Katalin Nagy: Es ist drei Minuten nach halb acht Uhr. Diese Woche war der ungarische Ministerpräsident in Moskau, wo er mit dem russischen Präsidenten Putin verhandelt hat. Selbstverständlich haben die Verhandlungen lange gedauert, mindestens fünf Stunden lang. Im Studio begrüße ich Ministerpräsident Viktor Orbán! Wir bewerten Sie die Moskauer Verhandlungen? Der Tisch war derart lang, dass wir befürchteten, Sie würden einander nicht gut hören können. Guten Morgen!
Guten Morgen! Tatsächlich besaßen diese Moskauer Gespräche einige seltsame Eigenheiten. Zunächst einmal war die Situation selbst eine besondere. Bisher habe ich dreizehnmal mit dem russischen Präsidenten eine Unterredung geführt, Verzeihung, zwölfmal, aber noch niemals unter solch besonderen Umständen. Und diese Besonderheit entsprang nicht den russisch-ungarischen Beziehungen, denn die sind in Ordnung, sind in einer guten Verfassung, sondern der internationalen Lage, die – wie wir den ironischen Spruch aus der kommunistischen Zeit kennen – sich ständig zuspitzt, sie hat sich jetzt gerade sehr zugespitzt, ja ist auch jetzt noch in einem ziemlich gespannten Zustand. Und es war zwar unser Ziel, in bilateralen russisch-ungarischen Angelegenheiten gute Vereinbarungen zu treffen, was auch gelungen ist, so spreche ich gerne kurz darüber, wenn das die Zuhörer interessiert, doch im Fokus der Angelegenheit standen doch wegen des internationalen Interesses in erster Linie die militärischen Spannungen zwischen der Ukraine und Russland. Und obwohl Ungarn kein bestimmender Akteur der Weltpolitik ist, bis dahin dauert es noch, wenn es überhaupt jemals dazu kommen sollte, doch sind wir Mitglied der NATO und der Europäischen Union, und so sind wir auch Teil dieses Konfliktfeldes. Es gibt ja hinsichtlich der Beziehungen zu Russland ein ungarisches Modell, das vollkommen von der Politik der meisten Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und der NATO abweicht. Das ungarische Modell sagt, wir sind EU-Mitglied und sind NATO-Mitglied, doch ist es dabei möglich, eine ausgesprochen gute und erfolgreiche Kooperation mit den Russen zu etablieren.
Denken im Übrigen auch andere so darüber?
Es gibt noch ein-zwei Länder, die sich daran versuchen. Zum Beispiel wenn sich jemand die Wirtschaftsdaten zwischen Deutschland und Russland genau ansieht, dann wird er sehen, dass die Liebe oder zumindest auf jeden Fall das Business, wenn auch keine Liebe, tobt, dort marschiert die deutsche Wirtschaft – schlechtes Verhältnis, NATO-Spannungen, Sanktionen hin und her – mit voller Power voran, und die Russen haben North Stream 2 erbaut, was den vorteilhaften Verkauf des russischen Gases in Deutschland ermöglicht, auch wenn es Diskussionen über ihre Inbetriebnahme gibt, doch ist die deutsche Absicht eindeutig. Aber wenn wir auf den französischen Präsidenten achten und die Zahlen der französischen Wirtschaft betrachten, dann sehen wir, wie sie auch dort sehr wohl nach einer Sache in der Art des ungarischen Modells streben oder eines französischen Modells, um bescheidener zu sein. Das funktioniert gut, und wenn es Probleme dieser Art gibt, solche Spannungen, Vereisungen, sich im Verhältnis zwischen Ost und West die Eiszeit einstellt, dann besitzen solche Länder wie Ungarn eine Bedeutung, denn wir sind als Eisbrecher geeignet. Schauen Sie nur, ich war jetzt da, wenn ich es richtig sehe, wird der deutsche Kanzler bald hinfahren, der französische Präsident geht bald hin, ich glaube also, wenn wir Frieden wollen, und Ungarn will Frieden, wir wollen die Spannungen mindern, dann muss man verhandeln, und wir werden mit den Russen noch lange verhandeln, und den ersten Schritt darin hat Ungarn getan. Deshalb habe ich mit der notwendigen Bescheidenheit gesagt, dass dies auch eine Friedensmission war. Und der Tisch war lang, wie Sie das sagten, man passt auf den russischen Präsidenten auf, also das ist ja doch nicht Ungarn, wo der Ministerpräsident oder der Präsident sich von Zeit zu Zeit ins Auto setzt, so wie ich das tue, ich fahre selbst, zeitweise ohne Bodyguards, hierhin-dorthin, besuche die Krankenhäuser selbst noch in der Zeit der Epidemie. In Russland steht doch viel auf dem Spiel, es ist eine militärische Großmacht, dort gelten doch für den Präsidenten in Zeiten der Epidemie ganz besondere Regeln. Zum Beispiel wenn er solche Gäste empfängt wie mich, dann muss er am anderen Ende eines weiß der Himmel wie viele Meter langen Tisches sitzen. Ich sagte ja auch auf der Pressekonferenz, ich habe mein ganzes Leben lang noch nie an so einem langen Tisch gesessen, doch für die Entfernung hat uns die Länge und die Tiefe des Gesprächs entschädigt, es hat tatsächlich fünf Stunden gedauert. Es ist keine einfache Sache, fünf Stunden lang bei Besinnung zu bleiben, das ist an sich schon eine ernsthafte Herausforderung, man muss sich konzentrieren und aufpassen, und es gab auch keine Helfer, also nur die Dolmetscher und wir, zu zweit, wir waren also uns selbst überlassen. Trotzdem habe ich etwa neun Vorschläge gemacht, und schließlich gelang es auch ohne Helfer, wenn auch nach guter Vorbereitung in acht Angelegenheiten zu einer Vereinbarung zu gelangen, und die neunte haben wir in die Zukunft verschoben, mit ihr werden wir uns auch noch beschäftigen. Also das war der Besuch in Moskau. Es steckt viel Arbeit von uns darin, damit wir ein gutes Verhältnis zu Russland haben. Mit der Sowjetunion hatten wir ein schlechtes Verhältnis. Das hatte zahlreiche Gründe, die muss ich jetzt nicht in Erinnerung rufen, doch diese Periode ist zu Ende gegangen, und jetzt sind wir bestrebt, mit diesem neuen Russland ein anderes System von Beziehungen zu haben, als wir es mit der Sowjetunion hatten. Und darin habe ich persönlich Arbeit von dreizehn Jahren investiert, und soweit ich das sehe, funktioniert dies.
Acht von neun scheint ein ganz gutes Verhältnis zu sein. Welche sind diese, kurz zusammengefasst?
Zunächst einmal muss man, um in der Zusammenarbeit mit so einem Land wie Russland Vorschläge machen zu können, ein gewisses Ansehen besitzen, und Ungarn besitzt Ansehen. Zwar lesen die Zuhörer meist eher Kritik, die gegenüber Ungarn vorgebracht wird, aber an sich der Umstand, dass es sich lohnt und es wichtig ist, Ungarn zu kritisieren, zeigt, dass Ungarn Gewicht und Ansehen besitzt. Wir dürfen nicht übermütig werden, wir müssen wissen, wie groß das Land ist, wie groß die Leistung der Nationalwirtschaft ist, wie viele Soldaten wir besitzen, das sind die wirklich harten Faktoren in einem internationalen politischen Raum. Doch besitzt Ungarn Ansehen, denn es hat eine eigene Politik. Das ungarische Interesse ist in der Welt anwesend, und in der Wirtschaft ist dies besonders so. Jetzt will ja jeder Investitionen, Geld, Fabriken hierher bringen. Unter den linken Regierungen will man von hier immer Dinge wegbringen; sie kommen hierher, kaufen unsere Märkte oder unsere wichtigsten strategischen Firmen, und nehmen den Profit mit sich hinaus. Aber heute ist das nicht die Situation. Hierher möchte ein jeder investieren, man sucht nach Kooperation, die größten Wirtschaften der Welt suchen die Kooperation mit Ungarn. Ich habe in den vergangenen zwölf Jahren daran gearbeitet, dass wir für Ungarn nicht Feinde sammeln, sondern Freunde. Und das macht sich bezahlt, das hat Ansehen geschaffen, in bestimmten Fragen haben wir auch gegenüber Brüssel durchgehalten: Senkung der Nebenkosten, Einwanderung, Genderangelegenheiten. Diese generieren Diskussionen, doch verleihen sie zugleich auch Ungarn Ansehen, denn es wagen nur wenige, sich derart konsequent für das Interesse der ungarischen Menschen oder ihrer eigenen Bürger einzusetzen, wie Ungarn dies tut. Natürlich ist hinsichtlich der Vereinbarungen die Energie am wichtigsten. Wir arbeiten daran, die Energieabhängigkeit Ungarns zu beenden. Das ist eine große Aufgabe, ich habe sie auch nicht aufgegeben, aber Zeit ist zu ihrer Verwirklichung notwendig. Wenn Paks 2, was ebenfalls zu den Fragen bei dem Gespräch gehörte, erbaut wird, und in der Zwischenzeit jenes Programm zur Entwicklung von Sonnenkraftwerken, das ebenfalls in einem guten Tempo voranschreitet, ebenfalls beendet sein wird, dann gelangen wir bis 2030 an den Punkt, dass Ungarn die benötigte Energie auf die Weise herstellt, dass davon nicht mehr als ca. 10 Prozent Schadstoffe ausstoßen, also fossilen Ursprungs sind, der Rest nicht mehr. Damit können wir die ersten in Europa sein. Wir werden sehen, wenn wir in 2030 angekommen sind, aber diese Möglichkeit besteht. Ich sage es immer, zwar spotten diese braven Linken, aber Ungarn ist auch jetzt schon Klimameister, denn um wie viel wir unseren Schadstoffausstoß gesenkt haben, das spricht für sich, wir sind im Spitzenfeld, und laut unseren Plänen vorgehend werden wir in zehn Jahren an der ersten Stelle stehen. Ungarn nimmt Kurs auf den Titel des Klimameisters, hinzu kommt noch, dass wir auf die Weise Klimameister werden wollen, dass wir dabei es nicht zulassen, dass der Preis der Energie anwächst. Doch dies wird bis 2030 eintreten, also dass wir an die Spitze kommen, doch bis dahin muss man irgendwie das Funktionieren des ungarischen Energiesystems aufrechterhalten, und dies kann nicht anders geschehen als mit russischem Gas. Wir verfügen über keine eigenen Rohstoffe, wir haben zwar Förderung von etwas Gas, doch das reicht nicht, und von anderswo kann Gas wegen der geographischen Gegebenheiten nur in begrenztem Maß kommen. In die kroatischen Häfen kommt zwar so genanntes LNG-Gas aus Amerika oder Katar, wir kaufen auch davon, doch dessen Menge reicht bei weitem nicht daran heran, was wir benötigen.
Und das ist auch teuer, nicht wahr?
Das ist veränderlich, aber es ist immer teurer als das russische Gas, die Russen haben – wie soll ich es ausdrücken? – dieses Geschäft auch nicht erst heute begonnen, sie achten darauf, dass in Europa das Gas, das aus Russland kommt, immer billiger sein soll als jedwede andere Alternative.
Aber auch das lohnt sich noch für sie, sodass wir bis zu einer Milliarde Kubikmeter mehr erhalten werden?
Jetzt ist die Situation, dass…
Geben Sie diese auch billiger?
…Herr Minister Szijjártó noch im Herbst mit einer taktischen Linie, die unterrichtet werden sollte, mit den Russen eine Vereinbarung für 15 Jahre über die Lieferung von jährlich 4,5 Milliarden Kubikmeter Gas abgeschlossen hat, noch dazu jetzt schon über eine Route, die die Ukraine vermeidet. Was also auch immer in der Ukraine geschieht, gibt es auch dann in Ungarn Gas, und jetzt haben wir empfohlen, die Menge um eine Milliarde Kubikmeter zu erhöhen. Wir sind beinahe bis zur Vereinbarung gelangt, der Herr Außenminister muss noch ein-zwei Runden in dieser Thematik drehen. Das wissen die Menschen kaum, denn es gehört eher zu den Geheimnissen der politischen Werkstatt, aber als ich mich das erste Mal vor anderthalb Jahren mit Péter Szijjártó hingesetzt hatte, dass anstelle des auslaufenden, langfristigen russisch-ungarischen Gasliefervertrages ein neuer abgeschlossen werden müsste, da hat er die Experten zusammengerufen. Von ein-zwei Ausnahmen abgesehen haben alle gesagt, man müsse so einen Vertrag nicht abschließen. Also war vor anderthalb Jahren noch die internationale Stimmung, dass es genug Gas geben wird, also dass man deshalb keinen langfristigen Vertrag zu festgelegten Preisen abschließen muss, weil es genügend Angebot geben wird und man dann auf dem Markt wird billiger einkaufen können.
Jetzt sehen wir das nicht.
Und als wir sie gefragt haben, sagten die meisten, wir müssten keinen weiteren Vertrag für 15 Jahre eingehen. Doch da haben wir mit dem Herrn Außenminister die Lage ausgewertet, und wir hatten den Eindruck, dass diese Argumentation auf schwachen Füßen stand, und es könnte sein, dass es heute so aussieht, aber es könnte sein, dass das Gegenteil eintreten wird. Dies konnte man auch damals nicht ausschließen. Das ist auch jetzt so. Wenn wir keinen langfristigen Vertrag hätten, würden wir wie die Westler aussehen, wo es kein Gas gibt, zumindest verbrauchen sie bereits das letzte Drittel aus den Speichern, was früher oder später aufgebraucht sein wird. Westeuropa leidet also darunter, dass es – da es keinen langfristigen Vertrag mit den Russen hat – nicht genügend Gas kaufen kann und ihm seine Bestände auslaufen. Es kann sein, dass sie diesen Winter noch davonkommen, aber im nächsten wird es eng werden. Demgegenüber kommen nach Ungarn garantiert 4,5-5,5 Milliarden Kubikmeter Gas, was auch immer geschehen mag. Es wird hier sein, man wird es nutzen können, deshalb kann man auch weiterhin mit der Senkung der Nebenkosten rechnen, wir können sie also dadurch verteidigen. Ich kann dies aus dem Grund den Wählern sagen, dass wir die Senkung der Nebenkosten aufrechterhalten können, obwohl die Linke das ablehnt, aber wir können sie aufrechterhalten, denn die wirtschaftlichen Grundlagen dessen sind vorhanden, was die langfristige russische Gaslieferung ist. Wenn es russisches Gas gibt, dann gibt es die Senkung der Nebenkosten.
Nur kurz noch darüber, ob Sie darüber übereingekommen sind, dass man in Ungarn den Sputnik-Impfstoff wird herstellen können?
Wir sind nahe daran, beide Seiten besitzen die Absicht dazu. Das ist juristisch keine einfache Sache. Die Vorbedingung dafür ist, dass Herr Minister Palkovics die Entscheidung der Regierung durchführen kann und am Ende des Jahres in Debrecen das erste Modul, die erste Niederlassung unserer Impfstofffabrik zu arbeiten beginnen soll. Wir errichten eine Fabrik in Debrecen, dies war eine Erfahrung der Viruskrise, müsste eine Erfahrung aus dieser sein, die in der Lage ist, die in Ungarn gebrauchten Impfstoffe herzustellen. Ich spreche jetzt nicht nur über das Coronavirus, sondern wir importieren auch den Großteil der unseren Kindern verabreichten Impfstoffe aus dem Ausland; es wäre besser, wenn die Sicherheit der Versorgung gewährleistet wäre, und wir diese Impfstoffe aus einer eigenen Fabrik liefern würden. Diese Fabrik wird so eine sein, sie kann diese herstellen, und da wir sie wie Legosteine zusammensetzen, können wir deshalb immer weitere Elemente dazu bauen, die verschiedenen Ansprüchen des Marktes entsprechen. Und soweit wir es sehen, wird es in der Welt in den kommenden Jahren eine große Nachfrage sowohl nach Sputnik als auch nach Sputnik Light geben. Auch heute ist die Nachfrage größer als die Menge, die die Russen herstellen können, sie suchen nach Produktionsstätten. Und die ungarische Fabrik wird hier sein, wenn also die Russen, wenn die Lage auch weiterhin so bleibt, und die Russen so eine Hilfe brauchen, dann können wir gemeinsam mit den Russen hier Sputnik herstellen und in der Welt verkaufen. Und für die Ungarn behalten wir auch weiterhin die Möglichkeit bei, unter vielen Arten von Impfstoffen zu wählen. Es ist eine singuläre Sache, die in Ungarn anzutreffen ist, dass die Ungarn unter fünf-sechs oder sieben verschiedenen Impfstoffen wählen können, wenn sie sich impfen lassen wollen. Das ist meiner Ansicht nach eine ernsthafte Leistung, und ich wünsche mir, dass dies auch in der Zukunft so bleibt.
Wird es die Möglichkeit für Ungarn geben, auch von der durch Pfizer hergestellten antiviralen Medizin Dosen zu erhalten, wenn wir dort angelangt sein werden?
Erhalten können wir immer, weil man sie kaufen kann. Darin sind die Amerikaner doch ziemlich gut, also wenn es eine Marktlücke gibt, dann errichten sie in wenigen Augenblicken die Kapazitäten und erscheinen auf dem Markt, also werden wir meiner Ansicht nach kaufen können. Produzieren werden wir dann können, wenn Pfizer überhaupt außerhalb seiner gegenwärtigen Fabriken auch an neuen Standorten Impfstoffe herstellen will, das wissen wir jetzt noch nicht. Was wir wissen, ist dass die Europäische Union – sehr richtig – jene europäischen Produktionskapazitäten sehen möchte, die im Fall einer, der derzeitigen ähnelnden Krise durch die Produktion innerhalb Europas die Deckung des gesamten Bedarfs ermöglichen. Deshalb betrachten sie jetzt jene Fabriken, die man in so ein gesamteuropäisches Produktionsnetz miteinbeziehen und einbauen kann. Wir haben uns dafür gemeldet, ein Franzose ist mit der Organisation dessen beauftragt, wir haben uns gemeldet und haben empfohlen, auch Debrecen in dieses Produktionsnetz aufzunehmen.
Wie Sie es erwähnt haben, ist die Voraussetzung für die Energiesicherheit und dafür, dass die Senkung der Nebenkosten erhalten bleiben kann, dass es ausreichendes Gas gibt, denn das ist die Grundlage für die Souveränität Ungarns. Die Souveränität Ungarns kann jene zu erwartende Entscheidung des europäischen Gerichtshofes bedrohen, die Mitte Februar fällig ist, und leider sind die Vorzeichen in der Hinsicht nicht allzu gut, dass der Generalanwalt auf Druck der Brüsseler Elite empfohlen hat, der Gerichtshof solle eine Entscheidung treffen, nach der man die Rechtsstaatlichkeit sehr wohl miteinbeziehen kann, wenn es um die Verteilung des Geldes geht. Wie sehen Sie es, wie weit wird noch diese Ausweitung des Rechts in den Institutionen der Europäischen Union voranschreiten?
Solange wir es zulassen. Wenn die Mitgliedsstaaten dies tolerieren, dann werden sie bis zum Letzten gehen. Wir sollten also keine Illusionen haben, es gibt in Brüssel eine Schicht von Bürokraten – hier sprechen wir über sehr viele Menschen, und über Menschen, die über einen riesig großen Einfluss verfügen –, in deren Kopf ein Europabild lebt, das am ehesten an das Heilige Römische Reich Deutscher Nation erinnert. Sie denken also im Rahmen eines europäischen Reiches. Europa besitzt zwei Traditionen, das ist jetzt kein geschichtliches Interview, aber es besitzt eine nationalstaatliche Tradition, denn als das Römische Reich zusammenbrach, haben es verschiedene Stämme neu organisiert, und deshalb sind Unterschiede entstanden, aus denen sich dann Nationalcharaktere entwickelten, und es besitzt eine andere Tradition, die ständig nach einer europäischen Einheit strebt, nach irgendeinem imperialen Rahmen, sagen wir vom Deutsch-Römischen Kaiserreich bis Napoleon, um ein Beispiel zu nennen, um deutsche Versuche hier erst gar nicht zu erwähnen, die in schlechter Erinnerung geblieben sind. Und unser Interesse, das der Ungarn war immer, dass sich Europa nicht als Imperium organisieren sollte. Wenn es sich als Imperium organisiert, dann leidet darunter die ungarische Unabhängigkeit immer, bekommt ein Leck, daraus ergeben sich immer Probleme. Für uns ist also das Europa der Nationen die richtige Konzeption. Doch Brüssel nimmt einen anderen Standpunkt ein, sie wollen ein Imperium, sie errichten ein liberal-demokratisch genanntes, Brüsseler, europäisches Reich. Dazu ist es notwendig, den Mitgliedsstaaten die Rechte, möglichst viele Rechte wegzunehmen. Das machen sie. Es gibt einen Grundvertrag, der zwar klarstellt, was es ist, welche Entscheidungen wir gemeinsam in Brüssel treffen und welche in die ausschließliche Zuständigkeit der Nationen gehören, aber mit Hilfe einer schleichenden Modifizierung, zum Beispiel mit Gerichtsurteilen schaufeln sie die nationalen Rechte kontinuierlich hinüber auf die Brüsseler Hälfte des Spielfeldes. Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Es gibt jetzt eine Debatte in Finanzfragen: Ob aus dem Wiederaufbaufonds Geld nach Ungarn kommt oder nicht, und auf einmal sagt die Kommission, die der zentrale Akteur der imperialen Errichtungsversuche ist: „Ja, natürlich, modifiziert nur das Gesetz über die Rechte der Familien und modifiziert das Unterrichtsgesetz, lasst die LGBTQ-Aktivisten in die Schulen und sagt nicht, die Erziehung der Kinder, die sexuelle Erziehung mit inbegriffen sei das ausschließliche Recht der Eltern, denn wenn ihr das macht, wenn ihr diese Gesetze nicht modifiziert, dann werdet ihr kein Geld erhalten.“ Jetzt ist die Frage, ob Brüssel die Möglichkeit für so eine Erpressung besitzt, ob es das darf. Unserer Ansicht nach darf man das nicht, das, was sie jetzt versuchen, mit einem Gerichtsurteil das Recht der ungarischen Eltern wegzunehmen und es zu den Brüsseler Bürokraten umzuleiten. Es erwartet uns also ein schwieriges Urteil, das ist unzweifelhaft. Wenn in Ungarn ein Richter sich über eine noch in Verhandlung befindliche Angelegenheit im Voraus darüber äußern würde, was für ein Urteil er fällen wird, dann würde ja der rechtsstaatliche Dschihad sofort beginnen, man würde uns sofort attackieren, doch in Brüssel sind diese rechtsstaatlichen Gesichtspunkte, wie ich das sehe, nicht wichtig. Da spricht ein Richter in einem Interview im Voraus darüber, was für ein Urteil in einer noch laufenden Angelegenheit zu erwarten ist, und daraus wissen wir, dass dies – wie Sie das auch gesagt haben – für uns nicht vorteilhaft sein wird. Doch über Ungarn und Polen hinaus verletzt diese Praxis auch die Interessen der anderen Mitgliedsstaaten. Wir müssen also daran arbeiten, dass wir Europa als ein freies Europa erhalten, auch die anderen Mitgliedsstaaten sich auf ihre Hinterbeine stellen und wir sagen, dass wir die kontinuierliche Einschränkung unserer nationalen Rechte und deren Hinüberschmuggeln in das Brüsseler imperiale Zentrum nicht zulassen. Diese Schlacht kämpfen wir, eben mit unterschiedlichem Erfolg. Ich gehöre aber doch zu den Optimisten. Es gab bessere Zeiträume, aber es gab schon Flut, es gab schon Ebbe, jetzt gibt es gerade Ebbe, jetzt kommen sie uns also mit großen Kräften entgegen, sicherlich spielen auch die ungarischen Wahlen eine Rolle, sie wünschten sich, dass es in Ungarn eine servile Regierung gäbe, eine solche, wie sie auch die Linke erwähnt, die – wie sie es sagen – für Brüssel ein Hauptgewinn wäre. Dies spricht die ungarische Linke offen aus, dass ihr Sieg für Brüssel ein Hauptgewinn wäre, nur wollen wir eben nicht für die Brüsseler den Hauptgewinn ziehen, sondern für die ungarischen Menschen, und dazu ist es notwendig, dass unsere sich für die nationalen Interessen einsetzende, nationale, christliche Regierung bleibt.
Wenn schon die Wahlen zur Sprache gekommen sind, hier erscheinen in der Presse nacheinander Dokumente, in denen zum Beispiel der ehemalige Direktor der Open Society Foundation oder ein früher bei „Index“ arbeitender linker Journalist darüber reden, dass sehr wohl die NRO-s bestimmen, mit wem der eine oder der andere westliche Journalist sprechen soll, wenn er über Ungarn schreiben will. Die Sache ist ja umso schwieriger, da sie kein Ungarisch verstehen, nicht Ungarisch sprechen, nicht Ungarisch lesen, sie also das glauben, was man ihnen sagt, und dass auf diese Weise in der westlichen Presse ein verzerrtes Bild über Ungarn entsteht. Das haben wir, sagen wir mal, früher schon geahnt, dass dies auf diese Weise gehandhabt wird, doch jetzt bestätigt diese Information ein linker Journalist, ja sogar der ehemalige Direktor der Open Society Foundation. Was ist Ihre Meinung darüber?
Sie plaudern zeitweilig dieses und jenes aus, und schlaue Menschen, wie wir es sind, verstehen schon aus einigen Worten, wie die Situation ist, wir verstehen das, wir wissen, worum es geht, doch besitzt dies keine große Bedeutung. Natürlich ärgert das einen, besonders einen durchschnittlichen ungarischen Bürger, der hier zu Hause arbeitet, nicht acht, sondern zwölf Stunden, und dank seiner Arbeit gelingt es, die ganze Nationalwirtschaft aus dem Übel herauszuziehen. In Wirklichkeit ist Ungarn eine Erfolgsgeschichte. Wir heben den Minimallohn dieses Jahr, sagen wir um 20 Prozent an, oder geben den Rentnern als historische Wiedergutmachung jene dreizehnte Monatsrente zurück, die die linken Regierungen noch in der Zeit von Gyurcsány ihnen weggenommen hatten, wir geben sie auch dann zurück, wenn die gegenwärtige Linke wieder sagt, dies sei nicht richtig. Hier geschehen also Dinge, auf die jeder Ungar stolz sein kann. Oder dass das Einkommen der unter 25 Jahre Alten nicht durch die Einkommenssteuer belastet wird. Jetzt im Februar erhalten die Jugendlichen den ersten solchen Lohn, dies gibt es außer in Polen nirgendwo in Europa. Es gibt also eine ganze Menge… Unser System der Unterstützung der Familien sucht seinesgleichen in Europa. Es gibt also Dinge, auf die wir stolz sein könnten, ja wir auch stolz sind. Und wenn die durchschnittlichen ungarischen Menschen sehen, dass die Dinge doch voranschreiten, natürlich ist niemals alles vollkommen, man könnte alles auch besser machen, man kann natürlich auch besser regieren, noch sind wir nicht das am besten regierte Land in der Welt, man kann also alles besser machen, doch insgesamt kann doch in Ungarn jeder in jedem Jahr mindestens einen Schritt nach vorne machen. Das ist in solchen Zeiten, in solchen durch Krisen, Völkerwanderung und Pandemie belasteten Zeiten eine große Leistung, darauf wollen wir stolz sein. Und das ist auch richtig. Und dann kommen in der Zwischenzeit alle möglichen Journalisten, die unter Berufung auf ihre ungarischen Kumpel alle möglichen schwachsinnigen Eseleien, fakenewsartiges Zeug zusammenschreiben. Und das ärgert die Menschen. Insofern ist es nicht egal, was man über uns schreibt, doch besitzt das keine politische Bedeutung. Denn am Tisch, an jenem langen Tisch und auch an dem Brüsseler großen, runden Tisch zählt nicht das, sondern die Tatsachen: Welche Leistung die ungarische Wirtschaft erbringt, wie wir arbeiten, wie erfolgreich wir im Vergleich zu den anderen sind, welche Ergebnisse wir aufweisen können, dort zählt das. Und unsere Rechte, dass wir uns für diese Rechte einsetzen. Na, das zählt, dass Ungarn ein Land ist, das man nicht beiseite fegen kann, und man die ungarischen Interessen nicht bei den gemeinsamen Entscheidungen außer Acht lassen kann, wie auch nicht die polnischen Interessen. Diskutieren kann man, attackieren kann man, aber beiseitelassen und uns und die Polen übergehen kann man nicht, und am Ende zählt das.
Ja, aber sie diskutieren nicht nur, sondern auch der Angriff ist derartig, wenn wir jetzt schon über die Wahlen gesprochen haben, dass das Beschuldigungen sind. Sie sagen jeden Tag Dinge, die sie selbst nicht einhalten, aber natürlich – so wie das die Linke seit sehr langem, seit mehr als hundert Jahren macht, sie beschuldigt ihren Gegner dessen, was sie selbst macht. Nur ein einziges Beispiel, dass zum Beispiel der Kandidat der Opposition für die Ministerpräsidentschaft täglich sagt, die ungarische Regierung sei ein Dieb und stiehlt das Geld der Menschen, während er selber nicht veröffentlicht, woher er 50 Millionen Forint erhalten hat, um in den sozialen Medien Reklame für sein eigenes Programm zu machen. Bzw. wenn er es dann veröffentlicht, dann sagt er, dies seien Mikrospenden, und dann sollen wir entscheiden, ob wir ihm auf seine Aussage hin es glauben, dass dies so ist.
Ja, was den ernsteren Teil dieser Sache angeht, die sich nicht auf meine Person, sondern auf das Land bezieht, dort lohnt es sich, ein-zwei Dinge anzumerken. Die erste Sache, dass ein jeder sieht, wie das Land aufgebaut wird, das Nationaleigentum anwächst, wir Dinge erreichen, die früher nicht einmal in Frage kamen. Zum Beispiel können wir den durch die Krise besonders gebeutelten Familien, die Kinder erziehen, jene Einkommenssteuer zurückgeben, die sie eingezahlt haben. Dieses Geld ist nicht gestohlen worden, das geben wir zurück. Die Dinge werden aufgebaut. Wenn das wahr wäre, womit die Linke die Regierung beschuldigt, dann wäre das nicht zu sehen, würde sich das nicht vor unseren Augen abzeichnen, was wir sehen. Wenn wir die Menschen in Umfragen danach fragen, ob ihr persönliches Leben in den vergangenen Jahren besser geworden sei, ob es sich verbessert habe, erhalten wir in riesiger Menge, zu 60-70 Prozent positive Antworten. Ja, wenn es um die zukünftigen Aussichten ihres persönlichen Lebens geht, auch da ist es so. Dies widerlegt an sich schon das, was die Linke sagt. Im Fall eines derart erfolgreich und spektakulär sich entwickelnden Landes sind diese Behauptungen, Kritiken, Korruption, Diebstahl usw. meiner Ansicht nach nicht ernstzunehmen. Natürlich gibt es immer Probleme, man muss bei Sinnen bleiben, die Staatsanwaltschaft, die Polizei muss bei Sinnen sein, doch Ungarn geht voran, und unter Korruption leidende Länder pflegen nicht voranzugehen, sondern zurück, wie das auch in der Zeit von Gyurcsány gewesen war, in der Ära Gyurcsány, denn die korrupteste Regierung der Geschichte Ungarns war ja gerade die linke, die Gyurcsány-Bajnai-Periode und -Regierung. Die zweite Sache aber, die sich auf die Rohheit bezieht, ob wir auf diese Weise miteinander reden müssen, darüber fällt mir immer ein, was einmal József Antall zu Beginn der neunziger Jahre im Parlament gesagt hat, es sei die Tradition der ungarischen Politik, dass wenn der eine über den anderen sagt, dieser sei ein Schuft, dann bedeutet dies, dass er ihm nicht zustimme. So ist unsere politische Kultur…
Wir haben noch eine einzige Minute. Jetzt ist beinahe für das Ende des Gesprächs die Epidemie übriggeblieben, dabei haben wir in den vergangenen zwei Jahren immer, beinahe immer damit begonnen.
Ja, aber vielleicht ist das auch symbolisch, wenn Sie erlauben, dass dies am Ende kommt, denn ein jeder hat das Gefühl, dass die Beklemmung und die große Angst sich langsam aus der Epidemie zu verflüchtigen beginnt. Man muss bei Sinnen sein, ich empfehle also nicht, den Champagner aufzumachen, denn Omikron ist noch hier, wenn es auch nicht so viele Probleme bereitet wie die früheren Varianten, doch bereitet es auch so Probleme, die Impfung ist auch weiterhin wichtig, doch halten wir hier die Impfung in den Händen, und das Virus wird immer schwächer und dies macht insgesamt die Situation für die Menschen erträglicher. Auch deshalb konnten wir die Gültigkeit des Schutzausweises bis zum 1. Mai verlängern. Früher hatten wir gedacht, wir ermöglichen das Nutzen des Schutzausweises nur für jene, die sich die dritte Impfung haben verabreichen lassen, doch soweit wir die Situation und auch die internationale Bewegung sehen, dass überall die Einschränkungen aufgehoben werden, so ist diese Einschränkung jetzt nicht begründet, deshalb kann der Schutzausweis auch mit zwei Impfungen bis zum 1. Mai bleiben.
Vielen Dank! Sie hörten Ministerpräsident Viktor Orbán.