Viktor Orbáns Interview in der Sendung „Guten Morgen Ungarn” von Radio Kossuth
14. Juni 2019

Katalin Nagy: Es ist vier Minuten nach halb acht. Die Ministerpräsidenten der Visegrád-Länder haben sich gestern in Budapest getroffen, wo sie darin übereingekommen sind, im Europäischen Rat sowohl in Personalfragen, hinsichtlich der führenden Politiker, als auch in inhaltlichen Fragen einen gemeinsamen Standpunkt zu vertreten. Ich begrüße im Studio Ministerpräsident Viktor Orbán.

Guten Morgen!

Wieso vertrauen sie darauf, dass die Bitte oder die Erwartung der V4 gewürdigt wird? Letztlich gibt es ja doch 28 Länder in der Europäischen Union.

An „würdigen“ haben wir nicht gedacht. Wir dachten, wir werden sie durchsetzen. Die Politik ist eine höfliche Gattung. Wir müssen also respektvoll miteinander sprechen können, aber wenn man wichtige Dinge erreichen muss, dann zählt die Stärke. Die Stärke entspringt aus zwei Dingen, aus dem Gewicht eines gegebenen Landes, und aus dem Gewicht der Argumente. Die Mitteleuropäer stehen jetzt in beiderlei Hinsicht gut da. Wenn wir die V4 als eine Einheit ansehen und ihre Wirtschaftsleistung betrachten, dann kann ich sagen, dass der Handel dieser vier Länder mit Deutschland in seinem Volumen, also in seiner Größenordnung die französisch-deutschen wirtschaftlichen Beziehungen bei weitem übertrifft. Wir sprechen also über eine bestimmende Ländergruppe. Wir sind nicht mehr daran gewöhnt. Natürlich kann es sein, dass sich dies nur meine Generation abgewöhnt hat, aber irgendwie habe ich immer das Gefühl, wir haben hier in unserem Rucksack ein Minderwertigkeitsgefühl, das durch die Wirtschaftsleistung der vergangenen Jahre nicht im Geringsten begründet ist. Wenn wir uns also Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn ansehen, dann können wir erhobenen Hauptes über die Leistung sprechen, und wir können vollkommen berechtigt bitten, und wir werden nicht fragen, ob sie eventuell beachten würden oder ob es nicht möglich wäre, uns zu bemerken, auch unsere Interessen mit einzukalkulieren, sondern wir sagen: „Leute, der Motor des europäischen Wirtschaftswachstums ist gegenwärtig Mitteleuropa. Und auch wir haben Ziele, und auch wir besitzen Interessen, und verhandeln wir über diese.“ Und wir werden dem auch Geltung verschaffen. Wir werden als vollkommen gleichrangige Partner mit den Franzosen oder den Deutschen verhandeln, und das muss sich auch in Personalfragen äußern. Es muss aus Mitteleuropa auch auf europäischer Ebene einen führenden Politiker geben, der dieses Selbstvertrauen, diese Kraft, diese auf die Zukunft bezogene optimistische Weltsicht verkörpert, und wir können nur derartige führende Politiker von außerhalb von Mitteleuropa unterstützen, die Mitteleuropa respektieren, nicht auf uns herabschauen, nicht sagen, unsere Stimmen wären nicht dazu nötig, damit sie führende Politiker sein können. Die überhaupt den tschechischen, slowakischen, polnischen und ungarischen Menschen den Respekt bezeugen, der ihnen zusteht.

Wird es einen gemeinsamen Vorschlag für das Amt des Präsidenten der Kommission geben oder gibt es diesen gemeinsamen Vorschlag bereits? Sie haben früher erwähnt, Weber sei es nicht.

Jedes komplizierte Verhandlungsverfahren über Personen – und hierbei haben wir es damit zu tun – besteht aus zwei Teilen. Zuerst stellt man eine negative Liste zusammen, dann eine positive Liste. Man muss also jene der zur Sprache gekommenen Kandidaten streichen, die überhaupt nicht in Frage kommen, weil sie aus irgendeinem Gesichtspunkt nicht akzeptabel sind. Zum Beispiel darf man niemals einen Menschen für ein führendes europäisches Amt unterstützen, der früher an der Attackierung irgendeines Mitgliedsstaates teilgenommen hat, oder Gott behüte, an deren Spitze stand. Unabhängig davon, ob er Recht gehabt hat oder nicht, denn die Aufgabe eines führenden europäischen Politikers ist es, die Europäische Union zusammenzufassen, und wenn jemand zuvor Mitgliedsstaaten attackiert hat, dann ist er für diese Position nicht geeignet. Er kann für eine andere Position geeignet sein, aber um die Einheit Europas zu vertreten, sie zu verkörpern, dafür ist er es keinesfalls.

Zum Beispiel Frans Timmermans.

Eine Negativliste ist notwendig, auf der es auch Namen gibt, und wenn wir geklärt haben, wer weshalb nicht in Frage kommt, dann müssen wir die Namen jener zusammenstellen, die in Frage kommen können. Und da nicht nur wir, Mitteleuropäer, entscheiden werden, denn die Länder aus dem Süden, Deutschland und auch Frankreich werden dort sein, deshalb muss man mit einer breiten Liste gehen, damit man danach zu einer Übereinkunft gelangen kann. Ich sehe eine Chance dafür, dass innerhalb von ein-zwei Wochen so eine Vereinbarung getroffen wird.

Kann man etwas über diese Person wissen?

Nein.

Wann wird man etwas über sie wissen?

Genauer gesagt geht es nicht darum – um nicht derart harsch unfreundlich zu sein –, dass man es nicht wissen kann, sondern darum, dass es für alles seine vorbestimmte Zeit gibt, auch den Rhythmus der politischen Verhandlungen mit inbegriffen. Man muss dann über die Dinge reden, wenn deren Zeit gekommen ist. Gegenwärtig würde die Nennung jedweden Namens oder die Markierung irgendeiner Person viel mehr die Chancen dieser Person mindern als vergrößern, denn wir stehen noch vor einer Reihe von komplizierten Matches, und ich empfehle in unserem eigenen Interesse, geduldig zu sein, und jetzt sollten Sie noch keine Namen aus mir herauspressen.

Über die Personalfragen hinaus sind die inhaltlichen Fragen sehr wichtig. Auch Sie haben darauf hingewiesen, vor zwei Wochen, als Sie hier waren. Ist es eine inhaltliche Frage, wie sich die Zukunft Europas gestaltet? Ist es eine inhaltliche Frage, in welche Richtung sich die Europäische Union in den kommenden fünf Jahren bewegt? Gibt es auch hierin einen einheitlichen Standpunkt der Visegráder Vier?

Man kann Detailfragen finden, in denen die Meinungen der Völker oder der führenden Politiker der vier Länder voneinander abweichen, doch in den wichtigen, den wesentlichen, den richtungsweisenden Fragen herrscht Übereinstimmung. Dies ist umso wichtiger, denn wenn wir eine europäische Wahl hinter uns haben, pflegt es zu geschehen, dass einige Regierungen auf der Strecke bleiben. Auch jetzt ist das hier die Situation. Einige führende Politiker scheiden aus, neue kommen. Dies ist jener Zeitraum, in dem die 28 Ministerpräsidenten ein gemeinsames Dokument annehmen, in dem es darum geht, in welche Richtung die Ministerpräsidenten bzw. die durch sie vertretenen Völker die Zukunft Europas entwickeln, lenken, steuern möchten. Jedes Jahr gibt es so ein strategisches Papier, und das ist auch vor fünf Jahren auf diese Weise geschehen. Ich habe auch an jener Debatte teilgenommen. Ich kenne auch den Text des gegenwärtigen Vorschlags, ich kann ihn mit dem von vor fünf Jahren vergleichen, und ich sehe, wie sehr sich die Welt verändert hat. Neue Themen sind aufgetreten, auch das Denken ändert sich. Wir, die wir im Gewimmel des Alltags unser Leben leben, verfügen kaum über so eine Perspektive, deshalb bemerken wir auch nicht die Tiefe der Veränderungen, die Kraft der Richtungsänderungen. Aber wenn man ab und zu alle fünf Jahre innehält, und ein richtungsweisendes Dokument von vor fünf Jahren mit einem heutigen vergleicht, dann kann man sehen, dass Europa sich in gewaltigen Maßen verändert, in gutem wie im schlechten Sinne zugleich, gleichzeitig zu seinem Vor- und Nachteil. Dies ist also eine spannende Arbeit, und auch ihre Bedeutung ist nicht gering, denn die Richtung der Entwicklung oder des Aufbaus der Europäischen Union müssen schließlich doch die durch die Bürger der europäischen Mitgliedsstaaten gewählten Ministerpräsidenten bestimmen. Zwar gibt es dort auch in Brüssel zweifelsohne diese Bürokraten, und es sind viele, eine ganze Armee, und sie sitzen dort in einer Blase. Manchmal hat man das Gefühl, sie wüssten nicht einmal, was in den Mitgliedsstaaten los ist, wie das wirkliche Leben aussieht, in welchen prinzipiellen Konstruktionen man sein Leben lebt. Manchmal scheinen sie lebensfremd zu sein, sie wollen uns ab und zu auch lebensfremde Vorschriften akzeptieren lassen, doch die Leitung, die politische Führung darf nicht in ihre Hände „hinüberrutschen“. Wir dürfen also nicht zulassen, dass die Brüsseler Bürokraten das Leben der europäischen Völker bestimmen. Die Führung muss in den Händen der gewählten Leute, also in denen der Gemeinschaft der gewählten Ministerpräsidenten verbleiben. Wir sind zu 28 und wir können dies auf die Weise durchsetzen, wir können die EU auf die Weise leiten, wenn wir jene wichtigeren Fragen klären, die dann die Bürokraten respektieren werden müssen. Und an diesem Punkt erscheinen nationale Gesichtspunkte, hier erscheinen ungarische und es erscheinen mitteleuropäische Gesichtspunkte. Deshalb war es auch für mich persönlich wichtig, dass die Leute darauf achten und es hören sollten, worum ich vor den Wahlen zum Europäischen Parlament gebeten bzw. was ich gesagt hatte, dass wir jetzt auch darüber entscheiden, in welche Richtung die Europäische Union schreiten muss. Und ich habe drei Dinge auf mich genommen, dass wir nur solche Dokumente und nur solche führende Politiker unterstützen werden, die sich eindeutig zum Aufhalten der Migration bekennen, woraus auch folgt, dass die die Migration unterstützenden Personen wie George Soros, sein mafiaartiges Netzwerk, diese NRO-s zurückgedrängt, aus der europäischen Entscheidungsfindung herausgedrängt werden müssen, denn sie üben einen zu großen Einfluss auf die Brüsseler Bürokraten und über sie auf die europäische Politik aus.  Es ist also sehr wichtig, dass wir Dokumente annehmen, in denen das Aufhalten der Migration vorkommt. Man muss den Nationen den ihnen zustehenden Respekt bezeugen. Hierüber muss man unbedingt sprechen, dass es in Zukunft nicht möglich sein wird, so wie das auch Timmermans getan hat, die Nationen aus ideologischen Gründen nach Belieben herumzustoßen, sie zu beleidigen. Das ist eine schlechte Praxis, damit muss man aufhören. Ich hoffe, es wird jetzt einigen Leuten ihren Kopf und ihre Stellung kosten, dass sie sich in den vergangenen fünf Jahren auf diese Weise aufgeführt haben, und jetzt werden wir zeigen: Wer sich so verhält, der hat keine europäische Karriere. Wer sich respektlos gegenüber den Nationen verhalten hat, der darf nicht damit rechnen, darf nicht darauf hoffen, dass er danach von den gleichen Mitgliedsstaaten einen Auftrag erhält, die er zuvor – im Übrigen auf ungerechte Weise – drangsaliert hat. Und dann die dritte wichtige Sache: Man darf die christliche Kultur nicht vergessen. Hierbei geht es jetzt nicht darum, wer was für ein persönliches Verhältnis zum lieben Gott hat, sondern es geht darum, dass Europa über eine über zweitausend Jahre hinweg entfaltete und errichtete Kultur verfügt. Aus dieser Kultur hat sich eine gewisse europäische Lebensweise entwickelt. Diese besitzt Werte. Das ist wichtig, das ist bewahrenswert und das ist auch die Aufgabe der Politiker. Wir müssen also unsere Gemeinschaften, die Familie, die Würde des Einzelnen, die Nation – das sind alles Produkte der christlichen Kultur – schützen. Und die dritte Sache, die wichtig ist, ist die notwendige Respektierung der wirtschaftspolitischen Unabhängigkeit der Mitgliedsstaaten. Man kann also keine einheitliche Wirtschaftspolitik Ländern aufzwingen, die sich in großem Maße voneinander unterscheiden. Wir wollen also nicht, dass Brüsseler Bürokraten erträumen, was für ein Steuersystem wir haben sollen oder wie der ungarische Haushalt aussehen soll, und sie uns dies aufzwingen. Die wirtschaftliche Souveränität muss verteidigt werden und die zu ernennenden führenden Politiker müssen sie respektieren. Im Großen und Ganzen ist das die Richtung, die für Ungarn wichtig ist.

Beinahe alle führenden Politiker der 25 Mitgliedsstaaten geben ja zu, dass die Europäische Union reformiert werden müsste. Nur ist es nicht gleichgültig, auf welche Weise. Es ist nicht sicher, ob es zum Beispiel Präsident Macron für wichtig hält, den Schutz der christlichen Werte in diese strategische Vereinbarung aufzunehmen oder zum Beispiel die Bewahrung der wirtschaftlichen Souveränität ebenso wie die der nationalen Souveränität.

Gerade hierdurch wird die Leitung eines Landes zu einer schönen Arbeit, indem man in einem Umfeld unseren nationalen Gesichtspunkten Geltung verschaffen muss, in dem nicht ein jeder diese Werte teilt. Doch ist dann dies schon meine Sache, um dort den Weg hierfür zu finden. Dafür gibt es handwerkliche Handgriffe. Ich bin schon lange genug dabei, um dann jene Lösungen zu finden, wenn es am kommenden Donnerstag und Freitag in Brüssel hierum gehen wird.

In dieser Frage vertreten Sie im Europäischen Rat offensichtlich die Interessen Ungarns. Im Europäischen Parlament vertritt der Fidesz die Interessen Ungarns. Wie gestaltet sich die Wegrichtung der Europäischen Volkspartei? Sie hatten gesagt, wir würden sehen, welchen Weg die Europäische Volkspartei einschlägt, und wir werden es davon abhängig machen, ob wir gehen oder bleiben. Wie sehen Sie diese Frage jetzt?

Für uns steht natürlich, da wir eine nationale Partei sind und wir eine nationale Regierung in Ungarn aufgestellt haben, auch in Brüssel Ungarn an erster Stelle. Wir gehören also nicht zu jenen Parteien, die irgendeine in Brüssel ausgedachte Sache in Ungarn vertreten wollen. Es gibt solche Parteien in Ungarn übrigens, das sind oppositionelle Parteien, doch seien wir ihnen gegenüber gutgläubig, und wir können auch noch annehmen, sie würden denken, dies sei besser für Ungarn. Es gibt also Meinungen, dass es besser wäre, wenn nicht die Ungarn sich ausdenken würden, wie und auf welche Weise sie ihr Leben einrichten wollen, sondern wir akzeptieren sollten, wenn in einigen wichtigen, ja sogar grundlegenden Fragen unseres Lebens in Brüssel entschieden wird, und wir dann das, was in Brüssel entschieden worden und was gut ist, danach hier in Ungarn vollstrecken sollen. Es gibt also in Ungarn Parteien, die hierüber sprechen, der Rahmen dieses Gedankens sind die Vereinigten Staaten von Europa. Wir sind aber keine solche Partei. Wir sind der Ansicht, dass Ungarn seine eigenen Interessen besitzt, und nur die Ungarn können sagen, was für Ungarn gut ist und was nicht. Wir arbeiten gerne mit einem jeden zusammen, wir sind gerne Partner, wir teilen gerne gemeinsame Ziele, aber nur dann und nur solange, wie dies dem Interesse Ungarns dient. In den kommenden fünf Jahren werden also unsere Abgeordneten in Brüssel die Interessen Ungarns vertreten, hierauf haben sie ihren Eid abgelegt. Aus diesem Grund haben sie ihren Auftrag bekommen. Deshalb haben wir sie unterstützt, und ich habe auch nicht den geringsten Zweifel, dass sie dies dann tun werden. Wohin wir gehören, zu welcher Gruppe, das ist zweitrangig. Es ist nicht unwesentlich, aber sekundär. Denn auch diese Gruppierungen ändern sich. Man kann sich also nicht an einem einzigen Ort niederlassen, weil wir uns dann den Veränderungen der europäischen Politik ausliefern würden. Wir müssen uns über unsere eigenen Interessen im Klaren sein. Und wenn wir wissen, was das ungarische Interesse ist, das wir vertreten werden, müssen wir dementsprechend auf dem europäischen Schauplatz unseren Platz einnehmen. Und sagen, wenn sich eine Partei verändert – denn das ist der Lauf des Lebens –, sagen wir die Europäische Volkspartei entwickelt sich oder formiert sich in eine Richtung, die für uns nicht akzeptabel ist, nicht den Interessen der Ungarn dient, dann haben wir dort nichts zu suchen. Wir versuchen natürlich auch die Europäische Volkspartei in ihrer früheren Form zu erhalten, die sie früher besaß – sie war die Partei von Helmut Kohl, respektierte die Nationen, hielt das Christentum für wichtig, sprach auch immer mit Respekt über die Gesichtspunkte und Interessen der Mitteleuropäer, und beachtete sie auch. Zugleich hat sie auch eine wirtschaftlich äußerst dynamische Europäische Union zum Ergebnis gehabt. Also besaß auch die Europäische Volkspartei eine Form, die für Ungarn gut und nützlich war. Wenn sich dies verändert, wenn sie zu einer Befürworterin der Einwanderung wird, wenn sie ihre christlichen Wurzeln vergisst, wenn sie die Nationen nicht respektiert, wenn sie zu einer Gefangenen der Brüsseler Bürokraten wird – denn von Zeit zu Zeit nehmen diese Brüsseler Bürokraten die führenden Politiker in Gefangenschaft, stellen ihnen eine Falle –, dann ist dort in solch einer Gemeinschaft kein Platz für uns. Aber nicht dies ist wichtig, wohin wir gehören, sondern was wir wollen. Wer sind wir und was wollen wir? Auf Grund dessen müssen wir unsere Entscheidungen treffen.

Politico hat geschrieben, Ministerpräsident Viktor Orbán habe den Mitgliedern der aus drei Personen bestehenden Kommission der Volkspartei einen Brief geschrieben. Sie sind jene, die untersuchen sollen, ob entsprechend den Grundsätzen der Europäischen Volkspartei in Ungarn die Grundpfeiler der Demokratie in Ordnung sind.

Nun, ich weiß nicht, was sie untersuchen müssen – ich hätte einige Ratschläge, was sie statt Ungarn untersuchen sollten, doch das würde ich jetzt an dieser Stelle lieber nicht ausführen. Die Situation hat sich dahingehend entwickelt, dass uns innerhalb der Europäischen Volkspartei die skandinavischen und luxemburgischen, grundlegend über ein liberales Wertesystem verfügenden, aber zur Volkspartei gehörenden Parteien angegriffen haben, und uns von dort ausschließen wollten. Sie haben einen sehr rüden Angriff gegen uns gestartet. Hinzu kommt noch, dass dies zu Beginn der europäischen Kampagne, zu Beginn des Wahlkampfes der europäischen Wahlen geschah, was an sich schon eine äußerst dumme – um jetzt keinen raueren Begriff zu gebrauchen – Vorstellung war. Und anstatt, dass sich die Europäische Volkspartei mit ihrer ganzen Kraft auf den Wahlkampf hätte konzentrieren können, also ihre Gedanken den Wählern nahezubringen, standen lange Zeit – so ähnlich wie bei der ungarischen Opposition – die inneren Probleme, die wir miteinander haben, im Mittelpunkt. Die Folge dessen war, dass die Europäische Volkspartei bei den europäischen Wahlen ein schlechteres Ergebnis erreichte als früher bzw. als sie hätte erreichen können. Und zur Auflösung dieses Konflikts hat die Europäische Volkspartei angesehene Persönlichkeiten benannt, die diese Debatte an einen Ruhepunkt führen können. Ich akzeptiere also jene Herangehensweise nicht, nach der sie dann hierher kämen und dann wie Lehrer oder Professoren die Schüler prüfen, wie sie denn anschauen, oder wie auf einem Pferdemarkt unser Gebiss untersuchen. Das sollten wir also vergessen. Ungarn ist ein Land, das ist eine Heimat. Hier gibt es Menschen, europäische Menschen, die man respektieren muss. Derartige Untersuchungen sind also nicht vorstellbar. Wir werden darüber reden, was die Europäische Volkspartei möchte, was der Fidesz, was wir möchten, und ob wir unsere Ziele miteinander vereinbaren können. Ich betrachte also Ungarn nicht als ein einer Untersuchung unterworfenes Land, betrachte besonders auch nicht den Fidesz und erst recht nicht mich selbst als einer Untersuchung unterworfen, sondern als gleichberechtigte Verhandlungspartner. Wir werden sehen, zu welchem Ergebnis wir gelangen werden!

Das Parlament debattiert über den Haushalt für 2020. Das Steuerpaket ist der erste Punkt, ist das erste Kapitel. Wie sehen Sie das, was muss im Haushalt von 2020 verwirklicht werden, damit die Stabilität, der Entwicklungsgrad der Wirtschaft auf diesem Niveau erhalten bleibt? Jetzt haben schon alle die Prognosen korrigiert, denn die Daten für das erste Quartal waren sehr gut.

Ich gehöre zu den vorsichtigen Draufgängern, schließlich sind wir doch Ungarn. In den Ungarn gibt es einen Reflex, dass wenn die Dinge beginnen, gut zu laufen, dann fragen sie sich, ob das nicht ein böses Ende haben wird, dass eben die Dinge gut laufen. Natürlich muss noch vieles in Ungarn sich bessern, doch insgesamt hat sich in Ungarn ein Gefühl herausgebildet, ein meiner Ansicht nach über reale Grundlagen verfügendes Gefühl darüber, dass die Dinge im Grunde in die richtige Richtung sich entwickeln. Das bedeutet nicht, dass die Dinge in Ordnung sind, sondern, dass das Land beginnt, immer bessere Leistungen zu erbringen. Die ungarische Sprache ist ja eine seltsame Konstruktion, denn „die Dinge laufen besser“ bedeutet weniger als wenn man „die Dinge laufen gut“ sagt, dabei steht das eine ja im Komparativ, das „besser“, aber trotzdem haben die Menschen so ein Gefühl, bei allem Maßhalten, dass wir jetzt den Anschluss schaffen würden. Dies bedeutet nicht, man müsste nicht noch zahlreiche Dinge verbessern, wir haben sehr viele dumme Vorschriften, viele Dinge könnten wir besser machen, auch wenn wir einige unserer Gepflogenheiten ändern könnten, würde dies allen gut tun, doch gibt es trotzdem so ein Gefühl, dass es doch immer mehr Arbeitsplätze gibt. Die Löhne wachsen nie in dem Maße, wie wir uns das wünschen würden, doch bewegen sie sich nach oben. Es gibt gute Arbeitsplätze und insgesamt erweckt auch unsere Wirtschaftsleistung Optimismus oder Hoffnungen hinsichtlich der Zukunft. Was ist nun zu tun, wenn die Dinge besser zu laufen beginnen? Da muss man das verteidigen, was man bis dahin erreicht hat. Die Wirtschaft kann sich also dann weiterentwickeln und einen weiteren Schritt machen, wenn es gelingt, die der Wirtschaft drohenden Risiken zu verringern. Das ist meine Aufgabe, das ist die Aufgabe des Wirtschaftsministers, des Finanzministers, es ist die Sache der Regierung. Es ist die Aufgabe der Politik, wenn die Dinge endlich besser zu funktionieren beginnen, dann das vor den drohenden Gefahren zu beschützen, was wir bisher erreicht haben, und auch die Möglichkeit der künftigen Entwicklung zu beschützen. In so einer Situation ist nur die Frage: „Was bedroht uns?“ Gerade in diesem Moment bedroht uns, dass die Entwicklungsrate der westeuropäischen Wirtschaften, die viel reicher als wir sind, sich verlangsamt. Und da wir den Handel mit ihnen für am wichtigsten halten, sind wir Teile dieses einheitlichen europäischen Marktes, deshalb ist es – wenn dort die Dinge schlechter laufen – zweifelhaft, ob die Dinge bei uns besser laufen könnten als bei ihnen. Oder könnten die Dinge bei uns besser laufen als sie früher liefen? Ist also das Wachstum auch unter solchen Bedingungen aufrechtzuerhalten? Warum jetzt die Dinge in Westeuropa schlechter laufen, warum sich dort das Wachstum verlangsamt, was für Gründe es dafür gibt, das würde ein anderes und langes Gespräch benötigen, hierfür haben wir jetzt vielleicht keine Zeit. Doch ist das Wesentliche trotzdem, ob es möglich ist, eine Wirtschaftspolitik zu verfolgen, die trotz der Verlangsamung der Entwicklung der Länder, die reicher als wir sind, die Wachstumsrate der ungarischen Wirtschaft aufrechterhält, ob es auch weiterhin Arbeitsplätze geben wird, ob es immer mehr gute Stellen geben wird, ob es eine klare, durchschaubare Regulierung geben wird? Und ob die Menschen den Glauben daran bewahren werden, dass es sich zu arbeiten lohnt, es sich lohnt, die Regeln einzuhalten, es sich lohnt, Unternehmen zu starten? Wir haben jetzt auf diese Frage jene Antwort gegeben, die wir „Aktionsplan zum Schutz der Wirtschaft“ nennen, und er ist im Haushalt enthalten. Er beinhaltet Steuersenkungen und Schritte, die das Wirtschaftswachstum unterstützen. Und zugleich – und das ist das Größte, wofür ich dem Finanzminister dankbar bin – vergisst der Haushalt auch die Frage nicht, wozu all diese wirtschaftspolitischen Kunststücke notwendig sind. Und der Finanzminister hat die Antwort auf die Frage akzeptiert, nach der letztendlich die Familien gestärkt werden müssen. Das Ziel unseres Haushaltes ist also die Stärkung der Familien, wozu die Voraussetzung darstellt, dass wir die Möglichkeit der wirtschaftlichen Entwicklung schützen. Diese Gesichtspunkte hat sich der Finanzminister vor Augen gehalten, als er das Budget zusammengestellt hat. So hat er es den Mitgliedern der Regierung vorgestellt, so haben wir ihn über lange Wochen hinweg diskutiert, und das Ergebnis dieser Debatte haben wir dann als Konsens, als Vereinbarung dem Parlament vorgelegt. Und ich bitte auch die Parlamentsabgeordneten, ihn anzunehmen – und ich hoffe auch darauf, dass dies geschehen wird.

Ein schreckliches Schiffsunglück hat sich hier, in Budapest, vor zweieinhalb Wochen ereignet. Jetzt ist das Wrack bereits geborgen worden. Sind Sie mit der Arbeit der an der Rettungsaktion beteiligten ungarischen Fachleute und der koreanischen Fachleute zufrieden?

Ich weiß nicht, ob es ein guter Ausdruck ist, zu sagen, man sei zufrieden? Denn schließlich handelt es sich um ein dramatisches und erschütterndes Ereignis, im Zusammenhang mit dem man niemals zufrieden sein kann, denn man kann die verlorenen Leben nicht zurückbringen. Und dies war ein derart schwerer, ein derart das Herz erschütternder Unfall, der das ganze Land getroffen hat. Tagelang hat ein jeder hierauf geachtet, sich damit beschäftigt. Ich habe viel darüber nachgedacht, warum dies das Land derart erschüttert hat? Natürlich ist der Verlust von Menschenleben an sich schon eine erschütternde Sache, aber hier gibt es auch einen eigentümlichen ungarischen Gesichtspunkt, dass jene, die hier gestorben sind, schließlich unsere Gäste waren. Die Opfer haben unser Land gewählt, sie sind hierher gekommen, hier wollten sie sich erholen, hier wollten sie Erlebnisse sammeln, hier wollten sie sich gut fühlen, vielleicht haben sie auch ihre Familie mitgebracht, auch ihr wollten sie Ungarn zeigen. Und wir sind ein gastfreundliches Land und haben sie auch so empfangen. Und jetzt stehen wir hier, als gastfreundliches, empfangendes Volk, und wir sehen, dass wir sie verloren haben. Und jetzt herrscht Trauer. Wir haben zwar die Nationalflagge nicht auf Halbmast gesetzt, obwohl wir selbst dies beim Ministerpräsidentenamt getan haben. Wir haben also keine dramatischen Gesten gezeigt, doch das Land war durch diese Sache tief berührt, und ich kann ruhig sagen, dass das ganze Land um die Dahingeschiedenen getrauert hat und jetzt fühlen wir alle mit den Hinterbliebenen. Wir werden mit unseren südkoreanischen Freunden – denn es handelt sich ja um ein befreundetes Land – darüber Gespräche führen, was sie sich für ein Nachleben wünschen, was für ein Gedenken sie all dem stellen möchten – da es zum Teil eine andere Kultur ist, andere Sitten herrschen, will ich nicht auf unhöfliche Weise unsere eigenen Gepflogenheiten des Gedenkens an Verstorbene in den Vordergrund schieben und den Südkoreanern aufzwingen, doch möchte ich dann mit ihnen darüber sprechen, dass wir irgendeine Gedenkstätte, irgendeine Geste, irgendeine Form der Erinnerung, irgendein Denkmal und Memento dem Umstand errichten, dass es sich hier um zwei befreundete Völker handelt, von deren Staatsbürgern einige – während sie für Momente der Freude nach Budapest gekommen waren – ihr Leben verloren. Das ist also eine Sache, die es verdienen würde, in einer würdigen Form aufgenommen zu werden. Aber das ist eine kulturelle Frage, und deshalb werden wir, wenn wir über die Trauer hinweggekommen sind, denn dann ist es zweckmäßig, denn dann wird die Ratio eine Rolle spielen, während jetzt noch das Herz die Hauptrolle spielt, dann werden wir mit den Koreanern darüber sprechen. Was die Rettungstätigkeit angeht, denn das ist ja auch eine Arbeit, denn in solchen Momenten gibt es viel Arbeit, auch in der Not gibt es Arbeit, und auch die muss organisiert werden. 498-Personen haben an den Bergungsarbeiten teilgenommen. Das ganze Land konnte sie verfolgen. Wir können meiner Ansicht nach auf jene ungarischen Menschen stolz sein, aber auch auf die ausländischen, die an dieser Arbeit teilgenommen haben. Wir konnten sehen, wie die an der Rettung und Bergung teilnehmenden Taucher, Polizisten, Mitarbeiter des Katastrophenschutzes Risiken auf sich nahmen, wir konnten ihren Mut, ihre Standhaftigkeit sehen, sie arbeiteten unter besonders schwierigen Bedingungen – ihre Standhaftigkeit war beispielhaft. Sie verdienen jeden Respekt, und sie werden ihn auch von der ungarischen Regierung erhalten.

Vielen Dank. Sie hörten Ministerpräsident Viktor Orbán.