Ich glaube, wenn wir die Entfernung einhalten, dann kann ich die Maske im Interesse der besseren Verstehbarkeit abnehmen.
Ich begrüße recht herzlich Herrn Mateusz Morawiecki, den Ministerpräsidenten Polens in Budapest. Polen zu treffen, ist sowohl in guten als auch in schlechten Zeiten eine hervorragende Sache, also danken wir für den Besuch. Jetzt befinden wir uns gerade zwischen den beiden Zeiten. Wir haben über großartige Dinge gesprochen, denn wir konnten über die Unabhängigkeit und die Souveränität unserer beiden Heimaten sprechen: Wie die Polen und die Ungarn ihre nationalen Werte bewahren und ihre Souveränität aufrechterhalten können, während sie ihre Kraft zu der gemeinsamen Kraft der Europäischen Union hinzufügen. Das ist ein großartiges Thema, eine gute Sache.
Was aber einige Wolken am Himmel hervorgelockt hat, war der Umstand, dass wir in der Zwischenzeit eine sehr große Debatte führen, die zwischen dem Parlament, der Kommission, der Regierungen der Mehrheit der Staaten der Europäischen Union und zwischen uns besteht. Wir können uns alle den Gipfel der Europäischen Union im Juni in Erinnerung rufen, es war eines der längsten und die härteste Debatte zum Ergebnis habenden Wochenenden der Geschichte der EU, auf dem wir zwar die umstrittenen Fragen nicht abschließen konnten, aber uns und der deutschen Präsidentschaft die Chance gegeben hatten, bis zum Ende dieses Jahres zu versuchen, einen Einklang zwischen den verschiedenen Auffassungen der Mitgliedsstaaten hinsichtlich der Krisenbewältigung, des Haushaltes für die kommenden sieben Jahre und der Entwürfe der die Interessen der Finanzen der EU schützenden Rechtsvorschriften herzustellen. Wir mussten feststellen, ich musste im Laufe der heutigen Gespräche feststellen, dass es nicht gelungen ist, diesen Einklang herzustellen.
Der Vorschlag steht auch weiterhin auf der Tagesordnung, der die dringende finanzielle Frage der Bewältigung der Krise unbedingt mit der Debatte über die Rule of Law verbinden will, die heute keine juristische Diskussion mehr ist, sondern eine politische Debatte und Frage. Der Vorschlag, der heute auf dem Tisch liegt, und der die Wirtschaftskrise und die finanziellen Interessen der EU sowie die Fragen der Rule of Law zusammen behandeln will, ist seinem Inhalt nach für Ungarn nicht akzeptabel. Ich konnte auch den polnischen Standpunkt ausführlich kennenlernen, und aufgrund dessen waren wir in der Lage, eine gemeinsame Erklärung herauszugeben, welche Erklärung wir beide unterschrieben haben, und die in einigen Augenblicken im Internet erreichbar sein wird. Ohne weitere lange Ausführungen möchte ich Ihre Aufmerksamkeit nur auf den letzten Satz lenken, den ich nicht nur mit der Ermächtigung der Regierung, sondern auch der größten Regierungspartei und des ungarischen Parlaments unterschrieben habe, und der lautet, dass wir unsere Argumente und unsere Kräfte in dieser Diskussion vereinen werden, und Ungarn keinen Vorschlag akzeptieren wird, der für Polen inakzeptabel wäre. Wir werden also die nächsten Monate auf eine aus der Geschichte nicht unbekannte Weise erneut gemeinsam ausfechten.
Jetzt möchte ich noch zwei Bemerkungen mit Ihnen teilen. Ich sehe, wie die auf uns Druck ausüben wollenden großen Staaten und deren Medien ein Bild zeichnen, als ob das ungarische Veto – über das polnische werden dann die Polen sprechen – irgendeine unangebrachte Sache wäre. Ich möchte klarstellen, dass ein Veto ein legales Instrument ist. Der Grundlagenvertrag der EU gibt uns dieses Recht. Wenn wir ein Veto einlegen, nutzen wir ein Recht, das uns der europäische Grundlagenvertrag zusichert. Man kann dieses Recht in den Fällen nutzen, wenn ein Land das Gefühl hat, im Fall einer Entscheidung würden seine vitalen, fundamentalen, grundlegenden, wesentlichen Interessen verletzt. Für diesen Fall wird diese Möglichkeit eröffnet. Und es ist für mich nicht nur eine Möglichkeit, nicht nur eine durch das europäische Recht gegebene Möglichkeit, sondern einfach auch meine patriotische Pflicht, wenn ich den Eindruck habe, eine Entscheidung beschädigt, verletzt, tangiert die Interessen Ungarns, dann muss ich das verhindern, und das werde ich auch tun. Was unter dem Siegel der Debatte über die Rechtsstaatlichkeit auf dem Tisch liegt, würde nicht die Rule of Law, sondern die Rule of Majority, nicht die Herrschaft des Rechts, sondern die Herrschaft der Mehrheit etablieren. Und da wir in zahlreichen grundlegenden Fragen mit den anderen Mitgliedsstaaten der EU in einer Diskussion stehen, in erster Linie in der Frage der Migration, in der Frage der nationalen Souveränität, aber auch in Genderfragen, können wir, kann ich Ungarn nicht dem Risiko aussetzen, dass mit einer einfachen Mehrheit Ungarn Standpunkte aufgezwungen werden, die die ungarischen Menschen nicht akzeptieren können. Ich darf die Möglichkeit dafür nicht schaffen, und deshalb muss ich die Möglichkeit des Vetos nutzen.
Meine zweite Bemerkung bezieht sich auf das Geld, da ich sehe, dass ein Teil der internationalen Presse die ganze Diskussion als eine Frage des Geldes ansieht. Ich möchte verdeutlichen, dass wenn der Journalist, der Jurist, der Politiker glaubt, dies sei eine Geldfrage, dann befindet er sich im Irrtum. Diese Debatte kann man mit Geld nicht lösen. Besonders aus dem Grund nicht, da die zur Bewältigung der durch die europäische Epidemie verursachten Krise notwendigen Finanzmittel die EU in Wirklichkeit aus Krediten zu gewinnen gedenkt. Die EU gibt uns also kein Geld, sondern nimmt uns in das Projekt einer gemeinsamen Kreditaufnahme auf, wo wir dazu auch noch dem Risiko ausgesetzt sind, dass wenn irgendein anderer Mitgliedsstaat – und dafür gibt es doch Kandidaten und so etwas hat es in der Geschichte schon gegeben – seinen Kredit nicht zurückzahlen kann, dann müssen diesen Teil auch wir, Ungarn, hinsichtlich des auf uns entfallenden Teils zurückzahlen. Wir würden also keinen einzigen Eurocent erhalten, würden das Risiko von anderen tragen, und zugleich käme das Geld, das nach Ungarn fließt, aus einem Kredit. Deshalb entsteht für Ungarn auch in dem Fall keinerlei finanzieller Verlust, wenn der europäische Krisenbewältigungsfonds nicht zustande kommt. Dieser ist in erster Linie nicht wegen Ungarn notwendig, sondern wegen Ländern, in denen die Staatsverschuldung über hundert Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegt, und unsere ist weit unter diesem Niveau zu finden.
Was ist die Lösung? Der ungarische Standpunkt ist klar: Die zwei Dinge, die politische Debatte über die Rule of Law und die drängende wirtschaftliche Frage der Krisenbewältigung kann man nicht miteinander verbinden. Wer diese beiden Fragen verbindet, handelt verantwortungslos, denn in der Zeit der Krise sind schnelle wirtschaftliche Entscheidungen notwendig. Die beiden Dinge verbinden, eine politische Debatte der Frage der Krisenbewältigung hinzufügen, ist keine gute Sache, ja es ist eine schlechte, sehr schlechte Sache. Und zu Klärung der rechtlichen Lage möchte ich noch eine Bemerkung machen. Die Schaffung von Rechtsvorschriften, die mit der Rechtsstaatlichkeit oder der Rule of Law zusammenhängen, sind für die Krisenbewältigung nicht notwendig. Dies ist nur aus dem Grund auf dem Tisch, weil einzelne Staaten und das Europäische Parlament meinten, diese beiden Dinge gleichzeitig regeln zu wollen, doch besteht im juristischen Sinn für uns keinerlei Notwendigkeit, dass in der Frage der Rule of Law jetzt eine Entscheidung fällt. Demgegenüber sind unsere für den Haushalt nötigen Stimmen, unsere und auch die der Polen, juristisch unentbehrlich und unabdingbar. Im Bewusstsein dessen werden wir im kommenden Zeitraum Verhandlungen führen.