Sehr geehrter Herr Professor! Sehr geehrte Lehrende und liebe Studierende!
In der angelsächsischen Welt wird gelehrt, in einem guten Vortrag sollten mindestens drei Witze vorkommen, in einer Trauerrede reicht auch einer. Ich werde heute nichts dergleichen tun. Ich würde also nicht nur die Prüfung im Vortragen beim Herrn Professor am Christ Church College nicht bestehen, sondern auch jene an dem ihm gegenüberliegenden, viel kleineren College nicht, an dem auch ich einige Monate verbringen durfte, und deshalb habe ich aus erster Hand all das in Freundschaft und ein bisschen traurig gehört, was unser Hauptredner heute hier über die westliche akademische Welt gesagt hat. Was ich hier jetzt versuche, ist, einen geistigen Bogen von den Gedanken unseres Gastredners über den Zustand der westlichen Welt und Mitteleuropas bis zu ihrer persönlichen Situation zu spannen. Es wird kürzer sein, als es beim ersten Hören erscheint.
Zunächst einmal danke ich für die Einladung, ich habe sie mit Freuden angenommen, in erster Linie wegen Ihnen, Studierenden. Ich freue mich, Sie sehen und ausführen zu können, warum Ihre persönliche Leistung, Ihr Engagement und Ihre Bestrebung, hervorragend zu sein, für Ungarn wichtig ist. Ich kann Ihnen jetzt persönlich darlegen, welch unvergleichlich schwierige und großartige Jahrzehnte auf Ihre Generation warten. Und ich habe auch wegen der Person unseres Hauptredners die Einladung mit Freuden angenommen. Seine Bücher hatten eine außerordentliche Bedeutung für mich. Denn was ist schließlich die Aufgabe der führenden Politiker? Letztendlich vielleicht ihrem eigenen Volk zu helfen, sich auf die Herausforderungen vorzubereiten, die ihm bevorstehen. Doch diese Arbeit kann nur dann verrichtet werden, wenn die führenden Politiker es wissen, es verstehen, oder es zumindest ahnen, wie sich dann die uns umgebende Welt gestalten wird. Und da dies niemand mit Sicherheit wissen kann, brauchen wir Geister, Geister großen Formats, aus deren auch miteinander debattierenden Ansichten die führenden Politiker das wahrscheinlichste Drehbuch der Zukunft herausschälen und dann diese Vision in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen können. Die Arbeiten, die Bücher, auch die auf Ungarisch erschienenen Bücher unseres heutigen Hauptredners stellten für mich eine ernsthafte Hilfe und starke Inspiration dar.
Aus seinem Buch „Der Westen und der Rest der Welt” habe ich zum Beispiel verstanden, dass am Aufstieg des Ostens und Chinas nichts Außergewöhnliches ist. Die Geschichte der Menschheit überblickend ist es logisch, dass sich das Zentrum der Weltwirtschaft im Osten befindet. Die Tatsache, dass das 21. Jahrhundert das Jahrhundert Asiens sein wird, hat nichts Schlechtes an sich. Natürlich nimmt es das auf seine geistige Vorherrschaft so stolze Europa und auch die an ihre wirtschaftliche und militärische Führungsstellung in der Welt gewohnten Vereinigten Staaten seelisch mit. Die zu lösende Frage ist vielmehr, die der Herr Professor dann auch in seinem Buch gelöst hat, wie es möglich war, dass 400 Jahre lang der Westen der Welt voranschritt und der Westen an der Spitze der Welt stand? Dies ist es, was viel eher einer Erklärung bedarf.
Ich habe verstanden, dass über die technischen Instrumente, neuartigen Institutionen, wissenschaftlichen Entdeckungen hinaus bzw. hinter diesen auch immer das Bewusstsein des Westens steckte, eine Ausnahme zu sein und eine Sendung zu besitzen, was ihm Inspiration und Selbstbewusstsein verlieh. Die Überzeugung, dass der westliche Mensch eine Aufgabe in der Welt sowie mit der Welt besitzt und er handeln muss, um diese Aufgabe zu erfüllen, sie zu vollbringen. Natürlich wissen wir, dass die westliche Sendung geistige, spirituelle Grundlagen besitzt, die im Christentum zu finden sind. „Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern.” – heißt die Aufforderung im Evangelium des Matthäus. Diese Auffassung lebte, wenn auch in veränderter Form, im Westen auch in der Zeit der Aufklärung, des humanistischen Menschenideals, der Menschenrechte und der Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaften weiter.
Im Zeitraum der unbezweifelbaren Entwicklung und der glänzenden Erfolge hielt trotz der offensichtlichen Irrtümer, Missgriffe und schwerwiegenden Mängel die Überzeugung lange durch, dass die Bilanz der westlichen Zivilisation und der Sendung des Westens grundlegend positiv sei. Doch irgendetwas hat sich bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts verändert. Und dies geschah gerade dann, als der durch die Angelsachsen angeführte Westen seinen glänzendsten Sieg verbuchen konnte, indem er den Kalten Krieg gewann. Wie der Herr Professor es in seinem neusten Buch derart anschaulich beschreibt, charakterisiert die apokalyptische Stimmung immer stärker das Denken der westlichen Gesellschaften. Und tatsächlich steht die westliche Zivilisation vor ernsthaften, ja schwerwiegenden Herausforderungen. In Amerika übernimmt nach der die Konservativen und deren Gedanken aus dem Weg räumenden liberalen Hegemonie der dort bei ihnen „Woke“ genannte Neomarxismus die Leitung der die Gedanken und das Denken formenden Institutionen. In Europa haben seit vielen hundert Jahren an den beiden Küsten des Mittelmeeres die Wellen der einmal in der Mehrheit christlichen, ein anderes Mal in der Mehrheit muslimischen Menschenmassen jetzt eine muslimische demografische, politische und wirtschaftliche Flut, einen Strom gestartet, dadurch in Frankreich, Italien, den Niederlanden, Belgien, Deutschland und in Österreich eine neue Situation schaffend, d.h. es gelang das erste Mal in der Geschichte Europas über Hispanien, auch in den Norden einzubrechen. Es scheint, als ob der Westen an keinem Ufer des „Großen Teichs“ in der Lage sei, auf diese Probleme adäquate politische Antworten zu geben. Und dazu kommt noch die Expansion und die spektakulären Erfolge Asiens und der nicht westlichen Organisationsformen der Gesellschaft.
Sehr geehrte Studierende! Herr Professor!
Was ist die Erklärung für die Lähmung des Westens? Wir, Mitteleuropäer, sind – kurz gesagt – der Ansicht, dass der Westen schrittweise den Glauben an seine eigene Mission verloren hat. Er sucht weiter keinen Sinn mehr in seiner eigenen Geschichte, er spricht lieber darüber, dass diese bald zu Ende gehen wird. Er deutet einzelne Zeiträume um oder löscht sie aus, schämt sich ihrer, verurteilt sie zum Ausgeräumt-Werden, und ist zugleich nicht in der Lage, etwas Anderes an ihre Stelle zu setzen. Und die, die nicht gelähmt sind, sondern sehr wohl aktiv, das sind dekonstruktive, zersetzende Kräfte, in deren Fall es besser wäre, sie wären gelähmt. In Poppers die Ideologie der offenen Gesellschaft begründenden Werk gleichen Titels können wir lesen, dass wer seiner eigenen Nation oder politischen Gemeinschaft besondere Werte und eine historische Mission zuschreibt, der sei im Wesentlichen ein Feind der offenen Gesellschaft und errichtet in Wirklichkeit – ganz gleich, ob er sich dessen bewusst ist oder nicht – die Tyrannei.
Sehr geehrte Studierende! Herr Professor!
Diese Ansicht ist vielleicht die wirksamste Feststellung des westlichen Denkens nach dem Zweiten Weltkrieg und zugleich jene, die eine am meisten destruktive Wirkung besitzt. Ihre Bedeutung ist außerordentlich, denn heute ist die offene Gesellschaft – das können wir ruhig behaupten – die einzige als ideologisch konsistent zu betrachtende geistige Richtung des Westens. Doch hat die Konzeption der offenen Gesellschaft den Westen des Glaubens an seine eigenen Werte und seine historische Mission beraubt, und das verhindert es, dass jetzt, in der Zeit der muslimischen Flut bzw. des Aufstiegs von Asien der Westen seine eigene Mission den aufsteigenden geistigen und politischen Kraftzentren entgegenstellt. Das ist, als würde jemand entgegen der Ergebnisse und Fehler des tätigen Lebens, nur weil es in diesem Leben Fehler gab, das langsame Vergehen eines tatenlosen Lebens wählen.
Wir sind hier in Mitteleuropa der Ansicht, dass wir ohne eine Mission zum Scheitern verurteilt sind. Wir glauben nicht, dass jemand auf die Weise vorankommen könnte, dass er dabei den Glauben daran verliert, es sei wichtig, was er tut, ja es besitze auch einen höheren Sinn. Wer seinen Glauben an seine eigene Außergewöhnlichkeit und an seine Mission verliert, der verliert die Inspiration, auch die Motivation des Strebens zum Besseren und wird schließlich unbedeutend. Dies bedeutet in der Politik so viel wie als führender Politiker eine kleinkarierte Karriere anstatt der Teilhabe an dem großen Schicksal zu haben. Das ist die Übersetzung der Sache in die Sprache meines Metiers, doch können Sie das sicherlich auch in die Sprache ihres eigenen Metiers übersetzen. Wenn dies eintritt, dann ziehen die Mitwettbewerber an uns vorbei, und der einzelne oder eine Gemeinschaft bleibt in ihrer Schwäche allein. Ich langweile Sie nicht mit vielen Tatsachen. Zwei möchte ich hervorheben. 2007 betrug der Anteil der Europäischen Union am GDP der Welt mehr als 25 Prozent, dies ist bis 2020, im Laufe von dreizehn Jahren auf 18 geschrumpft. 2007 wurden 81 Prozent der Investitionen der Welt im Westen getätigt oder sind vom Westen nach den Osten gegangen, und es gab in der Welt nur 17 Prozent an Investitionen, die aus Quellen aus dem Osten entstanden. Wir haben Zahlen aus 2019. Heute beträgt der Anteil des Westens 31 Prozent und der des Ostens 66 Prozent. Die Tatsachen zeigen also, dass unsere Konkurrenten, die über einen größeren geistigen Auftrieb verfügen, die besser organisiert sind, die in der Lage sind, sich selber effektiver zu organisieren, an uns, den westlichen Ländern vorbeiziehen. Soweit ich das sehe, bestimmt dieser Prozess heute das Leben des Westens. Sie sind reich und schwach. Das ist die gefährlichste Kombination. Die Aufstrebenden sehen nichts Ehrenwertes in ihnen, sondern nur die leichte Beute.
Was antwortet Mitteleuropa auf diese Situation? Wir, Ungarn, haben bisher unsere eigene Mission nicht aus den Augen verloren. Das wäre auch schwer gewesen. Wir haben auch Glück, denn wir besitzen eine in der Welt singuläre Sprache, und hierauf hat sich eine gewaltige volkstümliche und hohe Kultur, Musik, Literatur, politische und staatsorganisierende Kultur, ja auch Kunst aufgebaut. Meiner Überzeugung nach beruhen die Debatten unserer Tage mit dem Westen, nennen wir ihn der Einfachheit halber Brüssel, die Debatten zwischen Brüssel und Ungarn gerade auf diesem Unterschied. Für die gebildete westliche Öffentlichkeit ist inzwischen das Sendungsbewusstsein einer politischen Gemeinschaft, einer Nation inakzeptabel, es ist verdächtig, während dies für uns die elementare Vorbedingung des Seins und so natürlich wie das Atmen ist. Unsere Kultur, die ungarische Nationalkultur, die seit vielen hundert Jahren dokumentiert ist und deren Anfänge weit in die Jahrtausende in der Steppe zurückreichen, kann nur in uns, über uns und durch uns existieren. Ohne uns geht sie für alle Zeiten der gesamten Menschheit verloren. Unsere Mission ist keine geringe. Und seit die Ungarn ihre erste Stammesstaatsorganisation erschaffen haben, besaß und besitzt diese immer nur ein Ziel, verfolgte sie ein einziges Ziel: Gemeinsam mit den hier lebenden Völkern das Karpatenbecken zu organisieren und das Zusammenleben und die Prosperität der hier lebenden Völker zu sichern. Und jetzt sind nicht die staatlichen Rahmen die wesentlichen, wenn wir die für das Heute relevante Lehre dieser Geschichte suchen, der staatliche Rahmen ist sekundär, was wichtig ist, das ist die Zusammenarbeit und das gemeinsame Sich-Organisieren der in der Region lebenden Völker. Die das Karpatenbecken organisierenden Ungarn waren aus dem Grund für diese Aufgabe geeignet, da wir von vornherein ein mehrsprachiges und eine bunte ethnische Zusammensetzung aufweisendes Volk waren, so wie dies die natürliche Existenzform der in den asiatischen Steppen entstandenen Stammesverbände war. Über viele hundert Jahre hinweg bedeutete der Schutz des unabhängigen Karpatenbeckens unsere Mission und unsere Profession, nicht zuzulassen, dass man uns in den politischen, kulturellen und staatlichen Rahmen der deutschen oder der ottomanischen Welt einfügt. Die Einfälle der Tataren, das Voranstürmen der moslemischen Welt im Mittelalter, die Besatzung durch die Nazis, die sowjetische Besatzung und der antichristliche Charakter der kommunistischen Jahrzehnte verband den Schutz des Karpatenbeckens und den Schutz des Christentums zu einer großen nationalen, einer mitteleuropäischen, ja sogar zu einer Profession von europäischer Bedeutung. Mutatis mutandis spielten sich ähnliche Prozesse nördlich von uns in der polnischen Welt und südlich von uns auch auf den Gebieten des Balkans ab. Auch dort leben Völker, die eine Antwort auf die Frage geben können, was ihre nationale Mission und ihre Profession sind.
Wenn ich über das Christentum spreche, muss ich einen Abstecher machen, indem ich auf eine Gefahr aufmerksam mache. Wenn wir über die christdemokratische Politik sprechen hören, müssen wir wissen, dass das Christentum aus zwei Dingen besteht: aus dem Glauben und aus der durch den Glauben inspirierten und erschaffenen Lebensformen. Wenn die Politik über Christentum und Christdemokratie spricht, denkt sie an das letztere. Denn in Glaubensfragen sind die Regierungen nicht zuständig. Die Erlösung und die Verdammnis, die wesentliche Fragen des Glaubens sind, liegen ganz einfach außerhalb des Gebiets, wo die jeweilige Politik irgendeine legitime Aufgabe zu verrichten hätte. Wenn wir über Christentum und Christdemokratie sprechen, dann verteidigen wir jene Lebensformen, die aus den mit dem christlichen Glauben durchtränkten Gesellschaften hervorgewachsen sind. Der Schutz der persönlichen Würde, der Freiheit der nach dem Bilde Gottes erschaffenen Menschen, der Familie so, wie sie im Christentum erschaffen worden ist, der nationalen Gemeinschaft und der Glaubensgemeinschaften. Das ist das Wesen der christdemokratischen Politik, und nicht die Verteidigung der Glaubensprinzipien und der Glaubenssätze.
Jetzt nach dem Abstecher zu dem zurückkehrend, was ich sagen möchte, sehr geehrter Herr Professor und liebe Studierende, dieser historische Prozess hat insgesamt eine von der westlichen abweichende Lebensauffassung, ein nationales Selbstgefühl und Lebensideale in Mitteleuropa zum Ergebnis gehabt. Wenn ich heute mit den führenden Politikern der westeuropäischen Länder über Gender, Migration, nationale Souveränität, über die gefährlichen imperialen Neigungen Brüssels mich unterhalte, denn man kann mit ihnen trotz des Scheins über solche Dinge reden, da deuten sie unsere Debatten und Meinungsunterschiede als Phasenverschiebungen im Entwicklungsgrad. Sie glauben, wir wären – da wir über Jahrzehnte nicht zur westlichen Gemeinschaft gehörten – einfach nur noch weiter zurück, aber wir werden uns sicher zu ihnen hochentwickeln. Sie verstehen nicht, dass es sich hier um einen tiefen, kulturellen, geographischen, geopolitischen und philosophischen Unterschied handelt, der nichts mit der von ihnen imaginierten historischen Entwicklung zu tun hat. Hier an der Grenzlinie zwischen dem lateinischen und dem orthodoxen Geist, im Grenzgebiet der westlichen und der russischen Welt, an der Bruchlinie der christlichen und der moslemischen Zivilisation besitzt das Leben mehr Gewicht, hier steht immer mehr auf dem Spiel, hier ist das Selbstbild der Menschen, Völker und Nationen immer konturierter. Im Westen ist eine schlecht gefällte Entscheidung, eine falsche Wahl der Karriere oder eine entlang falscher Prinzipien verrichtete Arbeit immer ein leicht korrigierbarer Irrtum. Hier in Mitteleuropa kann jeder Fehler oder Irrtum möglicherweise zugleich auch der letzte gewesen sein. Hier gestaltet sich das Leben so, dass die Arbeit der Gemeinschaft, die Arbeit jedes Mitglieds der Nation und seine persönliche Lebensleistung sich in der großen gemeinsamen Kraftanstrengung addieren, unsere Mission zu erfüllen. Jedes Kind ist ein weiterer Wachposten, jede anständig verrichtete Arbeit und jedes produktive Leben ist ein Beitrag zur großen gemeinsamen ungarischen Unternehmung, zur Erfüllung unserer viele Jahrhunderte alten Mission. Deshalb sind wir so, wie wir es sind. Deshalb sind hier alle ungarischen Bürger selbstbewusst stolz. Man ist sich im Klaren über die Bedeutung des eigenen Lebens und der Arbeit. Es mag sein, dass dies nur wenige Menschen präzise ausdrücken können, doch widerlegt dies nicht meine These, denn die sich auf die Mission aufbauende Lebenseinstellung ist primär keine Frage des Verstandes, sondern des Herzens. Dies ist ein großes Geschenk des Schicksals, deshalb können wir in einem Land leben, wo vom Straßenkehrer über den Industriearbeiter und Beamten bis zum Firmenleiter der ungarische Mensch dazu neigt, so auf seine Arbeit zu blicken, wie auf seine eigene persönliche Berufung, von der sein Leben abhängt. Dies verbindet uns gemeinsam auf geheimnisvolle Weise in einem gemeinsamen Schicksal. Wen das tiefergehend interessiert, dem empfehle ich – wie ich das auch meinen westlichen Kollegen zu tun pflege: Lesen sie Kundera, eventuell Márai. Das heißt hier in Mitteleuropa zeigt es die Berufung, ob wir für zu leicht befunden worden sind, wenn wir dann bei der Endabrechnung gewogen werden. Und hieraus entspringt jener beinahe unendliche Stolz, mit dem der ungarische Mensch sich selbst in die unbedeutendsten geistigen und fachlichen Debatten stürzt. Und deshalb ist es so, dass in Ungarn beinahe ein jeder ein Politiker ist. Seine fachliche Berufung macht ein jeder zu einer politischen Frage, denn in der vorherigen Annäherung ist sie das im Grunde auch.
Die jeweilige ungarische geistige Elite kann man aber daran erkennen, dass sie diese eigentümliche ungarische Mission nicht nur spürt, sondern sich auch ihrer bewusst ist. An dieser Stelle sind wir bei Ihnen angekommen. Deshalb ist – im Einklang mit den eigenen fachlichen Karrierezielen – hier die Aufgabe der geistigen Menschen, diese Mission zu verstehen, in öffentlichen Fragen auf diese zu reflektieren, die sich mit der Zeit immer verändernden und sich erweiternden Formen der Mission zu fassen, sie zu beschreiben und den Bürgern der Nation anzubieten, die ein Metier anderer Art, ein nicht geistiges Metier ausüben. Das heißt, der Zustand und die Leistungsfähigkeit der Menschen des ungarischen geistigen Lebens, wohin auch Sie gehören, ist in Ungarn immer auch nicht nur eine individuelle, sondern eine nationalstrategische Frage. Innerhalb dieser ist auch die Förderung von Talenten, mit einem modernen Wort: die Talentförderung eine der größten Herausforderungen und zugleich der Ressourcen der ungarischen Nation.
Sehr geehrte Studierende!
Das heißt, Sie tragen auf Grund der Ihnen vom lieben Gott verliehenen herausragenden geistigen Fähigkeiten eine besondere Verantwortung für die Zukunft der Ungarn. Das Gewicht von tausendeinhundert Jahren lastet auf Ihren Schultern. Seien Sie dankbar dafür, und tun Sie, was Sie tun müssen!
Ich danke Ihnen, dass Sie mich angehört haben!