 6-7 Prozent, in Ungarn sind es mehr als 20-21 Prozent, und wenn das so weitergeht, können wir eine starke Immunität aufbauen. Die Virologen sagen der Regierung, dass nach sechs Monaten, wobei natürlich persönliche genetische und gesundheitliche Gegebenheiten zählen, aber im Durchschnitt nach vier bis sechs Monaten die Wirkung der zweiten Impfung nachzulassen beginnt. Deshalb gibt es immer mehr Menschen, die zweimal geimpft wurden und nun trotzdem vom Virus erreicht werden, weil der Schutz, den sie durch die Injektion erhielten, bereits schwächer geworden ist. Deshalb braucht man die dritte Impfung. Sie verlängert nicht nur die frühere Immunität, sondern sie, – wie die Engländer sagen, – boostet, sie verstärkt die Wirkung der früher bereits verabreichten ersten und zweiten Impfung. Die dritte Impfung ist also definitiv eine lebensrettende Impfung.

In der Umgebung wird nah und fern zugemacht, manchmal für zwei Wochen, manchmal für zehn Tage, manchmal wird nach einer Woche geprüft, was zu tun ist. Denkt die Regierung in Ungarn darüber nach?

Nun, wir sind eine Regierung, die mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität steht, wir entscheiden also nicht im Voraus, was wir machen werden. Es gibt ein Leben, das uns herausfordert, und je nachdem, vor welche Herausforderung wir gestellt werden, müssen wir jeweils eine entsprechende Antwort geben. Ich schließe also nichts aus, aber ich möchte alles Schlechte vermeiden, das ist die Haltung der ungarischen Regierung. Wenn also die dritte Impfung ansteigt, wenn wir sehen, dass es uns gelingt, die Infektionen, den Anstieg der Infektionen zu bremsen oder aufzuhalten, dann gibt es keinen Grund für eine Schließung. Ich denke, dass die Schließung nur eine Verlangsamung ist. Die Lösung ist die dritte Impfung. Ich möchte alle dazu ermutigen, natürlich die Maske zu tragen, Abstand zu halten, die Regeln einzuhalten, die wir letzte Woche verabschiedet haben, sich also auch auf die übliche, bereits bekannte Art und Weise zu schützen, aber vor allem nach der Möglichkeit zu suchen, sich zum dritten Mal impfen zu lassen.

Der deutsche Gesundheitsminister sagte, dass es bis zum Ende des Winters geheilte, geimpfte und tote Menschen geben wird. Das ist ein ziemlich eindeutiger Satz, aber kann man etwas mit Impfgegnern anfangen?

Ein grober, sehr grober Satz. Ich würde keinen einzigen Menschen aufgeben. Wir werden sehen, ob es Todesfälle geben wird, wir werden die Statistiken sehen, aber – wie soll ich es sagen, – man kann nicht mit dieser Einstellung an die Sache herangehen.

Man muss so herangehen, dass man die Menschen alarmiert. Ich sitze Ihnen hier gegenüber, ich weiß nicht zum wievielten Mal, und ich sage immer wieder, dass ich Sie bitte, die dritte Impfung zu nehmen. Wir haben jedem, der die dritte Impfung erhalten hat, sei es, weil er auf uns gehört hat oder aus einem anderen Grund das Leben gerettet. Ich denke, das ist die richtige Einstellung, wir sollten uns also nicht damit abfinden, wir sollten nicht damit rechnen, was in schlechten oder weniger schlechten Szenarien passieren wird, sondern ganz einfach das tun, was richtig und gut ist. Das nennt man die dritte Impfung.

Wann können Kinder in Ungarn geimpft werden? Wir haben gehört, dass die Impfung von Kindern im Alter von 5 bis 12 Jahren genehmigt worden ist.

Wir haben damit gerechnet, dass sich die weltweite internationale wissenschaftliche Gemeinschaft früher oder später zu diesem Thema äußern würde. Das ist ja, – obwohl uns die zwei Jahre, seit wir vom Virus geplagt werden, lang vorkommen, – gemessen an der Weltgeschichte oder der Weltgeschichte der Viren, noch ein sehr junges Virus. Es ist wenig damit experimentiert worden, wir haben wenig exaktes Wissen und alle sind sehr vorsichtig, deshalb sind also die Impfgegner im Unrecht, denn es geht nicht darum, dass sich die Welt freudig kopfüber in die Praxis des Impfens stürzt, sondern es geht darum, dass die großen wissenschaftlichen Gemeinschaften auf der ganzen Welt schnell, viel schneller als üblich, daran arbeiten, Antworten darauf zu finden, welche Impfstoffe wie, wie lange, in welchen Altersgruppen nützen und nicht nützen. Hier geht es also doch um wissenschaftliche Umsicht, im Gegensatz zu dem, was die Impfgegner sagen, die uns alle möglichen verrückten Dinge weismachen wollen. Hier arbeiten ernsthafte Gemeinschaften von Wissenschaftlern. So hat sich die Welt zum Beispiel auch nicht auf die Beantwortung der Frage gestürzt, ob Kinder geimpft werden können – wir sprechen von Kindern zwischen 5 und 12 Jahren -, sondern es wurden Versuche durchgeführt. Es war eine wissenschaftliche Bestätigung erforderlich, denn niemand wagt es, junge Menschen zu impfen, ohne mit experimentellen Ergebnissen belegen zu können, dass das von Nutzen sein wird beziehungsweise keinen Schaden verursachen wird. Es sind zwei Jahre vergangen, und nun ist die Welt an einem Punkt angelangt, wo zumindest ein großes Pharmaunternehmen es auf der Grundlage wissenschaftlich belegter Ergebnisse Eltern, Erwachsenen zu sagen wagt, dass es empfiehlt, ihre Kinder impfen zu lassen, auch im Alter von 5 bis 12 Jahren. Wir haben 2 Millionen Impfstoffe beschafft. Die erste Lieferung wird um den 20. Dezember eintreffen, 130.000 Dosen, und danach werden uns die für Kinder erreichbaren Vakzinen laufend geliefert. Ich bitte die Eltern, noch haben sie Zeit, überlegen sie es sich, ich rate ihnen, wenn möglich, ihre Kinder zu impfen.

Diese Woche gab es Tage, mehrere, an denen wir 12.000 neue Fälle hatten. Es stimmt, dass sich nicht so viele Menschen in Krankenhäusern befinden wie in der zweiten und dritten Welle, aber wie steht es um das Gesundheitswesen? Wie lange kann es dem Druck standhalten? Wie sehen Sie das?

Das alles hängt vom Heldentum unserer Ärzte und Krankenschwestern ab, die seit fast zwei Jahren einen übermenschlichen Job machen, also Hut ab vor ihnen, und ich sehe, dass sie durchhalten. Nun, wir haben Maßnahmen ergriffen, die sie bei ihrer Arbeit unterstützen. Wir haben eine noch nie da gewesene Gehaltserhöhung bei den Ärzten durchgeführt, und in den letzten drei Jahren und im kommenden Jahr konnten wir die Gehälter der Krankenschwestern insgesamt um mehr als 70 Prozent erhöhen. Es ist immer noch nicht genug, geschweige denn viel, aber es sind 70 Prozent mehr als vor vier Jahren, und es ist auch viel mehr für Ärzte. Das sind große Schritte, die vielleicht auch ihnen signalisieren, dass das Land auf ihrer Seite ist.

Wir haben die Mittel, es stehen also die Betten zur Verfügung, die Beatmungsgeräte stehen zur Verfügung, wir haben Impfstoffe, und es stehen die verschiedenen Medikamente zur Verfügung, um das Leiden der Patienten zu lindern. Und vorerst haben wir auch genug Leute, aber natürlich müssen wir hier abkommandieren, wir müssen neue Dienstpläne erstellen. Wir haben auch ein noch nicht eröffnetes Epidemiekrankenhaus, das wir bei Bedarf sofort eröffnen können, und wir haben dessen Management und Betriebsordnung festgelegt. Ich denke also, dass die Menschen, die in der Verwaltung und im Gesundheitswesen arbeiten, die Polizisten und die Soldaten, die helfen, eine übermenschliche Arbeit leisten und garantieren, dass das Gesundheitswesen nicht zusammenbricht. Es ist seltsam, und das müssen wir nach dem Abklingen der Epidemie verstehen, dass die Gesundheitskapazitäten, die in Ungarn in solchen Fällen eingesetzt werden können, um Größenordnungen größer sind als in den westeuropäischen Ländern. Ich spreche also mit den Österreichern, ich schaue mir die Deutschen und die Slowenen an, die westlich von uns liegen, und die Kapazität des dortigen Gesundheitssystems, also die Fähigkeit, gleichzeitig epidemieartig erkrankte Menschen zu behandeln, ist viel geringer als in Ungarn. Ich weiß nicht genau, warum sich das so entwickelt hat, aber die Epidemie ist sicherlich eine große Lektion, und wir müssen diese Kapazitäten als minimale Notfallreserve auch künftig aufrechterhalten.

Wir erhalten täglich Nachrichten über die von der Grenzpolizei gemeldeten Zahlen darüber, wie viele Menschen versucht haben, an der ungarisch-serbischen Grenze in das Gebiet der Europäischen Union zu gelangen. Wir hören natürlich von der neuen Front im Osten, an der weißrussisch-polnischen Grenze. Frontex bestätigt auch, dass in den ersten acht bis neun Monaten des Jahres 70 Prozent mehr Menschen versucht haben, hier an der Südgrenze in die Europäische Union einzureisen, und es scheint, dass die Europäische Kommission dennoch nicht auf die Premierminister hört, die die Europäische Union, die Europäische Kommission, auffordern, den Grenzschutz beim Bau einer physischen Barriere zu unterstützen. Warum nicht?

Wir werden tatsächlich aus drei Richtungen gleichzeitig angegriffen. Das hat es noch nie gegeben. Dieser Ansturm von Migranten erreicht Europa von Italien aus über das Meer und manchmal schwappt das sogar bis nach Spanien über. Wir sehen die Bilder von der polnisch-weißrussischen Grenze, es hat also auch von Osten her begonnen, und das bereitet uns Kopfzerbrechen, unser wirklich großes Problem ist, dass die Migranten auch über die Balkanroute über Serbien, aus Richtung Türkei und Griechenland kommen. Der Druck nimmt aus allen drei Richtungen gleichzeitig zu. Zu Ihrer Frage nach den gültigen Zahlen kann ich Ihnen sagen, dass wir in diesem Jahr mehr als 100 Tausend Migranten an der ungarischen Grenze aufgehalten haben. Das ist ein zwei- bis dreifacher, aber eher ein dreifacher Anstieg im Vergleich zum Vorjahr. Stellen Sie sich nun vor, dass unsere Polizei und Soldaten in den zehn, zehneinhalb, elf Monaten des Jahres 100 Tausend Menschen aufgehalten haben. Das ist nicht so zu verstehen, dass sie sich beworben und an die Tür geklopft haben, um zu sagen, dass sie reinkommen möchten, sondern dass sie alle praktisch nach Ungarn einbrechen wollen. Das sind einhunderttausend Menschen, die Straftaten begangen und die Grenze illegal überquert haben. Nun, der illegale Grenzübertritt ist nach ungarischem Recht natürlich strafbar, wir müssten sie also im Prinzip einsperren. Wo sollen wir aber 100.000 Gefängnisinsassen unterbringen? Wir werden sie also nicht in Ungarn einsperren, – obwohl wir die Möglichkeit dazu hätten – und es stimmt auch, dass die EU uns das aus der Hand nehmen will, aber darüber werden wir vielleicht später noch sprechen -, sondern wir werden sie auf die andere Seite der Grenze, auf die andere Seite des Zauns zurückbringen. Die EU akzeptiert das überhaupt nicht, sie will, dass diese 100 000 Menschen hier in Ungarn bleiben. Das ist unsere Diskussion. Sie behaupten also, dass die Regeln, die heute in Ungarn Grenzschutzbeamte, Polizisten und Soldaten anweisen, illegale, also rechtswidrige Grenzgänger in solchen Fällen auf die andere Seite der Grenze zurückzuwerfen, zu führen, zu lenken, ihrer Meinung nach nicht richtig sind. Wir sollten diese Menschen hier aufnehmen, wir sollten sie um ihre Dokumente bitten, wir sollten von diesen Menschen irgendeine Art von Papieren oder zumindest ihre mündlichen Aussagen akzeptieren. Es hätten hunderttausend Verfahren eingeleitet werden müssen, um zu prüfen, ob wir sie hier haben wollen, wobei klar ist, dass man nicht über den Zaun klettern kann, dass es eine Grenzübergangsstelle gibt, dass man dorthin gehen und dort versuchen muss, die Papiere einzureichen. Wir werden dort an der Grenzübergangsstelle etwas dazu sagen, aber wir werden natürlich vor allem sagen, dass solche Papiere nicht an der ungarischen Grenze und nicht auf ungarischem Gebiet bearbeitet werden, sondern dass solche Anträge von Migranten in der Botschaft des Landes bearbeitet werden, aus dem sie kommen beziehungsweise durch das sie reisen. Das heißt, sie müssen zurück nach Belgrad oder Mazedonien, sie müssen Ihre Papiere dort bei der ungarischen Botschaft abgeben, wir werden sie anständig prüfen, wir werden sie anständig bewerten, aber sie können sich während des Verfahrens nicht in Ungarn aufhalten, sondern sie müssen außerhalb bleiben. Das ist der Kern der Debatte. Sehr viele Länder in Europa würden das gerne tun, aber die geltenden Regeln ermöglichen das nicht, weil die Regeln für die Migration in Friedenszeiten geschrieben wurden. Aber heute sind das keine Friedenszeiten. Diese Regeln sind veraltet, und in Kriegszeiten Regeln anzuwenden, die in Friedenszeiten angewendet und gemacht worden sind, ist einfach dumm. Es gibt also kein besseres Wort für das, was Brüssel tut, als Dummheit, wenn an alten, überholten, abgelaufenen Regeln festgehalten wird, die unserem Leben nicht mehr helfen, sondern uns Schwierigkeiten aufhalsen. In einem solchen Fall müssen die alten Regeln aufgehoben und neue Regeln aufgestellt werden. Ich habe das bei der Kommission initiiert, aber bisher bin ich nur auf Ablehnung gestoßen. Das Problem wird wachsen. Das Problem wird deshalb wachsen, weil jeden Tag 30-35 Tausend Menschen Afghanistan verlassen.  Sie kommen aus Afghanistan in die eine oder andere Richtung, aber sie wollen nicht dorthin, wo sie aus Afghanistan herauskommen, sondern sie machen sich auf den Weg nach Europa, mit größter Wahrscheinlichkeit über die Balkanroute. Wir müssen uns also in den kommenden Monaten auf mehr Druck auf die ungarische Südgrenze vorbereiten als je zuvor. Brüssel muss sich ebenfalls darauf vorbereiten, dass das eintritt, es muss also damit aufhören, diejenigen zu bestrafen, die Europa verteidigen. Wir sollten nicht bestraft werden, sondern wenn wir schon nicht belohnt werden, dann sollten zumindest unsere Kosten oder ein angemessener Teil davon gedeckt werden.

Aber wie oft haben wir schon darum gebeten, und wie oft haben bereits mehrere Länder darum gebeten? Interessant ist auch, dass wir jetzt so viel erreicht haben, dass man in Brüssel sagt, dass man den Litauern, den Esten und den Polen dreimal so viel Geld gibt, um die Situation zu managen, die wir haben. Sie sagen nicht, dass sie eine physische Barriere errichten sollen, sie sagen nicht, dass sie diejenigen abschieben sollen, die nicht legal in diese Gegend gekommen sind.

Was ich sehe, ist, dass sie zwar kein Geld für die physische Grenzsicherung, aber für alles geben, was die Einwanderung fördert. Sie geben also Geld an George Soros, sie geben also Geld an George Soros’ Organisationen. Alle Nichtregierungsorganisationen oder wie die Organisationen alle heißen, die sich für die Einwanderung einsetzen, sie erhalten alle Förderungen. Und diejenigen, die beschützen, bekommen nichts. Brüssel muss also verstehen, dass es sich selbst ruiniert, zumindest sehen wir das so. Ich will nicht vom eigentlichen Gesprächsthema ablenken, aber es ist gerade das Programm der deutschen Regierung veröffentlicht worden, in dem sich Deutschland selbst als Einwanderungsland bezeichnet. Sie bezeichnen es also nicht als einen Zustand, sondern als ein Ziel. Wir müssen also hier in der Europäischen Union dringend einige Dinge klären, denn es gibt Länder, die jetzt bereits offen zugeben, dass sie Einwanderungsländer sein wollen. Und dann gibt es Länder, die offen zugeben, zum Beispiel wir Ungarn, dass wir kein Einwanderungsland sein wollen. Und diese beiden Positionen lassen sich nicht miteinander in Einklang bringen, denn entweder ist man ein Einwanderungsland oder man ist es nicht. Und wir werden nicht nachgeben. Und so wie ich sie kenne, vor allem die Deutschen, sind sie auch nicht der Typus. Wir müssen also lernen oder wir müssen Regeln entwickeln, wie zwei völlig unterschiedliche nationale Konzepte – das Einwanderungsland Deutschland und sonstige andere Länder beziehungsweise die mitteleuropäischen Nicht-Einwanderungsländer, unter ihnen Ungarn – zusammenleben können. Diese Regeln müssen festgelegt werden, und daran mangelt es heute.

Sie haben vor Kurzem gesagt, dass der Kampf um die Gemeinkosten ewig dauert und dass das auch 2022 vor den Wahlen so sein wird. Warum müssen wir die Gemeinkosten verteidigen? Warum müssen wir sie verteidigen? Die Linke pflegt nicht in ihr Programm zu schreiben, dass sie die Preise für Gas und Strom erhöhen wird.

Wenn wir über die Senkung der Gemeinkosten sprechen, was der 2013/14 begonnene Kampf Ungarns ist, sagen wir, dass sich der Weltmarktpreis für Strom und Gas regelmäßig ändert, mal nach oben, mal nach unten, von Zeit zu Zeit und häufiger nach oben. Das ist eine schwere Belastung für die Familien, und deshalb sollten wir nicht zulassen, dass die Rechnung, die Sie für Gas und Strom bezahlen, mit den Weltmarktpreisen steigt und fällt, sondern wir sollten den Preis auf ein vernünftiges,  noch erträgliches und günstiges Niveau senken und ihn stabilisieren. Und unabhängig davon, wie sich der Weltmarktpreis für Strom und Gas entwickelt, werden wir Gas, Strom und Fernwärme zu diesem Preis an die Haushalte liefern.

Aber das ist marktfeindlich, sagen sie.

Aber ich interessiere mich nicht für den Markt, sondern für die Ungarn. Tatsache ist also, dass dieses System funktionstüchtig ist. Wenn sie sagen würden, dass dieses System nicht funktioniert, dass es dumm ist, dass es zusammenbricht, dass es schlecht für Familien ist, dann könnten wir darüber reden. Aber das ist nicht wahr. Es ist ganz offensichtlich, dass dieses System funktioniert, denn wir haben seit 2013 acht Jahre Erfahrung damit. Jetzt, wo die Preise in die Höhe schießen, sind die Gas- und Strompreise auf das Mehrfache gestiegen, was für die Westeuropäer eine Qual ist, da die Gemeinkosten ihrer Haushalte automatisch dem Anstieg der Energiepreise folgen und sie nun fieberhaft überlegen, wie sie ihre Familien zu schützen versuchen. Wir machen das seit sieben bis acht Jahren. Wir haben also ein System – ob es nun marktfeindlich ist oder nicht – und es funktioniert, es ist gut für die Familien. Warum sollte man daran etwas ändern? Ich weiß nicht, wer der Markt ist, Doktor Markt oder Herr Markt, der an die Tür klopft und sagt, das gehe nicht. Der Markt wird also von den Menschen betrieben, darunter zum Beispiel auch von den Staaten, und auch wir sind ein Teil davon. Der Markt ist also kein Regelwerk, das uns vom Himmel oder vom lieben Gott gegeben wurde, sondern ein Regelwerk, das von uns gestaltet wird. Es gibt diesen Markt, es gibt jenen Markt, es gibt einen begrenzten Markt, es gibt einen freien Markt, es gibt viele Arten, aber wir entscheiden. Es lohnt sich nicht, in die Falle der Linken zu tappen, die behauptet, es gäbe ein Orakel, das sagt, dass es so aussehen soll, sondern im Gegenteil: Wir müssen davon ausgehen, dass wir frei sind, dass wir die Fähigkeit und die Möglichkeit haben, selbst zu regeln, wie es sein soll. Natürlich müssen wir das gut regeln, denn wenn wir unvernünftige Dinge tun, auch wenn sie noch so gut gemeint sind, werden wir Probleme bekommen. Aber die Senkung der Gemeinkosten ist nicht schief gegangen, denn wir haben sieben oder acht erfolgreiche Jahre hinter uns. Es ist ein gutes System. Wenn man das als Volksblendung bezeichnet, wie es die Linke jetzt tut, würde ich eher das als Dummheit bezeichnen und nicht die Kürzungen selbst. Es ist also ein vertretbares, gutes System. Wir haben es übrigens auch in Brüssel verteidigt, denn natürlich sind die multinationalen Konzerne nicht glücklich darüber, weil sie Ihnen mehr Geld aus der Tasche ziehen wollen, und sie sagen, dass Sie mehr für Gas und Strom ausgeben sollen, und das erhöht sinngemäß ihre Gewinne. Ich kann das verstehen, Unternehmen arbeiten schließlich, um für sich selbst, für die Eigentümer und für die Menschen, die dort arbeiten, Gewinne zu erwirtschaften, aber sie sind nicht allein auf der Welt, es gibt auch uns, die Verbraucher, jemand muss auch uns schützen, und dafür sind Regierungen da. Und die ungarische Regierung steht auf der Seite der Menschen und nicht auf der Seite der Multis. Ich akzeptiere, dass jemand, der eine Wirtschaftstätigkeit ausübt, Gas oder Strom produziert oder Dienstleistungen erbringt, einen Profit erzielen sollte, der angemessen ist. Aber man kann nicht zulassen, dass der Preis in die Höhe schießt und ein himmelhoher Profit abgeschöpft wird. Das muss begrenzt werden. Das ist so fair. Wir reden jetzt nicht über Unternehmen und wir reden nicht über die Industrie, sondern wir reden jetzt über Haushalte, wir reden über Kinder, Frauen, Familien, wir reden über die Rechnungen, die am Ende des Monats bezahlt werden müssen, und hier ist es durchaus legitim, gültig und richtig, dass die Regierung eingreift, sie muss nur gut eingreifen. Was ist ein guter Eingriff? Das wird sich mit der Zeit zeigen. Wir haben sieben bis acht Jahre hinter uns, das hat sich mit der Zeit entschieden, es ist gut, das müssen wir schützen. Ich spreche darüber vielleicht deshalb etwas vehementer als sonst, weil ich den Sinn der Menschen für die Gefahr wecken möchte, denn die ungarischen Familien werden hier von zwei Seiten angegriffen. Sie werden von der Linken angegriffen, die die Kürzungen der Gemeinkosten nie unterstützt haben und sie auch heute noch jede Woche fast jeden Tag angreifen. Auf der anderen Seite greifen die Multis über Brüssel an und sie wollen nun wieder eine Erhöhung der Gemeinkosten erreichen. Ihr Plan ist nun, Ihr Haus und Ihr Auto zu besteuern. Sie wollen also eine zusätzliche Steuer auf die Energieausgaben erheben, die zur Aufrechterhaltung des täglichen Lebens erforderlich sind. Sie werden zahlen, wenn die ungarische Regierung Sie nicht schützt, wenn es nach Brüssel geht, werden Sie mehr Geld für Ihr Auto und mehr Geld für die Heizung Ihrer Wohnung zahlen. Dagegen müssen wir uns wehren, sowohl gegen die Linken als auch gegen Brüssel.

Das Steuerpaket liegt vor dem Parlament. Denkt die Regierung deshalb über Steuersenkungen nach, weil sie über jahrelange Erfahrungen in diesem Prozess, in dieser Politik, in dieser Fachpolitik verfügt, die zeigen, dass das die Wirtschaft voranbringt, dass es gut für die Wirtschaft ist?

In Ungarn gibt es seit dreißig Jahren eine große Debatte zwischen der Linken und der Rechten.

Eine?

Es gibt mehrere große Debatten, aber eine Debatte schlägt schon seit mindestens dreißig Jahren Wellen zwischen uns. Die Linke glaubt, dass die Steuern erhöht werden sollten, und wir glauben daran, dass die Steuern gesenkt werden sollten. Das sind zwei völlig unterschiedliche Philosophien und zwei völlig unterschiedliche Weltanschauungen. Wir sind Anhänger von Steuersenkungen, weil wir sehen, wenn wir die Steuern senken, dann gibt es Arbeit. Wenn also die Linke an der Regierung ist und die Steuern erhöht, dann gibt es auch Arbeitslosigkeit. Es gibt nicht nur hohe Steuern, sondern auch Arbeitslosigkeit, und es besteht ein Zusammenhang dazwischen. Wenn wir an der Regierung sind, senken wir die Steuern, es gibt Arbeit, und es gibt eine sehr niedrige oder gar keine Arbeitslosigkeit. Das ist auch die aktuelle Situation in Ungarn: Es gibt eher einen Arbeitskräftemangel als einen Arbeitskräfteüberschuss. Das beweist: Wenn man die Steuern gut reguliert, wenn man die Steuern senkt, bleibt das Geld in der Wirtschaft, die Arbeitgeber können den Arbeitnehmern Löhne zahlen beziehungsweise Weiterentwicklungen durchführen, was wiederum mehr Arbeitsplätze schafft. Wir glauben an diese Logik. Und genau das steht bei jeder Wahl in Ungarn auf dem Spiel. Wenn die Linke gewinnt, kann man wissen, dass es eine Steuererhöhung geben wird. Ich erinnere mich noch gut daran, dass vor 2010 auch das Durchschnittseinkommen in der höchsten Steuerklasse besteuert wurde. Stattdessen ist es jetzt so, dass diejenigen, die zehnmal mehr verdienen, zehnmal mehr zahlen, und die Mittelschicht wird geschützt. Ich glaube also an die Politik der Steuersenkungen, weil sie sich bewährt hat. Wenn es Arbeit gibt, gibt es alles. In Ungarn ist die Arbeitslosigkeit eine der niedrigsten in Europa, und was den Mindestlohn angeht, der als ein Indikator zu betrachten ist, so lag er, wenn ich mich richtig erinnere, 2010 bei Amtsantritt der nationalen Regierung bei etwa 73 Tausend Forint und wird Anfang nächsten Jahres 200 Tausend Forint betragen. Der Mindestlohn ist heute beziehungsweise wird ab dem 1. Januar höher sein, als das Durchschnittseinkommen unter der Linken war. Das ist der Unterschied zwischen der Politik der Steuererhöhungen und der Steuersenkungen. Deshalb werden wir ab dem 1. Januar 2022 erneut wesentliche Steuersenkungen vornehmen. In erster Linie werden wir die Besteuerung von Arbeit senken, denn wir sind auf der Seite der Arbeit, wir lassen 750 Milliarden Forint bei den Unternehmern, aber im Gegenzug haben die Unternehmer zugestimmt, den Mindestlohn und das garantierte Lohnminimum zu erhöhen, das auf 260 Tausend Forint steigen wird, und im Gegenzug haben wir die Steuern gesenkt. Wir senken übrigens auch die vereinfachten Abgaben für bestimmte Berufe, die Kleinunternehmenssteuer, und wir erhalten die Vergünstigung der Gewerbesteuer aufrecht, die wir letztes Jahr halbiert haben, und wir erhöhen sie nicht wieder auf das vorherige Niveau. Und noch etwas Interessantes: Weil wir nicht nur die Arbeit, sondern auch die Familien unterstützen, verdoppeln wir im nächsten Jahr parallel dazu die staatliche Unterstützung für den Babybond. Ich möchte alle auf diese Spar- und Investitionsmöglichkeit aufmerksam machen. Was wäre eine bessere Investition, als in unsere eigenen Kinder zu investieren? Der Babybond ist also für alle erreichbar, die Kinder haben, aber der Zinssatz beträgt immer die Inflation plus 3 Prozent. In Ungarn gibt es keine andere Investition, die so günstig ist. Wir wollen nicht nur Arbeit und ein höheres Einkommen, sondern wir möchten Arbeit, Familie und ein höheres Einkommen miteinander verbinden.

Danke! Sie hörten Ministerpräsident Viktor Orbán.