Viktor Orbáns Interview in der Sendung „Guten Morgen Ungarn” von Radio Kossuth
8. Oktober 2021

Katalin Nagy: Mehr als achthundert mit dem Virus neu infizierte Menschen im Laufe eines Tages, und es haben sich bisher nur 5,9 Millionen Menschen in Ungarn die erste Impfung geben lassen. Übrigens kämpft man in allen Ländern dafür, um die Menschen von der Impfung zu überzeugen. Ich begrüße im Studio Ministerpräsident Viktor Orbán! Was ist Ihre Meinung über den – moralisch vielleicht etwas bedenklichen – Vorschlag, der in einem EU-Land gemacht worden ist, man solle hundert Euro den Menschen zahlen, die bereit sind, sich impfen zu lassen?

Guten Morgen! Wir haben Herbst, noch dazu so einen regnerischen, traurigen Herbst. Diesen haben wir nicht sehr gern, aber für das Virus ist es dessen Lieblingswetter. Das haben wir auch im vergangenen Jahr erleben können, unter solchen meteorologischen Bedingungen verbreitet sich auch das Virus im Herbst irgendwie schneller. Nur die Impfung hilft! Natürlich kann man sich mit Isolation, Maske und anderen Dingen schützen, aber das wird uns nicht schützen. Das ist ein Virus, dies sagen mir die Experten des Gesundheitsschutzes, gegen das nur die Impfung hilft. Wer sich nicht impfen lässt, ist in Gefahr, ja es gibt auch einen Professor, der im Laufe der Konsultation weiter ging und sagte, jene, die sich nicht impfen lassen, werden alle durch das Virus gefunden. Wir sind also in Gefahr, wir müssen auf uns aufpassen. Ich halte die Ungarn für ein ernsthaftes Volk, wir sind ein seriöses Land, und zu zahlen, damit sich jemand selbst schützt, das hört sich für ein ungarisches Ohr irgendwie seltsam an. Ein seriöser Mensch weiß genau, dass er in Gefahr ist, er überdenkt das Maß dieser Gefahr, und fällt danach eine persönliche Entscheidung: Er lässt sich impfen oder nicht, er geht die Gefahr ein oder er schützt sich. Hier muss ein jeder darauf achten, dass man sich nicht nur selbst in Gefahr bringt, wenn man sich nicht impfen lässt, aber auch andere Menschen, denn wer noch nicht geimpft worden ist, den kann man dann noch selbst infizieren. Es ist ein verantwortungsbewusstes Verhalten, wenn man sich impfen lässt. Zugleich agitieren in Ungarn viele Stimmen gegen die Impfung, man verbreitet alle möglichen Horrornachrichten und das bleibt nicht ohne Wirkung, weshalb sich viele Menschen nicht haben impfen lassen. Ich empfehle einem jeden, sich auch die dritte Impfung verabreichen zu lassen. Die Zahl unserer Landsleute, die dies getan haben, liegt jetzt schon bei über 800 tausend. Auch ich werde sie mir in der kommenden Woche geben lassen, ich habe das Gefühl, die Zeit dafür sei gekommen, obwohl ich kein ängstlicher Typ bin, doch habe ich jetzt irgendwie das Gefühl, dass ich diese dritte Impfung brauche, ich werde sie mir auch verabreichen lassen, und ich empfehle einem jeden, meinem Beispiel zu folgen.

Behaupten die Experten eindeutig, die dritte, die Auffrischimpfung sei notwendig, damit – so wie die Zeit vergeht – ihr Schutz nicht verlorengeht?

Niemand weiß etwas Gesichertes, denn das ist ein noch sehr junges Virus. Trotzdem weiß nur der liebe Gott, die wievielte Variante in der Welt tobt, und es wird weitere geben. Was die Ärzte mit Sicherheit sagen können, ist, dass die Impfung funktioniert. Und sicher ist auch, dass es besser ist, wenn es eine dritte gegeben hat, als wenn nicht. Vielleicht wären auch zwei Impfungen genug, auch ich habe bisher so laviert, man freut sich ja nicht, wenn man sich impfen lassen muss, über die ersten beiden wusste ich, dass sie notwendig sind, über die dritte war ich mir nicht sicher, aber ich ersehe aus den Zahlen, ich verfolge die Daten unserer Nachbarländer und auch die heimischen Zahlen, daraus ersehe ich, dass es besser ist, wenn es eine dritte Impfung gibt, als wenn es keine gäbe. Vielleicht wird gerade diese mich vor der Krankheit schützen, und die Älteren vielleicht davor, vor der Zeit uns zu verlassen.

Die Presse schreibt, es gäbe in Westeuropa eine Panik wegen der Nebenkosten. Sie haben sich jetzt in Slowenien getroffen, und Sie haben dahingehend formuliert, dass für diese Situation, für diese ungeheuerliche Explosion der Energiepreise sei unter anderem Brüssel verantwortlich. Was heißt das?

Die Nebenkosten sind sehr empfindliche Dinge für Länder wie Ungarn. Es gibt reichere Länder als wir, für die die Frage der Nebenkosten keine so wichtige Frage ist wie hier in Ungarn, doch können die Nebenkosten die ungarischen Familien malträtieren. Wenn diese hochgehen, die Hausfrauen wissen das besser als ich, wenn die monatliche Kasse der Familie gezählt wird, dann sehen sie genau, welche Summe für die Nebenkosten gezahlt werden muss. Hinzu kommt noch, dass dies in den vergangenen zwanzig Jahren in Ungarn auch eine unmittelbare politische Frage war, der Grund dafür ist – die Jüngeren erinnern sich vielleicht nicht mehr daran, oder sie waren damals noch gar nicht geboren –, dass es 2002 einen großen Wahlkampf gab und wir die Wahlen verloren, und die Sozialisten sie gewonnen haben. Und wir haben auch damals die ungarischen Menschen darauf aufmerksam gemacht, dass wenn es eine linke Regierung gibt, dann erteilt diese den großen internationalen Versorgern immer die Erlaubnis – denn damals befanden sich alle Strom- und Gasversorger beinahe ausnahmslos in ihren Händen –, die Preise zu erhöhen, denn sie stehen im Allgemeinen auf der Seite der großen internationalen Firmen und fordern den Marktpreis. Damals leugneten sie, dass sie solch eine Absicht hätten, danach haben sie dann aber über zehnmal die Preise für Gas und für Strom angehoben; der Strompreis stieg auf mehr als das Doppelte, vielleicht sogar auf das Dreifache an, und der Strom auf das Doppelte. In Ungarn ist das also zwischen den Lagern auch eine Kampffrage, eine Diskussion, was mit den Nebenkosten geschehen soll. Auch jetzt habe ich im Parlament vor ein-zwei Wochen oder einem Monat noch eindeutig hören können, als die Linken sagten, genau so wie das die Gyurcsány-Bajnai-Regierung getan hatte, es sollen Marktpreise für Energie geben. Wenn es hier Marktpreise gäbe – die Regierung hat das zurückgewiesen, wir haben das niedrige Niveau der Nebenkosten auch im Parlament verteidigt –, wenn wir es akzeptiert hätten, an den Punkt zurückzukehren, an dem wir in der Gyurcsány-Bajnai-Ära waren, dann müsste eine durchschnittliche ungarische Familie 360-370 tausend Forint mehr bezahlen, monatlich würde um 32 tausend Forint mehr Geld aus der Familienkasse fehlen. Deshalb müssen wir meiner Ansicht nach bei der gegenwärtigen Lage ausharren, wir müssen die Senkung der Nebenkosten verteidigen und deutlichmachen, dass es in Ungarn einen festgelegten Preis gibt, dieser verändert sich nicht, und mit ihm können die Familien mit Sicherheit rechnen. Wie gut, dass dies so ist! In zahlreichen westeuropäischen Ländern ist jetzt die Panik wegen des Preisanstiegs ausgebrochen. Ungarn bleibt davon auch nicht verschont, denn die Preise der Kraftstoffe, die keine festgelegten Preise sind, sondern sich auf Grund des Marktes verändern, na, da kann man genau spüren, wie hoch die Energiepreise in der Welt gestiegen sind, das sehen auch die Ungarn, wenn sie tanken. Doch wäre es nicht richtig, wenn wir die Energieversorgung der Haushalte mit Weltmarktpreisen lösen würden, denn dies würde sehr viele Familien in eine hoffnungslose Lage bringen, deshalb geben wir in dieser Frage nicht nach. Was hat Brüssel damit zu tun, nicht wahr? Brüssel hat deshalb etwas damit zu tun, da diese braven Bürokraten sich ausgedacht haben, man müsse auf die Weise gegen den Klimawandel kämpfen, indem man ständig den Preis für Energie anhebt. Den Preis für jene Energie, die im Übrigen aus Kohle oder aus Gas entsteht, die beiden ziehen jeweils einander mit sich, und da jetzt der Gaspreis auf dem Weltmarkt angestiegen ist, erfolgte ein hoher Preisanstieg. Sie erhöhen absichtlich die Preise, sie denken also genau das Gegenteil dessen, was wir, Ungarn, denken. Wir sagen, die Nebenkosten müssen gesenkt werden, man muss die soziale Lage der Familien verteidigen, und sie denken, man könne dann die Wirtschaft dazu zwingen, sich auf ein weniger verschmutzendes Energiesystem umzustellen, wenn wir die Preise kräftig anheben, denn wenn der Preis des aus Gas stammenden Stromes hoch ist, dann werden die Menschen irgendeine andere Art von Strom kaufen. Wenn es sie gibt, sage ich. Aber wenn es sie nicht gibt, dann können die Armen nichts anderes kaufen, dann steigen die Gaspreise und wir alle müssen den höheren Gaspreis bezahlen. Nun, deshalb sage ich, dass die Brüsseler Entscheidung eine entscheidende Rolle dabei gespielt hat, dass in der Welt eine Nebenkostenkrise entstanden ist. In Spanien sind die Preise um 400 Prozent angewachsen. Und es gibt noch eine Reihe von Ländern, Länder die stärker und reicher sind als wir, die so ziemlich leiden. Man muss also diese Entscheidungen zurücknehmen, man muss sie ändern. Ein Kommissar namens Timmermans bedroht uns am meisten, er bedroht die europäischen Menschen mit den hohen Energiepreisen. Man hat eine Berechnung aufgestellt, wie sich der Preis im kommenden Zeitraum ganz bis 2050 gestalten wird, und dort, wo die Gaspreise und die Energiepreise sich jetzt befinden, da hätten wir irgendwann um 2035 herum sein müssen.

Dann haben Sie sich verrechnet.

Das haben sie vermasselt, ich kann das nicht höflicher formulieren. Das ist ein ernsthafter fachlicher, ein politischer Fehler. Brüssel ist heute das Problem. Es ist also nicht die Lösung, sondern das Problem selbst. Deshalb haben die Polen und die Tschechen – das kommt selten vor, aber – noch nachdrücklicher als die Ungarn klargestellt, dass dies für sie inakzeptabel ist. Wir sind also zu dritt, die Tschechen, die Polen und die Ungarn, die es sehr deutlich gemacht haben, dass wir die Zurücknahme der Regeln fordern, die zu den gegenwärtigen hohen Preisen beigetragen haben.

Werden Sie auch neue Vorschläge für den nächsten, in zwei Wochen folgenden Gipfel haben?

Wir haben auch schon mehrere Vorschläge gemacht. Die Veränderung bestimmter Regeln, die Rücknahme bestimmter Verordnungen, die Nutzung der in der Europäischen Union in Zeiten von Krisen einsetzbaren Finanzfonds, wir haben also nicht nur „nein“ gesagt, wir wollen nicht nur ein Veto einlegen, sondern wir haben auch Vorschläge in Hinblick darauf gemacht, wie man mit der Situation umgehen müsste. Es war eine große Schlacht. Das beste Wort wäre: Die Empörung war riesig. Anstatt zu helfen, erschwert, verschlimmert Brüssel die Lage. Das hat Empörung ausgelöst. Die Stimmung war so, wie ich sie nur selten erlebe, und wir konnten zu keinem Ergebnis miteinander kommen. Wir sind darin verblieben, dass auf dem in zwei Wochen fälligen nächsten Gipfeltreffen der Ministerpräsidenten die Frage der Nebenkosten auf die Tagesordnung gesetzt werden muss, und dort wird sich die polnisch-tschechische-ungarische Front halten.

In Ungarn hat man die Voraussagen über das Wirtschaftswachstum geändert. Es scheint sehr stark so zu sein, dass dieses Wachstum nicht 7,5, sondern 8 Prozent betragen wird. Was ermöglicht dies der Regierung, darüber hinaus, ihr Versprechen zu halten, laut dem sie den Kinder erziehenden Familien die Einkommenssteuer zurückzahlen oder die Rentenprämie von 80 tausend Forint auszahlen bzw. dafür kämpfen wird, damit den Rentnern die gesamte dreizehnte Monatsrente zurückgegeben werden kann?

Was war dabei das Schlüsselmoment? Das Schlüsselmoment war das, dass die ungarische Wirtschaft fähig war, jene Leistung zu erreichen, die sie vor der Epidemie aufgewiesen hatte. Sie hat dieses Niveau nicht von selbst erreicht, sondern weil die ungarischen Menschen gearbeitet haben. Die ungarische Wirtschaft ist also eine Wirtschaft, in der die Veränderung der Energiepreise in der Welt unvorteilhaft ist, da wir über keine eigenen oder nur über sehr geringe Energiequellen oder Rohstoffe verfügen. Wir können uns also nicht so verteidigen wie zahlreiche Länder, die – im Gegensatz zu uns – ihre Gebiete nicht verloren haben, oder von Vornherein über bessere wirtschaftliche Gegebenheiten verfügten, dass wir, wenn es Probleme gibt, mehr Reichtum, mehr Gas, mehr Öl oder mehr Erz der Erde entnehmen. Wir haben das alles nicht. Wir haben also nur die Möglichkeit zu einer aus Arbeit betriebenen Wirtschaft. Deshalb hängt die Leistung der Wirtschaft immer davon ab, welche Leistung die Menschen erbringen, wie sie arbeiten, hierin im Übrigen die Arbeiter, die Hilfs- und Facharbeiter, die Ingenieure, die Firmenleiter mit inbegriffen und auch die Wirtschaftspolitiker der Regierung mit inbegriffen. Wenn die sich mit der Wirtschaft beschäftigenden Menschen eine gute Leistung erbringen, dann arbeitet die ungarische Wirtschaft gut. Wenn ihre Leistung nachlässt, die Leistung auch wessen von ihnen, den Hilfsarbeiter und auch den Wirtschaftsminister mit inbegriffen, wenn also jemand von ihnen einen Fehler macht, so wird man das innerhalb einiger Momente der Leistung der Wirtschaft ansehen. Zum Beispiel, als es schlechte Regulierungen unter der Gyurcsány-Bajnai-Regierung gab und es sich besser lohnte, aus Hilfen zu leben denn aus Arbeit, war dies innerhalb eines Augenblicks der Leistung der ungarischen Wirtschaft anzusehen, denn wir können nur aus Arbeit leben. Wenn wir also jetzt sagen, die Wirtschaftsleistung habe jenes Niveau erreicht, auf dem wir vor der Epidemie waren, wird dies ein ausgesprochen gemeinsamer, großer Erfolg von ganz Ungarn sein. Und deshalb haben wir die Möglichkeit, Dinge zu tun, an die wir früher nicht einmal zu denken gewagt haben. Übrigens gibt es unter den 27 nur zehn Länder in der Europäischen Union, denen das gelungen ist, was uns gelang, nämlich das Niveau der Wirtschaftsleistung von vor der Pandemie zu erreichen. Jetzt geschehen Dinge, die früher beispiellos waren. Den Rentnern können wir die Rentenprämie zahlen, das ist verbunden mit dem Wirtschaftswachstum, wir können sie im kommenden Monat auszahlen, und das wird dann 80 tausend Forint bedeuten. Wir korrigieren auch die Inflation, denn sie ist höher geworden, als wir das früher geplant hatten, auch das geben wir den Rentnern. Oder: Noch nie hat in Ungarn jemand den Menschen bereits eingezahlte Steuern zurückgegeben. Die Menschen pflegen so zu denken, dass wenn das das Steueramt einmal schon weggenommen hat, dann können sie es vergessen. Es gibt kaum hoffnungslosere Unternehmungen, wenn wir die Menschen fragen, als zu versuchen, na, Geld aus dem Steueramt herauszuholen. Und darin steckt viel Wahrheit, das Steueramt ist nicht dazu da, um das Geld zurückzugeben, sondern es wegzunehmen, denn es muss die Steuern eintreiben. Demgegenüber wird jetzt geschehen, dass das Steueramt 600 Milliarden Forint zurückgeben wird. Das ist eine gewaltige Zahl! Man muss sich das so vorstellen, dass man 1,9 Millionen Familien jene Steuer zurückzahlt, die sie im Übrigen im Jahr 2021 eingezahlt haben, sie haben also die Steuervergünstigung für Familien abgezogen und nach der darüberliegenden Summe die Steuern bezahlt, dann werden sie diese zurückerhalten, natürlich wird ein oberes Limit angelegt, aber das betrifft beinahe zwei Millionen Menschen. Und wir haben jetzt auch über die Lohnerhöhungen entschieden. Ab dem 1. Januar 2022 erhöhen wir die Gehälter der Krankenschwestern um 21 Prozent, die der Mitarbeiter der Kinderkrippen um 20, die der im sozialen Bereich Arbeitenden um 20 Prozent und wir erhöhen auch die der im Kulturbereich Arbeitenden um 20 Prozent. Und obwohl wir uns in einer großen Schlacht befinden – ich spreche schon über das nächste Jahr, die Wirtschaftsleistung des folgenden Jahres –, so habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben, dass es zu erkämpfen, zu erreichen, die Grundlagen dafür zu schaffen gelingt, damit wir nicht nur den auf die zweite Woche entfallenden Teil der dreizehnten Monatsrente zurückgeben können, sondern sogar alles. Die Voraussetzungen dafür sind noch nicht gegeben, jedoch wenn wir in den kommenden drei-vier Monaten unsere Sache gut machen, und ein jeder im Land seine Sache gut macht, dann wird dies möglich werden. Ich halte es auch für wichtig, dass es in Ungarn auch noch nie gegeben hat, dass, sagen wir, Jugendliche unter 25 Jahren keine Einkommenssteuer zahlen. Das betrifft eine Million Jugendliche, die ihr Leben auf die Weise beginnen können, dass sie in den ersten Jahren ihren gesamten Verdienst behalten können, das Steueramt wird nichts davon wegnehmen. Meiner Ansicht nach sind das im Fall Ungarns alles hervorragende Dinge. Und wenn es auch noch gelingen sollte – das hängt ab von den Verhandlungen in den kommenden Wochen –, den Minimallohn tatsächlich auf 200 tausend Forint anzuheben, was bedeuten würde, dass der Minimallohn jetzt, 2021-22 höher sein wird, als der Durchschnittslohn in der Zeit der Gyurcsány-Bajnai-Regierung, wenn es gelingt, dies zu erreichen, dann werden wir ein schönes Jahr abschließen können. Dafür gibt es Vorbedingungen, denn die Unternehmer sagen, eine zu schnelle Erhöhung des Minimallohnes können sie nicht erwirtschaften und sie werden lieber Menschen entlassen, und nicht den Lohn erhöhen. Dafür muss eine Lösung gefunden werden, wofür der gewohnte Weg darin besteht, dass wir Steuern senken werden, wir werden also die die Unternehmer belastenden Steuern senken, wenn sie bereit sind, den Minimallohn zu erhöhen. Hier wird über die Zahlen diskutiert. Wir sind nicht weit von der Vereinbarung entfernt: Ein-zwei Wochen, ein Monat und die Vereinbarung kann entstehen. Im Übrigen hat die Nationale Konsultation der Regierung eindeutig gemacht, um den Minimallohn von 200 tausend Forint zu kämpfen.

Sehr viele Menschen können sich über die Lohnerhöhung freuen, aber wir wissen, viele stehen auch Schlange, da sind die Pädagogen, da sind die Mitarbeiter der kommunalen Selbstverwaltungen. Wann können sie mit einer Gehaltserhöhung rechnen?

Alles hängt von der Leistung der Wirtschaft ab. Es gibt eine Regel, die wir nicht brechen, die also die bürgerliche Regierung niemals bricht – es wäre schön, wenn die Linken sie nur niemals brechen würden! –, die da lautet: „Aus Krediten kann man keinen Lohn erhöhen.“ Wenn also eintritt, dass wir ohne Wirtschaftsleistung Löhne oder Renten erhöhen, wird dann das Land daran zugrunde gehen. Dafür gab es schon mehrmals Beispiele, so hat man übrigens Ungarn auch in der Zeit der Gyurcsány-Bajnai-Regierung in den Bankrott geführt. Wir brauchen also Leistung. Wenn es wirtschaftliche Leistung gibt, dann ist die Lohn- und Rentenerhöhung gedeckt. Hinzu kommt noch, dass die Leistung der Wirtschaft anhaltend sein muss, also über mehrere Jahre hinweg kalkulierbar, voraussehbar, planbar, denn wir einmal den Lohn erhöht haben, kann man davon danach nichts mehr zurücknehmen. Und wenn man nicht zurücknehmen kann und wenn es keine Leistung gibt, dann kommt die Kreditaufnahme, die Verschuldung, das Land geht bankrott. Es ist also ein wichtiges Element der Wirtschaftspolitik, dass das Wirtschaftswachstum und das Tempo des Anwachsens der Löhne miteinander synchron verlaufen. Deshalb können wir nicht auf einmal für alle die Löhne und Gehälter anheben, nicht die Absicht fehlt, ein jeder wäre glücklicher, auch ich, wenn ein jeder doppelt so viel verdienen würde wie wir jetzt verdienen, aber dazu ist Leistung notwendig. Die Lehrer haben Recht, denn sie waren die ersten, bei denen wir eine Lohnregelung irgendwann um 2013-14 vollzogen haben. Damals kam es zu einer großangelegten Anhebung, sie waren vor allen anderen Beschäftigungsgruppen an der Reihe, wir hatten sie nach vorne genommen, doch in der Zwischenzeit ist das Gehalt der anderen gestiegen und es gab auch Inflation, deshalb sind sie weiter nach hinten gerückt. Das ist nicht gerecht, die Lehrer haben Recht, wenn sie eine Regelung ihrer Gehälter wollen. Soweit ich das sehe, ist in dem kommenden Jahr bei den Pädagogen eine Anhebung um 10 Prozent möglich, und im Januar 2023 kann man, wenn es mit der Leistung der Wirtschaft so weitergeht, auch eine größere Gehaltsregelung durchführen. Jetzt bereiten sie sich gerade auf einen Streik vor, wenn ich das richtig sehe, es gibt also Bewegung auf der Seite, wir werden miteinander verhandeln, und wir werden versuchen, irgendeine längerfristige Vereinbarung unter Dach und Fach zu bringen, damit auch sie das erhalten, was ihnen aufgrund ihrer Arbeit zusteht.

Wenn die Wirtschaft in einem derart guten Zustand ist und sie läuft, und wie Sie erwähnt haben, es in der Europäischen Union zehn Länder gibt, in denen sie das Niveau erreicht hat wie vor der Epidemie, dann ist vielleicht der Kreditrahmen der Europäische Union, um den wir noch immer kämpfen, über den wir verhandeln und den sie uns nur sehr schwer geben wollen, gar nicht nötig?

Der Satz, mit dem Sie Ihre Frage begonnen haben, ist ein sehr gefährlicher Satz, die ungarische Wirtschaft ist also in einem guten Zustand. Das können wir tatsächlich sagen, doch darf man nicht vergessen, worauf wir stehen, worauf die ungarische Wirtschaft steht, das ist ein dünnes Eis. Denn zugleich ist die ungarische Staatsverschuldung doch hoch. Sie war immer hoch, als der Kommunismus zusammenbrach, war sie bei uns höher als in Polen oder der Tschechoslowakei. Zwar ist es in der Zwischenzeit mehrmals gelungen, sie zu senken, einmal, in der Zeit der bürgerlichen Regierung zwischen 1998 und 2002 gelang es, sie unter 60 Prozent zu drücken, doch in der Zeit der darauf folgenden Gyurcsány-Bajnai-Regierung stieg sie wieder bis auf 82 Prozent an. Dann gelang es, sie erneut auf sechzig und einige Prozent zu senken, ich dachte mir schon, bald würden wir die fünfzig erreichen, da kam die Pandemie, und um mit dem Übel umgehen zu können, war Geld notwendig, da wuchs die Staatsverschuldung wieder an, deshalb bewegt sich die Staatsverschuldung in einer Zone zwischen etwa 75 und 80 Prozent. Wenn ein Land eine Staatsverschuldung von 75-80 Prozent hat, dann kann seine Wirtschaft möglicherweise eine gute Leistung erbringen, doch unter seinen Füßen ist das Eis dünn. Man muss hier also sehr bei Sinnen sein. Hier reißt eine verfehlte wirtschaftspolitische Entscheidung, ein schlechtes Timing das Eis unter unseren Füßen ein. Ich habe noch nie so etwas gesehen, dass zum Beispiel Österreich in Bezug auf die Staatsverschuldung vor uns lag, diese bei ihnen höher gewesen wäre als bei uns, gleich werden sie 90 Prozent erreicht haben. Und es gibt die Länder in einer hoffnungslosen Situation mit einer Staatsverschuldung von 150-160 Prozent. Das ist schon der Eingang, das ist schon das Tor zur Zinsknechtschaft, sie werden bis ihr Lebensende zahlen. Ich möchte nicht, dass Ungarn in diese Zone hineinrutscht, man muss also die Lohnerhöhungen, die aus der wirtschaftlichen Leistung entspringenden Einnahmen auf die Weise nutzen, damit wir zugleich auch die Verschuldung mindern können. Man muss die Staatsverschuldung wieder auf das Niveau von um etwa 50 Prozent zurückbringen. Das wird in den kommenden Jahren eine gewaltige Arbeit werden. Also laufen die Dinge einerseits besser, als sie zu laufen pflegen, wir können die Löhne erhöhen, aber andererseits sind die Fundamente, die Grundlagen, auf denen wir stehen, noch nicht fest genug, und diese muss man gleichzeitig stärken. Während wir unser Haus verschönern, müssen auch die Grundfesten verstärkt werden. Das ist nicht spektakulär. Die Hausverschönerung ist spektakulär, die Lohnerhöhung ist spektakulär, aber dass zugleich auch die Grundfesten verstärkt werden müssen, das ist weniger spektakulär, jedoch genauso wichtig, wie die Erhöhung der Löhne. Sie Senkung der Staatsverschuldung, die Anhebung der Löhne, die Investitionen sind zugleich wichtig. Was die Brüsseler Gelder angeht, so haben wir in Brüssel entschieden, gemeinsam vom Weltmarkt Geld aufzunehmen, und dieses Geld – unter Festlegung bestimmter Ziele – werden wir den Mitgliedsstaaten geben, damit sie schnell aus der Krise hervorgehen können. Es gab eine große Diskussion, ob dies notwendig sei, auch ich habe es nicht deutlich gesehen, ob das notwendig ist oder nicht, doch am Ende lautete die allgemeine Weisheit, wir sollten es lieber versuchen. Doch der Ausgangspunkt dieser Entscheidung war, dass jedes Land das hieraus auf ihn entfallende Geld schnell bekommt. Jetzt haben verglichen damit es einzelne Länder im Juni erhalten, und einige, unter ihnen auch Ungarn, haben es noch immer nicht erhalten. Das ist nicht fair! Das bedeutet, dass es keinen gleichen Wettbewerbsbedingungen gibt. Die EU beeinflusst selbst den wirtschaftlichen Wettbewerb zwischen den Ländern, denn wem sie das Geld gibt, der erhält einen Vorsprung von mehreren Monaten im Vergleich zu jenen, die es nicht erhalten. Warum geben sie es uns nicht? Wegen dieser LGMBTQ-Lobby sagt die Europäische Union, sie gibt Ungarn das Geld, wenn wir in die Schulen die LGBTQ…

…gender…

…diese auf nicht traditionelle Weise, ich weiß nicht, wie man das sagen muss, ich möchte niemanden verletzen, die also nicht so leben wie wir, wo nicht ein Mädchen einen Jungen liebt und ein Junge ein Mädchen, sondern kreuz und quer, also wenn wir nicht die Fürsprecher dieser Welt in die Schulen zu unseren Kindern hineinlassen, dann werden sie uns das Geld nicht geben. Aber da frage ich doch: Was hat das mit der Wirtschaft zu tun? Die EU missbraucht also ihre Macht, übertritt jene Rechtszuständigkeiten, die ihr zustehen. Es ist kein Wunder, dass der Widerstand gegenüber ihnen in beinahe allen Ländern zunimmt. Zum Glück erbringt die ungarische Wirtschaft eine gute Leistung, und wir wollen das Geld nicht zu dem Preis von ihnen annehmen, indem wir zugleich die sexuelle Erziehung unserer Kinder alle Arten seltsamer Lebensformen propagierender LGBTQ-Aktivisten überlassen, das kommt nicht in Frage. Und am Ende werden wir das Geld auch erhalten. Denn es steht uns zu, nur hat diese Debatte leider eine Verschiebung zum Ergebnis, deshalb muss man die Quellen von anderswo besorgen. Da die ungarische Wirtschaft funktionieren muss, können wir dem nicht zustimmen, dass kein Geld in die ungarische Wirtschaft gehen soll, so wie es auch in den anderen Ländern in die Wirtschaft geht, denn dann bleiben wir im Wettbewerb zurück, nur zu ihnen kam das Geld aus dem EU-Haushalt, wir mussten es selbst auftreiben. Doch haben wir alle Programme gestartet, auf die wir im Übrigen die Brüsseler Gelder verwenden wollten. Die ungarische Wirtschaft darf also nicht darunter leiden, dass man in Brüssel die Wirtschaftspolitik mit der Sexualpolitik verwechselt.

Und schließlich waren viele Menschen davon überrascht, dass Katalin Karikó, diese ungarische Wissenschaftlerin, weder den Nobelpreis für Medizin noch den für Chemie erhalten hat. Waren auch Sie von der Entscheidung überrascht?

Wir wissen nicht genau, was in den Köpfen der Menschen vorgeht, die über die Nobelpreise zu entscheiden pflegen. Das mindert unsere Begeisterung nicht im Mindesten, denn Katalin Karikó ist unsere Heldin und sie hat das Leben vieler Millionen Angehöriger der Menschheit gerettet, sie hat also viele Millionen von Menschenleben gerettet. Vielleicht steht einem dafür kein Nobelpreis zu, doch können wir die Arbeit als eine heroische ansehen, die sie im Interesse dessen über viele-viele Jahrzehnte verrichtet hat und wir sind auch sehr stolz auf sie. Zugleich liebt es der Ungar, internationale Anerkennungen zu erhalten, und die Wissenschaftler, die in der Kultur Arbeitenden und die Sportler stehen auch immer im Scheinwerferlicht, wenn es dort zu einem Erfolg kommt, sind die Scheinwerfer sofort auf sie gerichtet. Doch gibt es auch andere Arten von Wettbewerben. Jetzt mag es sein, dass wir jetzt gerade keinen Nobelpreis erhalten haben, doch haben unsere jungen Facharbeiter in einem internationalen Wettbewerb beinahe alles gewonnen. Es gibt einen internationalen Wettbewerb, in dessen Rahmen Facharbeiter, junge Facharbeiter ihre Kräfte messen. Die Ungarische Handels- und Industriekammer, die Anerkennung verdient, pflegt die ungarische Teilnahme daran zu organisieren, es gibt ungarische Ausscheidungen, Qualifikationen, und so weiter. Es existiert eine große Facharbeiterwelt in Ungarn. Diese sieht man nicht, denn sie ist nicht so sensationell wie ein Nobelpreis und wie eine Entdeckung, aber diese Welt existiert, und das ist eine dichte, starke Welt und sie bringt, sie ergibt nacheinander immer bessere ungarische Facharbeiter. Einmal hat auch Ungarn so einen Wettbewerb veranstaltet, auch dort haben wir gut abgeschnitten. Wenn ich es richtig sehe, dann haben wir jetzt im Weltmaßstab irgendwo um den fünften-sechsten Platz herum abgeschnitten, und in derart klassischen Berufen erweisen sich die Ungarn als beste: Möbeltischler, Gartenbauer, Webdesigner, Friseur und so weiter. Beinahe zwanzig unserer Jugendlichen haben einen Sonderpreis oder aber irgendeine Medaille gewonnen. Also möchte ich ihnen und den sie vorbereitenden Pädagogen auch auf diesem Weg gratulieren. Ungarns Zukunft hängt nicht nur von den Nobelpreisträgern ab. Ungarns Zukunft hängt davon ab, ob wir Facharbeiter von Weltniveau haben werden. Ja, es müssen sogar die besten Arbeiter in Ungarn sein, denn anders können wir nicht zu den besten Wirtschaften der Welt gehören. Ohne ihre Arbeit funktioniert das also nicht. Also freue ich mich sehr darüber, dass wenn auch der Nobelpreis nicht zu den Ungarn gekommen ist, so doch der Facharbeiterpreis.

Vielen Dank! Sie hörten Ministerpräsident Viktor Orbán.