Ich wünsche einen guten Tag, meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine sehr geehrten und lieben Freunde!
Um meine Gefühle und Gedanken in einem einzigen Wort zusammenzufassen, kann ich nur sagen, es war eine Ehre für mich, über dreißig Jahre hindurch immer hier, in diesem Lager, gemeinsam mit Ihnen sein zu dürfen! Es war eine Ehre, mich neben unserem Herrn Bischof László Tőkés zu Worte melden zu dürfen, dreißig Jahre hindurch. Ich ergreife die Gelegenheit, und danke dem Herrn Bischof für seinen Dienst im Europäischen Parlament, den er über lange-lange Jahre hinweg versehen hat, und ich bedanke mich bei ihm dafür, dass er sich zu uns bekannt hat und in den Farben des Fidesz das ganze Ungarntum vertreten hat, und zugleich nutze ich den Anlass, und ich gratuliere auch – da wir die Wahlen zum Europäischen Parlament hinter uns haben – der Demokratischen Union der Ungarn in Rumänien (RMDSZ) zu den beiden errungenen Mandaten! Ich selbst habe an der Kampagne teilgenommen und ich weiß unter welch schwierigen Umständen dieses Ergebnis erreicht werden musste.
Zsolt hat jene, sich wie eine Anweisung klingende Frage und Bitte an mich gerichtet, in zwanzig Minuten… na gut, wenn es nicht anders geht, in dreißig Minuten die dreißig Jahre zu resümieren, die wir hinter uns gelassen haben. Ich kann dies auch in einem einzigen Satz tun, dazu sind keine zwanzig-dreißig Minuten nötig. In einem einzigen Satz kann ich sagen: Gut, dass wir diese dreißig Jahre hinter uns haben, und nicht vor uns.
Wenn wir uns daran zurückzuerinnern versuchen, was die Aufgabe vor dreißig Jahren war, dann können wir soetwas antworten wie: „Ob wir für die ungarische Nation, für eine tausendjährige Gemeinschaft, die für ihr Bestehenbleiben in der modernen Zeit notwendige neue Lebensform finden werden, oder wenn es diese nicht geben sollte, wir diese werden ausdenken können?“ Dies war eine sehr schwere und peinigende Frage. Das hat uns natürlich nicht daran gehindert, über dreißig Jahre hinweg glückliche und junge Jahre zu durchleben, und nachdem dreißig Jahre vergangen sind, können wir heute sagen, dass wir hoffnungsfroh, mit einem Beutel voller Pläne und dem tagtäglichen Erlebnis dessen, kräftiger zu werden, hier sitzen, gemeinsam, und diese psychologische Situation scheint geradezu natürlich zu sein. Aber wenn wir von einem entsprechend höheren Punkt aus auf diese dreißig Jahre zurückblicken, dann muss ich sagen: Das ist nicht natürlich, dies ist kein natürlicher Zustand, sondern vielmehr ein Wunder. Was war die Aufgabe? Zunächst einmal die Unabhängigkeit und die Freiheit des Landes zu erringen. Hierauf sind unsere Studienjahre draufgegangen, und dann, später, unsere zwei Jahre zwischen 1989 und ’91. Danach bestand die Aufgabe darin, statt der sozialistischen Planwirtschaft eine kapitalistische Marktwirtschaft zu errichten. Währenddessen sollte ein demokratisches juristisches und politisches Institutionssystem aufgebaut werden. Hierauf sind unsere vier Jahre zwischen 1990 und ’94 draufgegangen. Benennen wir das als den ersten Systemwechsel. Nennen wir dies den liberalen Systemwechsel. Hiernach bestand unsere Aufgabe darin, die zurückgekehrten Nachfolgegruppen des sozialistischen Systems im politischen Kampf, auf friedliche Weise, also nicht im Bürgerkrieg, zu besiegen, und da die zurückkehrenden Nachfolgegruppierungen zugleich auch internationalistische Nachfolgegruppierungen waren, mussten sie auch im internationalen Raum besiegt werden. Hierauf ist unser Leben zwischen 1994 und 2010 draufgegangen. Dies war die Aufgabe unserer Generation.
Heute erscheint es beinahe schon als natürlich, dass dies gelungen ist, dabei besitzt eine Generation auch ein Drama in der ungarischen Politikgeschichten, das Drama des SZDSZ, und wir sollten dem lieben Gott danken, dass uns nicht dies beschieden war. Ich möchte einen jeden daran erinnern, dass dies die 68-er Generation in Ungarn war, die – als der Systemwechsel geschah, der erste, der liberale Systemwechsel 1990 geschah – nicht die Möglichkeit des Regierens erhielt, da sie eine ältere Generation bekam, an ihrer Spitze mit József Antall. Als sie dann das Gefühl hatten, nach der erfolglosen, nationalen Regierung käme jetzt aber nun wirklich ihre Generation an die Reihe, da haben sie die Möglichkeit erneut nicht erhalten, denn Gyula Horn und Konsorten waren zurückgekommen. Und dann, als es auch ihnen nicht geglückt war, und auch sie das Vertrauen der Öffentlichkeit verloren haben, da dachten sie, nun seien sie aber wirklich an der Reihe, doch damals haben dann wir die Regierung gebildet, 1998, und nachdem wir bis 2002 eine bürgerliche Kooperation, eine christlich-demokratische, nationale Zusammenarbeit etabliert hatten, war für ihre politische Generation kein Raum mehr geblieben. Ein echtes Drama. Danken wir also dem lieben Gott, dass er uns nicht dieses Schicksal bestimmt hat!
Und als wir dann – um auf die dreißig Jahre und die Aufgaben zurückzukommen – den ersten liberalen Systemwechsel hinter uns hatten, und wir die sozialistischen Nachfolgegruppierungen besiegt hatten, mussten wir uns an die Vorbereitung eines zweiten Systemwechsels machen. Formulieren wir dahingehend, dass wir unsere vier Jahre zwischen 2006 und 2010 mit der Anfertigung der Pläne des nationalen Systemwechsels verbracht haben. Danach musste 2010 dieses neue nationale System, das ein auf dem Prinzip der Gemeinschaft aufbauendes System ist, eingeführt werden. Beziehungsweise musste der zur Einführung notwendige politische Sieg vorbereitet und danach errungen werden. Daraus ist der Wahlsieg mit der Zweidrittelmehrheit geworden. Danach mussten wir, nach 2010 dieses neue, nationale System Schritt für Schritt auf die Weise ausbauen, dass bei der kontinuierlichen Aufrechterhaltung und Reproduktion der Unterstützung durch die Massen Erfolge erreicht werden mussten. Ich könnte auch sagen: Wir haben die vergangenen neun-zehn Jahre so erlebt, dass wir in der einen Hand die Maurerkelle und in der anderen das Schwert hielten. Man musste aufbauen, indem zugleich ständig gekämpft werden musste, denn – und auch das ist die Geschichte unserer vergangenen zehn Jahre – wir mussten uns auch ständig der internationalen Infragestellung der Akzeptanz des nationalen Systems erwehren, und die Angriffe, die darauf abzielten, die Akzeptanz des ausgebauten nationalen Systems im internationalen Raum in Frage zu stellen, mussten zurückgeschlagen werden. Nun, das waren unsere dreißig Jahre, Zsolt!
Es ergibt sich die Frage, wenn man jetzt so auf diese alles andere als einfache Route zurückblickt, ob wir noch einmal hierzu fähig wären, wenn wir erneut jung sein könnten? Hätten wir erneut dreißig Jahre Kraft dazu? Dies ist eine wahre und schwere Frage. Auch ich selbst weiß die Antwort nicht. Im Allgemeinen sind solche Fragen, die sich auf die Vergangenheit beziehen, immer riskant. An unserem dreißigjährigen Hochzeitstag habe ich – dies erzähle ich nur, um zu untermauern, wie riskant solch eine Denkweise ist – meine Frau gefragt, ob ich, wie das zu so einem Jubiläum die Sitte ist, erneut um ihre Hand anhalten solle, was sie dazu sagt? Dies war ein romantischer Moment und sie sagte: „Gehe kein Risiko ein!“ Und es ist überhaupt nicht einfach, die Frage zu beantworten, ob wir noch einmal in der Lage wären, dies durchzumachen. Doch ist dies vielleicht gar nicht die wichtigste Frage, sondern vielmehr jene, ob wir die Kraft für jene 15 Jahre besitzen, die vor uns stehen? Doch wie sehen jene 15 Jahre aus, die hiernach folgen? Was werden die Aufgaben dieser 15 Jahre sein?
Bei der Betrachtung jeweils einer Generation pflegt man zu sagen, das menschliche Leben bestehe aus drei Abschnitten. Es gibt eine kindliche Phase, in der der Mensch davon träumt, was er wird machen wollen, wenn er groß sein wird. Dann gibt es die Phase des alten Menschen, in der er darüber nachsinnt, was gewesen war und was er versäumt hat, und zwischen den beiden Abschnitten gibt es das Erwachsenenalter und das Handeln. Das ist die wertvollste Zeit. Dies wissen selbst jene genau, die die Medien steuern: Sie nennen dies die „prime time“, die Hauptzeit, und dies gilt nicht nur für das Leben eines Menschen, sondern auch für das Leben einer ganzen Generation. Dies ist der Zeitraum, in dem man die wichtigsten Dinge macht. Die Hälfte dieser „prime time“, die irgendwo zwischen 35 und 70 Jahren liegen mag, haben wir bereits aufgelebt und konsumiert. Jetzt kommt die zweite Hälfte, ich könnte auch sagen, der Abendfilm, der große Film. Die Frage ist die, was wir zu sehen bekommen werden?
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wenn wir uns philosophisch dieser Frage annähern, das heißt aus der Perspektive der politischen Philosophie, dann kennen wir jene Denkweise, die behauptet, die Geschichte besitze ein Ziel, und es sei die Aufgabe des Menschen, dieses zu erkennen, und die Geschichte an ihr vorgegebenes Ziel zu helfen. Die kommunistische Logik war im Großen und Ganzen dieser Art, und heutzutage sagen die progressiven Liberalen ähnliche Dinge. Wir haben aber in den vergangenen dreißig Jahren erkannt, dass man nicht der Zeit ein Ziel zuschreiben muss, sondern wir in der Zeit unserem eigenen Leben einen Sinn geben müssen. Die gilt nicht nur für jedes Individuum, sondern auch für jede Generation. Man muss dem Leben unserer Generation einen Sinn geben, der uns bestimmt war, beziehungsweise müssen wir jenen Sinn verstehen, der uns vorbestimmt war. Wenn ich aus dieser Perspektive das betrachte, was wir hinter uns haben, und das, was vor uns steht, dann kann ich sagen, unsere Generation hat eine historische Chance zur Stärkung einer Nation, der ungarischen Nation erhalten. Dies war auch schon bisher ein auf ungerechte Weise schwerer Kampf, und wird auch in der Zukunft ein auf ungerechte Weise schwerer Kampf sein. Die einzige Sache, die wir uns selbst als Trost sagen können, ist: Es steht geschrieben, dass Er niemanden über seine Kräfte hinaus auf die Probe stellt. Es befinden sich also nur Lasten auf unserer Schulter, die wir mit Sicherheit tragen können. Ich kann Ihnen also vermelden, dass heute die ungarische Nation über jene politischen, wirtschaftlichen Fähigkeiten und bald auch über jene physischen Fähigkeiten verfügen wird, mit deren Hilfe sie sich verteidigen und unabhängig bleiben kann. Unsere Selbstbestimmung haben wir zurückerlangt, der IWF ist nach Hause gegangen, gegenüber Brüssel haben wir unseren Kampf erfolgreich ausgefochten und wir haben auch unsere Grenzen gegenüber der Migration verteidigt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Heute kann ich – über die Zusammenfassung der dreißig Jahre hinaus – über zwei Dinge reden. Was geschieht und was wird in Ungarn geschehen, sowie eine zeitweilig noch spannendere Frage – und bei dieser wird mich Zsolt auf die zeitliche Begrenzung aufmerksam machen müssen – die folgendermaßen lautet: Wie deuten wir und wie deuten andere das, was in Ungarn geschieht. Was ist der Sinn all dessen, was in Ungarn geschieht?
Nun, meine sehr geehrten Damen und Herren, Ungarn befindet sich heute auf einer Bahn, die Grund zur Hoffnung gibt: geordnete Finanzen, abnehmende Verschuldung, starkes Wachstum, steigende Löhne, stärker werdende Klein- und mittlere Unternehmen, wohlhabender werdende Familien und schwungvoller Aufbau der Nation. Natürlich kann und muss ein jeder, jeder einzelne ungarische Staatsbürger, die ungarischen Unternehmen und auch die ungarische Regierung ihre Arbeit besser verrichten. Doch in Wahrheit wird der Umstand, ob Ungarn auf der Bahn bleibt, die Anlass zur Hoffnung gibt, nicht von innen, sondern eher von außen gefährdet. Und in Ungarn geschieht heute nichts anderes – und wird bis zu unserem nächsten Zusammentreffen, in dem vor uns liegenden einem Jahr geschehen –, als dass wir diese Angriffe abwehren, wir Ungarn gegenüber diesen zu verteidigen versuchen.
Welche sind diese? Den ersten Angriff haben wir bereits erfolgreich abgewehrt. Dieser manifestierte sich darin, dass ungeeignete und feindlich eingestellte Menschen an die Spitze der Institutionen der Europäischen Union gewählt werden sollten. Ich gehe nicht auf alle Details der Wahrheit ein, doch ist die Situation die, dass es als Ergebnis komplizierter Manöver gelungen ist, dies zu verhindern. Wir haben die Kandidaten von George Soros überall verhindert. Überall. Wir haben verhindert, dass ideologische Guerillas an die Spitze der wichtigen europäischen Institutionen gesetzt wurden, und auch an die Spitze der Kommission gelang es, eine über eine praktische Herangehensweise verfügende Familienmutter von sieben Kindern zu wählen. Damit ist natürlich die Auseinandersetzung innerhalb der Institutionen nicht beendet, diese werden im Oktober ihren Abschluss finden, wenn das gesamte Panorama betrachtet werden kann. Zwei Dinge können wir mit Sicherheit sagen. Die eine Sache ist, dass die Kommission, die so viele Attacken gegen Ungarn gestartet hat – ja, die abtretende Kommission hat selbst noch in den vergangenen Tagen einen Angriff eingeleitet, denn sie hat ja einige ungarische Gesetze vor den Europäischen Gerichtshof gebracht –, zu ihrer in den Grundlagendokumenten der EU niedergelegten Rolle zurückkehren muss, das heißt, sie muss sich als Hüterin der Verträge verhalten und mit dem politischen Aktivismus aufhören. Sie ist keine politische Körperschaft, es ist nicht ihre Aufgabe, über ein Programm zu verfügen, es ist nicht ihre Aufgabe, politische Attacken gegen die Mitgliedsstaaten einzuleiten. Dies war zur Zeit des vorhergehenden Juncker-Kabinetts so. Dem muss ein Ende bereitet werden! Dies stand schon immer im Gegensatz zu den Grundlagendokumenten und den grundlegenden Idealen der Europäischen Union. Hierfür besteht jetzt auch eine Chance.
Und die andere Sache, die wir hier noch ausführen können, ist, dass das Spitzenkandidatensystem nicht gestorben ist, sondern nur an den Platz zurückgestellt worden ist, wohin es gehört, da offensichtlich die strategische politische Richtung der Europäischen Union nicht durch die Kommission festgelegt wird, sondern durch die an der Spitze der auf demokratische Weise gewählten Regierungen der Mitgliedsstaaten stehenden Persönlichkeiten, die Staats- und Ministerpräsidenten. Die Kommission hat kein selbständiges Programm durchzuführen, denn für sie hat schon jetzt, auch nach der letzten Wahl der Rat der Ministerpräsidenten ein Dokument angenommen, das die Richtung festlegt, und außerdem müssen auch die strategischen Entscheidungen nicht in der Kommission, sondern im Rat, in dem die gewählten Ministerpräsidenten zu finden sind, getroffen werden. Der Sinn des Spitzenkandidaten war also niemals der, auf irgendeine Weise dem Rat das Recht zur Nominierung des Kommissionspräsidenten wegzunehmen – wohin das Grundlagendokument im Übrigen dieses Recht delegiert –, sondern dass die Wähler eine Möglichkeit haben sollten, die Besetzung irgendeiner wichtigen europäischen Position zu beeinflussen. Logisch ist also – und an diesen Punkt müssen wir zurückkehren –, dass wenn die europäischen Parteien einen Spitzenkandidaten aufstellen, dann soll der Kandidat der siegreichen Partei der Präsident des Parlaments sein. Nicht der Präsident der Kommission, sondern des Europäischen Parlaments. Die Kommission muss man auch weiterhin als eine dem Einfluss der Ministerpräsidenten unterstehende Organisation belassen.
Die zweite Gefahr, die wir abwehren müssen, ist die aus dem internationalen Raum kommende Gefahr. Der Umstand, dass in den vergangenen fünf Jahren in der Europäischen Union schwerwiegende Fehler begangen worden sind, von denen zwei besonders schmerzhaft und besorgniserregend sind, und diese Fehler müssen in den vor uns stehenden fünf Jahren korrigiert werden. Der erste wurde auf dem Gebiet der Migration, der andere auf dem Gebiet der Wirtschaft begangen. Der Migrationsfehler ist leicht behebbar: Die Kommission muss den Themenkreis der Migration verlassen. Man muss den aus den Innenministern der zu dem Schengen-Raum gehörenden Mitgliedstaaten bestehenden Rat aufstellen, genau so, wie auch der aus den Finanzministern der Länder der Eurozone bestehende Rat schon existiert, und wir müssen alle mit der Migration im Zusammenhang stehenden Kompetenzen und Aufgaben dem Rat der Innenminister übergeben. Die Wirtschaft ist ein etwas schwierigeres Feld, denn angesichts der wirtschaftlichen Entscheidungen der Europäischen Union können wir feststellen, dass wir in den vergangenen fünf Jahren den Weg beschritten haben, unser eigenes Schicksal ins Unglück zu führen, denn Europa könnte viel erfolgreicher, viel größer, entwickelter und stärker sein, als es jene Leistung zeigt, die es heute erbringt. Wir müssen an Stelle der Errichtung eines europäischen Sozialismus – denn die linken Parteien machen regelmäßig Vorschläge, die die wettbewerbsfähige europäische Wirtschaft in jedem Mitgliedsstaat in die Form einer Art westeuropäischen sozialistischen Wirtschaft umwandeln möchten –, wir müssen dies aufgeben und zu dem Ideal einer wettbewerbsfähigen europäischen Wirtschaft zurückkehren. Die erfolgreichen Wirtschaften – und ich will hier Ungarn gar nicht nennen, aber solche wie – z.B. die von Polen und Tschechien darf man nicht attackieren, man muss sie eher unterstützen. Man muss den Gedanken des auf europäische Ebene gehobenen bedingungslosen Grundeinkommens verwerfen. Wir brauchen diesen neuen Sozialismus nicht, an dessen Stelle sind Arbeitsplätze nötig und überall müssen Steuersenkungen durchgeführt werden. Die bürokratischen Vorschriften müssen abgebaut werden, und an Stelle der Politik der Restriktionen müssen viel mehr die Investitionen und die Schaffung von Arbeitsplätzen unterstützt werden. Auch in Italien werden keine Restriktionen, sondern die wirtschaftliche Entwicklung nötig sein. Und schließlich: Statt den Migranten muss man das Geld den europäischen Familien geben, damit sie möglichst viele Kinder aufziehen.
Die Frage ist, ob dies möglich ist, ob wir diese Fehler in den kommenden Jahren korrigieren können? Ich muss sagen, dies ist zumindest zweifelhaft. Der europäischen Wirtschaft stehen auf Grund jedweder Analyse und aller Zahlen, die die Grundlage einer Analyse darstellen, schwierige Zeiten bevor. Die Frage ist nicht, ob sie kommen, sondern wie schwierig sie sein werden. Und meine persönliche Überzeugung ist, dass sie sehr schwierig sein werden. In Westeuropa wird das Wirtschaftswachstum sich weiter verlangsamen, ja, hier und da wird es auch stehen bleiben. In Deutschland laufen deutlich sichtbar die Vorbereitungen für eine nicht den Prinzipien der Marktwirtschaft entsprechende Koalition von CDU und den Grünen. Dies ist ja letztlich doch die größte Wirtschaft Europas. Wir müssen uns also darauf vorbereiten, dass bei unseren wichtigsten Partnern, den westeuropäischen Ländern die Wirtschaft, die Länder nicht das Wachstum erbringen werden, wie wir das gerne hätten. Für Ungarn ist es jetzt am wichtigsten, eine neue Route für 2020 und ’21 zu planen. Diese Regierungsroute muss dem Ziel dienen, dass das Land – wenn es diesen Weg beschreitet – in der Lage sein soll, die schlechten äußeren Einwirkungen zu minimalisieren, und wir in der Lage sein sollen, die bereits vorhandenen eigenen inneren Ressourcen zu mobilisieren. Hierfür haben Sie in den vergangenen Monaten ein Beispiel sehen können, als wir den ersten Aktionsplan zum Schutz der Wirtschaft verkündet hatten. Abnahme der Beiträge zur Sozialversicherung, Lohnerhöhung, Entwicklung der Forschung, die Erhöhung der Unterstützung der Universitäten, die Einführung der „Ungarischen Staatsanleihe Plus“. Meiner Ansicht nach werden wir irgendwann im Frühling des kommenden Jahres – wenn sich unsere Analyse über die Aussichten der europäischen Wirtschaft bewahrheiten sollte –, also im Frühjahr 2020 einen zweiten Aktionsplan benötigen. Und wenn sich die Dinge so gestalten, wie wir das annehmen, dann werden wir im Herbst 2020 wahrscheinlich auch einen dritten Aktionsplan zum Schutz der Wirtschaft benötigen. Sie alle müssen einen Inhalt besitzen, der die Wettbewerbsfähigkeit verbessert. Die Planung, die Ausarbeitung dessen ist das, was im kommenden Jahr in Ungarn in erster Linie geschehen wird.
Da auch die Frau Minister Judit Varga hier ist, sollten wir auch nicht vergessen, dass wir hier auch Schlachten in der Frage der Rechtsstaatlichkeit werden schlagen müssen. Dazu sind gute Nerven notwendig. Nicht um unseren Standpunkt zu vertreten, denn das ist, wie das die Frau Minister bereits früher gezeigt hatte, möglich, sondern damit wir nicht zu lachen beginnen und nicht unsere Partner dadurch beleidigen, indem wir sie auslachen. Das ist am schwierigsten. Hierzu sind gute Nerven und Selbstbeherrschung nötig. Da ist zum Beispiel gleich der vor uns stehende Zeitraum, in dem wir mit unseren finnischen Freunden die Lage der ungarischen Rechtsstaatlichkeit bewerten werden. Wir werden gemeinsam mit unseren finnischen Freunden bewerten. Jetzt ist Finnland ein Land, meine sehr geehrten Damen und Herren, in dem es kein Verfassungsgericht gibt. Den Schutz der Verfassung übt eine durch das Parlament zu diesem Zweck geschaffene eigene Kommission aus. Stellen Sie sich vor, wenn wir in der ungarischen Rechtsstaatlichkeit auf einmal sagen würden, wir lösen das Verfassungsgericht auf, und die Parlamentskommission für Fragen der Verfassung werde die Normenkontrolle ausüben. Das ist so in etwa die Situation in Finnland. Oder um ein anderes schönes Beispiel zu nennen: In Finnland steht die Akademie unter der Kontrolle und der Leitung des Unterrichtsministeriums. Stellen Sie sich vor, wenn wir die Debatte über die ungarische Akademie auf die Weise abgeschlossen hätten, dass wir das Recht der Kontrolle und der Leitung der Akademie ganz einfach dem Unterrichtsminister übergeben hätten – das wird nicht geschehen, lieber Herr Minister Kásler. Oder stellen Sie sich jenen finnischen rechtsstaatlichen Zustand vor, entsprechend dem die Richter auf Vorschlag des Justizministers durch den Staatspräsidenten ernannt werden. Auf Vorschlag des Justizministers ernannt durch den Staatspräsidenten. Man braucht also ein gutes Nervensystem, damit wir dann den uns hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit untersuchenden und befragenden finnischen Freunden nicht mit Lächeln und Lachen, sondern mit dem notwendigen Respekt und höflichen Antworten begegnen. Natürlich steht uns über das europäische absurde Theater hinaus noch eine wichtige und ernsthafte Frage bevor, und dies ist die Zukunft der Mitgliedschaft des Fidesz, der ungarischen Regierungspartei und der Christlich-Demokratischen Volkspartei in der Europäischen Volkspartei. Hier müssen wir vorerst abwarten, damit sich die Lage klärt. Wir wissen, was wir wollen, wir müssen darauf warten, dass auch die Europäische Volkspartei entscheidet, was für eine Zukunft sie sich selber vorsieht. Dies wird nicht früher geschehen als auf dem Kongress, der am Ende des Herbstes fällig ist.
Hiernach erlauben Sie mir bitte, meine sehr geehrten Damen und Herren, einiges darüber zu sagen, wie wir das deuten, was in Ungarn geschieht. In dieser Frage, also darüber, was in Ungarn denn geschieht, ist in den vergangenen Jahren viel Literatur entstanden. Es gab die erste Schwalbe, Gyula Tellér, und dann sind nur in diesem Jahr zwei ernsthafte Arbeiten im Zusammenhang damit erschienen, die eine aus der Feder von Herrn Professor Sárközy und die andere aus der von Ervin Csizmadia, und da habe ich noch gar nicht über die ständige internationale Aufmerksamkeit und Deutung gesprochen. Die internationale Deutung kann man am ehesten dahingehend zusammenfassen, dass in der Welt liberale Demokratien existieren müssen, besonders in Europa, und diese müssen eine Art liberalen Internationalismus errichten, ihn verwirklichen, daraus muss ein liberales Imperium hervorgehen. Die Europäische Union ist nichts anderes als die Verkörperung dessen, doch unter Obama und den Demokraten haben auch die Vereinigten Staaten über etwas Ähnliches im Weltmaßstab nachgedacht. Von hier ausgesehen ist es offensichtlich, dass sich das, was in Ungarn geschieht, davon auf bedeutende Weise unterscheidet. Das ist etwas anderes. Ungarn macht etwas Anderes, erschafft etwas Anderes. Ja, aber was? Der hierauf zu gebenden Antwort kann man sich aus der Richtung der Philosophie annähern, hierzu können wir noch einen Versuch unternehmen, aber auch aus der Richtung der praktischen Politik. Ich wähle jetzt die letztere. Man kann das, was in Ungarn geschehen ist und was geschieht, von der Warte aus verstehen, wenn man bedenkt, wie das Erbe aussah, mit dem 2010 die die Wahlen mit einer Zweidrittelmehrheit gewinnenden bürgerlichen, nationalen, christlichen Kräfte umgehen mussten. Die Situation, die wir damals geerbt haben, kann man in den folgenden Punkten zusammenfassen. Der erste: Den überwiegenden Teil der Lasten Ungarns trug weniger als die Hälfte der aktiven Bevölkerung. In Zahlen ausgedrückt: In Ungarn, das ein Land mit einer Bevölkerung von 10 Millionen Menschen ist, arbeiteten 3 Millionen 600 tausend Menschen, und davon zahlten 1 Million 800 tausend Steuern. Diese Menschen trugen die Lasten des Landes auf ihrem Rücken. Offensichtlicherweise ist dies eine lange und unbequeme Form des Selbstmordes. In Klammern merke ich an, dass heute 4,5 Millionen Menschen in Ungarn arbeiten und alle zahlen Steuern.
Das zweite Problem, das wir lösen mussten, bestand darin, dass die Verschuldung langsam die Individuen, die Familien, die Unternehmen und auch den Staat unter sich zu begraben begann. Wir hatten also eine aussichtslose Verschuldungslage geerbt. 2010 sahen wir, dass die kulturelle Identität unserer Gemeinschaft, die Ungarns, ständig abnimmt. Wir sahen, wie das Bewusstsein der Zugehörigkeit zur Nation verschwand. Wir sahen, dass unsere jenseits der Landesgrenzen lebenden Gemeinschaften unter einem ständig zunehmenden Assimilationsdruck stehen, dem sie nicht widerstehen können. Und wir sahen, dass die dem Schutz der Souveränität dienende physische Fähigkeiten des Staates, der Polizei, Armee, nachgelassen hatten. Wie in jener Zeit Gyula Tellér formulierte, Ungarn war 2010 im Begriff materiell, geistig und biologisch leer zu werden. Damals musste diese Frage seitens des Ministerpräsidenten und der Regierung dahingehend beantwortet werden, ob die Lösung dieser ungarischen Probleme innerhalb des Rahmens der liberalen Demokratie vorstellbar war? Und darauf haben wir die entschiedene Antwort gegeben, dass dies nicht möglich sei. Es war nicht vorstellbar. Innerhalb dieses Rahmens gibt es auf diese Fragen keine gute Antwort, also müssen wir etwas anderes erschaffen. Wir sagten, man müsse den Rahmen der aus dem liberalen Systemwechsel hier gebliebenen kapitalistischen Marktwirtschaft, die juristischen und politischen Institutionen erhalten, aber die Organisationsweise der Gesellschaft, der Gemeinschaft muss radikal verändert werden. Wir haben es so formuliert: Demokratie ja, Liberalismus nein. Und dann kam hier die Diskussion, was denn dieses etwas sei, eine illiberale Demokratie, eine Christdemokratie der alten Art oder ein nationales System.
Jetzt lohnt es sich vielleicht den Unterschied, der zwischen dem ersten Systemwechsel, den wir den liberalen Systemwechsel nennen, und dem zweiten, den wir als illiberalen oder nationalen Systemwechsel bezeichnen, in einigen Sätzen in Erinnerung zu rufen. Wir haben das Verhältnis zwischen dem Einzelnen und der Gemeinschaft neu gedacht und es auf eine neue prinzipielle Grundlage gestellt. Im liberalen System sind die Gesellschaft und die Nation nichts anderes, als die Summe von miteinander im Wettbewerb stehenden Individuen. Was sie zusammenhält, das sind die Verfassung und die Marktwirtschaft. Es gibt keine Nation, oder wenn es sie doch gibt, dann gibt es nur die politische Nation. An dieser Stelle öffne ich eine Klammer, und wir müssen László Sólyom unseren Dank aussprechen, der während seiner Präsidentschaft Bleibendes geschaffen hat, als er gegenüber der politischen Nation sowohl juristisch als auch philosophisch die Konzeption der kulturellen Nation ausgearbeitet und präzisiert hat. Klammer zu. Da es keine Nation gibt, gibt es auch keine Gemeinschaft und auch kein Gemeinschaftsinteresse. So sieht im Großen und Ganzen das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft aus dem liberalen Blickwinkel aus. Dagegen sagt der illiberale oder nationale Blickwinkel, die Nation sei eine sowohl historisch als auch kulturell bestimmte Gemeinschaft, ein im historischen Prozess herausgebildeter Organismus, dessen Mitglieder geschützt und darauf vorbereitet werden müssen, gemeinsam in der Welt zu bestehen. Entsprechend der liberalen Auffassung ist die individuelle Leistung, und das, was wer macht, ob man ein produktives oder improduktives Leben lebt, eine ausgesprochene Privatangelegenheit, kann keiner moralischen Bewertung unterstellt werden. Demgegenüber verdient in einem nationalen System jene Leistung, jene Einzelleistung in erster Linie Anerkennung, die auch dem Wohl der Gemeinschaft dient. Dies muss man weit auslegen. Hier sind zum Beispiel unsere die Goldmedaille erringenden Eisschnellläufer. Auch eine herausragende sportliche Leistung ist eine dem Wohl der Gemeinschaft dienende individuelle Leistung. Wenn wir uns dies in Erinnerung rufen, dann sagen wir nicht: „Sie haben das olympische Gold gewonnen.“, sondern wir sagen: „Wir haben die olympische Goldmedaille gewonnen.“, ihre individuelle Leistung dient deutlich erkennbar auch dem Interesse der Gemeinschaft. Im illiberalen oder im nationalen System ist die anerkennenswerte Leistung keine Privatangelegenheit, sondern sie besitzt benennbare Formen. Solche Dinge sind das Sorgen für sich selbst und die Arbeit, die Fähigkeit zur Schaffung und Aufrechterhaltung der eigenen Existenz, das Lernen und die gesunde Lebensweise, das Zahlen der Steuern, die Familiengründung und die Erziehung von Kindern. Und das Bewandertsein in den Dingen der Nation und ihrer Geschichte, die Teilnahme an der nationalen Selbstreflexion. Das stellt eine Leistung dar, die wir anerkennen, bewerten, auch moralisch als höherwertig qualifizieren, und zugleich auch unterstützen.
Insofern ist also das, was in Ungarn im Verhältnis von Einzelnem und Gesellschaft entstanden ist, eine ganz andere Sache als das, was zur Zeit des liberalen Systemwechsels 1990 entstanden war. Aber auf ähnliche Weise haben wir unser Denken und unsere Kultur auch im Verhältnis des Einzelnen zum Einzelnen auf eine neue Grundlage gestellt. Vereinfacht gesagt, aber das Wesentliche vielleicht zusammenfassend, kann man formulieren: In einem liberalen System ist es die Regel, dass alles erlaubt ist, was nicht die Freiheit eines anderen verletzt. Das ist der Kompass des individuellen Handelns. In Klammern gesagt: Ein kleines Problem stellt die Frage dar, was genau das ist, was die Freiheit des anderen nicht verletzt? Etwas, das am ehesten die Stärkeren zu definieren pflegen, doch setzen wir dies in Klammern. Demgegenüber folgt das, was jetzt bei uns herrscht, oder was wir jetzt zu errichten versuchen, einem anderen moralischen Kompass, und sagt – dabei zu einer bekannten Wahrheit zurückkehrend –, dass die richtige Definition des Verhältnisses zwischen zwei Menschen nicht lautet „jeder darf alles, was die Freiheit des anderen nicht verletzt“, sondern die richtige Definition lautet: „Was du nicht willst, das man dir antue, tue das dem anderen auch nicht an. Ja, was du willst, das man dir antue, tue dies auch dem anderen an.“ das ist eine andere Grundlage.
Und dann sind wir hier an der peinlichsten und empfindlichsten Frage der Politik angekommen, und das ist das Wort „illiberal“. Wenn ich die auf elende Weise vorsichtig sich gestaltenden Diskussionen hierum sehe, da fällt mir immer der emblematische Film unserer Generation, „Die Ritter der Kokosnuß“, ein, in dem, als die Ritter wandern und sie im Wald sind, da treffen sie auf die großen Riesen, und es ist verboten, ein Wort auszusprechen. Und darum drucksen sie dann im Film minutenlang herum, dass man jenes Wort nicht aussprechen darf, über das alle wissen, dass es ausgesprochen werden sollte. Und genau das gleiche ist die Situation im internationalen politischen Raum mit dem Wort „illiberal“. Der Grund hierfür ist, dass die Liberalen, die niemals untalentiert waren, die Deutung dieses Begriffs ausgebildet haben, nach der dies nichts anderes sei, als ein mit einem privativen Präfix, also einer das Gegenteil ausdrückenden Vorsilbe versehener Begriff, eine maskierte Demokratie. Ein System, das sich als Demokratie maskiert, in Wirklichkeit aber keine ist. Und sie haben sich die beiden Grundthesen ausgedacht, die da lauten: „Die Demokratie ist notwendigerweise liberal“ und auch „die Christdemokratie ist notwendigerweise liberal“. Das sind meiner Überzeugung nach zwei falsche Thesen, denn es ist offensichtlich, dass die Dinge umgekehrt stimmen: Die liberale Demokratie hätte niemals entstehen können, wenn sie nicht über einen christlichen Unterboden verfügt hätte, denn es ist die tatsächliche, die absurde, die auf den ersten Blick als absurd erscheinende Situation, dass die Stimmen zweier Menschen bei der wichtigsten Entscheidung des Landes, wenn wir festlegen, in welche Richtung wir weiterschreiten und wem wir die Verwirklichung der Idee anvertrauen sollen, die Stimmen zweier Menschen, von denen der eine – sagen wir – die acht Klassen der Volksschule absolviert hat und der andere der Vorsitzende der Akademie ist, den gleichen Wert besitzen. Der eine ist eher auf Sozialhilfe angewiesen, während der andere gewaltige Steuern zahlt, dennoch sind die Stimmen der beiden jeweils nur eine Stimme wert. Der eine versteht die Welt, den anderen interessiert die Welt nicht einmal. Trotzdem sind die Stimmen beider gleichviel wert. Dass eine derartige politische Konstruktion, die die Demokratie ist, die folgerichtig die Grundlage der liberalen Demokratie darstellt, nur dann geschaffen werden kann, wenn wir einen eigentümlichen Blickwinkel finden, von dem aus gesehen diese beiden offensichtlich vollkommen unterschiedlichen Menschen dennoch gleich sind, weshalb man ihre Meinung auch mit dem gleichen Gewicht beachten kann, dann kann dies nichts anderes sein als jene christliche These, nach der uns alle der liebe Gott nach seinem Ebenbild geschaffen hat. Die liberale Demokratie kann also nur dort in der Welt existieren, wo im Übrigen vorher auch schon eine christliche Kultur existierte, dies ist sowohl geographisch als auch historisch nachweisbar. Jener Leitsatz, nach dem jede Demokratie auch notwendigerweise liberal ist und die Christdemokratie liberal sein muss, ist ganz einfach nicht wahr. Die liberale Demokratie war so lange lebensfähig, bis sie nicht ihre christlichen Grundlagen verlassen hatte. Solange sie die persönliche Freiheit und das Eigentum schützte, hatte sie eine gute Wirkung auf die Menschheit. Aber als sie die Bande zu eliminieren begann, die den Menschen mit dem wirklichen Leben verbinden, die Geschlechteridentität in Frage stellte, die religiöse Identität abwertete, die Bindung an die Nation als überflüssig bewertete, veränderte sich dadurch der Inhalt der liberalen Demokratie radikal. Und die Wahrheit ist, dass dies der Zeitgeist der zwanzig-dreißig Jahre in Europa ist, die wir hinter uns haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Dies besitzt über alle inneren Debatten hinaus auch noch eine internationale Dimension. Da meine Zeit langsam abgelaufen ist, kann ich das nicht ausführen, doch ich zitiere László Nagy beziehungsweise einen seiner Sätze, nach dem „Ungarn nicht das Hinterteil des Westens sein soll, aber auch nicht die Stirn des Ostens“. Das ist ein rätselhafter Satz, wir wissen nicht genau, was er bedeutet, aber wir spüren alle, dass er wahr ist. Jedenfalls können wir als Zusammenfassung über die Deutung dessen, was heute in Ungarn geschieht, mit der nötigen Bescheidenheit die Feststellung riskieren, dass ein illiberaler Staat entstanden ist und ein wirkliches staatstheoretisches, politiktheoretisches Modell, ein eigentümlich christlich-demokratischer Staat. Hiernach muss ich nur noch eine einzige Frage beantworten, nämlich die, warum uns unsere Gegner, die Anhänger der liberalen Demokratie hassen? Dass sie gegen das sind, was wir repräsentieren, ist in Ordnung, denn sie nennen eine andere Überzeugung ihre eigene. Deshalb ist es eine natürliche Eigenschaft der internationalen oder vielleicht auch noch der innenpolitischen Debatten, dass wir in Diskussion miteinander, vielleicht sogar in einer erbittert scharfen Diskussion miteinander stehen. Doch der Hass ist keine natürliche Eigenschaft. Und wir alle spüren es, wenn wir angegriffen und kritisiert werden, dass sie dann nicht mit uns diskutieren, sondern uns hassen. Es ist natürlich ein alter kommunistischer taktischer Rat, deinen Gegner dessen zu beschuldigen, was du machst, weshalb sie behaupten, wir, die national Gesinnten, würden sie hassen, dabei ist die Wahrheit genau umgekehrt, denn wir können auf Grund der christlichen Annäherung einen Unterschied zwischen dem Menschen und seiner Tat machen. Wir können ihre Taten nicht lieben, ja sogar verabscheuen, aber den Menschen verabscheuen und hassen wir nicht. Demgegenüber unterstützen sie nicht nur nicht das, was wir machen, sondern sie hassen uns auch persönlich. Es ist eine wichtige Frage, zu verstehen, warum dies so ist. Nicht nur, weil dies ein intellektuelles Interesse ist, obwohl auch dies nicht zu vernachlässigen ist, denn es ist immer ein Erfolg, irgendeine schwierige Sache zu verstehen, sondern auch, da wir hieraus ableiten können, was wir ihnen gegenüber machen sollen. Was hat einen Sinn und was ist sinnlos, wenn wir uns verteidigen. Ich versuche jetzt eine zweifellos skizzenhafte, doch logisch erscheinende Antwort auf die Frage zu geben, warum uns die Liberalen hassen? Halten wir fest, dass es in der europäischen politischen Kultur seit vielen hundert Jahren zwei Grundauffassungen über die richtige Weltordnung existieren. Die eine richtige Auffassung der Weltordnung sagt, es soll in der Welt voneinander getrennte freie Staaten geben, am ehesten durch Nationen ausgebildete Staaten, und diese sollen ihren eigenen Weg beschreiten und die für alle mit den wenigsten Konflikten und dem meisten gemeinsamen Guten verbundene Ordnung der Zusammenarbeit etablieren. Die andere Auffassung sagt, es muss eine Macht, ein Prinzip geben, unter dem man die europäischen Völker oder die vielen Völker der Welt vereinigen kann. So ein System sei notwendig, und dieses die Völker vereinigende System wird immer durch eine über den Nationen stehende Kraft geschaffen und aufrechterhalten. Das eine können wir als nationales, das andere als imperiales Denken bezeichnen, aber ich möchte die Anhänger des imperialen Denkens nicht beleidigen, deshalb gebrauche ich nicht das Wort „imperialistisch“, obwohl ich es im Übrigen durchaus benutzen könnte. Lange Zeit war es das Privileg der Kommunisten, als die richtige Ordnung der Welt jenen Gedanken zu bezeichnen, laut dem die Völker der Welt einer einzigen Idee und deshalb einer einzigen Regierung unterstellt werden müssen. Das war der sozialistische oder der kommunistische Internationalismus. Das ist gescheitert. Wenn schon nicht auf Grund anderer Indizien, so kann man doch schon aus dieser Tatsache ableiten, dass er kein vernünftiger Gedanke war. An die leer gewordene Stelle trat aber eine neue politische Strömung, und diese ist die europäische Richtung der liberalen Politik. Es lohnt sich einen Blick darauf zu werfen, dass vor dreißig Jahren es in Europa noch die sozialistische oder soziale Demokratie gab, und es gab noch die Christdemokratie und die liberale Demokratie. Aber als Ergebnis der politischen Auseinandersetzung haben die Liberalen jene Position erreicht, dass heute schon ein jeder ein liberaler Demokrat zu sein hat, es gibt keine eigene sozialistische Lesart der Demokratie – wie sie die sozialistischen Parteien früher erarbeitet hatten – und es existiert auch keine eigene christlich-demokratische Lesart dieser. Selbst wenn so etwas Ähnliches vorhanden ist, so darf es sich im Wesentlichen nicht von der liberalen Lesart der Demokratie unterscheiden.
Heute sind also die europäischen Liberalen jene, die glauben, sie hielten ein System von Thesen in ihren Händen, das ihrer Überzeugung nach der gesamten Menschheit die Errettung, den Frieden und den Wohlstand bringen werde. Sie halten ein universelles Modell in ihren Händen, deshalb haben sie es zu einer These geformt. Diese These, diese liberale These sagt heute in der europäischen Politik, was man und wie man es denken darf, was die richtige und unterstützenswerte Tat ist, was zurückgewiesen werden muss, was nicht mit den liberalen Ideen vereinbar ist, sie sagt, wie man über die grundlegendsten Tatsachen des Lebens denken muss. Und heute können wir die kurze und skizzenhafte Zusammenfassung dieses Programms dahingehend formulieren, dass nach Ansicht der Liberalen überall in der Welt, doch besonders in Europa alle menschlichen Beziehungen und gesellschaftlichen Verhältnisse nach dem Muster der sich lose organisierenden geschäftlichen Verbindungen gestaltet werden müssen. Wenn man will, dann nimmt man es auf sich, wenn man es nicht will, dann nimmt man es nicht auf sich. Wenn man will, tritt man ein, wenn man will, tritt man aus. Von dieser Warte aus ist es verständlich, warum die Liberalen die Migration unterstützen, und von hieraus kann man verstehen, warum gerade das Netzwerk von George Soros die Migration organisiert. Auf Grund der liberalen Auffassung von Freiheit kann man nur dann frei sein, wenn man sich all dessen entledigt, was einen irgendwohin zugehörig macht: der Grenzen, der Vergangenheit, der Sprache, der Religion, der Kultur und der Tradition. Wenn man sich davon befreien kann, wenn man daraus hervortreten kann, dann kann man ein freier Mensch sein. Wie das zu sein pflegt, ist die Antithese dazu entstanden, die wir, die ich „Illiberalismus“ nenne. Diese Denkweise behauptet, die Berufung auf die Freiheit des Einzelnen kann die Interessen der Gemeinschaft nicht überschreiten. Eine Mehrheit gibt es sehr wohl, und man muss sie respektieren, denn das ist das Wesen der Demokratie. Der Staat kann gegenüber der Kultur nicht gleichgültig sein, der Staat kann gegenüber den Familien nicht gleichgültig sein und der Staat kann gegenüber der Frage nicht gleichgültig sein, was für Völkerschaften das sind, das heißt wer sich auf dem eigenen Landesgebiet aufhält. Mit anderen Worten, illiberal ist heute der, der seine Grenzen verteidigt, der seine nationale Kultur schützt und die äußere Einmischung und die Versuche des Aufbaus eines Imperiums zurückweist. Zurück zum Wald und den Rittern der Kokosnuß: Müssen wir Angst haben, das Wort auszusprechen? Wir haben zwar gute Gründe dafür, aber vielleicht ist die Feigheit doch nicht zu empfehlen. Und in solchen Momenten, wenn wir uns in der Gegenwart nicht genügend stark fühlen, dann lohnt es sich immer, die alten Großen in Erinnerung zu rufen. Wenn zum Beispiel jemand die Atlantik-Charta liest, die noch Roosevelt und Churchill unter Dach und Fach gebracht haben, und in der sie die Grundlagen der europäischen Zukunft niedergelegt haben, dann kann ich nur sagen, dass dies von Grund auf ein illiberales Dokument ist, in dem die Angelsachsen bekräftigen, jedes Volk habe das Recht, selber über sein eigenes Schicksal zu entscheiden, selbst seine eigene Regierung zu wählen, niemand soll sich in seine inneren Angelegenheiten einmischen und man soll seine Grenze respektieren. Oder ich berufe mich hier auf Schuman, den selbst die Liberalen mit dem notwendigen Respekt als einen der Gründer Europas bezeichnen. Ich zitiere ihn: „Die Demokratie verdankt ihr Bestehen dem Christentum. Sie entstand an dem Tage, wo der Mensch dazu berufen wurde, in seinem irdischen Leben die Würde der Persönlichkeit durch individuelle Freiheit, die Achtung der Rechte jedes einzelnen und die Ausübung der Bruderliebe gegen alle zu verwirklichen.“ Heutzutage dürfte soetwas niemand mehr, höchstens noch der Herr Bischof ungestraft im Europäischen Parlament sagen. Die großen, auf die wir uns regelmäßig als Erschaffer der europäischen Einheit berufen, gehören in Wirklichkeit im Sinne des heutigen Wortgebrauchs nicht zu den liberalen Demokraten, sondern zu den illiberalen Demokraten. Deshalb bin ich der Ansicht, wir müssen keine Angst haben, wenn wir entgegen des Zeitgeistes es unternehmen, ein illiberales politisches und Staatssystem zu errichten.
Kehren wir zu der Frage zurück, warum sie uns hassen. Da sie annehmen, die Menschheit würde jetzt aus ihrem nationalen, das heißt ihrem sich auf die Nation und das Christentum konzentrierenden Zeitalter heraustreten, und man müsse die Menschheit in ein postnationales und postchristliches Zeitalter hinüberführen, glauben sie, hierzu sei ein Modell notwendig, die Menschheit brauche ein neues, universelles Modell, das sie in der liberalen Demokratie gefunden haben. Das Problem ist nun, dass jede eine derartige universelle Erlösung in der Politik propagierende Theorie nur dann stark und gültig ist, wenn sie ausschließlich ist. Der universale Wille kann kein einziges, noch so kleines Volk tolerieren, das nicht nachgeben will. Deshalb antwortet die Ideologie der universalen Erlösung und des universalen Friedens, wenn sie auf Widerstand stößt, auf diesen Zusammenstoß nicht mit einer Debatte, sondern mit Hass. Denn in ihrem Denken ist das der Menschheit angebotene Modell nur dann gültig und wahr, wenn es ausnahmslos wahr ist. Deshalb ist es so, dass ihr – nennen wir es so – liberales internationalistisches Programm nur dann wahr sein kann, wenn es für jeden Mann und jede Frau und in jedem Zeitalter gültig ist. Das geht auf Kant zurück, aber das ist jetzt eine andere Detailfrage. Nicht einmal die geringste Hartnäckigkeit ist tolerierbar, denn wenn es eine kleine Hartnäckigkeit gibt, die zeigt, auch eine andere Art der Organisierung, der Organisierung der Gemeinschaft kann existieren, dann ist die Lehre von der universalen Erlösung falsch. Und wenn Ungarn, Polen, Österreich, Italien und Tschechien trotzdem auf ihrer eigenen Auffassung bestehen, dann ist das unerträglich, dann ist das nicht tolerierbar. Gegen diese muss man nicht einfach nur kämpfen, sondern man muss sie hassen, denn sie stehen dem universalen menschlichen Guten gegenüber.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Das ist die Erklärung dafür, dass wenn sie in den Institutionen der Europäischen Union uns gegenüber sprechen – und der Herr Bischof hatte die Möglichkeit, dies zu erleben –, dann debattieren sie nicht, sondern überströmen uns mit einer galligen Suada. Nun, nach alldem müssen wir nur noch eine einzige Frage beantworten: Was genau für eine Zukunft wird dann die illiberale Demokratie in Europa haben? Diese Frage kann natürlich niemand mit Sicherheit beantworten, doch können wir sagen, dass anlässlich der letzten Wahlen zum Europäischen Parlament überall jene Parteien die besten Ergebnisse erreicht haben, die im Namen der liberalen Demokratie mit Kanonen gefeuert haben. Den größten Erfolg und den größten Zuwachs hatten jene erreicht, die – nennen wir es so – im Kreuzfeuer der Kritik des europäischen Mainstream standen. Da sind – lassen wir jetzt an dieser Stelle Ungarn mit seinen 53%, auch wenn das nicht wenig ist – aber unsere polnischen Freunde, da sind die Österreicher, da sind die Tschechen und da sind die Italiener. Sie waren die Erfolgreichsten bei den Wahlen zum Europäischen Parlament. Deshalb ist es meiner Ansicht nach die These eine verfechtbare, lebenstüchtige und rationale Entscheidung, nach der wir der These von der liberalen Demokratie nicht nur geistig, sondern auch auf der Ebene eines politischen Programms eine Antithese, die These von der illiberalen Demokratie entgegensetzen sollen. Wir müssten nur noch den Satz oder den zusammengesetzten Begriff finden, der dem grundsätzlich negativ klingenden Wort „illiberal“ einen positiven Sinn geben würde. Denn aus dem, was ich gesagt habe, ist ja offensichtlich, dass nach unserer Auffassung wir in diesen Gedanken nur laute gute Dinge komprimieren möchten. Und wie auch immer ich es drehe und wende, und ich nachdenke, ich kann keine bessere Definition geben, als dass der Sinn der illiberalen Politik nichts anderes ist als die christliche Freiheit, Christian Liberty. Die christliche Freiheit und der Schutz der christlichen Freiheit. Die illiberale Politik ist eine für die christliche Freiheit tätige Politik, die danach strebt, all das zu bewahren, was die Liberalen vernachlässigen, vergessen und verabscheuen.
Die Frage steht zum Abschluss noch vor uns, ob die christliche Kultur und die christliche Freiheit auf Schutz angewiesen sind? Meine Antwort lautet: Heute gibt es zwei Attacken gegen die christliche Freiheit. Die erste kommt von innen, und sie kommt seitens der Liberalen: Die christliche Kultur Europas aufzugeben. Und es gibt eine Attacke von außen, die in der Migration Gestalt annimmt, deren Ziel es zwar nicht, aber deren Folge es durchaus ist, dass sie jenes Europa vernichtet, das wir als Europa gekannt haben.
Nun, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wenn wir also erneut zu dem Ausgangspunkt zurückkehren, dass wir dreißig Jahre hinter uns haben, und wir von dieser prime time vielleicht noch fünfzehn Jahre vor uns haben, und womit wir diese zubringen werden, dann muss ich sagen, die vor uns stehenden fünfzehn Jahre werden wir damit verbringen, die Sendung unserer Generation wird sein, uns gegen den liberalen Zeitgeist und den liberalen Internationalismus zu wenden. Denn Ungarn können wir nur auf diese Weise stärken. Dies wird ein auf ungerechte Weise schwieriger Kampf werden. Sie sind im Vorteil, aber ich bin der Überzeugung, dass sich auch vieles, nicht alles, aber doch vieles auf unserer Seite findet, das man als schön, frei und gerecht bezeichnen und mit dem Begriff christliche Freiheit zusammenfassen kann.
Dann bleibt nur noch eine einzige Frage: Die, ob wir träumen oder ob wir wach sind? Wir müssen die Frage beantworten, ob es tatsächlich möglich sein sollte, ob wir nicht – langsam schon seit zehn Jahren – träumen, ob es möglich sein sollte, dass ein Land mit zehn Millionen Einwohnern in der Europäischen Union, in der Zeit des liberalen Zeitgeistes unter dem Schuldenberg hervorkriechen konnte, seine fiskalische, wirtschaftliche Souveränität wiederherstellen konnte, sich schneller entwickelt als die liberalen Demokratien? War es ihm möglich, die Migration abzuweisen, die Familien unter Schutz zu stellen, seine christliche Kultur zu verteidigen, die Vereinigung und den Aufbau der Nation zu verkünden, die Ordnung der christlichen Freiheit zu schaffen? Ist es ihm möglich, all dies im völligen internationalen Gegenwind zu überleben, ja zum Erfolg zu führen?
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Meiner Ansicht nach träumen wir nicht. Das ist sehr wohl möglich! So wie es auch in den vergangenen zehn Jahren möglich war. Aber nur dann, wenn wir für das einstehen, was wir denken, und für das, was wir wollen. Wenn wir mutig sind, wenn wir tapfer sind, denn jetzt ist Tapferkeit notwendig, und wenn wir zusammenhalten, so wie es der Leitsatz dieses Lagers sagt: „Dieses Lager ist eins!“ Nun, hierum wird es in unseren kommenden 15 Jahren gehen, und ich kann Sie nur mit dem Ruf ermuntern: Vorwärts Ungarn!