Zsolt Törőcsik: Im Laufe der Woche hat sich herausgestellt, dass die Regierung eine Nationale Konsultation über die Brüsseler Sanktionen und deren Auswirkungen initiieren wird. Laut der Begründung ist es aus dem Grund wichtig, sich die Meinung der Menschen anzuhören, weil sie es sind, die mit den Konsequenzen der über Moskau verhängten Strafmaßnahmen konfrontiert werden. Unser Gast im Studio ist Ministerpräsident Viktor Orbán. Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen!
Guten Morgen!
In solchen Momenten geht einem auch unfreiwillig die Frage durch den Kopf, wenn man die Meldungen über die Konsultation hört, wie viel eine Antwort, wie viel das Ausfüllen eines Fragebogens in diesem geopolitischen Match wert ist? Denn wenn wir das große Ganze betrachten, dann geht es doch darum.
Man pflegt zwar viele Überlegungen über die Politik anzustellen, doch ist das eine auf Erfahrung basierende Gattung, es ist also am besten diese – wenn man über Erfahrung verfügt – zu nutzen. Und es gab schwierige, ja krisenhafte Momente im Laufe unserer Regierung in den vergangenen zwölf Jahren, denn es gab eine Wirtschaftskrise, die wir noch zu Beginn der 2010-er Jahre geerbt hatten, dann überfiel uns die Migration, die doch ernsthafte Dilemmata aufwarf, es gab auch die COVID-Krise. Und ich habe während dieser zwölf Jahre gelernt, ich habe jene Erfahrung gesammelt, dass es am besten ist, wenn wir in solchen Momenten in irgendeiner Form die Menschen in die Entscheidung miteinbeziehen können. Denn es gibt Entscheidungen in der Politik, bei denen man einfach nur fachlich eine gute Entscheidung treffen muss. So in einer wirtschaftlichen Angelegenheit, über einen Haushaltsposten, jene stellen also eher das Gebiet des Fachwissens dar, doch gibt es Fragen, sagen wir die Migration, mit wem wir bis ins siebte Glied in Ungarn zusammenleben werden oder COVID, wie man damit umgehen muss, was die Gesellschaft aushält. In solchen Momenten ist es gut, wenn wir die Menschen in die Entscheidung miteinbeziehen können. Dafür gibt es auch mehrere Möglichkeiten: Die Volksabstimmung, doch solch eine ist auch die Nationale Konsultation. Juristisch gesehen ist das die flexibelste Form, deshalb pflegen wir in solchen Momenten eine Nationale Konsultation anzuwenden. Nicht als ob ich im Übrigen keine eigene Meinung darüber hätte, was ich über die Sanktionen denken sollte und was ich darüber denke, was in dieser Hinsicht die nationalen Interessen Ungarns sind. Ich habe diesbezüglich einen Standpunkt, ich werde gerade deshalb auch den Konsultationsfragebogen ausfüllen, doch ist jetzt nicht die Frage, ob die Regierung eine Meinung hat, sondern dass wir einen Punkt der Übereinstimmung schaffen können, denn einen je schwierigeren, krisenhafteren Zeitraum wir erleben, desto größere Notwendigkeit besteht für die Einheit. Und die Einheit entsteht nicht von allein. Man pflegt zu sagen, der Konsens müsse gesucht werden, doch ist das kein Osterei, um ihn zu suchen, er muss geschaffen werden. Die Übereinstimmung muss also geschaffen werden, man muss den Menschen die Chance geben, zustimmen zu können oder ihre eigene Meinung mitzuteilen. Dafür muss man eine Form finden. Die Nationale Konsultation ist eines der erfolgreichsten nationalen, nationalstrategischen Regierungsinstrumente der vergangenen zwölf Jahre. Jetzt erleben wir schwierige Zeiten, die Nationale Konsultation ist notwendig.
Es ist ja auch aus dem Grund interessant, ob das notwendig ist, denn es gibt Regierungen, die einen anderen Weg gewählt haben. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hat geradezu dahingehend formuliert, dass es sie nicht interessiere, was ihre Wähler denken. Sie will das einhalten, was sie der Ukraine versprochen hat.
Wir sind nicht gleich. Der eine macht es so, der andere anders. Und in Deutschland kann man das machen, dort sind die politischen Traditionen andere, aber wir sind Ungarn. Wenn irgendein ungarisches Regierungsmitglied so einen Satz gesagt hätte, mich selbst miteingeschlossen, dann hätte es keine lange Zukunft mehr im öffentlichen Leben vor sich gehabt. Bei uns geht das also nicht. In Deutschland hat man nicht einmal – soweit ich das sehe – darauf reagiert, man ist an anderes gewohnt, ihre Geschichte ist anders, doch in Ungarn kann man so etwas nicht tun und in Ungarn würde dies eher als eine Respektlosigkeit gewertet werden. In Deutschland hört sich das vielleicht so an, dass sie es besser weiß. In Ungarn deuten dies die Menschen irgendwie anders. Deshalb, da die Menschen den Preis der Sanktionspolitik zahlen, es gibt also einen Sanktionsaufpreis, wenn wir Gas, Strom und Öl oder Benzin kaufen, dann zahlen die europäischen Menschen, so auch die Ungarn, einen Sanktionsaufpreis. Und der Preis der Energie ist nicht wegen der wirtschaftlichen Zusammenhänge gestiegen. Im Übrigen hat es so etwas in der Welt schon gegeben, dass die eigenen Zusammenhänge der Wirtschaft den Preis der Energie nach oben getrieben haben, die Gesichtspunkte von Angebot und Nachfrage, doch hier ist das nicht die Situation. Hier treffen wir politische Entscheidungen, hier hat man in Brüssel politische Entscheidungen getroffen, und diese Entscheidungen, die politischer Natur sind, denn Politiker treffen sie, diese haben die Preise nach oben getrieben. Wenn es keine Sanktionen gäbe, dann läge der Preis der Energie irgendwo dort, wo er – sagen wir – im Zeitraum der Wahlen im April und unseres Wahlkampfes war, irgendwo um 100 Dollar, was kein guter Preis ist, denn er pflegt auch niedriger als dieser zu liegen, doch auch wir haben zur Zeit der Wahlen damit gerechnet, dass der Preis des Öls und des Gases sich irgendwo in der Gegend von 100 Dollar stabilisieren werde, und das würde dann eine Situation sein, die man auch ohne die Veränderung der Nebenkostenvorschriften dann würde managen können. Und wir sind auch im Übrigen in Brüssel darüber übereingekommen, dass wir die Sanktionen nicht auf die Energie ausweiten würden. Noch vor dem Wahlkampf gab es, vielleicht in Versailles, ein Gipfeltreffen, wo mit der Führung der Deutschen und der Ungarn, wenn es zulässig ist, die Maus und den Elefanten im gleichen Satz zu erwähnen, also wir beide waren die kraftvollsten, die jene Gruppe anführten, nach der die Sanktionen nicht auf die Energie erweitert werden sollten. Und darüber sind wir zu dem Zeitpunkt auch übereingekommen. Und auf einmal haben im Juni die Deutschen die Seiten gewechselt, und haben in Brüssel ihre Entscheidung geändert, und auf einmal wurden die Sanktionen auf das Öl eingeführt und die Gassanktionen auf die Tagesordnung gesetzt. Und die Energiepreise sind in die Höhe geschossen. Und seitdem zahlen wir den Sanktionsaufpreis, weshalb auch das System der Senkung der Nebenkosten in Ungarn umgeformt werden musste, Preisstopps mussten eingeführt werden, weshalb jetzt ein jeder dividiert, multipliziert, rechnet, denn berechtigt sieht man im Übrigen die kommenden Monate als unsicher an – sowohl im Fall der Unternehmen als auch im Fall der Familien. Und die Regierung versucht zu helfen, das ist die neue Situation. Jetzt ist die Frage, ob wir diese Situation weiter verschlechtern, denn man will weitere und weitere Sanktionen in Brüssel einführen. Einmal hat man uns schon betrogen. Ich versuche jetzt eleganter zu formulieren, doch die Wahrheit ist, dass man in Brüssel die europäischen Menschen belogen hat, denn man hatte gesagt, man werde die Sanktionen nicht auf die Energie ausweiten, dann hat man sie dennoch ausgeweitet; sie sagten, mit den Sanktionen könnte man dem Krieg ein Ende setzen. Der Krieg zieht sich dahin, es gibt heute niemanden, der mit einem raschen Abschluss rechnen würde, die Preise aber sind im Himmel und das quält die Menschen, und die Spekulanten reiben sich die Hände.
Es ist übrigens interessant, was Sie gesagt haben, dass von Brüssel die Kommunikation war, man müsse die Sanktionen ausweiten und kontinuierlich weitere und weitere verhängen, weil das dem Krieg ein Ende bereiten werde. Experten vermissten, bereits als sie über die Energiesanktionen zu sprechen begannen, Studien über die Auswirkungen. Haben Sie eventuell auf der Sitzung der Staats- und Regierungsoberhäupter Berechnungen darüber gesehen, wem dies in welchem Maß wehtun wird?
So etwas haben wir nicht gesehen, doch ist die Wahrheit, dass sie mich so sehr auch nicht interessiert haben, denn ich habe den Zusammenhang deutlich gesehen, dass wenn wir die Frage in den Raum stellen, ob wir Sanktionen über das Gas verhängen und tatsächlich welche über das Öl verhängen, dann wird dies eine einzige Auswirkung haben, dazu muss man kein Atomwissenschaftler sein. Und diese ist, dass die Preise, die Energiepreise innerhalb von Augenblicken zu steigen beginnen. In solchen Momenten bewegt sich ein jeder. Die Händler sehen eine neue Möglichkeit, die Verkäufer passen sich dem an, ob mehr oder weniger gefördert wird, in solchen Momenten bewegt sich also ein jeder. Und da hier große Summen in Bewegung sind, die Energiefirmen also die mit dem höchsten Profit der Welt arbeitenden Firmen sind, hier beginnen in solchen Momenten gewaltige Kräfte zu arbeiten, um sich dem von ihnen angenommenen höheren Preis anzupassen und dies treibt an sich schon die Preise in die Höhe. Die Spekulanten, wie ich sagte, hier angefangen mit George Soros, das kann man schon wissen, erlangen als große Aktieninhaber an den Energiefirmen viele Milliarden an Extraprofit, die Kasse klingelt, und sie sammeln das Geld ein. Ich habe auch deshalb keine gründlicheren Wirkungsstudien für nötig erachtet, da wir nicht für die Sanktionen gestimmt haben. Diese sollen die Sorge jener sein, die für sie gestimmt haben. Wir haben nicht für sie gestimmt, sondern wir haben eine Ausnahme erkämpft, eine Befreiung auch erhalten. Also zum Glück, wenn es nicht so wäre, dass Ungarn die Ausnahme erkämpft hat, dann wäre die Lage viel schlechter in Ungarn. Dann wären wir nicht wegen der Preise empört, die ziemlich viel Kopfschmerzen bereiten, sondern dann wäre das Problem, dass es auch keine Energie gibt. Aber Ungarn hat, dass es eine Befreiung bekommen hat, Energie, und der Preis ist der des Weltmarktes, und an den müssen wir uns anpassen. Wir können uns keinen gesonderten ungarischen Preis in einer Welt der Wirtschaft ausdenken, in der der Preis der Energie in Europa im Wesentlichen überall einheitlich ist, da wir uns auf einem einheitlichen gemeinsamen Markt befinden. Was wir sofort auch ohne Berechnungen gewusst haben: Als ich sah, dass die Deutschen die Seiten wechseln und die Brüsseler Bürokraten die Sanktionen durchdrücken, war klar, dass wegen der Energiepreise auch die Preise der Lebensmittel ansteigen werden. Denn zum Kunstdünger ist ja Gas notwendig, der Transport besitzt Kosten, und auch die Lebensmittelherstellung besitzt einen Energiebedarf, und ich wusste, daraus wird ein sich verschnellernder Inflationspreisanstieg, und in der Zwischenzeit waren wir hier zu Hause auch noch von der Dürre betroffen, diese neue Situation quält also die Landwirte und die Lebensmittelindustrie, und uns dann – da sie dadurch gequält werden –, uns quält das auch als Käufer in den Geschäften. Deshalb musste der Lebensmittelpreisstopp eingeführt werden. Das haben wir gleich zu Beginn gesehen, dass wir gezwungen sein werden, uns mit solchen Schritten zu verteidigen.
Wir sprechen gleich auch über die Situation hier zu Hause, doch wenn wir noch ein bisschen über die europäische Wirtschaftslage sprechen: Ende Juli, im Laufe unseres letzten Gesprächs sagten Sie, Sie halten den Oktober für die Wasserscheide, wenn sich herausstellen wird, ob die europäische Wirtschaft in eine Kriegswirtschaft hineinschliddert. Morgen haben wir den 1. Oktober und Brüssel hat an der Sanktionspolitik nichts verändert und auch der Krieg scheint sich nicht – so wie Sie darauf verwiesen haben – seinem Ende zu nähern. Wie sehen Sie die Dinge jetzt?
Ich sehe es so, auch in unserem Metier, der Politik, kommt es vor, dass die Entscheidungsträger Fehler machen. Es gibt auch so etwas, wie das, was jetzt in Brüssel geschehen ist, dass sie die europäischen Menschen belogen haben, weil sie nicht das taten, wozu sie sich verpflichtet hatten, und es nicht die Folge der Maßnahmen wurde, was sie als solche gedacht hatten, also als Auswirkung der Maßnahmen. Doch diese Dinge kann man korrigieren. Natürlich gibt es in der Politik Fehler, die man nicht korrigieren kann, jetzt wo ich nachdenke, ist zum Beispiel die Migration so einer, denn wenn Du sie einmal hereingelassen hast, kannst Du sie nicht mehr hinaustun, doch ist das die Ausnahme. Die meisten politischen schlechten Entscheidungen sind korrigierbar. So eine ist auch die Entscheidung über die Sanktionen. Diese kann man korrigieren. Und deshalb ist es wichtig, dass wir eine Stimme haben, nicht nur weil wir zornig sind, dass man uns betrogen hat – und in solchen Momenten ist es gut, wenn man seinen Zorn artikuliert, weil das die Entscheidungsträger von den nächsten ähnlichen Dingen abhält –, sondern wir müssen unsere Meinung auch deshalb zum Ausdruck bringen, weil wenn man die Sanktionspolitik nicht ändert, dann wird sich jener Sanktionsaufpreis, den wir heute zahlen und der eine vorübergehende Sache ist, in die Wirtschaft integrieren und hier langfristig mit uns bleiben. Dann reden wir also nicht davon, dass es noch einige Monate oder Jahre so sein wird, dass die Energiepreise hoch sind. Wenn wir also nicht protestieren, wenn wir nicht erreichen, dass man in Brüssel die Sanktionspolitik modifiziert, dann baut sich dieser Aufpreis, den wir für die Energie zahlen, den die Menschen für die Energie zahlen, in die Wirtschaft ein, und von da an wird dies in den folgenden fünf bis zehn Jahren Teil unseres Lebens werden. Deshalb habe ich gesagt, dass der Oktober die Wasserscheide sein wird, denn dann muss klargestellt werden, dass wir dies nicht wollen. Jetzt wird es in Prag in einer Woche ein Gipfeltreffen geben, auf dem bereits die europäischen Ministerpräsidenten über diese Frage reden. Und es ist die Natur der Sanktionen, dass man sie nicht für eine unbestimmte Zeit einführt, sondern immer für sechs Monate, man muss sie also alle sechs Monate erneuern. Das wird nicht jetzt sein, sondern irgendwann im Laufe der vor uns stehenden Monate. Und dann, wenn man die Sanktionen erneuern muss, werden die Brüsseler Politiker die Möglichkeit haben, ihre Fehler einzusehen, und ihre eigenen früheren Entscheidungen sie einer Revision, also einer Überprüfung zu unterziehen.
Sie haben darauf hingewiesen, dass sich dieser Kriegsaufpreis in den Alltag und in die Alltagspreise integriert, und tatsächlich hat die Regierung unlängst die Verlängerung des Benzinpreis-, des Lebensmittelpreis- und des Zinsstopps beschlossen. Demnach sind Sie der Ansicht, dass diese Maßnahmen sich bewährt haben? Denn die Kritiker haben ja noch bei deren Einführung vor dem Krieg damit argumentiert, dass diese nicht aufrechtzuerhalten sind, doch inzwischen ist doch langsam ein Jahr vergangen.
In solchen Momenten haben die Regierung und ich persönlich zwei Dinge zu tun. Die erste Sache ist es, alles zu unternehmen, damit es in Ungarn Energie gibt. Darum haben wir ja die Befreiung von der Sanktionsentscheidung erkämpft und deshalb haben wir unsere Verhandlungen über den Einkauf verschnellert und sehr viel Geld im Interesse dessen mobilisiert, damit wir Energie einspeichern, in erster Linie Gas. Heute ist es die Situation, und deshalb kann ein jeder hinsichtlich der Versorgung ruhig sein, dass Ungarn in der Lage ist, wenn ab morgen Früh kein Tropfen, nicht einmal ein Molekül über die Gasleitungen käme, auch dann würde über viereinhalb bis fünf Monate die ungarische Wirtschaft so funktionieren wie jetzt, wir würden das nicht spüren, weil wir eingespeichert haben. Ich habe also das Gefühl, dass es gelungen ist, die erste Aufgabe zu lösen. Die zweite Aufgabe ist es, die Familien zu schützen, denn inzwischen sind die Preise zu Preisen von europäischem Niveau geworden; wir befinden uns auf einem einheitlichen Markt, deshalb steigen sie auch in Ungarn, doch verdienen die ungarischen Menschen nicht so viel, um dies erwirtschaften zu können, deshalb muss man sie schützen. Man muss die Familien schützen und man muss auch die Unternehmen schützen, damit die Menschen einen Arbeitsplatz haben, weil ansonsten die Unternehmen schließen, es keine Arbeitsplätze gibt. Nun, was den Schutz der Familien angeht, dort nutzen wir viele Instrumente. Es gibt den Schutz der Nebenkosten. Man kann es sich nur sehr schwer vorstellen, aber ich sage es immer: Im Durchschnitt erhält eine Familie 181 tausend Forint monatlich in Form der gesenkten Nebenkostenpreise. Wenn also die Regierung nicht diese Politik verfolgen würde, dann würden die Familien durchschnittlich monatlich um 181 tausend Forint mehr zahlen. Was gibt es im Westen? Auch dort versucht man zu helfen, aber, sagen wir, wir geben 30 Prozent des Durchschnittseinkommens als Unterstützung, das beträgt bei den Deutschen vielleicht 20 und bei den Österreichern 6 Prozent. Wir stehen in Europa also weit an erster Stelle hinsichtlich des den Familien gebotenen Schutzsystems, hinsichtlich des finanziellen Schutzsystems. Dies hält das ungarische Budget vorerst aus. Für dieses Jahr kann ich es mit Sicherheit sagen, dass wir es auch erwirtschaftet haben und ich habe begründete Hoffnung, dass wir dieses System auch in dem kommenden, dem 2023-er Jahr werden aufrechterhalten können, doch dafür wird man noch sehr viel arbeiten müssen. Dann haben wir das Brennholzprogramm gestartet, das Braunkohleprogramm gestartet, den Treibstoffpreisstopp, den Lebensmittelpreisstopp und auch den Zinsstopp eingeführt. Das ist das System, mit dem wir die Familien schützen. Die Schwierigkeiten der Unternehmen vervielfachen sich jetzt, deshalb haben wir jetzt ein Programm für Klein- und mittlere Unternehmen der Summe von 200 Milliarden – das ist sehr viel Geld – gestartet, um ihnen helfen zu können. Auch große Fabriken, große Fabriken in ungarischem Besitz sind in Problemen. Wenn sie aus der internationalen Versorgungskette fallen, wird sofort jemand anderes an ihre Stelle treten, es ist also unser Interesse, die ungarischen Fabriken innerhalb des Systems der internationalen Arbeitsteilung zu behalten. Dazu benötigen wir Hilfe, deshalb wird es auch ein Programm zur Rettung von Fabriken geben, das gilt für größere Firmen und größere Arbeitgeber. Und wenn die Arbeitslosigkeit wegen der in der Welt der Unternehmen auftretenden Störungen ansteigen sollte – wir wissen nicht, ob dies so sein wird, doch ausschließen kann man dies überhaupt nicht –, dann muss man sofort einen Aktionsplan zum Schutz der Arbeitsplätze starten, woran die Arbeiten ebenfalls im Gang sind. Das ist es, was man in dieser Situation tun kann.
Wie kann man aus der Perspektive des Staatshaushaltes und auch für die Firmen planen, denn das eine Problem ist ja, dass die Energiepreise hoch sind, aber sie sind auch hektisch. Ich habe mir zum Beispiel in den vergangenen beiden Tagen den Gaspreis an der niederländischen Gasbörse angesehen, vorgestern betrug er 207 Euro, dann gestern nur noch 187, doch praktisch beschreibt der Preis so einen Zickzackkurs.
Wir versuchen mit den Lieferern Zahlungsmodalitäten zu vereinbaren – das ist die der MVM zugeteilte Aufgabe, das ist eine energetische Firma, die Ungarischen Elektrizitätswerke, sie kaufen den Großteil der nach Ungarn kommenden Energie –, wir haben sie angewiesen, flexible Zahlungsmodalitäten zu finden, die sich diesem sich rasch verändernden Preisniveau anpassen. Auf der Ebene des Budgets ist es jetzt beinahe unmöglich zu planen, deshalb sind wir lieber vorsichtig, wir zahlen auch im Oktober die Löhne, und was unbedingt gezahlt werden muss, doch das restliche Geld behalten wir ein. Bis zum Ende des Oktobers werde ich es vielleicht sehen, sieht es der Finanzminister, wie sich die Zahlen des Budgets gestalten, meiner Ansicht nach werden wir innerhalb des Maßes jenes Defizits bleiben, das wir uns vorgenommen hatten. Was eine schwierigere Sache ist, das ist das nächste Jahr, denn zum Abschluss dieses Jahres muss man drei Monate vorausschauen, aber für das nächste Jahr noch plus 12 Monate. Da ist die Situation schwierig. Wir sind auch darin verblieben, dass wir das Haushaltsgesetz jetzt auch so belassen, wie es ist, jenes für das Jahr 2023 lassen wir so, wie es ist, und Anfang Dezember setzen wir uns hin und hoffen, dass man dann schon klarer, deutlicher vorausblicken kann, und im Dezember werden wir die Modifikationen an dem Haushalt des nächsten Jahres vornehmen, die die Schwankungen der Energiepreise erfordern.
Wie reden viel darüber, dass wenn es negative weltwirtschaftliche Prozesse gibt und vor allem Inflationsauswirkungen, denen besonders die Rentner ausgesetzt sind. Worauf können sie seitens der Regierung hoffen?
In dieser unsicheren Lage gibt es einige Fixpunkte. Der eine ist die Lage der Rentner. Das ist auch politisch eine wichtige Sache, oder ich würde so formulieren: in moralischer Hinsicht. Denn 2010 hatten wir eine Vereinbarung mit den Rentnern getroffen. Wenn wir uns erinnern, es war vor zwölf Jahren, doch 2010 litten die Rentner darunter, dass der Wert der Renten kontinuierlich abnahm. Man hatte ihnen die dreizehnte Monatsrente genommen und den Wertverlust durch den Preisanstieg nicht kompensiert. Und 2010, als wir die Wahlen gewonnen hatten, haben wir die Vereinbarung mit den Rentnern getroffen, dass diese Regierung, diese bürgerliche nationale Regierung es den Rentnern garantiert, dass sie den Wert der Renten verteidigt. Da die Wirtschaft in den vergangenen zehn und einigen Jahren gute Leistungen erbracht hat und meiner Ansicht nach auch die Regierung eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik verfolgt hat, gelang es, so viel Geld zu erwirtschaften, um nicht nur den Wert der Renten zu schützen, sondern auch die dreizehnte Monatsrente zurückzugeben, wir konnten sie also auch erhöhen. Und ich werde dieses Versprechen von mir einhalten. Das ist eine Vereinbarung, ich betrachte sie als eine Sache der Ehre, die Rentner werden also die dreizehnte Monatsrente im kommenden Jahr auf die Weise erhalten, wie sie sie in diesem Jahr erhalten haben, und wir behalten die der Inflation folgende Rentenerhöhung bei, wie also die Inflation hochgeht, erhöhen wir dementsprechend die Renten. Wenn wir sehen, wie sich die Inflation gestaltet, werden wir bereits in der Mitte des Jahres erhöhen. Das ist auch jetzt im Juli geschehen, und wenn es nicht voraussehbar oder das Maß der Inflation geringer sein sollte, dann korrigieren wir immer im November die Renten. Ich füge noch hinzu, dass wenn die Inflation niedriger sein sollte, als wie wir es erwarten, dann nehmen wir von den Renten nichts zurück, doch wenn sie höher ist, dann geben wir dies immer den Rentnern. Ja, wir geben es im Übrigen nicht nur jenem Kreis, dem es laut Gesetz zusteht, sondern geben es einem breiteren Kreis, auch jenen Menschen, die eine rentenartige Versorgung erhalten. Dies bedeutet noch 400 tausend Menschen über die mehr als 2 Millionen Rentner, die ohne eine gesetzliche Verpflichtung jenes Geld erhalten, das wir bei solchen Anlässen den Rentnern geben. Es wird also eine der Inflation folgende Erhöhung geben und wir haben auch eine solche Regel – frei nach dem wie es im Lied heißt: „wir weinen gemeinsam, wir lachen gemeinsam“ –, dass wenn das Wachstum auf nationalwirtschaftlicher Ebene die 3,5 Prozent überschreitet, dann geben wir den Rentnern auch noch danach eine Summe. Meiner Ansicht nach wird dies heuer, obwohl es hierüber Diskussionen gibt, aber dieses Jahr wird dies eintreten. Nach der Ansicht der Nationalbank werden wir ein Wachstum von 4 Prozent haben, dementsprechend werden die Rentner über die Inflationsergänzung hinaus auch noch eine Rentenprämie erhalten, und auch die rentenartige Versorgung erhaltenden plus 400 tausend Menschen bekommen die Rentenprämie. Das ist der Plan jetzt, diese Beschlüsse haben wir bereits gefasst.
Wenn Sie schon „wir weinen gemeinsam, wir lachen gemeinsam“ erwähnt haben, da ergibt sich die Frage, ob die Regierung auf die ungarische Linke rechnen kann in der Auseinandersetzung im Zusammenhang mit den Sanktionen oder bei den heimischen Anstrengungen? Ich frage dies, da ja unlängst sich eine Angelegenheit in der Wahlkampffinanzierung herausgestellt hat, die sie selbst zugegeben haben, dass sie in Milliardenhöhe Unterstützung aus Amerika erhalten haben. Hat dies Ihrer Ansicht nach irgendeine Wirkung darauf, wie sie sich zu diesen Fragen stellen?
Das bereitet Schwierigkeiten. Meiner Ansicht nach können dies auch Zuhörer und Menschen, die sich nicht mit der Politik beschäftigen, leicht einsehen. Es ist also schwierig, mit Menschen zusammenzuarbeiten, über die man weiß, dass sie nicht Herr ihres eigenen Willens sind, sondern aus der Partitur von jemand anderem spielen. Also auf die Weise mit jemandem zu kooperieren, dass Du weißt, man hat Deinen Partner oder Deinen Verhandlungspartner gekauft und es gibt dort im Hintergrund jemanden, und Du müssest gar nicht mit ihm Gespräche führen, sondern mit dem Menschen im Hintergrund, denn er wird sowieso entscheiden, was sein wird, also so kann man nur sehr schwer mit jemandem kooperieren. Das ist auch im Privatleben schwer, ist auch im Geschäftsleben schwer und auch im politischen Leben. Deshalb wäre es ein Fehler, wenn die Regierung und das Land ihre Politik auf die Kooperation mit der Opposition aufbauen würden, denn sie sind ganz einfach nicht die Herren ihrer selbst, sie werden von Amerika aus finanziert: Wer zahlt, der bestellt das Lied. Damit müssen wir zusammenleben, jetzt haben wir so eine Opposition.
Sprechen wir am Ende des Interviews über noch ein Thema, das in den vergangenen Wochen ein großes Echo ausgelöst hat. Das ist die so genannte Herztonverordnung des Innenministers. Dies bedeutet auch, dass sich die gesetzliche Regelung der Abtreibung in Ungarn strenger wird? Denn hier geht es ja darum, dass eine einen Schwangerschaftsabbruch planende Mutter vor der Abtreibung sich den Herzton des eigenen Kindes anhören muss.
In Ungarn regelt das Gesetz die Abtreibung. Dieses Gesetz hat das ungarische Parlament vor ziemlich langer Zeit formuliert. Meiner Ansicht nach hat dies die im Zusammenhang mit der Abtreibung immer heftigen Diskussionen an einen Ruhepunkt ankommen lassen. Es gibt kein vollkommenes Abtreibungsgesetz, doch ist das eine Regel, mit der die ungarische Gesellschaft zusammenleben kann, deshalb wäre es ein Fehler, dieses Gesetz zu verändern. Ich lehne also strikt jedwede Modifizierung des Abtreibungsgesetzes ab, ich argumentiere für die Beibehaltung des gegenwärtigen Systems. Hinzu kommt noch, dass dies nicht die Angelegenheit ist, mit der wir uns jetzt beschäftigen müssen, denn es gibt Sanktionen, es gibt Krieg, die Energiepreise sind im Himmel, da haben wir diese Dollarlinke im Rücken, unter solchen Umständen muss man sich also nicht mit dieser Frage beschäftigen. Aber selbst wenn wir uns mit ihr beschäftigen würden, käme dann die Regierung zu dem Standpunkt, dass sie keine Modifizierung des Abtreibungsgesetzes plant, ich halte das auch nicht für vorstellbar.
Über die Brüsseler Sanktionen, deren Auswirklungen und auch über die über diese initiierte Nationale Konsultation befragte ich in der vergangenen halben Stunde Ministerpräsident Viktor Orbán.