Katalin Nagy: Im Studio begrüße ich Ministerpräsident Viktor Orbán. Guten Morgen!
Guten Morgen!
Sie sind vom NATO-Gipfel heimgekommen, und hatten am vergangenen Wochenende auch am Gipfel der Europäischen Union teilgenommen. Wie haben Sie es wahrgenommen, hat sich die Meinung über den russisch-ukrainischen Krieg gewandelt?
Es gab tatsächlich diplomatischen Hochbetrieb in den vergangenen zehn Tagen. Wir hatten auch jeden Grund dafür: eine sich verschlechternde Kriegssituation in der Ukraine, Kriegsinflation, eine an der Tür anklopfende Kriegswirtschaftskrise und eine unmittelbare Energiekrise. Das ist im Großen und Ganzen das Angebot, mit dem die führenden Politiker Europas arbeiten müssen. Der Eurogipfel ist schon so lange her, dass ich nicht einmal weiß, ob es sich noch lohnt, über ihn zu reden. Vielleicht lohnt es sich so viel zu sagen, dass wir der Ukraine den Status eines Beitrittskandidaten verliehen haben. Es ist ein komplizierter Prozess, bis aus einem Land von außerhalb der Europäischen Union ein Mitglied der Europäischen Union wird. Es gibt drei-vier ernsthafte Stationen, die man passieren muss. Der erste Schritt ist der Status eines Beitrittskandidaten, was nicht bedeutet, dass die Verhandlungen auch beginnen, denn damit die Verhandlungen beginnen können, müssen Bedingungen erfüllt werden. Dies betrifft uns, Ungarn, deshalb, weil die Ukrainer, wenn sie Verhandlungen wollen, jene – nennen wir es so: – Erwartungen der Europäischen Union erfüllen müssen, hierin auch unsere ungarischen Erwartungen mit inbegriffen, die sich auf die dort lebenden Minderheiten, so auch auf die in der Karpato-Ukraine lebenden Ungarn beziehen. Wir befinden uns hinsichtlich der Durchsetzung der Rechte der dort lebenden Ungarn in einer viel besseren Lage, als in welcher wir wären, wenn die Ukraine nicht um den Status eines Beitrittskandidaten angehalten hätte. Der Präsident hat mich auch angerufen. Es ist auch etwas Neues geschehen: Er hat für die Hilfe gedankt …
Es hat sie vielleicht überrascht – oder? –, dass auch Ungarn es unterstützt hat.
Ja, vielleicht. er hat sich für die Hilfe und Unterstützung bedankt, die wir geleistet haben, denn wir leisten auch energetische Unterstützung, dass wir mehr als 800 tausend ukrainische Flüchtlinge aufgenommen, sie in unser Land gelassen haben. Und wir haben ein Programm, in dessen Rahmen wir im Übrigen ukrainischen Studenten, vielen hundert ukrainischen Studenten Stipendien in Ungarn geben, damit sie in Frieden studieren können. Die EU hielt in dieser Hinsicht eine wichtige Sitzung ab. Natürlich ist nichts nur eine reine Freude, denn vergebens wollten wir dort, Schulter an Schulter mit einigen anderen Ländern, den Österreichern, den Slowenen, wir konnten nicht erreichen, dass auch Bosnien-Herzegowina in die Reihe von Ländern hätte gelangen können, die über den Kandidatenstaus verfügen. Es zeigt sich also noch immer Unverständnis oder ein nicht ausreichendes Wissen unter den führenden europäischen Politikern in der Hinsicht, wie sehr die Erweiterung des Balkans bzw. seine Aufnahme in die Europäische Union eine Existenznotwendigkeit für uns alle in Europa wäre. Der jetzt sich verstärkende, ja sich rasant verstärkende Migrationsdruck würde auch einen unmittelbaren Beweis dafür liefern, dass diese Länder in die EU aufgenommen werden müssen. Also die Ukrainer ja, aber die Bosniaken vorerst nicht, doch setzen wir den Kampf gemeinsam mit den Österreichern, den Slowenen, den Kroaten fort, damit dies eintritt. Die NATO war ein schwerwiegenderer Fall. Auf dem Gipfel der Europäischen Union sind wir noch gerade eben so hinweggekommen, obwohl wir auch dort Warnungen, solche zurückhaltenden Warnungen geben mussten, sich nicht an einem erneuten, siebten Sanktionspaket zu versuchen, besonders nicht dann, wenn sie darin auch Beschränkungen hinsichtlich des Gases planen, denn für Ungarn ist dies nicht einmal eine Verhandlungsbasis. Über das Öl waren wir noch bereit zu verhandeln, und wir konnten einen Kompromiss schließen und wir erhielten eine Ausnahmeregelung und so ist es vielleicht gelungen, die ungarische Wirtschaft zu retten, doch im Fall des Gases wäre dies viel schwerwiegender, also wenn man in Brüssel auch Sanktionen auf das Gas erheben würde. Deshalb sind wir auch nicht bereit, darüber zu verhandeln. Wir haben also zum Beginn signalisiert, dass wir über einen Vorschlag, in dem es um die Einschränkung des nach Ungarn kommenden Gases geht, der unseren Zugriff auf das russische Gas erschweren würde, wir nicht verhandeln. Es geht also nicht darum, dass wir einen Kompromiss suchen, sondern es gibt nichts, worüber wir verhandeln würden. So viel über den freundlichen und leichten Brüsseler Gipfel der EU. Die NATO war schwieriger. Langsam muss man den Realitäten auch dann ins Auge schauen, auch wenn das einem nicht gefällt. Die NATO ist noch nicht an diesem Punkt angekommen, doch nähert sie sich ihm an. Es stehen also selbstverständlich alle auf der Seite der Ukrainer, denn das ist die allgemeine Auffassung, auch wir vertreten dies, dass was für Diskussionen es auch zwischen der Ukraine und Russland gegeben haben mag, wie sehr die Russen diesen Konflikt auch vorbereitet haben, indem sie ihre Sicherheitsansprüche vorbrachten, über die wir nicht wirklich zu verhandeln bereit waren, das alles mag wahr sein, doch gibt dies keinesfalls eine ausreichende Antwort darauf und einen Grund dafür, das ein Land ein anderes angreife, und einen offenen Krieg starte. Selbst wenn die Russen dies auch nicht als einen offenen Krieg bezeichnen, sondern eine besondere Militäraktion nennen. Ein jeder steht also auf der Seite der Ukrainer, denn man pflegt ja auf der Seite des Angegriffenen zu sein und man natürlich dem Angegriffenen die Daumen drückt. Da es sich aber um einen Krieg handelt, in dem Zehntausende sterben, und diese Zahl kann leicht auch die von hunderttausenden erreichen, nicht wahr, da will man nicht mit hineingezogen werden, denn das ist nicht Ungarns Krieg. Wir müssen hiervon fernbleiben. Das ist der Krieg zweier benachbarter slawischer Länder, und die NATO ist ein Verteidigungsbündnis. Und es gab derlei Hoffnungen, man könne auf die Weise einen erfolgreichen Krieg gegen die Russen führen, dass die Ukrainer kämpfen, und jene Länder, die Waffen liefern – zu denen wir nicht gehören, denn unserer Ansicht nach würde dies bereits zur Hälfte das Hineindriften in den Krieg bedeuten –, man könne also so einen Krieg gegen die Russen gewinnen, dass die Ukrainer kämpfen, und von hinten liefern einige westliche Länder Waffen in hoher Zahl. Jedoch sind im Krieg die Waffen sehr wichtig, am wichtigsten ist aber der Soldat, und daran beginnt es zu mangeln. Man muss also langsam der Realität ins Auge blicken, dass es auf der einen Seite ein Russland mit 138 Millionen Einwohnern gibt und auf der anderen Seite die Ukraine mit dreißig und einigen Millionen Einwohnern, die zwar durch die Amerikaner und die Engländer ganz gut mit Waffen ausgerüstet worden sind, und sie haben auch viele ihrer Soldaten gut ausgebildet, die Ukraine stellt also eine ernsthafte militärische Kraft dar, und sie kämpfen auch heldenhaft, doch langsam kommen schon die militärischen Realitäten zur Geltung. Wir haben noch nicht besprochen, was in dem Fall geschehen wird, wenn die ukrainische Front zusammenbricht, dieser Ausdruck ist also noch nicht ausgesprochen worden, doch der Ausdruck, dass die Lage immer schlechter wird, dass die Ukraine täglich hundert bis tausend Soldaten verliert, ein Teil von ihnen stirbt, der andere Teil wird untauglich zu weiteren militärischen Leistungen, da er entweder verletzt wird oder verschwindet, jedenfalls ist die Lage sehr schwerwiegend. Ich bin so nach Hause zurückgekommen, dass die rote Lampe ständig in meinem Kopf leuchtete, und ich hörte die Alarmklingel. Also ist diese Front, die jetzt, wenn Sie die Namen dieser Städte aussprechen, bei denen sich die Front jetzt hinzieht, scheint sie noch sehr weit entfernt zu sein. Also Donezk und Luhansk sind ja, nicht wahr, nicht in der ungarischen Alltagskultur enthalten. Diese erscheinen irgendwie als so fremde, ferne Orte, doch wenn sich die militärische Situation schnell verändert, wozu alle Aussichten bestehen, dann werden wir immer mehr die Namen von Städten hören, die wir schon kennen. Denn die Kriegszone wird sich dann viel schneller Ungarn nähern, als dies heute – nehme ich an – ein Großteil der Zuhörer annimmt. Ich bin also so nach Hause zurückgekommen, dass wir die Motoren anwerfen müssen, die Kurbeln drehen müssen, und das Programm der Entwicklung der Streitkräfte auf das Zwei- bis Dreifache, auf die zwei- bis dreifache Geschwindigkeit erhöhen müssen. Wir müssen unsere Streitkraftfähigkeiten, unsere Verteidigungsfähigkeiten verstärken, wir müssen unsere Armee aus diesem halbfriedlichen, diesem Halbnotsituationszustand herausreißen, und müssen eine sehr schnelle Arbeit der Entwicklung der Fähigkeiten durchführen. Also diese für die Friedenszeiten charakteristische Arbeitszeit von acht Stunden, und Ähnliches ist jetzt vorbei. Ich weiß noch nicht, in welcher Form wir dies mit dem Herrn Verteidigungsminister und dem Befehlshaber des Heeres machen werden, doch werden wir einen Weg finden müssen, um durch eine übermenschlich erscheinende Arbeit, eine Kraftanstrengung unsere Verteidigungsfähigkeiten radikal zu vergrößern. Auch die NATO spürt es, dass es Probleme gibt. Wir haben einen Beschluss darüber gefasst, dass die Länder auf dem Ostflügel der NATO gestärkt werden müssen. Wir gehören hierher, das sind also Polen, die Slowakei, Ungarn, Rumänien. Hier muss die NATO ernsthafte militärische Verstärkungen durchführen, denn wenn es ein Problem gibt, werden wir dann vergebens hastig handeln wollen. Die Vorbereitung auf die Verteidigung kann man nur in Jahren, im Bestfall in Halbjahren messen. Wenn das Übel eingetreten ist, werden wir dann vergebens mehr Soldaten ausbilden wollen, werden wir vergebens unsere Waffensysteme modernisieren wollen, werden wir vergebens die Qualität erhöhen wollen, vergebens die Verteidigungsqualität und -fähigkeit unserer Soldaten erhöhen wollen, denn wenn wir das zuvor nicht getan haben, dann kann man dies im Laufe der wenigen Wochen, wenn das Übel bereits kurz bevorsteht, dies nicht mehr tun. Wenn wir also Frieden wollen, dann müssen wir jetzt unsere militärischen Fähigkeiten auf besondere Weise erhöhen. So bin ich auch nach Hause gekommen, ich werde den Minister, den Führungsstab der Armee, den wir jetzt wieder aufstellen, in den kommenden Monaten um intensive Arbeit bitten, und auch jeden einzelnen Offizier der Armee und ihre Untergebenen.
Es mag sein, dass es für die NATO kein primärer Gesichtspunkt ist, doch müsste es für die führenden Politiker der Europäischen Union ein erstrangiger Gesichtspunkt sein, an welchem Punkt die Wirtschaft in Europa – wenn Sie so wollen –, die Weltwirtschaft in der ganzen Welt angekommen ist. Also dass es eine wirtschaftliche Krisensituation gibt, dass es Kriegsinflation gibt, die jede Wirtschaft kaputtmacht, nicht nur die ungarische Wirtschaft, sondern genauso auch die westlichen Wirtschaften – warum ist dies kein Gesichtspunkt?
Dies ist ein Gesichtspunkt, nur sind das zwei einander ausschließende Themen oder Gesichtspunkte, die man nur sehr schwer miteinander in Einklang bringen kann. Denn einerseits ist da der ukrainisch-russische Krieg, in dem wir den Ukrainern Hilfe leisten möchten, und obwohl Ungarn nie ein Anhänger der Sanktionspolitik gewesen ist, glaubt aber aus irgendeinem Grund ein Großteil der Länder der EU daran, dass man mit Sanktionen Ergebnisse erreichen könnte. Und da wir die europäische Einheit nicht brechen möchten, und da wir nicht jede Woche gegen irgendeine neue Sanktionsmaßnahme ein Veto einlegen wollen, deshalb schwimmen wir lieber mit dem Strom. Ich mag so etwas nicht, das passt auch gar nicht zu dem ungarischen Charakter, doch wäre es für Ungarn unerträglich, dass während ein jeder an die wohltätige Wirkung irgendeiner wirtschaftlichen Maßnahme hinsichtlich des Krieges glaubt, also an die den Ukrainern helfende Wirkung glaubt, ein Land ständig seinen eigenen Standpunkt vertretend jeden Sanktionsschritt verhindert. Das ist in einer Gemeinschaft unannehmbar, die auf die Zusammenarbeit, die Loyalität, auf den gegenseitigen Respekt gegründet ist. Es gibt also Punkte, die wir auswählen, in denen wir nicht nachgeben, weil diese Fragen von Tod und Leben für die ungarische Wirtschaft sind. So einer ist die Frage der Energie. An den anderen Punkten können wir nur sagen: „Wenn Ihr es so seht, dass dies gut ist, und außer uns sieht das ein jeder so, dann wollen wir nicht in die Situation gelangen, wie der Geisterfahrer im Witz, der allen entgegenfährt.“ Wir kennen ihn ja alle, ich würde also Ungarn vor dieser Situation bewahren. Dies würde nur dazu führen, dass wir unsere Verbündeten verlieren und unsere Stützen verlieren und die Möglichkeit zur Zusammenarbeit in Europa. Also dort, wo es keine lebenswichtige Sache für Ungarn ist, dort geben wir nach, und dort, wo wir festbleiben müssen, geben wir nicht nach, und es kommen keine Entscheidungen zustande. Wenn Sie erlauben, würde ich hier eine Bemerkung machen, denn das Wort „Veto“ wir häufig gebraucht, was eine in die Irre leitende Äußerung darstellt, denn Ungarn legt kein Veto ein. In der EU ist es nicht so, dass irgendwo eine Entscheidung gefällt wird, die dann die Mitgliedsstaaten entweder akzeptieren oder nicht. Sondern es ist so, dass alle Entscheidungen dann getroffen werden, wenn alle Mitgliedsstaaten zugestimmt haben. Also gibt es ohne uns auch keine Entscheidung, da ist nichts, gegen das man ein Veto einlegen könnte. Das ist also ein Prozess der gemeinsamen Entscheidungsfindung, deshalb verhindern wir nicht etwas, sondern da wir nicht Teil einer Entscheidung sind, kann sie nicht gefällt werden. Das ist eine ganz andere, nicht nur juristische, sondern auch politische Logik, als was die meisten vielleicht annehmen würden. Eines unserer Probleme ist, dass ein Großteil der EU daran glaubt, dass man mit Sanktionen ein Ergebnis erreichen kann, und zugleich ist offensichtlich, dass wenn es keinen Frieden gibt, dann macht unsere Wirtschaft weiter und marschiert in die Rezession, das heißt in den wirtschaftlichen Rückfall. Und die beiden Dinge, die die führenden Politiker der EU in der Angelegenheit des Krieges unternehmen wollen, und das, was das wirtschaftliche Interesse der Europäischen Union wäre, sind einander entgegengesetzte Dinge. Denn wir benötigen keine Sanktionen, sondern eine sofortige Feuerpause und sofortige Friedensverhandlungen.
Darüber spricht niemand anders?
Nein, hiermit bin ich der Einzige. Manchmal fühle ich mich auch etwas seltsam. Die Ungarn sind ja ein Volk von Freiheitskämpfern, und wir pflegen ja uns für unsere Interessen auch dann einzusetzen, wenn dies mit Konflikten verbunden ist. Es kommt selten vor, dass Ungarn allein auf der zahmen Seite ist, oder wenn Sie wollen, auf der Seite der Tauben, und alle anderen sind die Falken. Auch wir bevorzugen es, die Konflikte lieber zu besprechen und die Auseinandersetzungen zu führen, doch hier handelt es sich nicht um eine intellektuelle oder politische Debatte, sondern um Krieg. Stellen Sie es sich vor, wenn es stimmt, dass jeden Tag zwischen hundert und tausend ukrainische Soldaten aus der Armee entfallen, dann sind das innerhalb von zehn Tagen, sagen wir, wenn ich den Mittelwert nehme, auch noch fünftausend, das sind während hundert Tagen fünfzigtausend. Das sind hier doch so viele Familien, so viele Väter, so viele Mütter, so viele Kinder. Also die humane Dimension dieses Ganzen ist schrecklich, was dort geschieht. Das ist tragisch. Und hier muss Ungarn meiner Ansicht nach auf der Seite des Friedens stehen. Und jetzt muss ich über die Menschenleben hinaus auch sagen, man kann die Kriegsinflation, unter der alle leiden, ganz Europa, jetzt aber auch schon Amerika, man kann sie nicht anders verhindern, als wenn wir dem Krieg ein Ende setzen. Das gibt es also nicht, dass es einen Krieg gibt, eine Kriegsinflation gibt, und es gelingt, die Inflation zu stoppen. Wir können so viel tun, was Ungarn im Übrigen beinahe ganz allein in ganz Europa macht, nämlich den Preis bestimmter Produkte behördlich zu begrenzen. Und dass die Inflation nicht 15 Prozent in Ungarn ist, sondern 10 oder 11, aber, sagen wir, in Estland und Litauen 18 und 20, aber auch in Polen und Tschechien liegt man vor uns. Die Wahrheit ist also, dass man die Kriegsinflation zeitweilig und teilweise bremsen kann. Beenden kann man sie so, indem wir dem Krieg ein Ende bereiten. Deshalb wäre es im Interesse Ungarns und meiner Ansicht nach aller europäischer Länder, wenn der Krieg möglichst schnell zu Ende wäre. Und dafür muss man keine Sanktionen verhängen, sondern man muss erreichen, dass es eine Feuerpause gibt. Das pflegt so zu sein, dass es zuerst eine Feuerpause gibt, und danach muss man über die Bedingungen und den Rahmen der Friedensverhandlungen übereinkommen. Und dann gibt es Friedensverhandlungen, und solange die Friedensverhandlungen geführt werden, gibt es keinen Krieg, bis dahin finden auch die Wirtschaften in ihre normale Funktionsordnung zurück und alle haben einen Vorteil davon. Vom Frieden würde jeder profitieren, doch vorerst – ich sage es noch einmal – schlägt außer uns niemand diesen Ton an, sodass Europa und Amerika auch weiterhin leiden. Ich war dieser Tage auch im Parlament, dort gab es Diskussionen, und soweit ich das sehe, verstehen nicht alle, wie schwer die Lage ist. Ich verstehe also, dass plötzlich ein jeder mit Ansprüchen hervorkommt, zum Teil mit Ansprüchen zur Entwicklung, zum Teil mit Ansprüchen hinsichtlich von Gehaltserhöhungen, hinzukommt, dass es sich auch noch um große handelt, sie sprechen über 20-30-40 Prozent und Verdoppelungen, und ich versuche es dort und auch hier zu sagen, dass es eine Kriegssituation gibt, und jetzt greifen wir nicht an, sondern verteidigen uns. Es ist jetzt also nicht die Zeit dafür, einen oder zwei Schritte nach vorn machen zu können, sagen wir in der Entwicklung oder in Fragen des Lohns. Jetzt ist es die Zeit dafür, zu verteidigen, was wir erreicht haben. Der Erfolg, das Ergebnis ist heute also, wenn wir nicht abrutschen, sondern uns festsetzen können und nicht zulassen, dass uns die Kriegssituation hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung und des Lebensniveaus zurückdrängt. Und deshalb habe ich bereits in dem Zeitraum, als ich meinen Eid abgelegt habe, deutlich gemacht, dass das, worauf wir uns heute mit gutem Gewissen und ehrlich einlassen können, ist, das zu verteidigen, was wir haben: Vollbeschäftigung, das System der Unterstützung der Familien, die Senkung der Nebenkosten und die Renten. Wenn wir diese verteidigen können, dann hat Ungarn bereits eine sehr große Leistung gezeigt. Die meisten Länder sind hierzu auch jetzt nicht fähig, und sie werden dazu auch in der Zukunft nicht fähig sein.
Die Schaffung von Einheiten des Grenzschutzes ist notwendig, weil der Druck an der Südgrenze unerhört ist. Das hat angeblich auch die NATO bemerkt, wir sind dann neugierig, was sie im Interesse der Verteidigung tun kann, und ob sie den Ländern hilft, die dort an der Grenze sind, wie z.B. Ungarn. Wir groß werden sie sein, wissen wir schon etwas über die Grenzschutzeinheiten?
Woran uns zu erinnern für alle wichtig wäre: Ungarn befindet sich in einer besonderen Situation. Es ist in einer schwierigeren Situation als jedwedes andere Land der Europäischen Union. Denn es gibt Länder, die von der Flut der ukrainischen Flüchtlinge betroffen sind, sagen wir, Polen. Und es gibt auch solche, die von der aus dem Süden kommenden Migrationsflut betroffen sind, sagen wir Kroatien, Slowenien oder Rumänien. Aber dass man durch beide mit großem Gewicht betroffen ist, da gibt es nur Ungarn, etwas auch Rumänien, aber in Wirklichkeit nur Ungarn. Uns betreffen 800 tausend Flüchtlinge aus der Ukraine und nur in dem bisher vergangenen Zeitraum dieses Jahres mehr als hunderttausend illegale Grenzverletzer aus dem Süden. Also dass diese beiden Lasten ein Land gleichzeitig beschweren, ist beispiellos. Das versuche ich den EU-Ländern zu sagen, auch dass dies nicht nur unser Problem ist, das ist nicht nur eine ungarische Angelegenheit, denn wenn auch die Migranten, wenn die illegalen Migranten hereinkommen, dann erscheinen sie früher oder später an der österreichisch-ungarischen Grenze, und auch die ukrainischen Flüchtlinge bleiben nur zum Teil in Ungarn, ihr Großteil geht von hier Richtung Westen weiter. Also dass man den ungarischen Grenzschutz von Brüssel aus unterstützt, ist nicht nur ein ungarisches Interesse, sondern das Interesse jeder im Inneren des ruhigen Europas lebenden Nation, jedes Volkes. Denn wir bekommen erneut jene Schläge ab, die im Übrigen Europa erhält. Und dazu käme uns eine finanzielle Hilfe, Unterstützung und Ermunterung gelegen, doch pflegen wir vielmehr Angriffe zu erhalten, solche Menschenrechtsattacken, und keine finanzielle Hilfe. Ich habe dies zur Sprache gebracht, ich halte dies auch weiterhin auf der Tagesordnung. Es wäre logisch, oder es wäre von der EU zu erwarten, dass sie diese eigentümliche Situation Ungarns anerkenne, und die entsprechende finanzielle Unterstützung leiste. Wie schwer die Lage an der Südgrenze ist, darüber kann ich sagen, dass wir im vergangenen ganzen Jahr 400 Menschenschmuggler verhaftet haben. Ich spreche jetzt nicht über die illegalen Grenzverletzer, sondern über jene, die das organisieren, wie jene illegal nach Ungarn gelangen. Wir haben 400 gefasst. In diesem Jahr haben wir bereits 750 gefasst! Es geht also nicht nur darum, dass es mehr Migranten gibt, sondern auch die Ausmaße des Business nehmen zu, denn hier geht es ja um Geld. Und da die Probleme der Lebensmittelversorgung bereits in Afrika und in Asien zu spüren sind, die Folgen des Krieges auch dort erscheinen, gehen immer mehr Menschen los bzw. sehen die Menschenschlepper ein immer größeres Geschäft darin, Massen von Menschen dazu zu bringen, nach Europa loszugehen. Und da die Ukraine mehr als 10 Prozent des Weizenexports der Welt und mehr als 15 Prozent des Maisexports produziert hat, fehlt dies nun in erster Linie auf den asiatischen und afrikanischen Märkten. Dort droht eine Hungersnot. Das Horrorbild einer Lebensmittelkrise zeichnet sich vor unseren Augen ab, die Migration hervorruft, und ein Teil dieser Menschen erscheint als illegaler Migrant an den Grenzen Ungarns. Und da darin gewaltiges Geld steckt, wächst auch die Zahl der Menschenschlepper. Man kann auch aus den täglichen Nachrichten ersehen, wie wir sie erwischen. Doch wird diese Welle zunehmen; so wie sich die Lage verschlechtert wird auch die Welle zunehmen. Wir können die Migranten mit der organisierten Kraft nicht aufhalten, wie wir bisher sie aufzuhalten dazu in der Lage waren. Denn, was haben wir bisher getan? Wir haben Soldaten und Polizisten dorthin beordert. Jetzt, wo die Kriegszone sich der östlichen Grenze Ungarns nähert, ist jede einzelne Minute, die unsere Soldaten nicht mit der Vorbereitung, der Verstärkung der defensiven Fähigkeiten, sagen wir es so, mit Übungen verbringen, ein Luxus, unzulässig, hinausgeworfene Zeit. Man muss also die Soldaten von dort wegdirigieren, damit sie an der Durchführung des auf Hochtempo gebrachten Entwicklungsprogramms der ungarischen Armee teilnehmen können. Und bei den Polizisten ist die Situation die, dass wir sie dorthin beordern. Von wo wir sie wegbeordert haben, da fehlen sie, nicht nur ihrer Familie, sondern auch hinsichtlich der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung fehlen sie, sie können also nicht an der Schaffung des friedlichen, bürgerlichen Lebens in – sagen wir – Szombathely und Veszprém teilnehmen, weil sie unten an der Grenze sein müssen. Hinzu kommt noch, dass die Arbeit belastend ist, fern der Familie, da wird die physische und auch die seelische Kraft aufgebraucht. Also ist das auch keine Lösung. Das war vorübergehend gut, das ging ein-zwei Jahre, doch hierauf können wir jetzt nicht mehr aufbauen. Der Moment ist gekommen, in dem wir ein neues, nennen wir es, Grenzjägersystem organisieren müssen. Also eine Grenzwacht, die aus Grenzjägerhundertschaften besteht. Jetzt haben wir diese Arbeit mit kurzer Frist dem Innenminister überantwortet. Wenn er damit zurande kommt, dann werden wir diese Grenzjägerfähigkeit innerhalb des Rahmens des Innenministeriums ausbauen müssen. Wir müssen neue Leute aufnehmen, zu tausenden, wir sprechen hier also nicht über zehn und hundert Leute, hier müssen wir zwei bis viertausend Menschen allein für den Dienst als Grenzjäger, als Grenzschützer aufnehmen. Das ist eine große Arbeit, sie müssen ausgebildet werden, denn dort müssen sie ja doch gegenüber Menschen Maßnahmen ergreifen, man muss sie also nicht einfach nur physisch vorbereiten, sondern sie müssen in Kenntnis der Menschenrechte, in Rechtsvorschriften, darin, was man tun kann und was nicht, darin müssen wir sie alle ausbilden, damit wir unsere Grenzen auf zivilisierte Weise verteidigen können. Dort gibt es jetzt aber doch auch schon alarmierende Schüsse, wenn also jemand die Situation im Süden verfolgt, dann sieht er, dass die Menschenschlepper und die illegalen Migranten immer aggressiver sind, und gegenüber der Gewalt kann man sich nicht mit Plüschteddys und Blumensträußen verteidigen. Wir werden also in den kommenden Monaten einige tausend gut ausgebildete Grenzjäger benötigen. Wenn der Innenminister die Sache löst, dann verbleibt sie innerhalb der Rahmen des Innenministeriums, wenn nicht, dann unabhängig von ihm, dann müssen wir es außerhalb dessen realisieren. Ich habe auch einen Plan für den Fall, wie wir dies auch ohne das Innenministerium aufbauen könnten. Doch würde ich mich mehr freuen, wenn es gelänge, die Grenzschützer innerhalb jener Kultur zu behalten, die heute für die Polizei charakteristisch ist, über die ein jeder mit Anerkennung spricht. In den vergangenen zwölf Jahren ist die Polizei zu einer sehr ernsthaften, nicht einfach nur effektiven Körperschaft geworden, sondern sie verfügt auch über Bürgernähe, und wenn wir innerhalb ihr eine Sache lösen könnten, dann hätte dies auch eine wohltuende Wirkung sowohl auf das Verhältnis zwischen Staatsbürger und Polizist als auch auf jenes zwischen Migrant und Polizist. Wenn das nicht geht, dann muss unsere Verteidigungsfähigkeit außerhalb dessen, in einer etwas roheren Form aufgebaut werden.
Wir konnten nicht über alle Fragen sprechen, aber vielleicht dann das nächste Mal. Vielen Dank! Sie hörten Ministerpräsident Viktor Orbán.