Viktor Orbáns Interview in der Sendung „Guten Morgen Ungarn!” von Radio Kossuth
13. Januar 2023

Zsolt Törőcsik: Das vergangene Jahr war in vielerlei Hinsicht ein schwieriges Jahr, denn kaum dass die Welt aus dem durch die Corona-Epidemie verursachten Schock zu sich gekommen war, brach schon der russisch-ukrainische Krieg aus, der eine Vielzahl von Sicherheits- und wirtschaftlichen Herausforderungen an Europa und so auch an Ungarn mit sich brachte. Dabei hat auch der Migrationsdruck an unseren Südgrenzen erneut zugenommen, der diesmal selbst mit der Ankunft des Winters nicht nachgab. Ministerpräsident Viktor Orbán ist zu Gast in unserem Studio. Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen!

Guten Morgen!

Bevor wir uns aber über diese Dinge unterhalten würden, beginnen wir mit einer frischen Nachricht, denn in der Nacht ist es in Budapest zu einem Polizistenmord gekommen. Der Täter hat drei Polizisten gestochen, bevor ein vierter von ihnen den flüchtenden Täter niedergeschossen hatte. Und die Verletzungen des einen Polizisten waren so schwerwiegend, dass er an ihnen verstarb. Was kann man über diesen Vorfall wissen?

Jetzt können wir zunächst so viel sagen, dass wir der Familie und den Familienmitgliedern des ermordeten Polizisten unser Mitgefühl aussprechen. Wir werden selbstverständlich für sie Sorge tragen. Auch hieraus ist ersichtlich, dass die Polizeiarbeit doch ein gefährlicher Dienst ist. Wir müssen unsere Polizisten wertschätzen, man muss sie anerkennen und auch schützen, so gut das geht. Eine gute Nachricht ist auch, dass der Täter gefasst worden ist. Man freut sich nicht, wenn man hört, die Polizisten hätten von ihrer Waffe Gebrauch gemacht, doch ist es zugleich eine gute Nachricht, dass sie sie gebrauchen, wenn es nötig ist. Und so können sie letztlich im Interesse unserer Sicherheit solche gefährlichen Menschen aus dem Alltagsleben ausschalten. Vielleicht wird man später darüber reden müssen, denn jetzt stehen wir noch unter der Schockwirkung des Verlustes des Polizisten, doch bedenken wir: Dies erschüttert uns. Das ist so, da dies kein alltäglicher Vorfall ist. Budapest ist also eine Stadt, in der Mord, besonders ein Polizistenmord bei weitem kein alltägliches Ereignis ist, sondern äußerst selten vorkommt. Das ist doch etwas, woran wir nicht gewöhnt sind, deshalb schockiert es und erschüttert uns auch. Dies bedeutet, dass unsere Polizisten ihre Arbeit gut verrichten, wenn wir in Ungarn bei so einem Vorfall nicht mit der Achsel zucken, nicht sagen: „Auch gestern haben wir so etwas gehört“ oder „so etwas kommt vor“ und „in einzelnen Stadtvierteln ist in zahlreichen westeuropäischen Ländern dies beinahe schon die Alltagspraxis“, sondern wir fragen: „Mein Gott, was ist geschehen?“ Dies erinnert uns daran, dass unser Leben doch sicher ist, gerade ein Verbrechen erinnert uns daran, dass in Wirklichkeit unser Leben sicher ist. Das ist ein hoher Wert, man muss ihn zu schätzen wissen.

Vor allem in der heutigen Welt muss man das zu schätzen wissen, denn wie ich das ja auch einleitend erwähnt habe, wissen wir mit dem vergangenen Jahr ein in vielerlei Hinsicht abwechslungsreiches Jahr hinter uns, in dem nicht der Sicherheit die Hauptrolle zukam. Wie sehen Sie es: War 2022 ein Wendepunkt hinsichtlich der uns bekannten wirtschaftlichen und Sicherheitsweltordnung?

Der zeitliche Abstand ist noch zu gering, um sich derart mutig hierzu zu äußern, so wie Sie mich jetzt dazu ermuntern. Es könnte als Großspurigkeit erscheinen, wenn man aus der Distanz einiger Monate über das vorausgegangene Jahr sagte, es sei historisch so oder so gewesen, doch können wir das nicht ausschließen, was Sie sagen. Wir können es nicht ausschließen, dass tatsächlich 2022 das Jahr war, welches deutlich anzeigt, dass sich etwas in der Welt geändert hat und auch in unserem Leben, und wir haben – ganz Europa, nicht nur Ungarn – das Zeitalter der Gefahren betreten. Man konnte in der Zeit der Pandemie 2020 denken, dass manchmal weltumspannende Epidemien ausbrechen, doch ist das keine epochale Sache, sondern sie läuft ab, so wie sie auch innerhalb von ein bis anderthalb Jahren abgelaufen ist, besonders wenn die Fachleute des Gesundheitswesens so gut arbeiten, wie sie es in Ungarn getan haben. Doch jetzt kam nach der Pandemie der Krieg, nach dem Krieg die Energiekrise, schlechte Sanktionen, infolge dieser kam die hohe Inflation. Die Migration nimmt in der Zwischenzeit kontinuierlich zu, der Druck an unseren Grenzen ist jetzt schon im Großen und Ganzen so groß, wie er zur Zeit der großen, der 2015-er Migrationsinvasion gewesen war. Diese Dinge summieren sich also, der Krieg zieht sich offensichtlich in die Länge, er wird immer blutiger. Es kann also sein, dass sich aus der Distanz einiger Jahre herausstellen wird, 2022 war das Jahr, in dem wir Europäer das Zeitalter der Gefahren betreten haben.

Was kann Ungarn in dieser Situation tun? Oder wie könnte sich dies auf seine Zukunft langfristig auswirken? Denn im geographischen Sinn und den sicherlich hieraus entspringenden kulturellen und gesellschaftlichen Bezügen befinden wir uns hier zwischen den beiden großen Blöcken. Das ist offensichtlich in Friedenszeiten gut, denn wir verstehen beide Parteien vielleicht besser als sie beide einander, doch in solchen Momenten, in denen es keinen Dialog gibt, kann dies Gefahren in sich tragen oder muss es erneut um die Möglichkeiten gehen?

Ja. Meiner Ansicht nach müssen wir zuerst jene Frage klären bzw. müssen die Ungarn innerlich für sich selbst klären, wie sie sich zur Gefahr selbst stellen, und man kann sich zu ihr auf zwei Weisen stellen. Das ist im Leben der Privatmenschen ebenso wahr wie im Leben der Nation oder des Staates. Die erste Sache ist es, wenn man sich wie ein Igel verhält. Man rollt sich zusammen, die Stacheln werden nach außen gekehrt und man antwortet auf die Gefahr mit Verteidigung. Das ist ein sinnvolles Verhalten, denn in der Zeit der Gefahren muss man sich verteidigen. Doch ist es zugleich auch eine sich selbst gefährdende Strategie, denn sie lähmt. Also du wendest deinen Pelz nach außen, deine Stacheln stehen nach außen, aber du bewegst dich nicht. Meiner Ansicht nach ist dies in der Politik ein sehr großer Fehler. Ich sehe Länder und ihre politischen Führer, die auf diese Weise reagieren: Sie erstarren. Am wichtigsten ist meiner Ansicht nach für die Ungarn, dass man tätig reagieren muss, aktiv auf die Krise reagieren muss, wie es die ungarische Sprache sagt: Wir lassen es nicht mit uns geschehen. Es mag also Gefahren geben, doch Ungarn lässt es nicht mit sich geschehen. 2022 war aus dem Grund ein wichtiges Jahr, für meine Gefühle im Übrigen ein geschätztes Jahr – sicherlich wird man auch durch das Wahlergebnis in seinen Gefühlen beeinflusst –, denn Ungarn hat auf alle Gefahren aktiv reagiert. Wir haben gehandelt, wir haben es nicht mit uns geschehen lassen, Ungarn lässt es nicht mit sich geschehen. Es mag sein, dass es Blöcke geben wird, wie Sie es sagen, der Krieg sich hinzieht, hier ist dieses verflixte Sanktionssystem, das die Inflation und die Energiepreise in den Himmel treibt, doch wir erstarren nicht, wir wollen es nicht vermeiden, wir wollen es nicht hinter uns bringen, sondern wir bauen Verteidigungsstellungen aus, ziehen Verteidigungslinien hoch, wir antworten. Wir haben den Fonds zum Schutz der Nebenkosten eingeführt. Zweifelsohne ist wahr, dass die ganze Welt wegen der verfehlten EU-Sanktionen einen Energieaufpreis zahlen muss, und Ungarn, sagen wir, hat 2021 für die importierte Energie, denn die ungarische Energie, die wir verbrauchen, stammt zum Großteil aus dem Ausland, sagen wir, 7 Milliarden Euro gezahlt und 2022 waren es 17 Milliarden, doch haben wir nicht gesagt: „Leute, das ist nun einmal die Situation, ein jeder soll mehr Geld hervornehmen und schaut, dass Ihr überlebt.“ Das haben wir nicht gesagt. Die ungarische Regierung sagte: „Halten wir zusammen, stellen wir gemeinsam einen Fonds zum Schutz der Nebenkosten auf. Von dort, wo ein Extraprofit entsteht – Bankensektor, Energiesektor und noch einige andere, der Handel usw. –, sollen wir Geld einsammeln, das in den Fonds zur Verteidigung der Nebenkosten einzahlen und von dort aus die gesenkten Nebenkostenpreise verteidigen, schützen wir die Familien zumindest bis zum Niveau des Durchschnittsverbrauchs.“ Das ist eine aktive Antwort auf eine Gefahr. Das ist also das Wesentliche der Sache. Und ich erwarte von Ungarn, von uns selbst, aber besonders von der Regierung, dass im Jahr 2023, in dem es weitere Gefahren geben wird, die alten bleiben auch, und es wird auch neuere Gefahren geben, dass wenn diese eintreten, diesen Übeln mit dieser Einstellung entgegengetreten wird. Wir sollten doch nicht vergessen, wenn wir dies in eine für uns alle verständliche Sprache übersetzen, dass Ungarn die gestiegenen Energiepreise nicht einfach, wie beinahe überall in den meisten Ländern, an die Menschen weitergegeben hat, sondern wir einen Fonds zum Schutz der Nebenkosten aufgestellt und die gesenkten Nebenkosten verteidigt haben – dadurch hat jede einzelne ungarische Familie monatlich 181 tausend Forint erhalten. Was den Menschen natürlich nicht auffällt, weil nicht der Briefträger die 181 tausend Forint gebracht und übergeben hat – doch ist auch niemand gekommen, um sie mitzunehmen. Und deshalb haben wir nicht zugelassen, dass Millionen von Familien kaputtgehen. Wie viele ungarische Familien wären kaputtgegangen, wenn wir das befolgt hätten, was die liberalen Ökonomen und die ungarische Linke sagen, dass unsere Politik der Nebenkosten irrational sei, die Senkung der Nebenkosten irrational sei, man dies nicht aushalten könne, man müsse die Preise auf die Menschen loslassen? Wenn wir das getan hätten, wären meiner Ansicht nach in Ungarn mindestens eine Million Familien, die ärmeren alle kaputtgegangen. Man muss sich also verteidigen. Die richtige Antwort auf die Gefahr ist: die aktive, handelnde Verteidigung.

Wir sprechen dann noch über die Lage der ungarischen Wirtschaft, doch hat auch die Europäische Union auf die Gefahr eine aktive Antwort gegeben, das war im Laufe von 2022 die Sanktionspolitik. Es ist interessant, dass Guy Verhofstadt, Mitglied der liberalen Fraktion des EP dieser Tage geschrieben hat, neun Sanktionspakete und ihre Wirkung ist geringer als Null. Und immer mehr Leute stimmen diesem Standpunkt zu. Eine Diskussion besteht eher darin, ob die Sanktionen gesteigert oder lieber aufgehoben werden sollen. Wie sehen Sie es, an welchen Punkt ist diese Diskussion derzeit angelangt?

Wenn das geschehen würde, was ich persönlich mir wünsche und was meiner Ansicht nach zugleich auch das Interesse Ungarns wäre, dass endlich jemand kommt, der mutig genug ist, einen starken Bizeps und breite Schultern besitzt und sagt: „Leute, das haben wir vergeigt!“ – das kann die ungarische Sprache auf volkstümliche Weise plastischer ausdrücken –, „Und wir sollten damit jetzt aufhören, denn daraus wird es noch ein großes Übel geben.“ Und wenn wir die Sanktionen einstellen würden, dann würden die Preise für die Energie innerhalb von Augenblicken runtergehen und mit ihnen das allgemeine Preisniveau, d.h. auch die Inflation würde sich sofort halbieren. Das Maß der Inflation würde also mindestens um die Hälfte, vielleicht aber auch noch in einem größeren Maß zurückgehen. Dazu muss man ganz einfach eine politische Entscheidung in Brüssel fällen. Doch sehe ich jenen Menschen nicht, der einen so großen Bizeps und so breite Schultern besitzt. Denn Mut gibt es, da sind z.B. wir oder da bin ich, nur besitzt das keine Bedeutung, denn damit sich dies ändert, damit diese mutige Meinung auch eine Folge hat, dazu müsste man Deutscher oder Franzose sein, die stark genug sind, um den Standpunkt der gesamten EU zu ändern. Ich kann nur die Schadensverursachung bremsen. Ich gehe also auf die Weise raus nach Brüssel, dass ich die Meinung der großen Staaten nicht wenden kann, die Kraft Ungarns ist dafür zu wenig und folgerichtig ist es auch meine. Ich kann eine Sache tun, ich versuche die Schadensverursachung zu bremsen, indem wir sagen, hieraus wird ein großes Problem erwachsen, und dort, wo wir das Gefühl haben, dass das ungarische nationale Interesse eine grundlegende Verletzung erleidet, da legen wir auch unser Veto ein, da setzen wir uns für Ungarn ein, da geben wir nicht nach, doch können wir die Sanktionspolitik nicht ändern, können sie nicht auf eine andere Bahn lenken. Deshalb glaube ich, dass im kommenden Zeitraum in Ermangelung von Mut und Kraft dieses Herumgeeiere dann in Brüssel sich fortsetzen wird, wir erlassen Sanktionen, über die es sich herausstellt, dass sie nicht funktionieren. Dahinter steckt noch ein Kulturschock, der uns, Ungarn, trifft. Das hängt mit den Deutschen zusammen. Ich bin so aufgewachsen, dass man zu Hause immer sagte: „Die Deutschen, die können es! Der Deutsche ist präzise, das ist ein Ingenieur, der rechnet das aus, der hastet nicht, der weiß, was er macht. Jetzt schaue ich, was sie machen, die Brüsseler Kommission hat eine deutsche Präsidentin, diese Sanktionen sind versemmelt worden, diese sind falsch kalkuliert worden, sie sind aus fachlicher Perspektive nicht durchdacht. Also unser in die Fähigkeit der Deutschen, Krisen zu bewältigen, gesetzter Glaube, mein Glaube, der aus der ingenieursmäßigen Präzision der Deutschen entspringt, hat im vergangenen Zeitraum auch deutlich abgenommen.

In der Zwischenzeit werden die Schäden aber immer größer. Laut einer gestrigen Untersuchung des Eurobarometer können 39 Prozent der Einwohner der Europäischen Union ihre Nebenkostenrechnungen nicht rechtzeitig bezahlen. Die 39 Prozent sind aber doch ein gewaltiger Anteil und es ergibt sich die Frage, vor allem im Lichte des Korruptionsskandals, wessen Interessen Brüssel in Wirklichkeit dient?

Schauen Sie, wenn ich mich mit den anderen europäischen Spitzenpolitikern unterhalte und es sich herausstellt, dass wir in Ungarn ein System des Schutzes der Nebenkosten aufrechterhalten, das von Forint in Euro umgerechnet monatlich etwa 450 Euro jeder Familie gibt, dann glauben sie im ersten Augenblick, falsch gehört zu haben. So etwas ist bei ihnen unvorstellbar, so etwas gibt es nicht! Also dass, sagen wir, jede belgische oder spanische oder französische Familie über die gesenkten Nebenkosten pro Haushalt 450 Euro erhalten soll, das ist dort unmöglich. Sie können sich das nicht einmal vorstellen. Ich verstehe den Grund dafür. Sie können sich das nicht vorstellen, weil es sehr viel kostet. Und damit man so viel Geld auszahlen kann, muss man es zuerst einsammeln. Und dazu muss man stark sein, denn das muss man von jemandem wegnehmen. Man muss es von dem wegnehmen, bei dem die Inflation und das Anwachsen der Energiepreise einen Profit zum Ergebnis gehabt hat. Man muss zu den Energiefirmen hingehen, man muss eine Rechtsvorschrift schaffen und man muss den Extraprofit der Energiefirmen wegnehmen. Das der Banken auf ähnliche Weise. Und zwar auf die Weise, dass man es ihnen verständlich machen muss, dass diese eine vorübergehende Reihe von Maßnahmen ist, sie müssen dies jetzt im Interesse der Gemeinschaft auf sich nehmen. Und im Übrigen – dies sei zu ihren Gunsten gesagt – verstehen sie dies in Ungarn und nehmen es auch auf sich. Doch diese Art der Position der Stärke besteht im Fall der westeuropäischen Regierungen nicht. Sie können jene Summen nicht einsammeln, die sie dann den Menschen über die Senkung der Nebenkosten geben könnten. Hieraus folgt, dass die europäischen Menschen die Geschädigten dieser verfehlten Sanktionspolitik und die Geschädigten dieses Krieges sind. Sicherlich gewinnt Amerika an diesem Krieg, es ist sicher, dass Europa an diesem Krieg verliert, und über die Russen gibt es Diskussionen, ob sie jetzt an der Sache gewinnen oder verlieren, aber so sehr verlieren sie daran nicht, wenn wir zumindest über das Geld reden, denn Menschenleben verlieren sie und das ist wichtiger als jedwedes Geld, aber insgesamt kann man wirtschaftlich mit Sicherheit sagen, dass der einzige, oder zumindest kann man sagen, der größte Verlierer dieses ganzen Konfliktes, der entstanden ist, ist Europa.

Die ungarische Regierung hatte nicht nur im Zusammenhang mit den Sanktionen, sondern auch um die EU-Gelder eine Diskussion mit Brüssel, über die es so schien, als sei sie Ende des vergangenen Jahres an einen Ruhepunkt gelangt. Jedoch hat jetzt im Laufe der Woche die Kommission die Finanzierung der Erasmus-Programme eingestellt. Die erste und wichtigste Frage ist, worauf sich jene Studenten vorbereiten sollen, die im Rahmen dieses Programms im Laufe der kommenden Jahre im Ausland studieren wollten?

Sie sollen sich genauso vorbereiten, wie sie es bisher getan haben, denn sie werden, wenn sie fahren wollten, auch in der Zukunft fahren können. Also sicher ist, dass die ungarischen Studenten keinerlei Schaden erleiden werden. Also Ungarn wird, so wie ich das gesagt habe, es nicht mit sich geschehen lassen. Wir werden nicht zulassen, dass die Studenten den Schaden irgendeiner Brüsseler Entscheidung erleiden werden. Das ist unmöglich! Es soll sich also in Ruhe jeder Student so vorbereiten, wie er das bisher getan hat. Ein Stipendienprogramm wird es geben, wir werden dann mit den Brüsselern darüber übereinkommen, und wenn nicht, dann wird dies der ungarische Haushalt bezahlen, denn die Studenten fahren nicht in den Urlaub, sondern zum Studieren, und das ist aus dem Gesichtspunkt unserer nationalen Gemeinschaft eine Investition in die Zukunft, wenn wir den Studenten ein Stipendium geben, denn sie werden klüger, vorbereiteter und werden nach ihren Studien eine höherwertigere Arbeit im Dienst des Interesses der gesamten Gemeinschaft vollbringen können. Es ist also das nationale Interesse Ungarns, kluge Studenten zu haben, die auch das Ausland kennen, die dort waren, von dort auch Wissen nach Hause mitgebracht haben, wir werden auf diese Ressourcen nicht verzichten, auf die im Talent der Jugendlichen steckenden Ressourcen. Ungarn verzichtet nicht, deshalb wird es Stipendien geben, genauso als wenn Brüssel keinen Mucks von sich gegeben hätte. Das ist eine andere Sache… Ich weiß nicht, haben Sie Familie?

Ja, ja, ich habe auch zwei Kinder.

Also wer Kinder hat, der sagt doch: „Was sind das denn für Menschen? Es kann jetzt sein, dass es eine Diskussion zwischen Ungarn und Brüssel gibt und wir nicht der gleichen Meinung sind, aber was für Menschen sind das, die sich an den Kindern anderer Menschen oder an der jungen Generation rächt? Was ist das denn für eine Sache?“ Solche Menschen gibt es in Brüssel, stellen Sie sich das vor. Sie wollen eine politische Debatte auf die Weise klären, indem sie sich an den ungarischen Jugendlichen rächen. Natürlich werden wir das nicht geschehen lassen.

Aber was steckt im Hintergrund dieser Debatte? Denn es schien so, als ob es unter den Bitten keine Forderung im Zusammenhang damit gegeben hätte, die sich auf das Erasmus-Programm bezogen hätte, und das sagen viele Experten, dass ein ähnliches Fondssystem, System universitärer Fonds auch in westeuropäischen Ländern existiert.

Natürlich, also das, was sie als konkrete Beanstandungen am ungarischen Unterrichtssystem anführen – auch dafür gibt es schöne ungarische volkstümliche Ausdrücke –, das sind also Eseleien, das sind Dummheiten. Dass Politiker im Kuratorium einer Universität sitzen, ist in Westeuropa eine allgemeine Praxis, daran ist nichts Besonderes. Hier handelt es sich offenkundig um doppelte Standards. Hier müssen wir dies in einen allgemeineren Zusammenhang setzen und dann müssen wir auch einen Schritt weg von Erasmus machen, denn hier geht es nicht um den Unterricht. Es geht darum – nur wäre ein ganzer Nachmittag nötig, um dies ausführlich auseinandersetzend darzulegen, denn so mag es auch als eine unüberlegte Beschuldigung erscheinen, doch jetzt bin ich trotzdem gezwungen, dies zu tun –, also sie wollten einen Regierungswechsel. Brüssel besitzt also eine Vorstellung von der Zukunft, diese ist anders als das, was die Ungarn über die Zukunft denken. Sie denken, man müsse Europa verändern, man muss es bunt machen und man muss zuerst die Migranten hereinlassen, weil das gut sei. Und sie lassen sie auch zu Millionen herein. Und wer das nicht macht, wie die Ungarn, weil das unserer Ansicht nach nicht gut ist und wir überhaupt nicht mit Migranten zusammenleben wollen, wir wollen mit uns selbst zusammenleben, wir haben uns dagegen verteidigt, was sie als falsch ansehen. Sie wollen uns dazu zwingen. Doch diese Regierung, die nationale Regierung in Ungarn ist es bisher nicht gelungen, dazu zu zwingen. Wir besitzen eine Vorstellung von der Zukunft, wie man die Kinder erziehen muss. Unserer Ansicht nach ist das unsere Sache, die der Eltern, wir werden dann entscheiden, wie man die Kinder erziehen muss. Sie denken in diesen verworrenen Fragen wie die der Homosexualität, der LGBTQ, der ganzen Frage der sexuellen Identität, sie denken, hier sind zivile gesellschaftliche Bewegungen und diese müssen in der Erziehung der Kinder eine bedeutende Rolle spielen, zeitweilig auch statt der Eltern. Lassen wir sie also in die Schulen hinein. Uns widerstrebt dies, dass zu unseren Kindern solche Menschen sprechen werden, in der Schule und zwar unserer Ansicht nach allen möglichen Blödsinn über das Leben. Wir werden schon mitteilen, mit welchem Wissen es für einen jungen Menschen sich lohnt, in das Leben zu starten. Doch ihrer Ansicht nach ist das nicht richtig, was wir machen. Und drittens wollen sie möglichst viele juristische Zuständigkeiten nach Brüssel bringen, denn sie möchten ein großes europäisches Reich, in dem es nicht Mitgliedsstaaten gibt, sondern eher Provinzen, Gouvernements. Wir aber sind Ungarn, für uns ist die nationale Unabhängigkeit so wie die Luft zum Atmen, wir bestehen auf sie. Jetzt ist dies das Wesen der Diskussion. Sie sagen, da die ungarische Regierung ständig an ihrer eigenen Auffassung und an den ungarischen Interessen festhält, muss man in Ungarn einen Regierungswechsel erreichen. Auch vor den Wahlen wollten sie das. Deshalb haben sie die ungarische Linke gekauft. Deshalb ist die Dollarlinke entstanden. Sie haben die ungarische Linke gekauft, haben ihr Geld gegeben: „Stürzt die Regierung! Gewinnt die Wahlen! Wir helfen euch dabei und ihr vollstreckt danach dann das, worum wir euch aus Brüssel bitten.“ So lautete der Name des Spiels. Nur hat das ungarische Volk anders entschieden. Und Brüssel sah sich damit konfrontiert, dass es einen Regierungswechsel wollte, doch das ungarische Volk wollte etwas anderes. Und was sollen sie jetzt mit dieser Regierung anfangen? Und sie versuchen uns trotzdem unabhängig von den Wahlergebnissen zu zwingen, das zu tun, was man von Brüssel aus für richtig hält. Und jeder Konflikt, der besteht – mit dem Erasmus angefangen –, alle sind in diesem Zusammenhang zu deuten. Und sie dachten, dies sei die, sagen wir es so: die intellektuell, auf versteckte Weise spannendste Dimension dieses Halbjahres, sie dachten, man könne Ungar finanziell in die Ecke drängen. Schauen Sie sich die gekauften Politiker der Linken hier in Ungarn und deren Experten an! Was haben die denn gesagt? Ohne die EU-Gelder würde Ungarn zusammenbrechen, es gäbe Massenarbeitslosigkeit, Armageddon, also hier ist das Ende der Welt… Im Vergleich dazu sind wir hier am Anfang des Januars und das weiß schon jeder Ökonom, dass Ungarn noch nie über so viele finanzielle Rücklagen verfügt hat, wie sie die Regierung in den vergangenen drei Monaten zusammengetragen hat. Unsere finanziellen Rücklagen stehen auf einem historischen Rekordhoch. Zum Teil wegen der Senkung der Nebenkosten, denn die müssen eingesammelt werden, zum Teil haben wir uns auf das Zeitalter der Gefahren, auf aktive Weise auf die schwierigen Zeiten vorbereitet. Und deshalb standen noch nie, seit man eine ungarische Wirtschaftsgeschichte kennt, keine derartigen finanziellen Reserven zur Verfügung. Also nicht nur, dass man Ungarn nicht in die Ecke drängen kann, wir kommen auch ohne sie zurecht. Natürlich kämen wir mit ihnen leichter zurecht, es wäre einfacher, wir kämen auch schneller voran, aber in Brüssel zu glauben, ohne sie würde die Sonne nicht aufgehen, dass wenn der kleine Hahn nicht kräht, dann wird die Sonne nicht aufgehen, das ist ein völliges Missverständnis. Jetzt sehen sie sich damit konfrontiert. Ich glaube, diese Frustration, diese Brüsseler Frustration schlägt sich auch in dieser Erasmus-Angelegenheit nieder, sie schlagen auf unsere Kinder ein, sie wollen auf sie einschlagen, weil sie mit der Regierung auf keinen grünen Zweig kommen können.

Wenn Sie schon die Reserven erwähnt haben, dann sprechen wir darüber, wofür diese reichen. Der Haushalt für 2023 ist ja modifiziert worden und darüber haben wir schon gesprochen, wie die Senkung der Nebenkosten die Bevölkerung auch in diesem Jahr schützt, aber was ist die Situation mit den Unternehmen? Denn der Schlüssel zur Erhaltung der Arbeitsplätze befindet sich ja letztlich doch bei ihnen.

Und das ist am wichtigsten, denn wenn es Arbeit gibt, dann gibt es alles. Also die ungarische Wirtschaftsstrategie, die seit 2010 unter meiner Leitung die jeweiligen Regierungen ausgearbeitet haben, bauen hierauf auf. Und auch mein politisches Credo gründet sich darauf, dass es die primäre Aufgabe unserer Politik in Ungarn ist, ein Wirtschaftssystem auszubilden, in dem ein jeder für sich eine Arbeit findet. Wer arbeiten will, soll arbeiten können. Das ist bisher gelungen. Es arbeiten jetzt um eine Million mehr Menschen als 2010, also als zur Zeit der linken Regierungen gearbeitet haben. Das ist eine gewaltige Zahl. Und selbst wenn 2022 das Jahr der Gefahren war, selbst wenn es verfehlte Sanktionen, selbst wenn es den Sanktionsaufpreis bei der Energie gab – wenn Sie sich die tatsächlichen Wirtschaftsdaten betrachten, dann werden Sie sehen, dass noch niemals so viele Menschen in Ungarn gearbeitet haben als gerade im Jahr 2022. Wenn Sie sich dieses Jahr betrachten, dann werden Sie sehen, dass die Zahl der nach Ungarn kommenden Investitionen, entgegen der Brüsseler Absicht, die uns finanziell in die Ecke drängen wollte, nie so hoch gewesen waren wie gerade 2022. Und ich kann Ihnen mit Sicherheit sagen, dass sie 2023 noch höher liegen werden, wir werden einen erneuten Rekord aufstellen. Die Wahrheit ist, dass die ungarische Wirtschaft grüßen lässt, es geht ihr gut, sie funktioniert gut. Sie verliert keine Arbeitsplätze, es gibt keine Pleitewelle. Es gibt Schwierigkeiten wegen der hohen Energiepreise, das stellt für die Eigentümer und Leiter der Firmen eine ernsthafte Herausforderung dar, man muss ihre Wirtschaftsführung umformen, sie müssen das Profil wechseln, es müssen energiesparende Lösungen eingeführt werden, sie müssen also arbeiten, um die Folgen dieser wirtschaftlichen Situation abzuwehren, doch soweit ich das sehe, sind die ungarischen Kapitaleigentümer und Firmenleiter talentiert und vorbereitet genug, um dies tun zu können. Auch die Regierung leistet Hilfe, denn wir haben unsere die Kleinunternehmen unterstützenden Programme, über das Programm der Széchenyi-Karte besitzen wir ein Kreditprogramm und wir haben auch ein Programm zur Rettung von Fabriken. Wir konsultieren also kontinuierlich, wir kooperieren mit den Akteuren des Wirtschaftslebens, sie signalisieren es, wo der Schuh drückt, wo Hilfe nötig wäre, und wir können jene Entscheidungen ziemlich schnell treffen, mit deren Hilfe sie die Arbeitsplätze behalten können. Ich stelle auch unter den wichtigsten Aufgaben für das Jahr 2023 den Schutz der Arbeitsplätze an die erste Stelle.

Eine Frage ist ja der Arbeitsplatz, die andere Frage ist, welchen Lohn wir für diese Arbeit erhalten. Und in dieser Hinsicht war ja laut einer OECD-Studie in dem ersten Dreivierteljahr, in dem ersten Dreiviertel des vergangenen Jahres Ungarn das einzige Land in der EU, in dem das Maß des Lohnanstiegs die Inflation übertraf. Kann man dies auch in diesem Jahr schaffen? Einerseits, weil wir sehen, dass doch die europäische Wirtschaft vermutlich in eine Rezession verfallen wird und andererseits sehen wir, dass die Inflation in Ungarn doch recht hoch ist.

Über die Löhne entscheidet grundlegend nicht die Regierung. Und das ist auch gut so, denn welcher der Lohn ist, den eine Wirtschaft noch aushält, was das ist, was auch für die Menschen gut ist und die Firmen nicht kaputtmacht, das kann nicht die Regierung entscheiden, sondern die Akteure des Wirtschaftslebens. Deshalb gibt es bei uns ein System, in dem die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer über den Minimallohn übereinkommen, die Regierung genehmigt das nur und verkündet es dann. Und ich möchte auch weiterhin nicht, dass die Regierung diese Zuständigkeit an sich zieht, sondern es zulässt, dass die Akteure des Wirtschaftslebens entscheiden, was noch geht und was nicht. Da wir uns jetzt in einer gefährlichen Periode befinden und die Gefahren keine Rücksicht auf den Kalender nehmen, deshalb denke ich nicht in der Kategorie von 2022 und 2023, sondern gemeinsam in der der beiden Jahre, wir haben also 2022 das Zeitalter der Gefahren betreten, es lohnt sich, zu betrachten, was seit 2022 geschieht. Man muss also auch die 2023-er Zahlen im 2022-er Zusammenhang betrachten. Und das kann ich Ihnen mit Sicherheit sagen, dass den Gesamtzeitraum der Jahre 2022 und 2023 betrachtend, die beiden als einen Zeitraum verbuchend, werden die Löhne in Ungarn auch hinsichtlich ihres tatsächlichen Wertes wachsen, die beiden Jahre zusammengenommen.

Wie sehen Sie all dies summierend, wird das Zurückfallen der Wirtschaft in diesem Jahr vermeidbar sein? Womit man ja in Europa rechnet.

Ich tue das genau umgekehrt, wie ich das vorhin ja auch gesagt habe: Wir sind keine Stachelschweine, sondern aktive Krisenmanager. Die Regierung ist ambitioniert. Dieser Regierung kann man vielerlei vorwerfen, sie ist im Übrigen auch nicht fehlerlos, doch hat man sie einer Sache niemals bezichtigt, dass sie faul wäre oder dass sie abwarten würde oder dass sie verunsichert wäre oder dass sie die Hände in den Schoß legen würde, das ist nicht charakteristisch. Das ist eine handelnde Regierung und deshalb ist sie auch ambitioniert, denn man besitzt ja doch ein Selbstwertgefühl und auch das Land verfügt über ein gemeinsames Selbstwertgefühl, und das Problem der Ungarn besteht immer dann, es verschlimmert sich dann, wenn die Ungarn ihr Selbstwertgefühl irgendwie fallen lassen, es vergessen, und sich auf eine im Vergleich zu sich selbst unwürdige Weise verhalten. Und es ist die Aufgabe der Regierung, ständig vor der gesamten nationalen Gemeinschaft unter Beweis zu stellen, dass das ein seriöses Land ist, zu großen Dingen imstande, deshalb muss man sich ambitionierte Ziele stecken. Und das ist auch 2023 so. Deshalb pflege ich zu sagen, Verzeihung, dass ich mich auf mich selbst berufe, dass während man mit der Krise umgehen muss, geben wir unsere großen nationalen Ziele nicht auf. Wer hiernach z.B. ein Kind auf die Welt bringt und jünger als dreißig Jahre ist, wird eine Steuerbefreiung erhalten. Wir begrenzen also nicht das System der Unterstützung der Familien, sondern erweitern es. Wir engen die Instrumente zum Schutz der Arbeitsplätze nicht ein, sondern erweitern sie usw. Ich bin mir also sicher, dass die ungarische Regierung sich für das Jahr 2023 ambitionierte Ziele setzen muss. Das erste ambitionierte Ziel ist es, die Inflation, deren Maß bis zum Ende des Jahres in den einstelligen Bereich herunterzudrücken. Das habe ich sowohl dem Notenbankpräsidenten als auch dem Finanzminister mitgeteilt, dass dies die Erwartung Ungarns bzw. der Regierung an sie ist. Das ist meiner Ansicht nach möglich und wir haben gute Aussichten, dies auch zu verwirklichen. Das zweite wichtige Ziel ist, dass wir nicht zu den Ländern gehören dürfen, nicht zu den europäischen Ländern, deren Wirtschaftsleistung 2023 geringer sein wird als sie es 2022 war. Das nennt man Rezession. Ungarn muss also auch im Jahr 2023 wachsen. So haben wir auch den Haushalt geplant, für ein Wachstum von 1,5 Prozent. Und darüber sprechen wir selten, aber es ist wichtig, zu erwähnen, dass obwohl es ein Wahljahr war und 2022 auch ein Jahr der Energiekrise, doch haben wir 2022 auch im Vergleich zum Vorjahr das Haushaltsdefizit und auch die Staatsverschuldung verringert. Ambition, Ambition, Ambition!

Über die Sanktionskrise, die Erasmus-Angelegenheit und die Lage der ungarischen Wirtschaft befragte ich in der vergangenen halben Stunde Ministerpräsident Viktor Orbán.